Das Radialsystem in Berlin wurde zehn Jahre alt und lud – seinem Motto »Space for Arts and Ideas« folgend – zum Forum für Austausch und Inspiration. Der Titel: »Kultur der Zukunft: 10 Herausforderungen«. Hier kommt aus jeder der zehn Arbeitsgruppen eine Mikrozusammenfassung.

Text · Fotos Markus Werner · Datum 7.9.2016

#1 Kultur in den Medien: Likes statt Kritik — Vom Leit-Medium zum Like-Medium?

Den Konsumenten dürstet es nach Komplexitätsreduktion! Statt nach wie vor dem einen »Leitmedium« zu vertrauen, baut er sich über Anbieter wie »blendle«, über RSS oder über dem Social-Media-Newsfeed seinen eigenen Stream zusammen. Das klassische Feuilleton wird der Vielfalt der kulturellen Angebote immer weniger gerecht, Platz und Ressourcen werden rarer, oft fehlt auch die Neugierde und der Mut, dem Marginalen Raum zu geben, das Unbekannte zu entdecken, dafür den Leuchtturm zu kippen. Viele Institutionen machen deswegen kurzerhand ihr eigenes Magazin. Außerdem füllen neue, oft digitale Magazinangebote die Lücke. Alle stellen sich die Frage, wie man im Selfie- und Cat-Content-Dschungel der Sozialen Medien Aufmerksamkeit generiert. Die Versuchung, auf immer kurzlebigere Aufmerksamkeitsspannen mit plakativer Meinung oder Gags zu reagieren, ist groß. Aber unterhöhlt man damit nicht gleichzeitig sein Profil? Denn mehr noch als »Likes« braucht man den/die treue/n Leser/in, der Substanz wertschätzt und dafür bezahlen will.

Impulsgeber: Dr. David Biesinger (Programmchef rbb Inforadio)

Fallgeber 1: Hartmut Welscher (Herausgeber VAN Magazin)

Fallgeber 2: Rüdiger Schaper (Ressortleiter Kultur / Der Tagesspiegel)

Moderation: Sylvie Kürsten (Journalistin)

#2 Kulturförderung: Wie kann eine gerechte Verteilung öffentlicher Gelder aussehen?

Hier geht’s um Gefühl! Die objektive Gerechtigkeit kann es zwar nicht geben, eine Kulturförderung  sollte aber zumindest gefühlt gerecht sein. Für dieses emotional ausbalancierte Gemisch braucht es folgende Zutaten: Planungssicherheit, Transparenz, Teilhabe an Prozessen, Strukturiertheit und zu guter Letzt eine ordentliche Portion Selbstreflexion der Institutionen.

Impulsgeber: Friederike Landau (TU Berlin / Center for Metropolitan Studies)

Fallgeber 1: Dr. Winfried Nussbaummüller (Leiter Abteilung Kultur / Landesregierung Vorarlberg)

Fallgeber 2: Christophe Knoch (Sprecher Koalition der Freien Szene)

Moderation: Andreas Richter (Stiftung Zukunft Berlin)

#3 Immer alles hören und das umsonst: Was ist uns Musik wert?

Hier fliegen die Fetzen! Der kulturelle Wert streitet mit dem Marktwert, und die Wertevermittlung mit dem Geschäftsmodell. Hinter dem Wörtchen »Wert« versteckt sich eben vieles: die böse Marktwirtschaft, die persönliche Wertschätzung und auch die Frage, wie viel man bereit ist zu investieren für die Musik, wenn es um Streaming geht. Hier ein Vorschlag zur Schlichtung: Versuchen wir doch, die Qualität und nicht die Quantität zu schätzen, uns den ein oder anderen Abend vor unseren Boxen zu versammeln und einfach nur Musik zu hören. Fast wie in alten Zeiten …

Impulsgeber: Christian Kellersmann (Director Content & Creative / Edel Germany)

Fallgeber 1: Christoph Franke (Creative Producer / Berlin Phil Media GmbH)

Fallgeberin 2: Natascha Klotschkoff (PR / Marketing Grammofy)

Moderation: Raimund Reintjes (Leiter der Geschäftsstelle / Clubcommission)

#4 Kunst in der Gentrifizierungsfalle: Gibt es Wege aus dem Teufelskreis?

Sie schießen wie Pilze aus dem Boden, die Startups in Berlin. Künstler machen so zwar Stadtquartiere attraktiv, doch bedeutet das auch einen nicht endenden Wettlauf um Räume. Aber es gibt tatsächlich Wege aus dem Teufelskreis: Das Land Berlin müsste in die Rolle eines »klugen Eigentümers« schlüpfen und zum Beispiel Bürgschaften für Projekte und Kulturbetreiber übernehmen oder Vorkaufsrechte ausüben. Ein unabhängiges Gremium, so etwas wie ein »Rat für Räume«, könnte negative Gentrifizierungsauswirkungen mildern. Was außerdem fehlt: ein unabhängiger Fonds für den Erwerb und Betrieb von Kunsträumen.

Impulsgeber: Florian Schmidt (Atelierbeauftragter des bbk Berlin)

Fallgeber 1: Andreas Steinhauser (Holzmarkt / Das Eckwerk)

Fallgeber 2: Alexander Samuels (Vorstand Kunsthaus Palisadenstraße Berlin)

Moderation: Andreas Krüger (Geschäftsführung belius GmbH, vormals Modulor Projekt)

#5 Chancen und Risiken der Globalisierung: Wie gelingt der Brückenschlag zwischen Regionalität und Internationalität?

Wenn man’s international nicht schafft, geht man eben in die Provinz. Ein Vorurteil, das beim Thema »Regionalität« schnell in der Luft hängt. Doch die »Provinzler« protestieren: Durch das Erkennen des Eigenen entsteht Innovation — Dinge, die woanders gar nicht möglich wären und die oft nachhaltiger wirken. Und die Internationalität? Die bringen vor allem die internationalen Künstler mit, sie können das regionale Profil schärfen.

Impulsgeber: Hans-Joachim Gögl (Künstlerischer Leiter „Montforter Zwischentöne“)

Fallgeber 1: Folkert Uhde (Künstlerischer Leiter RADIALSYSTEM V und Bachfest Köthen)

Fallgeberin 2: Inka Löck (Abteilung Auswärtige Kulturpolitik / Auswärtiges Amt)

Moderation: Janina Benduski (Leitung Performing Arts Programm Berlin)

#6 Demografische Entwicklung: Für wen machen wir das eigentlich?

Man kennt das ja, dieses Bild vom »Silbersee« in Konzert- und Opernhäusern. Als Institution möchte man dieses Stammpublikum zwar halten, aber auch neues generieren. Die Arbeitsgruppe hat sich dafür einen ultimativen Masterplan ausgedacht, der folgende Punkte beinhaltet: Nähe zum Künstler herstellen, den »Weg der dritten Ebene« weg von einer abendländischen Kunst- und Kulturvermittlung gehen und somit Teilhabe für alle schaffen, bei genügend Etat Verständnis für die komplexe Kommunikationsarbeit des 21. Jahrhunderts herstellen und — last but not least — Impulse der Off-Szene wertschätzen.

Impulsgeber: Prof. Dr. Birgit Mandel (Institut für Kulturpolitik / Universität Hildesheim)

Fallgeberin 1: Claudia Nola (Leitung Presse / Berliner Festspiele)

Moderation: Heike Tauch (Autorin / Regisseurin)

#7 Segen oder Fluch: Schafft digitale Verbreitung die Aura ab?

Um die Frage gleich zu beantworten: Nein! Vielmehr war man sich einig, dass sich digitale und analoge Angebote ergänzen. Das schafft aber auch die Herausforderung, mit dem verdoppelten »Möglichkeitsraum« umzugehen und Räume zur Förderung und Erforschung des Digitalen zu finden. Und dann noch das Problem mit dem Geld: Wann muss öffentlich, wann sollte privat finanziert werden? Doch die Zuversicht bleibt, dass es in Zukunft noch viele spannende und innovative Formate geben wird, die der Kunst ihre Aura verleihen.

Impulsgeber: Christian Römer (Referent für Kultur und Neue Medien / Heinrich-Böll-Stiftung)

Fallgeber 1: Tim Renner (Kulturstaatssekretär Berlin)

Fallgeber 2: Julian Stahl (Co-Founder HENRY)

Moderation: Julian Kamphausen (Leitung Branchentreff / Performing Arts Programm Berlin)

#8 Neue Wege: Self-Marketing und »Fan-based Funding« als Zukunftsmodelle?

»Selbstvermarktung in den Sozialen Medien für fortgeschrittene Kreative«. Diese Vorlesung könnte in Zukunft auf den Lehrplänen der Universitäten und Hochschulen zu finden sein. Zumindest wenn es nach dieser Arbeitsgruppe ginge. Denn sich richtig selbst vermarkten und dann auch noch authentisch bleiben im sozialen Netzwerkjungle, das ist eine Herausforderung. Und Crowdfunding? Wird wohl nicht so bald auf den Lehrplänen stehen, aber birgt vor allem für die Nischen des Kulturbetriebs und Projekte fernab vom Mainstream großes Potential.

Impulsgeber: Prof. Udo Dahmen (Künstl. Direktor und Geschäftsführer / Popakademie Baden-Württemberg)

Fallgeber*in 1: Leandra Preissler (Künstlermanagement / Popakademie Baden-Württemberg); Marcus Rüssel (Gesch.ftsführer / GET a GIG)

Fallgeberin 2: Anna Theil (Leitung Kommunikation / Startnext Lab)

Moderation: Désirée J. Vach (snowhite.records/INgrooves Music Group GSA)

#9 Museum »Klassik«: Wie kommt das Neue in die Musik?

Wähle: Sich in die Schutzlosigkeit des Ungewohnten begeben oder gemütlich in den Konzertsessel kuscheln und berieseln lassen. Für diejenigen, die sich schlecht entscheiden können, gibt es Trost, denn bei dem Geschäftsmodell »Mit sicheren Mainstream-Veranstaltungen Geld machen und damit die ungewöhnlichen finanzieren« muss man das gar nicht. Doch Obacht: »Neue« Formate à là »Mozart rappen« sollten nicht nur Mittel zum Zweck sein, um Kulturbanausen in die »echten« Konzerte zu locken. Denn »der Zweck ist nur die Musik«, wie Steven Walter vom Podium Festival Esslingen so schön sagte. Er wünscht sich ein Konzert als gesamtkomponiertes Erlebnis, weg von »reproduzierter« Kultur hin zur Kunst.

Impulsgeber: Steven Walter (Gründer und Künstlerischer Leiter Podium Festival Esslingen)

Fallgeber 1: Prof. Dr. Sebastian Nordmann (Intendant Konzerthaus Berlin)

Fallgeber 2: Michael Rauter (Künstlerischer Leiter Solistenensemble Kaleidoskop)

Moderation: Dr. Bernhard Schrammek (Musikwissenschaftler)

#10: Evaluation im Kulturbereich: Was ist »gut« und warum?

Grandios gescheitert! Zumindest bei dem Versuch, allgemeingültige Evaluationskriterien zu finden. Bei Stiftungs- und Jury-Prozessen konnte sich die Gruppe aber immerhin auf Probleme einigen: Bei Jury-Entscheidungen zum Beispiel fehlt oft Transparenz und Feedback, außerdem sind viele Geldgeber an Reputationen interessiert, sie wollen sich mit ihrem Projekt schmücken, und so werden Auswertungen oft schön geredet. Und letztlich können thematische Vorgaben die Voraussetzung untergraben, dass die Kunst frei ist. Der Künstler sollte sich nämlich nicht nach gesellschaftlichem Nutzen richten sollen. ¶

Impulsgeber: Prof. Martin Tröndle (Kulturbetriebslehre und Kulturforschung / ZU Friedrichshafen)

Fallgeberin 1: Dr. Marion Bleß (Vorstand / LOTTO-Stiftung Berlin)

Fallgeberin 2: Stephanie Reuter (Geschäftsführerin / Rudolf-Augstein-Stiftung)

Moderation: Tom Mustroph (Journalist)

…studiert Musikjournalismus in Dortmund und kommt auch gebürtig aus dem Pott. So oft wie möglich verschwindet sie in dunklen Theatersälen und lässt dort ihren Kopf durchwühlen oder spielt ihr Lieblingsinstrument, die Querflöte. Sie arbeitet unter anderem bei WDR 3, plant und moderiert Radiosendungen und versucht in Konzerteinführungen Klassische Musik schmackhaft zu machen.