Zuletzt hat Eleonore Büning, langjährige Vorsitzende des PdSK e.V., in VAN die Geschichte des Preises erzählt, die nun schon sechzig wechselvolle Jahre geht, verrückt. – Juror:in zu sein in dieser Kritikergesellschaft für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, ist ein schönes, ziemlich aufwändiges Ehrenamt. Wenn man es ernst nimmt. Man sichtet, nominiert und votiert für einen kleinen Ausschnitt dessen, was, Quartal für Quartal, an Neuerscheinungen beachtet, gehört, gewürdigt werden will. Selbst für (m)ein Nischenthema wie das Kunstlied ist das eine Menge, man glaubt es ja gar nicht. Es ist auch kaum zu glauben, was es alles gibt; der Lohn sind gelegentliche echte Entdeckungen, aber nicht selten ist es auch, was Wagners Kritikerkarikatur Beckmesser ein »saures Amt« nannte, auch wenn natürlich niemand ein Beckmesser sein mag. Doch Amt ist Amt, und man soll es ernst nehmen, schon aus Sympathie für die Unabhängigkeit dieses Qualitätskontrollorgans für Musik. Es ist schon ein bisschen »Klassik«-lastig, aber auch zuständig für Jazz, Pop, Rock, Film und Folk, Liedermacher, »Hard and Heavy« oder auch »Club and Dance« usw. Dass da 156 Musikkritiker:innen in 32 Spezialjuries das Beste im Meer des Mittelmaßes suchen, ihr Ergebnis differenziert begründen und dafür noch einen Vereinsbeitrag zahlen, von gelegentlichen Nothilfe-Spenden ganz zu schweigen, darf man als Errungenschaft loben und preisen; ehrenvoll ist der Kampf gegen die schon peinlich durchsichtigen Marketing-Selbstfeiern der Tonträger-»Industrie« oder was davon noch übrig ist. Schon das Festhalten an der Bezugseinheit »Schallplatte« kann man ein wenig subversiv finden. Also der PdSK ist eine gute Sache, Punkt. Oder doch Fragezeichen?
Ich kam zuletzt ins Nachdenken: Auf der Vorschlagsliste des letzten Quartals hatten die Kolleg:innen unter anderem, was ich übersehen hatte, Sabine Devieilhes neues Mozart/Strauss-Album nominiert. Eine großartige Platte, ein Schatz, wie ich über den Streaminganbieter meines Vertrauens feststellen konnte. Dies verbunden mit dem Wunsch, das Ding auch haptisch zu haben. Große Ausnahme, denn als Juror:in des PdSk bekommt man allerhand geschickt, das man, frau und die Welt nicht braucht. Die Devieilhe löste diesen ausnahmsweisen und altmodischen Besitzwunsch aus. Also Mail an die geschätzte Pressekollegin: Können Sie’s mir schicken? Rückfrage: Warum? Antwort: für den PdSK. Und jetzt kommt die überraschende Reaktion: Nö, dafür bemustern wir nicht, kostet nur, bringt ja nix.
Meine Verblüffung und ein Impulsvortrag über Ehrenamt und die gute Sache, Qualität zu finden und das dann auch zu posten, halfen nicht. PdSK: ausbemustert. Eine Rundfrage unter den KollegInnen bei der PdSk-Jahresversammlung ergab: haben andere auch schon so erlebt, und wer nicht, der ist wohl nur etwas gleicher als die Gleichen.
Jedes Verständnis für Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit und die nötigen Transformationen der post-fetten Jahre. Und für den Punkt, dass »Bemusterung«, das Verschicken von Freiexemplaren, auch schweren Boxen, auch eine subtile Form der Korruption war und womöglich ist. Aber eine unabhängige Arbeit von Kritik, die gar nicht triviale Suche nach der künstlerischen Qualität als irrelevant vom Tisch gefegt zu sehen, erhellte blitzartig die Erkenntnis: Dass sich das (seit je spezielle) Verhältnis von Markt und Kritik von Musik längst ganz entkoppelt hat; dass die alte Idee: eine gute Kritik, womöglich ein Preis hilft beim Verkauf, in der Wirklichkeit des modernen Major-Marketing kaum eine Rolle mehr spielt. In diesem Fall: gar keine.
Spricht das gegen den Preis der deutschen Schallplattenkritik? Es spricht erst einmal gegen die Selbstüberschätzung des kritischen Kritikers/der Kritikerin. Nichts aber spricht gegen den Sinn des Ringens um eine ästhetische Urteilsbildung in der Musik, und sei es in einem Verein. Und bei aller Altmodischkeit, siehe »Schallplatte«, bei aller Dominanz der sozialen Medien und der ganz anderen Wirkungslogik von Followerzahlen – mehr denn je. Devieilhes Mozart & Strauss bekam übrigens den Preis, aber egal, jedenfalls den reschen Strategen bei Warner Classics. ¶


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