»Wir kommen an den Punkt, wo es schwierig wird, dem Ensemble noch genügend zu tun zu geben«, sagt Wolfgang Berthold gegenüber VAN. Die Rede ist von dem immerhin 9-köpfigen Sängerensemble des Theaters Vorpommern, dem Berthold seit der Spielzeit 21/22 als Operndirektor und Chefregisseur vorsteht. Das Theater Vorpommern bespielt drei Standorte in Stralsund, Greifswald und Putbus mit Oper, Schauspiel und Ballett. Hinzu kommen Probebühnen, Werkstätten und Lagerräume. Die Betriebskosten all dieser Gebäude haben sich durch die Energiekrise gut und gerne vervierfacht, schätzt Berthold. Die Theaterleitung hat deshalb in den sauren Apfel gebissen und den Spielplan aller drei Sparten für die kommende Saison stark ausgedünnt. Für das Musiktheater bedeutet das, dass anstatt der üblichen vier Neuproduktionen im nächsten Jahr nur noch drei auf dem Programm stehen. Ersatzweise gibt es eine Operngala –  ohne Bühnenausstattung und Inszenierung. Und Gäste, sowohl Sänger als auch Regisseure, können dann auch kaum noch eingeladen werden. Das Haus schmort zunehmend im eigenen Saft.

Theater Stralsund • Foto: Moritz Werthschulte via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Vorpommern ist kein Einzelfall, auch die Bühnen Halle müssen Federn lassen: Aus Kostengründen will das Theater auf die bereits geplante Inszenierung von Benjamin Brittens Tod in Venedig verzichten und außerdem das Kinderstück Buchstabentheater und die Reihe Schwarzer Salon des Puppentheaters aus dem Programm nehmen. Als zusätzliche Einsparungsmaßnahme sollen zukünftig Veranstaltungen aus externen Spielorten ins Opernhaus verlegt werden. Das Anliegen, an möglichst vielen Orten der Stadt künstlerisch präsent zu sein, ist angesichts der gestiegenen Kosten kaum finanzierbar. 

Nils Dreschke, Der Schwarze Salon – Ohne Dunkelheit sind wir blind, Bühnen Halle • Foto © Anna Kolata

Auch andernorts wird gespart, wo es geht. Viele Häuser deckeln die Innentemperaturen auf 19 Grad – je nach Länge des Stückes kann einem dabei schon mal frisch werden. Zuschauer des Theaters Ansbach dürfen deshalb diesen Herbst ausnahmsweise ihre Jacken mit in den Saal nehmen. Für das kleine bayerische Schauspielhaus wird das allerdings kaum reichen. Dort hat die öffentliche Hand die Zuschüsse von den erwarteten 8,5 Prozent auf magere zwei Prozent zusammengekürzt. Der Gürtel muss in Zukunft also noch enger geschnallt werden: In der nächsten Saison kommen höchstens zwei bis drei Programme auf die Bühne, Bildungsarbeit und pädagogische Angebote werden gestrichen. Auch für Konzertveranstaltungen, die in Ansbach oft bei externen Gast-Ensembles wie der Württembergischen Philharmonie, dem Ansbacher Kammerorchester oder dem Windsbacher Knabenchor eingekauft werden, werden kaum Mittel übrig bleiben, so der Pressesprecher des Theaters, Michael Hanisch, gegenüber VAN.

Die steigenden Materialkosten wirken als zusätzlicher Brandbeschleuniger für die finanzielle Lage dieser Häuser. Gerade die Preise für Holz stiegen zuletzt rasant an. Mit ein Grund dafür sind die Wirtschaftssanktionen gegen russische Holzexporte, die das weltweite Angebot des ohnehin schon knappen Rohstoffes noch zusätzlich verringert haben. Infolgedessen kostet ein klassisches Bühnenbild inzwischen deutlich mehr als noch vor ein paar Jahren und auch die Produktion von Programmheften aus Papier hat sich deutlich verteuert. »Aus den gestiegenen Energiekosten plus  Materialkosten ergeben sich für die Theater Zusatzkosten in siebenstelliger Höhe«, sagt Ilja Wehrenfennig, Pressereferent der Bühnen Halle, gegenüber VAN.

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Zur Unzeit kommt für viele Theater außerdem die eigentlich längst überfällige Tariferhöhung des Normalvertrags Bühne, der die Mindestgage von künstlerisch Beschäftigten spätestens ab dem ersten Januar 2023 von bisher 2.000 Euro auf 2.715 Euro anhebt. Die Differenz müssen die Theater in der Regel aus eigener Tasche zahlen. In einem Brief an die Landesregierung forderten die sechs niedersächsischen Kommunaltheater bereits im September eine anteilige Mitfinanzierung der gestiegenen Tarife. Geschehe dies nicht, drohten unweigerlich Insolvenzen. Da während der letzten beiden Pandemiejahre weniger Tickets verkauft wurden, schrumpfen bei den Theatern auch die finanziellen Rücklagen, die nötig wären, um die nun explodierenden Produktionskosten zumindest teilweise auszugleichen.

Landesweit zeichnet sich an den deutschen Bühnen also ein Sparkurs ab. Wie lange er andauern und welche langfristigen Auswirkungen er auf die künstlerische Programmvielfalt haben wird, ist nicht sicher. Im Angesicht von Rezession, Inflation und ungewisser Kostenentwicklungen könnten Intendanten vermehrt auf altgediente Crowd-Pleaser setzen, denn Uraufführungen und unbekanntes Repertoire werden in einem engen finanziellen Rahmen schnell zum wirtschaftlichen Risiko. Den ersten großen Präzedenzfall liefert Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper. Wegen des »damit einhergehenden Budgetrisikos«, wie er es ausdrückt, verschiebt er die Premiere der Oper Matzukase des 1955 geborenen japanischen Komponisten Toshio Hosokawa schon jetzt vorsorglich ins Jahr 2024.

Auch die Intendantin des Hans Otto Theaters in Potsdam zieht mit: »Die Krise ist da«, wird Bettina Jahnke zitiert. In Potsdam will man sich ab sofort auf das Kernprogramm des Theaters konzentrieren und kleinere Formate der sogenannten fünften Sparte, die auf pädagogische Outreach-Projekte und künstlerische Experimente setzen, erstmal hinten anstellen. Das ist schade – auch für das Publikum. Denn zu dem Bildungsauftrag steuerlich  subventionierter Bühnen gehört eine Bandbreite an Genres, Formaten und Ideen. Kann sich ein Theater das nicht leisten, wird es schnell zum musealen Verwalter einer Tradition, die den Anschluss an den Alltag der Menschen verpasst.

Frontseite der renovierten Stadthalle Greifswald • Foto C. Löser via Wikimedia Commons (CC BY 3.0 DE)

Damit aber begibt man sich mitten ins Fahrwasser der Rechtfertigungsdebatte: Einzelne Kommunen könnten sich schon bald fragen, warum sie die teuren Ensembles eigentlich durch alle Krisen durchfinanzieren. Das befürchtet auch Wolfgang Berthold vom Theater Vorpommern: Schon jetzt werde der Theaterbetrieb an einigen Stellen als unliebsamer Kostenfaktor mehr geduldet als gewollt. Ob es so weit kommt, bleibt freilich abzuwarten. Noch weiß keiner, welche Höhe die Energiekosten diesen Herbst wirklich erreichen werden und wie viel davon staatlich aufgefangen werden kann. 

Manchmal ahnt die Kunst mehr als Politik und Wissenschaft wissen. In Thomas Bernhards Theatermacher (der zur Zeit in einer wuchtigen Inszenierung von Oliver Reese im Berliner Ensemble zu sehen ist) sitzt der monomane Intendant am Schluss unter zerfetztem Himmel vor umgestürzten Stühlen auf einer vom Sturzregen dramatisch überspülten Bühne, schaut fassungslos auf den Untergang seiner kleinen Welt und grantelt: »Als ob ich es geahnt hätte.« ¶

… lebt in Berlin und arbeitet als freischaffende Sängerin und Musikjournalistin (u.a. für Opernwelt, Crescendo, TAZ).