Wer wir sind, erfahren wir am Gegenüber, und nur wenige Personen berühren unsere Persönlichkeit tiefer als gute Lehrer für die Sache, die uns am wichtigsten ist. Eine neue Serie in VAN sammelt Hommagen an musikalische Mentoren und Lehrerinnen. Zum Auftakt erinnert sich die Cellistin Tanja Tetzlaff im Gespräch mit Hartmut Welscher an ihren Lehrer Heinrich Schiff, den großen österreichischen Cellisten, der Ende 2016 im Alter von 65 Jahren gestorben ist.

Tanja Tetzlaff und Heinrich Schiff bei einem gemeinsamen Konzert in Neumarkt, 2002 (Vivaldi-Doppelkonzert für 2 Celli und Orchester mit dem Wiener Kammerorchester).
Kannst du dich noch an eure erste Begegnung erinnern?
Ja, das war in Hamburg, ich war 16 und hatte die Möglichkeit, ihm am Rande eines Konzertes in einem Hotelzimmer vorzuspielen.
Du wolltest damals unbedingt zu ihm?
Es hat sich eigentlich eher zufällig ergeben. Ich kannte ihn aus Konzerten und weil er relativ viel mit meinem großen Bruder Christian zusammengearbeitet hat. Ich bewunderte, wie er spielt, aber habe mich gar nicht groß umgeguckt nach einem neuen Lehrer.
Was hast du ihm vorgespielt?
Natürlich Bach, weil mich immer sehr faszinierte, wie Schiff die Suiten gespielt hat. Er war dann beim Vorspielen total freundlich und aufmerksam, aber gleich sehr genau: ›Vergiss mal ganz viel von dem, was Du machst, und höre dabei zu, wie eine Saite schwingen kann, ohne dass man irgendwas dazu tut.‹ Gerade beim Bach hat er viele Fingersätze in der Ersten Lage gewählt, kaum Vibrato verwendet. Er hat die ganze Entwicklung der Annäherung an die Aufführungspraxis miterlebt und viel davon einfließen lassen. Das Sprachliche in der Musik zu suchen, nicht alles glatt durchgebügelt zu spielen, sondern Sätze zu formen, auch in romantischer Musik – das hat er mit entwickelt. Mit 16 war es ganz schön aufregend, das direkt auszuprobieren: Man musste sich viel direkter auf den Bogen konzentrieren. Mit der linken Hand kann man ja immer so viel kaschieren. Mir wurde klar, dass er ein super Lehrer wäre.
Wenn du seine Aufnahme der Bach-Suiten schon kanntest, hast du dann beim Vorspielen versucht, so zu spielen wie er?
Nee, so gut war ich damals noch nicht. Er hat dann zum Schluss gesagt: ›Arbeite mal hier und da dran, und in ein paar Monaten spielst du mir wieder vor.‹ Ich habe daraufhin schnell die Aufnahmeprüfung bei ihm gemacht und bin während meines Abiturs ein halbes Jahr lang jedes zweite Wochenende von Hamburg aus in sein Haus am Attersee gefahren, wo er unterrichtet hat. Er liebte es, Schüler zu haben, die ganz jung sind, weil er dann das Gefühl hatte, einen Grundstock legen zu können.
Wie groß war damals seine Klasse?
Ziemlich klein, so sechs, sieben Leute. Das waren unglaublich tolle, intensive Wochenenden, es wurde den ganzen Tag geübt, abends hat er lecker gekocht, wir haben Billard gespielt, es war eine kleine eingeschworene Gemeinschaft. Bruno Weinmeister, Dávid Adorján, Quirine Viersen, Matthias Gredler, Lilia Bayrova. Sebastian Klinger, Thomas Carroll und Bernhard Hedenborg kamen etwas später dazu, gegen Ende meines Studiums kamen dann noch Leute wie Daniel Müller-Schott, Christian Poltéra und Natalie Clein, die dann später mit ihm nach Wien mitgegangen sind.

Habt ihr Schüler euch auch untereinander Feedback gegeben?
Nein, jeder hat etwas vom Unterricht des anderen mitgenommen, aber nicht jeder hat seinen Senf dazugegeben. Das ist auch sinnvoll, weil sich sonst schnell untereinander ein Misstrauen entwickelt. Wenn man um die 20 ist, ist man ja auch nicht gerade psychologisch so geschickt, sich gegenseitig zu kritisieren kann da schnell nach hinten losgehen.
Wie vermeidet man das als Lehrer, dass in einer Klasse Eifersucht entsteht?
Ganz vermeiden kann man es nicht, aber er hat jeden Einzelnen in seiner speziellen Art wahrgenommen und unterschiedlich behandelt. Er konnte sehr gut auf jeden eingehen. Er hat dann durchaus schonmal jemanden auf die Schippe genommen, wenn er merkte, derjenige konnte es vertragen. Dadurch, dass wir so viel Spaß nebenher hatten, waren wir wirklich eine eingeschworene Gemeinschaft, es gab keinen Groll untereinander.
Ihr habt dann alle bei ihm im Haus gewohnt?
Ja, das war wie in der Jugendherberge. Später bin ich dann nach Salzburg gezogen. Am Mozarteum hat er aber nur sehr ungern unterrichtet. Er hat sich nicht besonders gut vertragen mit Institutionen, mit der Hochschule war es für ihn nicht ganz einfach, für die Hochschule mit ihm wahrscheinlich auch nicht. Im Hochschulalltag hat er sich sehr zurückgezogen, es ging ihm um die Schüler, nicht um die Schule.
Er hat immer alleine gewohnt als Junggeselle?
Ja, es war ein Cellotempel, oben hatte er ein tolles Studio, ganz aus Holz, mit Blick über den Attersee, wo man sich herrlich konzentrieren konnte. Und wir haben an den Unterrichtstagen dort gewohnt, meistens zwei, drei Tage hintereinander. Ich weiß gar nicht, was aus dem Haus jetzt werden soll. Er unterrichtete immer mit Zigarette oder Zigarillo in der Hand; er hat die Zigarette zwischen die Finger rechts geklemmt, um uns bei einer bestimmten Bogenübung zu zeigen, wie die Zigarette in unterschiedliche Richtungen zeigen musste. Er hat sich schon ruiniert, muss man sagen.
Ungesund gelebt?
Ja. Schon als ich zu ihm kam, da muss er um die 40 gewesen sein, hat er immer damit kokettiert, dass die Ärzte zu ihm sagten: ›Mit meinem Bluthochdruck kann man gar nicht leben‹. Er hat uns natürlich angesteckt, wir saßen in der Küche, haben guten Rotwein getrunken und alle haben geraucht, das gehörte dazu, haben finstere Sprüche gemacht. Ich erinnere mich wirklich gerne an unendlich viele Momente da am Attersee, er hatte eine tolle Küche, wo er in der Mitte dann seinen Rinderbraten für uns gekocht hat. Zum Schluss hat er dann immer gesagt, so, ihr könnt in den Keller gehen und den Wein nehmen, den ihr wollt, ich gehe jetzt mal ins Bett, aber bitte seid leise auf der Treppe. Er war immer so wahnsinnig großzügig, wir machten praktisch Urlaub in seinem Haus, er hat uns alles ausgeliehen, auch sein Auto …

… und seine Celli? Er spielte ja sowohl das ›Mara‹ von Stradivari als auch das ›Sleeping Beauty‹ von Montagnana.
Wenn ich ein wichtiges Konzert hatte in der Studienzeit, durfte ich immer auf dem Stradivari-Cello spielen. Ich habe einmal das Dvořák-Konzert in Rumänien gespielt und beim Zoll wollten sie es mir abnehmen. Ich bin schier durchgedreht.
Er gehörte ja zu der Handvoll Cello-Stars, die in den 1980er und 90er Jahren Weltkarrieren gemacht haben. Hat er da überhaupt Zeit gefunden, sich um seine Schülerinnen und Schüler zu kümmern?
Er hat seine Schüler wirklich genauso wichtig genommen wie seine Karriere. Wenn ich jetzt erfahre, wie es ist, unterwegs zu sein und viele Konzerte zu spielen, dann finde ich das auch im Nachhinein noch unglaublich, wieviel Energie er in den Unterricht gesteckt hat. Wann immer er frei hatte, ist er nach Salzburg zurückgekommen, und wir haben Unterricht gekriegt. Er hat uns auch oft eine Fahrt zu einem Konzert von ihm irgendwohin gesponsert, wo er uns dann am Konzerttag selbst noch Unterricht gegeben hat.
Wie sah sein Unterricht aus? Gab es bestimmte Rituale, Abläufe …?
Faszinierend war, dass er sich das ganze Studium hindurch nicht zu schade war, sich um die Technik zu kümmern. Es gibt ja prominente Lehrer, die vielleicht am Anfang mal eine Grundlage legen, aber irgendwann geht es nur noch um die Musik, die Interpretation. Das ist ja nicht unbedingt aufregend für einen Lehrer, zuzugucken, wie die Schüler Tonleitern und Vier-Ton-Übungen spielen. Er hat aber wirklich jede zweite oder dritte Stunde Technikstunde gemacht. ›Wenn du tolle Musik machen möchtest, brauchst du das Rüstzeug, dann muss links und rechts gut funktionieren‹, meinte er immer. Da haben wir alle von profitiert.
Hat er auf dem Cello begleitet oder am Klavier?
Er hatte sein Cello immer griffbereit und stellte uns verschiedene Möglichkeiten vor. Wir sollten nicht eine Art und Weise einfach nachspielen. Ab und zu hat er sich ans Klavier gesetzt. Er ermutigte uns auch immer, Duos oder Trios vom Blatt zu spielen. Eines seiner Lieblingsstücke war das Popper-Requiem, ein unglaublich kitschiges Stück für drei Celli und Klavier.
Hatte er Lieblingsstücke, die er besonders gerne oder intensiv unterrichtet hat?
Auf jeden Fall das Elgar-Konzert, ich erinnere mich, wie er immer gesagt hat: ›Den langsamen Satz ganz ohne Vibrato üben!‹, damit man die Phrasierungen und die Verbindungen zwischen den Tönen wirklich erstmal nur vom Bogen her führt, was bei dem Stück unglaublich wichtig ist. Danach kann man sich überlegen, wo man welches Vibrato einsetzt, damit es nicht so eine Dauersoße wird. Auch das erste Schostakowitsch-Konzert haben wir intensiv geübt, da konnte man dann auch ganz gut seine studentische Wut ab und an rauslassen. (lacht) Er hat ja selbst auch immer ein großes Potenzial aufgestauter Wut in sich drin gehabt.
Er hatte den Ruf, gegenüber manchen auch ziemlich cholerisch zu sein. War das so?
Ja, er konnte so austeilen! Das war schrecklich zu sehen, weil er es sich dadurch auch mit vielen Freunden verdorben hat. Öfter hat er seinen Überdruck an negativer Energie zum Beispiel im Restaurant an Kellnern oder Köchen rausgelassen hat, wir saßen dann oft etwas beschämt daneben. Es hat zu seiner so liebevollen anderen Seite, die er uns gegenüber gezeigt hat, nicht gepasst.
Wie erklärst du dir die Seite von ihm?
Ich glaube einfach, dass er soviel Energie in alle Richtungen in sich getragen hat. Wenn er sie auf dem Cello rauslassen konnte, war alles gut, aber in Zeiten, wo das nicht ging oder wenn er sich irgendwie nicht ernstgenommen fühlte, weil viele Leute ja keine Ahnung hatten, wer er ist – als klassischer Musiker wird man im normalen Restaurant nicht erkannt – dann ist sein Bluthochdruck mit ihm durchgegangen. Das traf oft ganz unbeteiligte Menschen, nie Schüler. Ich habe es in meinen sechs Jahren bei ihm nicht einmal erlebt, dass jemand irgendwie ›fertig gemacht‹ wurde. Gerade für die Schüler, mit denen es nicht so ganz einfach war, hat er sich wahnsinnig viel Zeit genommen, er hat nicht aufgegeben.
Wie war der Abschied von ihm als Lehrer?
Gegen Ende meiner Studienzeit, als wir beide das Gefühl hatten, eigentlich ist alles gesagt, es ist alles gelernt, es geht dem Ende zu, hätte es vielleicht auch zu Situationen kommen können, die sich doof anfühlen. Bei uns war es aber so, dass wir oft Lachkrämpfe bekamen: wenn ich im Unterricht zugab: ›Ja ich weiß, das sagst du mir schon seit vielen Jahren.‹ Es hat sich in Lachen aufgelöst, das ist ein gutes Gefühl gewesen. Mit der Entscheidung von mir, mit 23 Jahren nach Bremen zu gehen und in der Kammerphilharmonie zu spielen, war er nicht ganz glücklich, glaube ich. Er meinte einmal: ›Mensch, Du startest gerade durch als Solistin, mit Wettbewerben, Preisen‹, ich wollte aber erstmal weiter lernen.
Seid ihr dann im Anschluss in Kontakt geblieben?
Wir haben ab und zu noch Musik gemacht, ich als Solistin und er hat dirigiert, er hat auch ein paarmal die Kammerphilharmonie dirigiert. Das war schwierig. Er war gerade in den letzten Jahren so unendlich negativ drauf, erst recht von da an, wo er nicht mehr Cello spielen konnte. Das leicht Depressive, was er eigentlich immer schon hatte, hat ziemlich überhandgenommen. Wenn ich ihn getroffen habe, war es freundschaftlich und liebevoll, gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich gegen diese Schwärze nicht ankomme.
Er hat zu einer Zeit gelebt und ist Star geworden, die eigentlich gar nicht so weit weg ist, gefühlt aber fast ein anderes Zeitalter ist. Allein wenn man sich anschaut, wie der Markt funktioniert hat: Es gab wenige Cellostars, die damit viel Geld verdient haben. Er hatte den Ruf, etwas extrovertiert zu sein, mit seinen roten Cellokästen und seinem weißen Porsche Cabrio. Wie hast du diese Seite von ihm erlebt, die des Stars?
Das ist ein sehr interessantes Thema, weil er immer sehr in den Vordergrund gestellt hat, dass er die ganze äußerliche Seite des Musikbusiness total furchtbar findet. Er hat sich auch in den letzten Jahren oft darüber aufgeregt, wie schnell Karrieren aufgebauscht werden.
Aber: Er hatte eine extrovertierte, laute Seite, er wollte schon auffallen. Uns sagte er immer, es gehe nur um die Musik, man solle nicht versuchen, sich in den Vordergrund zu stellen oder Show zu machen. Vielleicht war das auch etwas, was uns beide verbunden hat. Ich habe damals so vor mich hin gespielt ohne einen großen Karriereehrgeiz und war unglaublich naiv, was Plattenfirmen angeht. Er hat immer sehr gerne folgende Geschichte erzählt: Er hatte veranlasst, dass ich ein paar Plattenlabels vorspielen konnte in Wien. Ich bin dann da hingegangen, mir war es aber damals alles so ein bisschen egal. Hinterher hat er gefragt, wie es war, ich meinte: ›Ganz gut, einer schien interessiert.‹ ›Von welcher Firma war denn der?‹ ›Ich glaube der war von Black & Decker.‹
Es gab ja dann einen regelrechten Cello- und Cellistenboom Anfang der Nullerjahre. Wie ist er damit umgegangen?
Der musste irgendwann kommen, weil es so viele gut ausgebildete tolle Cellisten gab. Er hat das ganz furchtbar gefunden, wenn Schüler zum Unterricht mit einem Kamerateam ankamen und sich vermarktet haben. Das war glaube ich, auch ein Grund, dass er ein bisschen verbitterte, weil er da nicht mehr so reingepasst hat in diese Welt. Es ist gerade fürs Cello ein Problem, weil wir nicht so viele Möglichkeiten haben, Solokonzerte zu spielen. Ein Orchester wird halt in der Saison zwei Geiger und zwei Pianisten einladen und höchstens ein Cello. Als dann 2010 die Nachricht die Runde machte, dass er nie wieder Cello spielen würde, weiß ich noch, dass ich gedacht habe: ›Wahnsinn, es müsste jetzt eigentlich ein Aufschrei durch die Musikwelt gehen, dass er nicht mehr spielt‹. Er wurde dann aber schon so überrollt von den ganzen anderen jungen Stars, die so hochgesprossen sind.

Welche Stücke verbindest du besonders mit ihm?
Die 5. Bach-Suite, total, ganz stark das Elgar-Konzert, das Dvořák-Konzert …
Wenn du diese Stücke jetzt spielst, gibt es Passagen, bei denen du innerlich hörst, was er dazu gesagt hat?
Natürlich. Ich spiele heute Abend das Schumann-Konzert, da sind mir tausend Dinge bei jedem Takt im Kopf. Er war zum Beispiel einer der ersten, die gesagt haben: ›Guck mal, da steht ja Tempo 130 im ersten Satz, warum spielen alle Leute 90?‹ Es ist viel hängengeblieben. Es ist alles hängengeblieben. Zum Glück habe ich es aber auch über die Jahre geschafft, mich davon etwas frei zu strampeln, das ist immer eine Herausforderung, wenn man so einen starken Lehrer hat.
Was waren denn seine geistige Welt und seine Inspirationsquellen jenseits von Musik?
In der Musik, jenseits vom Cellospielen, haben wir uns unglaublich viele Videos angesehen von Carlos Kleiber.
Haben die beiden eigentlich mal zusammen gespielt?
Ich glaube nicht, aber er war ein totaler Fan. Er hatte eine riesige CD-Sammlung. Wir haben uns gar nicht so viel über intellektuelle Dinge außerhalb der Musik unterhalten. Er liebte das Salzburgische Abgründige, die Karikaturen von Manfred Deix, sarkastische, abgründige, schwarze Sachen.
Was waren seine Bezugspunkte im Kollegenkreis? Es gibt ja das legendäre Zerwürfnis mit Friedrich Gulda, mit dem ihm eine enge Freundschaft verband, beide wohnten am Attersee, Gulda schrieb für Schiff sein Cellokonzert, aber nach dem Streit haben sie nie wieder zueinander gefunden.
Das konnte immer schnell explodieren, so eine Beziehung. Ich habe mich gerade mit Lisa Leonskaja unterhalten, mit der er auch viel gespielt hat. Sie meinte zu mir, dass sie immer das Gefühl hatte, dass er das nicht ertragen konnte, dass sie einfach so eine liebe Person war. Er wollte am liebsten mit Leuten zusammen sein, mit denen er sich etwas streiten und reiben konnte.

Was sind seine besten Aufnahmen? Die Schostakowitsch-Konzerte?
Ja, die Aufnahme ist toll. Als ich von seinem Tod hörte, habe ich ins Regal gegriffen und eine Aufnahme von ihm mit Zugaben gehört. Da habe ich auch wieder gedacht, was für ein fantastischer Virtuose er war. Er hatte sein Leben lang ein Faible für Folklore-Musik. Wir waren einmal auf der Hochzeit von Bruno Weinmeister, da spielte eine Balkan-Band zum Tanzen. Da hat er einen ganz wehmütigen Blick bekommen und gesagt: ›So muss man Musik machen.‹ Irgendwie hat das in ihm gesteckt und das merkt man auf der Zugaben-CD ganz besonders. Dann gibt es eine tolle CD mit den Vieuxtemps-Konzerten, eine andere sehr gute mit dem Lutoslawski-Konzert.
Wie schaust du auf seine Dirigentenkarriere?
Er hatte, glaube ich, irgendwann das Gefühl, dass das Cello-Repertoire nicht genug für ihn ist und da schon begonnen zu dirigieren. Er hat toll mit den Orchestern gearbeitet, manchmal in den Konzerten dann die Kontrolle verloren.
Was ist sein Erbe?
Seine Schüler sind ja eine richtige Dynastie geworden. Ständig trifft man Kollegen, Menschen, die bei ihm studiert oder Unterricht genommen haben. Er hat irgendwie eine Art gehabt, das Beste aus seinen Schülern rauszuholen, es gibt ja auch Lehrer, die Anteile ersticken können, aber er hat ideal gefördert. Die Ernsthaftigkeit, mit der er an die Musik rangegangen ist, die hat er uns allen irgendwie mitgegeben. Das ist nicht selbstverständlich.
Gibt es einen Moment, an den du dich immer erinnern wirst? Wie du ihn in Erinnerung behalten willst?
Neben dem Musikalischen gibt es einen Moment, den ich nie vergessen werde. Ich hatte bei ihm am Attersee einmal unglaublich Kummer wegen einer zu Bruch gegangenen Beziehung, die auch noch innerhalb der Celloklasse war. Heinrich hat mir dann seine Lieblingsschallplatte, das Verdi-Requiem mit Toscanini, geschenkt mit dem sehr guten Rat, ein Glas Rotwein zu trinken und mich mit Verdi so richtig der Trauer anheimzugeben. Es hat gewirkt. ¶