Die Choreografin Sasha Waltz und der Direktor des Royal Swedish Ballet, Johannes Öhman, werden 2019 neue Ko-Intendanten des Staatsballetts Berlin. Sie lösen Nacho Duato ab, der seit 2014 ziemlich umstritten die einzige klassische Ballettcompagnie Berlins leitet. Wir haben dazu Wiebke Hüster angerufen, die langjährigen VAN-Leser/innen bereits bekannt ist.

VAN: Dass der Vertrag mit Nacho Duato nicht verlängert werden würde, war absehbar, so sehr wie er unter Beschuss stand. Du hast ja damals schon die Entscheidung kritisiert

Hüster: Man weiß es trotzdem nie. Seinen Vorgänger Malakhov fanden die Leute auch nicht mehr so toll, trotzdem wurde sein Vertrag nochmal verlängert nach fünf Jahren. Diese Jahre unter Nacho Duato sind rückblickend ein bisschen verlorene Jahre, weil es einfach auch drei bis fünf Jahre dauert, bis man ein Ensemble so geformt hat, dass es gut zusammen tanzt.

Wie war jetzt deine erste Reaktion?

Ich war nicht überrascht über den Namen Sasha Waltz, das hatte ich schon mal läuten hören. Überrascht war ich eher von Johannes Öhman, ihrem Ko-Intendanten. Ich kenne ihn ganz gut, weil wir zusammen in einer Jury sitzen, wo wir immer tolle Diskussion haben und uns immer sehr einig sind.

Sasha Waltz wurde schon einmal in Betracht gezogen, damals, in Konkurrenz zu Duato. Sie hatte sich beworben im Team mit einer Ballettmeisterin der Pariser Oper. Damals war die Vorstellung, Sasha Waltz sei dann für den zeitgenössischen Bereich und ihre eigenen Inszenierungen zuständig, und diese Ballettmeisterin würde sich um das klassische Repertoire kümmern.

Sasha Waltz • Foto © Andre Rival
Sasha Waltz • Foto © Andre Rival

Wie wird jetzt die Aufteilung der beiden untereinander sein, und die des Repertoires?

Sasha Waltz ist keine Expertin für die klassische Tradition, auch wenn sie schon für klassische Ensembles gearbeitet hat. Ich hatte noch nie den Eindruck, dass es in ihrem Werk um irgendeine Auseinandersetzung mit einer Tradition ging, die nicht zeitgenössisch ist oder sich aufs Tanztheater oder die amerikanische Postmoderne bezieht.

Die Aufteilung ist glaube ich so, dass sie sich die künstlerische Leitung komplett teilen, also wirklich alles gemeinsam entscheiden. Und das Repertoire soll eingeteilt sein, das hat Öhmann mir heute erklärt: die Hälfte dessen, was sie spielen, sollen klassische Produktionen sein, und dabei reden wir übers 19. Jahrhundert, Tschaikowski, Giselle, das romantische Repertoire. Wie sie den Rest aufteilen ist noch nicht festgelegt. Aber sicher ist, dass sie dann auch Repertoire des 20. Jahrhunderts spielen werden, also die Neoklassik, Ballet Russes, dann Uraufführungen von Sasha Waltz und pro Spielzeit ein Stück aus ihrem Repertoire, das an das Staatsballett übergeben wird. Da war ich etwas überrascht, weil ich meinte, die Sachen von ihr sind doch bekannt und rauf und runter gespielt in Berlin, worauf Johannes meinte, ›Nein, die werden viel mehr außerhalb gespielt‹. Man bekommt ein bisschen den Eindruck, dass die Werke, die es alle schon gibt, jetzt nochmal peu à peu beim Staatsballett kommen. Aber so macht es ja Duato auch, das ist ja das Fatale, dass die keine konkreten genauen Konzeptionen mit den Ballettdirektoren ausarbeiten, die sie einstellen. Warum um alles in der Welt muss man Dornröschen von Nacho Duato sehen? Das ist total uninteressant, der hat überhaupt keine stichhaltige Version davon, das interessiert ihn auch gar nicht, der macht diese Sachen dann halt so mit, aber so sehen sie dann eben auch aus.

Wie bewertest du die Entscheidung in künstlerischer Hinsicht?

Ich sehe bei Sasha Waltz eine bestimmte Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik, aber das reicht eigentlich als Thema nicht. Und um ganz in der Abstraktion zu bleiben und zu sagen: ›Es geht nur um Musik und Tanz‹, finde ich den Tanz nicht elaboriert genug, die Sprache wandelt sich nicht genug, ist nicht komplex genug. Es fällt immer in diese seltsame pathosformelhafte Romantik, die oft etwas sehr sentimental ist, nur wofür? Was ist der Erkenntnisgewinn davon? Es ist künstlerisch etwas erschöpft. Kann sein, dass die Politik jetzt sagt: ›Guck mal, wir stellen die großen Kulturorganisationen neu auf‹. Aber eigentlich hätte man sie ja auch bei ihrer Compagnie belassen können. Sie kann ja Operninszenierungen machen, sie kann an Ballettcompagnien Choreografien einstudieren, tut sie ja auch. Jetzt kriegt sie ihr Ballettdirektorengehalt, ihre Choreografien noch extra bezahlt, hat aber zu 50 Prozent des Repertoires nicht so viel zu sagen. Wenn man mit einigen Leute in der Berliner Kulturszene redet, dann finden die, dass sie eigentlich schon genug gefördert wird, dass sie eigentlich mit ›Sasha Waltz & Guests‹ ganz gut aufgestellt ist. Mehr ist meiner Meinung nach unnötig.

Johannes Öhman • Foto © Morgan Norman
Johannes Öhman • Foto © Morgan Norman

Wer wäre die bessere Wahl gewesen?

Die zuständigen Leute kümmern sich gar nicht darum, die besetzen keine Expertenrunden, die setzen keine Jurys ein, die fragen keine Kritiker. Die Berliner Politik speziell ist nicht informiert. Wann haben die zuletzt ein Stück von Sasha Waltz gesehen? Sind sie nach Stockholm geflogen und haben sich drei, vier Produktion angeschaut? Wissen die, was Johannes Öhman unter guten Tänzern versteht?

Es gibt ja nicht viele so große Ensembles, wo die Ausrichtung total klar ist. Es gibt München, wo jetzt Igor Selenski übernommen hat, und es gibt – etwas kleiner – Karlsruhe, die versuchen auch, ein gemischtes Repertoire zu machen. In Hamburg gibt es nur Neumeier, in Stuttgart überwiegend das Erbe von Cranko und ein paar schlechtere jüngere Choreographen. Berlin könnte das absolute Tanzschaufenster sein mit diesem Staatsballett. Und da warten wir seit Malakhovs Versprechen, es internationalen Standards anzugleichen darauf, dass sich das Staatsballett entsprechend entwickelt. Die tanzen gut, die können Jewels von Balanchine tanzen, das ist super, aber das Repertoire ist nicht da.

Es ist traditionslos. (Eine Entwicklung, die Wiebke Hüster an anderer Stelle schon kritisiert hat, d. Red.)

Wenn man dich gefragt hätte, wen hättest du empfohlen?

Erst einmal hätte ich gesagt: Das Konzept muss dies und jenes enthalten, ein Drittel Klassiker, ein Drittel Moderne und 20. Jahrhundert, und ein Drittel Uraufführungen, da kann auch Sasha Waltz dabei sein, natürlich müsste man Pina Bausch spielen und William Forsythe, beziehungsweise ihn fragen, ob er mal ein Stück macht für die Compagnie, man müsste mal Ratmansky fragen oder Justin Peck aus New York. Das Ganze müsste international vergleichbar sein. Und als Ballettdirektor? Ich hätte jemanden von der Pariser Oper gefragt, zum Beispiel diesen großartigen Nicolas Le Riche, der hat eine eigene Compagnie, aber vielleicht hätte man ihn überzeugen können, dass er das Staatsballett neu aufstellt. Auch Laurent Hilaire, der Stellvertreter von Brigitte Lefèvre (Ballettmeisterin der Pariser Oper 1994–2014, d.Red.), wäre ein super Kandidat für so einen Posten, weil man sieht, dass die Pariser Oper unter Brigitte Lefèvre sehr gut funktioniert hat. Ich würde davon abraten, einen Choreografen an die Spitze zu stellen – ich sehe den Choreografen oder die Choreografin nicht, die Lust hat, große eigene Inszenierungen zu machen und gleichzeitig den ganzen Apparat zu bedienen und die 88 Tänzer glücklich zu machen. Klar, nachdem man jetzt Malakhov und Duato hatte, ist es vielleicht ein Witz zu sagen, es muss wieder jemand internationales sein (lacht). Ich hätte jemanden genommen, der weiß, wie ein so großes Ensemble zu führen ist und wie man es zum Strahlen und zum Glänzen bringt – und der sich in der internationalen Ballettwelt gut auskennt.

Vielleicht erfindet sich Sasha Waltz ja neu?

Sie hatte in den letzten Jahren ja oft genug die Gelegenheit dazu. Natürlich, es ist nicht ausgeschlossen, ich wünsche es ihr. Dass es sie so inspiriert, dass sie künstlerisch neue Wege geht, das wäre toll. Aber erst mal muss ich sagen, dass ich es eine komische Konstruktion finde. ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com