Im Jahr 1587 wurde der 24-jährige Vincenzo I. Gonzaga zum Herzog von Mantua und Montferrat. Vincenzo hatte den epochalen Dichter Torquato Tasso, den man als »Irren« eingesperrt hatte, schon ein Jahr zuvor aus dem Gefängnis befreien lassen; und 1590 wurde Opern-Pionier Claudio Monteverdi Musiker am Hofe Vincenzos. Stets hatte der Herzog das richtige Gespür für talentierte Künstler:innen, für radikale Avantgardist:innen. Im selben Jahr – 1587 – wurde am 18. September Francesca Caccini geboren; in Florenz, der Stadt, in der sich etwa zehn Jahre zuvor die »Erfinder der Oper« – die Camerata Fiorentina – zusammengefunden hatten, auf deren Gründungssäulen Monteverdi mit seinen Opern-Arbeiten aufbauen konnte.
Caccinis Eltern arbeiteten beide als Musiker:innen; Vater Giulio war einer der populärsten Sänger am Hofe der einflussreichen Medici und als Pädagoge äußerst gefragt. Francesca Caccini wuchs laut MUGI unter idealen Bedingungen auf: »Das Netzwerk der eigenen Künstlerfamilie, das dichte kulturelle Umfeld des Medici-Hofes und die zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Weiblichkeitsideal populäre Figur der Sängerin sind die Voraussetzungen, die es Francesca Caccini ermöglichten, auf ihren Talenten eine beeindruckende musikalische Karriere aufzubauen […].«
Planvoll wurde Francesca von ihrem Vater als Sängerin, Lautistin, Cembalistin und Gitarristin umfassend ausgebildet; zudem lernte sie, sich in höheren Kreisen entsprechend zu verhalten. Schon mit 13 Jahren trat Francesca in einem der frühen Opern-Experimente der besagten Florentiner Camerata auf. Das sängerische Talent und die Ausstrahlung Francescas müssen so überwältigend gewesen sein, dass sich selbst der französische König Henri IV. und Maria de’ Medici um sie bemühten. Doch der Fürst von Florenz wollte – die inzwischen fürstlich bezahlte – Francesca partout nicht an Paris verlieren.
Bis ins Jahr 1627 erfreute sich die Familie Medici auf diese Weise an den diversen Künsten Francesca Caccinis, welche als Komponistin wie als Sängerin gleichermaßen Begeisterungsstürme entfachte. Dazu konnte sie sich auf verschiedenen Instrumenten beim Gesang selbst begleiten; auch ihre Dichtkünste wurden seinerzeit gerühmt. Die Beliebtheit Caccinis am Hofe der Medici brachte allerdings mit sich, dass ihr Reisen wohl häufiger verwehrt blieben.
1607 wurde Francesca mit dem heute eher unbekannten Sänger und Virtuosen Giovanni Battista Signorini verheiratet; aus der seitens der Familie politisch motiviert eingefädelten Ehe ging eine Tochter hervor, der man ebenfalls eine Ausbildung zur Sängerin angedeihen ließ. Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes im Jahr 1626 heiratete Caccini kurze Zeit später erneut; einen Adeligen aus Lucca, Tomaso Raffaelli, dessen Namen sie annahm; der familiär angestrebte Aufstieg in die Aristokratie war damit vollzogen.
Nach dem Tod ihres zweiten Gatten 1630 musste Francesca drei Jahre lang in Quarantäne, da es in Lucca und anderen Metropolen im nördlichen Italien einen heftigen Ausbruch der Pest gegeben hatte. (Auf dem Ruheort der damaligen Pest-Toten von Lucca baute man 1634 eine Kirche, in der sich heute die Räumlichkeiten der Boccherini-Musikakademie befinden.) Dann kehrte sie nach Florenz zurück.
Durch den Aufstieg in die Adelsklasse nahm Caccini ab 1633 in Florenz den Status einer Hofdame ein und arbeitete für einen herzoglichen Haushalt. In dieser Funktion war es ihr nur noch möglich, privat aufzutreten und als Gesangslehrerin zu arbeiten. Der »Schichtwechsel« bedingte ebenfalls, dass Francescas Tochter Margherita als Tochter einer Hofdame nicht die Laufbahn ihrer Mutter beschreiten konnte, da es sich als Angehörige des Hofstaats nicht schickte, als Musikerin öffentlich aufzutreten; die Möglichkeiten einer lukrativen Hochzeit oder der politisch intendierte Schachzug eines potentiellen Klostereinzugs wären so vertan worden. Und, wie es erfreulich ausführlich heißt, auch Caccinis Sohn aus zweiter Ehe (Tomaso) hätte entsprechende Nachteile durch derart »unschickliches« Auftreten seiner Schwester als Sängerin gehabt.
Die (also entsprechend durchaus sehr standesbewusste wie im Charakter als temperamentvoll beschriebene) Caccini gilt heute als erste Opern-Komponistin überhaupt (La liberazione di Ruggiero, 1625), die aber schon im Kontext ihrer Zeit als die höchst komplex begnadete Allround-Musikerin angesehen wurde, die sie war. Nach ihrer Pensionierung vom Hof in Florenz heiratete Caccini offenbar noch ein drittes Mal. Die Umstände ihres Todes sind bis heute nicht genau geklärt. Vermutlich starb Caccini mit etwa 63 Jahren 1640 in Florenz.
Francesca Caccini (1587–1640)Regina caeli laetare Alleluia (1618)
Caccinis besagte Ballett-Oper La liberazione di Ruggiero wurde im 20. und 21. Jahrhundert mehrmals aufgeführt. Teilweise in Zusammenarbeit mit komponierenden Kollegen entstanden noch sieben weitere Bühnenwerke. 1618 erschien in Florenz außerdem eine Sammlung von Gesängen mit dem Titel Il primo libro delle musice a una e due voci. Aus diesem Band stammt die geistliche Komposition Regina caeli laetare Alleluia, die Caccini mit Sicherheit selber zur Uraufführung gebracht haben wird.
In dieser Komposition vertont Caccini das marianische Antiphon Regina caeli – also den der Mutter Gottes gewidmeten Gesang, wie er in der katholischen Liturgie erklingt. Die Gottesmutter wird als Himmelskönigin gefeiert, als diejenige Frau, die Jesus Christus in sich trug; Christus sei auferstanden, so heißt es im lateinischen Text weiter; und schlussendlich wird Maria gewissermaßen darum gebeten, im Himmelreich einen Gruß an Gott für uns dazulassen. Jede der einzelnen Huldigungen beziehungsweise Bitten wird von einem »Halleluja« trennend unterbrochen.
Caccinis Musik erweist sich stilistisch nicht nur auf der Höhe ihrer Zeit. Mit der gerade einmal zweieinhalbminütigen Regina-caeli-Vertonung ermöglicht Caccini einen äußerst expressiven Moment des Hörens voller symbolischer Inbilder in/aus Musik. Zunächst werden die ersten Worte des Antiphons auf spärlich wechselnden Notenwerten gesungen, derweil sich der Bass demütig herabschreitend vor der Gottesmutter verneigt.
Beim Wort »laetare« (»Freue dich!«) bringt Caccini eine virtuos-melismatische, interpretierende Ausformung des Textinhalts; hier wird Freude zu Tonmaterial und zeigt möglicherweise, wie Caccini – als bekannte Improvisatorin ihrer Zeit, die die meisten ihrer komponierten Improvisationen/improvisierten Kompositionen sicherlich sonst gar nicht notierte – selbst gesungen beziehungsweise verziert haben mag. Schön auch, wie Caccini zum Beschlusse der besagten Koloraturen nicht auf einem Grundakkord verweilt, sondern einen Sextakkord (also einen Akkord mit der Terz im Bass) ansteuert. So zieht sich die harmonische Spannung deutlich bis zum nächsten wunderbaren Moment hinüber, indem das weniger bacchantische – aber dennoch inbrünstig inszenierte – »Alleluia« drei Mal hintereinander ertönt; die Dreieinigkeit Gottes symbolisierend. ¶