Thomas Posth, der Künstlerische Leiter des Orchester im Treppenhaus, über Anspruchsdenken und Konzertformate.
Das Orchester im Treppenhaus veranstaltet seit einigen Jahren »Notfallkonzerte« im Sprengel Museum Hannover, in denen einzelne Zuschauer:innen mit einer individuellen »Problematik« von Musiker:innen des Ensembles umringt und mit einem eigens ausgesuchten Stück Musik »bespielt« werden. In der Reihe »Dark Ride« hingegen wird das Publikum durch eine labyrinthische Installation geführt, in der an jeder Ecke wie bei einer Geisterbahnfahrt die Ungewissheit wartet. Arno Lücker hat an einem Montagabend mit Thomas Posth telefoniert, dem Gründer des Ensembles. Posth studierte Schulmusik, Cello und Dirigieren in Hannover und Detmold, war Stipendiat des Dirigentenforums und ist seit 2013 Akademischer Musikdirektor der Universität Hamburg.
VAN: Warum hast Du das Orchester im TREPPENHAUS gegründet?
Thomas Posth: Ich war während meines Studiums sehr irritiert davon, dass alle es einfach akzeptiert haben, dass alle auf der Bühne 22 Jahre alt sind – und die im Publikum über 70. In meiner Jugend hatte ich in so vielen Bands nicht-klassische Musik gemacht, dass ich das ganz einfach anders kannte. ›Da muss man doch etwas machen können!‹, dachte ich mir. Das war der Hauptgrund. Ich wollte etwas probieren: Konzerte spielen, zu denen junge Leute kommen, mit denen ich einfach eine andere Art von Gegenüber habe und für die ich auf eine ganz andere Art und Weise spielen will als für das etablierte Klassik-Publikum. Es war erst einmal ein verrücktes Unterfangen. Ich kannte überhaupt niemanden, hatte kein Geld und keine Kontakte. So etwas zu starten – ohne Mitstreiter:innen, das war ziemlich bescheuert. Es hat dann auch ziemlich lange gedauert, bis das Ganze Form angenommen hat.
Was hat es mit diesem Heilsversprechen von ›jungen Leuten im klassischen Konzert‹ auf sich? Schwingt in dem, was du sagst, nicht eine Art Altersdiskriminierung mit?
Ich habe nie gedacht oder gesagt: ›Ich will euch Ältere nicht!‹ Ich habe mich einfach gewundert, warum die anderen nicht kommen. Der Wunsch war, mehr Alltag, mehr Gesellschaftsbuntheit im Konzert zu haben. Im Nachhinein kann ich sagen, dass das Publikum, für das wir jetzt in den letzten Jahren gespielt haben, altersmäßig gemischt ist, aber mit einer ganz anderen Einstellung in unsere Konzerte kommt – und uns ein ganz anderes Gefühl gibt. Oft stehen klassisch Musizierenden auf der Bühne unter dem Druck, auf jeden Fall perfekt spielen zu müssen. ›Ich muss mich bewähren!‹ Aus dem Popmusik-Zusammenhang kannte ich das anders. Man geht da auf die Bühne – und alle haben Bock, etwas Tolles zu erleben. Es ist einfach viel schöner, in so einer Atmosphäre zu spielen, als in einer normalen Konzertsituation mit Anspruchsdenken und Perfektionsdrang. Und es ist ja nicht so, dass man, wenn man Spaß hat, schlechter spielt, im Gegenteil: Man spielt freier und mindestens genauso geil.
IST DAS, was du beschreibst, AUCH in einem festen Orchester möglich?
Schwierig, weil die Aufführungssituation oft hierarchischer ist. Man sagt noch nicht einmal: ›Hallo!‹, alles ist ritualisiert. Es wird überhaupt kein Kontakt hergestellt zwischen Bühne und Publikum. Ich finde die subventionierte Orchesterkultur aber eigentlich ganz toll. Ich mag es auch, einfach in einem Konzert zu sitzen, eine Mahler-Symphonie zu hören – ohne irgendeinen Schnickschnack drumherum. Das hat alles seine Berechtigung – darf aber nicht das Einzige sein, was es gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass es einen guten Effekt hätte, wenn man in den subventionierten Orchestern hauptsächlich halbe Stelle schafft. Es ist überhaupt nicht möglich, in einem staatlichen Orchester über dreißig Jahre lang eine feste Stelle zu haben und jedes Konzert mit Enthusiasmus und großer Freude zu spielen. Das wird vielleicht auch mit einer halben Stelle nicht gehen – aber vielleicht doppelt so gut. Wenn man dann jede zweite Woche andere Sachen macht – und nicht die ganze Zeit mit den gleichen Kolleg:innen in dem immer selben Proben- oder Konzertsaal sitzt.
so könnten auch grundsätzlich mehr Musiker:innen an der subventionierten Orchesterkultur partizipieren…
Genau.
Denkt ihr euer Älter-Werden in euren Konzertformen mit? Wirkt sich das vielleicht ganz untergründig oder auch ganz vordergründig aus? Oder seid ihr ewige Berufsjugendliche?
[Lacht] Also, unsere Begeisterungsfähigkeit bleibt! Weil das Ziel der Freude bei uns und beim Publikum bleibt. Uns ist schon klar, dass wir mit unseren ›Notfallkonzerten‹ niemanden heilen können, wenn wir um die oder den jeweils Ausgewählten unser Streichquartett setzen… Wir haben aber schon 800 oder 900 dieser ›Notfallkonzerte‹ gespielt – und jedes Mal ist das wieder so beglückend! Natürlich entwickeln wir uns auch weiter, es finden Reifungsprozesse statt. Wir wollen jetzt aber nicht mehr ›arty‹ werden – und alles immer drei-, viermal brechen oder so, um nachher ganz große Kunst zu behaupten. Tatsächlich gehen wir aber ein bisschen weg von narrativen Konzepten, mehr ins Räumliche…
Das spielt ja auch beim Projekt ›Circles‹ Eine Rolle.
›Circles‹ ist unser neuestes Format. Ganz anders als alle anderen und hat sich während der Lockdown-Zeit entwickelt. Wir haben erst eine Woche lang Musik gestreamt. Dann dachten wir: ›Jetzt ist auch mal gut… Für alle Zeiten!‹ – [lacht] so ungefähr. Wir haben überlegt, was wir machen können, dass wir trotz der Pandemie-Beschränkungen auftreten können. Wie können wir das kreativ nutzen, um daraus ein Konzept entstehen zu lassen, wie man ›im Raum‹ zu sein und sich zu verhalten hat? Das Grundkonzept ist ganz einfach: Mit Scheinwerfern werden Kreise auf den Boden projiziert. Das Publikum ist umkreist – und die Musiker:innen sind es auch. Alle haben ihren Kreis. Diese Kreise bewegen sich aber – und führen quasi eine Choreographie auf. Und alle sind beweglich – wir auch; und wir sind immer ›on the move‹; und treffen uns in verschiedenen Konstellationen. Es kommt zu Begegnungen – mit dem Publikum; und mit uns selbst. ¶