Der unbequemste Ort zum Verreisen ist unangefochten das Weltall. Es ist kalt, lebensfeindlich und unendlich groß. Trotz allem ist der Traum von der Reise zum Mond und darüber hinaus so alt wie die Menschheit selbst.
Mit dem Verlangen der Menschheit, die Erde hinter sich zu lassen und das Universum zu bereisen, setzt sich Kubrick in seinem Film 2001: Odyssee im Weltraum von 1968 auseinander. Die ersten Minuten des Films zu den Klängen von Ligetis Atmosphères und Richard Strauss’ Also sprach Zarathustra sind berühmt. Weniger bekannt ist die Verwendung eines anderen Schlagers der klassischen Musik: Wenn Kubrick das Reisen ins All mit dem Walzer An der schönen blauen Donau unterlegt.
Es fällt Kubrick damals nicht leicht, die passende Musik für seinen Science-Fiction-Film zu finden: Beeindruckt von der Carmina Burana hofft der Regisseur den Komponisten Carl Orff für die Filmmusik gewinnen zu können. Der über Siebzigjährige sagt jedoch ab. In der Folge engagiert Kubrick den Filmmusikkomponisten Frank Cordell, um Teile von Mahlers 3. Sinfonie für den Film zu bearbeiten. Diese Zusammenarbeit scheitert und die Zeit drängt. Erst im Dezember 1967, zwei Jahre nach Drehbeginn und im Jahr unmittelbar vor der Veröffentlichung, wird die Komposition einer eigenständigen Filmmusik beim Komponisten Alex North in Auftrag gegeben. In der Zwischenzeit arbeitet Kubrick mit einem sogenannten Temp Track und unterlegt das bestehende Filmmaterial vorläufig mit bereits bestehender Musik. Dieses Vorgehen ist in der Filmproduktion üblich und erlaubt dem Regisseur, einerseits die Wirkung seiner Arbeit zu testen, andererseits schafft es eine Orientierung für den Komponisten hinsichtlich der musikalischen Gestaltung des Soundtracks. Alex North arbeitet mit Hochdruck und es entstehen in kürzester Zeit 40 Minuten Musik. Es bleibt jedoch bei einem Torso. Kubrick verzichtet auf die Neukomposition zugunsten des Temp Tracks. So lässt sich die vielfältige Verwendung klassischer Musikwerke im Film erklären.
Teile des nicht verwendeten Soundtracks von Alex North
Im Zentrum stehen für Kubrick in diesem Fall nicht musikhistorische Hintergründe und inhaltliche Verknüpfungen, sondern die unmittelbare Wirkung im Zusammenspiel von Bildern und Musik.
Die Musik, die Kubrick den Bildern der Weltraumreise andient, ist rund 100 Jahre vorher entstanden und wurde bereits bei der Uraufführung zum Publikumsliebling. Ursprünglich für eine Karnevalsgesellschaft des Männergesangsvereins im Winter 1866/67 komponiert, ergänzte Strauss kurze Zeit später Introduktion und Coda und orchestrierte eine vollständige Konzertfassung. Als Teil seines Programms bei der Weltausstellung in Paris trat dieses Werk dann seine Erfolgsgeschichte an und gehört bis heute wohl zu den bekanntesten Melodien der Orchesterliteratur.
Zu den ruhigen Klängen des Horns in der Introduktion inszeniert Kubrick den bedeutenden Perspektivwechsel, den die Menschen mit der Reise in den Weltraum vorgenommen haben. Der Blick geht nicht mehr von den Erden zu den Sternen, sondern die Erde wird im schwarzen Nichts des Universums als Planet umgeben von der unendlichen Weite des Alls erkennbar. Dann: Der Walzer. In den Bildern wie in der Musik geraten die Dinge in Bewegung, die Reise im Space Shuttle rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Raumstationen und Kugelschreiber drehen sich in der eigentümlichen, unwirklichen Schwerelosigkeit, die zunächst so gar nicht zum Metrum des Walzers mit seinen klaren Schwerpunkten passen will. Die Kamera folgt der Reise des Shuttles zur Raumstation, immer übermütiger wird die Musik und immer selbstverständlicher dreht sich die Raumstation zu ihr. Bei der Betrachtung dieser Szenen ist man versucht mit Alex North, dem verschmähten Filmkomponisten, Mitleid zu haben. Er war chancenlos gegen einen Soundtrack, der bereits 100 Jahre zuvor perfekt komponiert wurde.
Mehr als fünf Minuten lässt sich Kubrick Zeit, um diesen Tanz in der Schwerelosigkeit auszukosten. Im Verlauf des Films ist der Walzer immer dann zu hören, wenn die Reise durchs All fortgesetzt wird.
Die Assoziation mit belangloser Aufzugmusik kommt dabei nicht von ungefähr. Die 1960er Jahre sind die Zeit, in der das amerikanische Unternehmen Muzak, das sich auf die Produktion von Hintergrundmusik für die Nutzung in unterschiedlichen Nutzungszusammenhängen spezialisiert hatte, groß wurde. Eisenhower brachte die Hintergrundmusik ins Weiße Haus und die NASA nutzte die Musik auf ihren Missionen, um Astronauten zu beruhigen und Wartezeiten zu überbrücken. Auch hier ist es die Wirkung, die zählt. ¶