Für etwas vorschnelle Rezipientinnen und Rezipienten von Autoren wie Theodor W. Adorno dürfte es – um ein Wort von Thomas Bernhard zu entlehnen – als Impuls ganz »naturgemäß« erscheinen, dass man, geht es »plötzlich« um einen aktuellen »Zusammenhang« zwischen Politik und einer komponierenden Vertreterin der Neuen Musik, nach deren politischer Meinung fragt. Doch sollte man die betreffende Künstlerin verstehen, wenn sie sich ausdrücklich dazu nicht »positionieren« will – und nicht etwa in die Falle des Reporters tappen, der in Hoch-Zeiten der Corona-Pandemie Fußballtrainer Jürgen Klopp nach seiner Meinung zu den »Maßnahmen« befragen wollte (und dafür rhetorisch gewandt von Klopp auf die Mütze bekam).

Die 1987 in Teheran geborene iranische Komponistin Aftab Darvishi möchte nicht über Politik reden. Und eben dafür gebührt ihr volles Verständnis. Auf Darvishis eigener Webseite schreibt die Künstlerin: »Schon als Kind war Musik ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Mein erster ernsthafter Kontakt mit Musik war die Geige. Ab meinem fünften Lebensjahr bekam ich Geigenunterricht. Als ich älter wurde, kam ich mit weiteren Instrumenten wie Kamancheh (ein iranisches Streichinstrument) und speziell mit Klavier in Kontakt.«

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2010 schloss Darvishi ihr Studium der »Music Performance« an der Universität von Teheran mit Auszeichnung ab und ging darauf nach Amsterdam, um am dortigen Konservatorium »Komposition für den Film« zu studieren. Nach zwei Jahren enger Zusammenarbeit mit mehreren Regisseuren der Nederlands Film en Televisie Academie und unter der Leitung von Jurre Haanstra erwarb sie 2012 ihren Master-Abschluss. 2015 beendete sie schließlich erfolgreich ihr Studium der Komposition am Königlichen Konservatorium in Den Haag.

Welchen Gattungen sie sich widmet, beschreibt Darvishi wie folgt: »Ich komponiere Musik für verschiedene Medien und Kontexte, von Konzertmusik bis zu Filmmusik, Theatermusik und so weiter. Ungewöhnliche Gesangskombinationen und die Vermischung diverser Musikkulturen inspirieren mich auf meinem musikalischen Weg.« Darvishis Werke wurden bereits von Ensembles wie dem Kronos Quartett, den BBC Singers und dem Ricciotti Ensemble aus den Niederlanden bei zahlreichen Festivals interpretiert. Regelmäßig unterrichtet Darvishi als Gastdozentin an der Universität von Teheran.


Aftab Darvishi (* 1987)
Daughters of Sol für Streichquartett (2017)

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Im Februar 2019 hatte Aftab Darvishis Oper Turan Dokht beim »Holland Festival« Premiere. Wir hören jedoch in ihr 2017 komponiertes Streichquartett Daughters of Sol hinein. Die zweite Geige setzt mit einem e1 ein, gedämpft, piano – ja, »einfach so«. Nicht auf irgendeiner Zählzeit, sondern auf der »Eins«. Auf dem gleichen Ton kommt die Bratsche dazu. Dann erweist sich das Cello, indem es einen Halbton höher intoniert, als kritischer Beobachter des Ganzen.

Die erste Violine lässt weiter ausgreifende Töne erklingen. Aber verhalten, leicht säuselnd: »flautando«. Danach glissandiert die zweite Geige hinauf zum Partnerton f1. Ein Spiel der kleinen Tonabstände – im Zusammenwirken mit größeren Gesten. Die kurzen »Girlanden« der ersten Violine tauchen nun auch in der zweiten Geige auf. Klagen mischen sich in alle Stimmen hinein. Indem Aftab Darvishi ihr Tonmaterial achtsam aufspannt, es dezidiert »erzählen« lässt, entsteht ein Gefühl des »Zusammenhangs« beim Hören. Eine Art des Komponierens, die uns an die Hand nimmt – und hier eine Stimmung der Trauer, der Rückschau ermöglicht. Immer wieder entstehen scheintonale Momente, die Hoffnung schenken, doch durch die angestimmten leeren Saiten den elegischen Grundgestus dieses feinen Stückes nicht verleugnen. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.