Um das genaue Geburtsjahr von Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté gibt es Spekulationen, wie im Komponistinnen-Lexikon des Projekts Musik und Gender im Internet (MUGI) aufgeführt wird. In die Welt gesetzt wurden die teils legendenhaften Vermutungen von Sophies Mutter Catharina de Fridman, geb. Kotschewskaja, die zeitweise als Französisch- und Klavierlehrerin der Familie Tolstoi arbeitete.
Sophie-Carmen war das dritte Kind ihrer Mutter, welche zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter in Moskau – offenbar hatte man sich auf den Dreikönigs-Tag des Jahres 1899 geeinigt – schon nicht mehr mit ihrem Ehemann Nicolas Karlowitsch de Fridmann zusammenlebte, sondern sich – ganz im Gegenteil – mit ihm erbitterte Sorgerechtsstreitigkeiten lieferte. Laut der der Autobiographie der Mutter war der Erzeuger ihres dritten Kindes – Sophie-Carmen – einer ihrer Klavierschüler, was an oben zitierter Stelle sogleich bezweifelt wird.
Nach Scheitern der Beziehung zu Nicolas de Fridmann verließ Mutter Catharina Russland und gab Sophie-Carmen zu einer Pflegefamilie, kehrte jedoch 1904 zurück, da sie in England als Klavierlehrerin offenbar nicht hatte Fuß fassen können. Gemeinsam siedelte man nach Paris über. Durch die ständige Präsenz von Musik im Hause Fridmann war Sophie-Carmen entsprechend musikalisch vorgeprägt und bekam bald erste eigene, rein ihr gewidmete Unterrichtsstunden an der Violine und am Klavier. Im Alter von nur neun Jahren wurde Sophie-Carmen am Pariser Konservatorium aufgenommen, wo sie unter anderem Kammermusik bei Vincent d’Indy (1851–1931) studierte. Debussy, Ravel und Saint-Saëns bestaunten die herausragenden Talente Sophie-Carmens, die an Violine und Klavier gleichermaßen brillierte und auch bereits eigene Stücke präsentieren konnte. Doch: »1914 endete ihre Ausbildung am Pariser Conservatoire offenbar im Streit mit mehreren Lehrern und dem Direktor Gabriel Fauré, nachdem sie sich bei einer Violinprüfung ungerecht beurteilt gefühlt hatte.«
1914 zog Sophie-Carmen mit ihrer Mutter nach Berlin, wo beide aufgrund des Ersten Weltkriegs aber nicht die wünschenswerten Entwicklungsmöglichkeiten vorfanden. Nah an der Armutsgrenze musste sich Sophie-Carmen zeitweise als Barpianistin durschlagen; die Möglichkeiten einer eindrücklichen Laufbahn als Geigerin und Pianistin flackerten nur dann und wann anlässlich prominenter Engagements auf. (Bis in die 1930er Jahre komponierte Sophie-Carmen zahlreiche Werke, in denen primär ihre eigenen virtuosen Fähigkeiten als Interpretin im Vordergrund standen.)
1920 heiratete Sophie-Carmen den fast gleichaltrigen Berliner Maler Walter Gramatté (1897–1929, ein Vertreter des magischen Realismus), der bereits im Februar 1929 mit 32 Jahren an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung verstarb. Nach weiteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten hatten sich Sophie-Carmen und Walter zwischenzeitlich für die Umsiedlung nach Barcelona entschieden, wo das Paar bis 1926 lebte und wo die Komponistin ungestört arbeiten konnte. Über die Auswirkungen des Ablebens von Walter Gramatté heißt es bei MUGI: »Der Tod ihres Mannes traf Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté hart. Eine für das Frühjahr 1929 geplante Konzertreise nach Philadelphia und Chicago mit den Dirigenten Leopold Stokowski und Friedrich August Stock fand zwar im November desselben Jahres statt, danach aber zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, komponierte kaum noch und widmete ihre Zeit vor allem dem Erhalt der Werke ihres verstorbenen Mannes.«
Finanziell von dem österreichisch-kanadischen Kunsthistoriker Ferdinand Eckhardt (1902–1995) unterstützt konnte Sophie-Carmen nicht nur mit Eckhardt zusammen eine Gedenkausstellung zu Ehren ihres verstorbenen Ehemannes realisieren; die Zusammenarbeit zwischen Sophie-Carmen Gramatté und Ferdinand Eckhardt führte schließlich 1934 zur Hochzeit der beiden. Eckardt arbeitete bald für die 1863 gegründete Pharma-Firma Bayer, zog mit seiner Frau 1939 nach Wien und half dieser bei dem Organisieren von Aufführungen ihrer Werke. Offenbar wünschte sich Ferdinand Eckhardt eine Rückkehr in die Kunstbranche; nachdem dieser den Posten des Direktors der Winnipeg Art Gallery angeboten bekommen hatte, verließ das Ehepaar Österreich und wurde Ende 1953 in Kanada heimisch. Dort konnte Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté nicht nur als schnell heißbegehrte Klavier- und Geigen-Professorin reüssieren, sondern sich auch an der Vielzahl von Aufträgen und Premieren ihrer Musik erfreuen.
Auf einer Reise durch Europa verunglückte das Ehepaar Eckhardt bei einer Busfahrt in Stuttgart; Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté starb im Alter von 75 Jahren an den Folgen des Unfalls. Ihr weniger schwer verletzte Ehemann überlebte Sophie-Carmen um mehr als zwanzig Jahre. (Er starb am 1. Weihnachtstag 1995 im Alter von 93 Jahren in Winnipeg.)
Sophie-Carmen Eckhardt-Gramatté (1899–1974)Symphonie No. 1 C-Dur (1939)
Neben Solo-Werken für ihre eigenen Instrumente (Klavier und Violine) komponierte Eckhardt-Gramatté Werke für Klavier und Violine mit Einbeziehung des Orchesters. Außerdem schuf sie zwei Symphonien, von denen die Zweite aus dem Jahr 1970 – Eckhardt-Gramatté war also bereits 71 Jahre alt – den Untertitel Manitoba trägt; damit bezieht sich Eckhardt-Gramatté augenscheinlich auf die gleichnamige Provinz im östlichsten Zipfel Kanadas; einer Region, die bereits seit der letzten Eiszeit von indigenen Völkern besiedelt wurde.
Mit einem ernsten, tiefen Streicherthema beginnt ihre bereits 1939 komponierte erste Symphonie. Verschachtelt geht da irgendetwas Ungutes los. Doch die anfänglich drohende Gefahr bringt einen kurzen choralartigen Abschnitt, der sogleich wieder verschwindet. Es knirscht sich – ein wenig an die Kriegssymphonien Schostakowitschs gemahnend – dissonant und imitatorisch nach oben. »Es gibt kein konsonantes Leben im Falschen.«
Nach ziemlich genau zwei Minuten beruhigt sich die Gesamtsituation und ein etwas gesetzterer Gesang wird angestimmt. Doch nach einer weiteren Minute überrascht der erste Pauken-Einsatz. Wieder Gefahr, die sogleich wieder ins Harmonische relativiert wird. Wie krass Eckhardt-Gramatté schnellste Stimmungswechsel komponiert! Hörenswerte und kluge Musik. ¶