Die Pandemie hat den Beruf des Konzertagentin von einem auf den anderen Tag genauso obsolet gemacht wie den des Frisörs oder der Gastronomin – mit dem Unterschied, dass wir Agent:innen durch die Absagen enorm viel zu tun haben, um die Planung der Konzerte, für die wir zum Teil schon mehr als zwei Jahre lang gearbeitet haben, rückabzuwickeln. Manche Termine müssen jetzt zum zweiten Mal verschoben werden, weil nun vor Ende des Sommers doch keine Konzerte stattfinden können. Ich freute mich demnach, dass Frau Schmid in VAN Raum gegeben wurde, die Herausforderungen unseres Berufsstands zu schildern. Nur: Das Interview hat mich in seiner geduldigen Ergebenheit des Abwartens etwas traurig gemacht.

Gerade versuchen wir alle, operativ zu überleben, aber es fehlen die Visionen. Nach dem Lockdown werden wir nicht wieder so beginnen können, wie wir aufgehört haben – und ich behaupte, es wird nie wieder so sein. Aber wir haben dadurch auch die Chance, es dann anders anzugehen.
Anfangs dachte man, 4–6 Wochen ohne Konzerte wären eine Ewigkeit und beklagte eine Katastrophe, inzwischen sprechen wir von mindestens 3 Monaten, eigentlich eher von 6, möglicherweise von Jahren. Der Ausnahmezustand ist zum Zustand geworden. Inzwischen keimen Ideen links und rechts, es wird sich zeigen, welche von Bestand sein werden, aber eine Aussicht auf das schlichte Geldverdienen haben wir noch lange nicht. Das Gefühl, dass eine Ära zu Ende ist, kann doch nicht nur ich haben! Darüber sollten wir offen sprechen und uns trauen, zu denken, wie ein neues System aussehen könnte.
Seit Wochen tobt ein Sturm der Entrüstung durch die Reihen der Künstler:innen. Sie waren schon unterwegs, seit Tagen auf Tournee, gerade in der Stadt des nächsten Konzertes angekommen, als es hieß, sie könnten nicht auftreten, die Konzerthäuser, Theater, Opern, seien dichtgemacht worden. Diese Künstler:innen werden für einzelne Abende engagiert. In den Verträgen, die dafür geschlossen werden, gibt es meist eine Klausel, die besagt, dass im Falle von Force Majeure, also höherer Gewalt, keine Seite der anderen etwas bezahlen muss. Erst waren alle angesichts der Pandemie nur schockiert. Dann regte sich, als sich immer mehr Veranstalter auf eben diese Klauseln beriefen, großer Unmut, vor allem gegenüber den subventionierten Institutionen, für die nicht nur der Kartenerlös das Budget ausmacht, denen der Staat die Finanzierung auch jetzt in Corona-Zeiten nicht streicht. Es hat einige Wochen gedauert, bis das Bewusstsein dafür geweckt war, dass ein finanzieller Ausgleich für die Künstler:innen nicht so einfach mit Verweis auf Force Majeure abgetan werden kann. Es geht nicht an, dass die, mit deren Namen das Geschäft gemacht wird, als Bettler:innen ohne Rechte dastehen. Diese Einsicht sickert aber jetzt allmählich durch. Die Politik ist da gefragt und bemüht. Es wird sich eine Lösung finden lassen, auch wenn sie nicht alle wird beglücken kann und viel eingebüßt wird. Aber: Das ist nur das Jetzt.
In den nächsten Monaten werden weiter Konzerte abgesagt, vielleicht gar aus anderen Gründen als dem Ansteckungsrisiko, vielleicht, weil Flugzeuge am Boden bleiben, Hotels noch nicht geöffnet haben oder Veranstalter doch pleite gegangen sind. Schon jetzt werden ausstehende, längst vereinbarte Verträge nicht mehr unterschrieben, alles ist eingefroren und irgendwann gibt es sowieso kein Geld mehr.
Aber irgendwann wird auch das Leben wieder anfangen – und dann? Zeigen diese Krise und die Situation der Künstler:innen nicht genau die Schwachstellen unseres wunderbaren Systems? Ist diese Krise ganz spontan über uns gekommen oder vielleicht doch auch das Ergebnis eines Missstandes und offenbart sie nicht, was sowieso latent war?
Wir – Agent:innen – sollten unsere Arbeit überdenken. Agenturen vermitteln sowohl zwischen Künstler:innen und Veranstaltern als auch zwischen Veranstaltern und Künstler:innen, das heißt, sie arbeiten tatsächlich für beide Seiten. Von außen werden sie meist gar nicht wahrgenommen. Für die Künstler:innen sind sie der Partner, der mit ihnen eine Strategie für den Karriereverlauf entwickelt, der sich aber auch um das Alltägliche kümmert: angefangen von der Kalenderplanung, den Programmen, dem Vertragsabschluss bis hin zu den gesamten logistischen Details, die zu einem Konzert bzw. einer Konzerttournee gehören. Auch die Verbindung zu den Plattenfirmen, die Kontaktpflege zu den PR-Agenturen, die Feinplanung von Interviewterminen, Fotoshootings etc. gehören weitgehend zur Arbeit der Agenturen. Für den Veranstalter sind sie wiederum mehr als nur das Sprachrohr der Künstler:innen, deren erreichbare Adresse. Sie sind oft auch für die Veranstalter Ratgeber, Informationsquelle, Ermöglicher und Vertrauenspersonen für eine zuverlässige Planung. Die Arbeit der Agenturen ist enorm personalintensiv (zwei bis drei Mitarbeitende pro Künstler:in, um die verschiedenen Bereiche abzudecken) und wird durch eine Provision abgegolten, ein Prozentsatz der Künstler:innengage. Unsere Arbeit wird als »künstlerseitig« angesehen und es ist bis jetzt Brauch, dass sie von dem Künstler bezahlt wird. Anders als etwa bei einem Makler, wird bei uns nicht mit Abschluss des Vertrages die Provision fällig, sondern erst nachdem die Künstler:innen aufgetreten sind und ihr Honorar erhalten haben.
Das Modell (Künstler:in bezahlt Agent:in) erweist sich gerade als äußerst ungünstig für die Agenturen. Frau Schmid äußerte die Überlegung, dass die Künstler:innen fortan den Agent:innen eine monatliche Summe bezahlen sollen, damit diese nicht – zum Teil – 3 Jahre in Vorleistung treten. Ich denke, wir sollten, bevor wir solche Schritte gehen, zunächst unseren Beruf als Ganzes analysieren: wem wir wie dienen und wann welche »Teile« unseres Tuns erledigt und demnach finanziell fällig sind. Das wäre ein interessanter Ansatz, den aber viele nicht verfolgen werden, weil es auch bedeuten würde, dass wir uns in eigener Sache an die Veranstalter wenden müssten, was heikel ist. Bis jetzt ist die Beziehung zwischen Agenturen und Veranstaltern »unschuldig«. Man spricht zwar über Geld, der Veranstalter schimpft auch über den Agenten, der für seinen Künstler nur Dollarzeichnen in den Augen hat, aber der Veranstalter bekommt von Agenturen keine Rechnung, die Agenturen bleiben dem Veranstalter gegenüber frei, es ist eine scheinbar rein »freundschaftliche« Beziehung. Wenn die Agentur nun dem Veranstalter berechnen würde, was sie für ihn alles tut, würden die Beziehungsparameter sich verändern von einem Gefallen zu einer Serviceleistung, etwas sehr Konkretem.

Es scheint, als wäre es im Vergleich dazu einfacher für die Agenturen – zumal auf internationaler Ebene, sprich vor allem England – in gegenseitiger Absprache mit der Konkurrenz die Regeln bei den Künstler:innen zu ändern. Es klingt, als würde mein Wunsch nach einem tiefergehenden Überdenken alles nur verkomplizieren. Ich glaube aber, dass unser Vorgehen so am Ende transparenter und gerechter sein und unsere Arbeit letztlich aufgewertet würde.
Die gleiche Frage müsste man sich wohl auch stellen in Bezug auf die Honorare und generell auf den Geldfluss in der Branche: Wenn wir jetzt schreien, dass die öffentliche Hand (bzw. die Veranstalter, die von der öffentlichen Hand subventioniert sind) eine Verantwortung trägt und die Künstler:innen gut behandeln soll, müssten wir tatsächlich auch schauen, ob das öffentliche Geld »gut« ausgegeben wird, ob vielleicht neue Regeln nötig wären oder alte Regeln tatsächlich oder überhaupt angewandt werden.
Mir stellt sich die (alte immer wiederkehrende) Frage, ob öffentlich finanzierte Häuser nicht ihre Honorare deckeln sollten. Ist es legitim, Steuergelder für die Spitzengagen von Stars aufzuwenden? Und würden diese nicht, wegen des Prestiges der Klangkörper und Häuser, auch bei einem – auf einem hohen Niveau – gedeckelten Honorar auftreten? Für das so gesparte Geld gäbe es viele gute Ausgabefelder! Man könnte dabei die direkte und zugleich schiefe Konkurrenzsituation zwischen öffentlichen und privaten Veranstaltern, in der wir uns vor Corona wiedergefunden haben, etwas entschärfen. Diese hatte allerorten eine Verwässerung der Profile zur Folge. Private Veranstalter sind oft kleinere Unternehmen, wendig und flexibel, die ihrem Publikum sehr nah sind, die örtlichen Traditionen pflegen, die quasi mit den Händen arbeiten und dabei auch »die Erde« berühren. Eine vielfältige Kulturlandschaft braucht sie. Wenn sie in direkter Konkurrenz mit den subventionierten Häusern stehen, ist das ein Wettbewerb mit ungleichen Voraussetzungen, da die privaten Anbieter viel höhere Eintrittspreise nehmen müssen, allein um Miete etc. zu decken.
Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich lebe davon, dass die Künstler:innen gut verdienen, es ist sicher und vor allem in der jetzigen Situation nicht in meinem Interesse, anzuregen, dass sie weniger bekommen sollten. Aber es ist wohl in meinem Interesse, dass hier – wie sonst allgemein in der Gesellschaft – eine Solidargemeinschaft entsteht, die einerseits eine sehr gesunde Konkurrenz um die Exzellenz fördert und andererseits die Not der privaten Veranstalter (und damit auch der Künstler:innen) mildert.
Bis Ende August dürfen wir keine großen Konzerte veranstalten, vielleicht werden einige kleinere Live-Versuche gestartet. (Das wäre so wichtig, um auch nur im Kleinen die Materialität, die die gemeinsame Konzentration als Teppich für die Musik ergibt, für alle greifbar zu machen, denn Kameras und Mikrophone geben kein Feedback.) Ob wir tatsächlich ab September wieder vor Ort Livemusik hören können, steht in den Sternen.
Wir hätten also mindestens drei Monate Zeit, Meinungsbildner:innen an runden Tischen zusammenzubringen und neue Modelle zu ersinnen, wir hätten Zeit, miteinander zu spinnen, um am Ende ganz Neues um das Alte zu skizzieren. Ich befürchte aber, das will eigentlich keiner wirklich. ¶