Am 21. Juni 2022 nahmen Arbeitnehmervereinigungen aus dem Bereich Oper, Tanz, Bühne und Schauspiel und der Deutsche Bühnenverein Verhandlungen wieder auf, die kurz zuvor noch krachend gescheitert waren. VAN berichtete letzte Woche über den Tarifkampf für eine Reform des »Normalvertrags Bühne«, des »schlechtesten Tarifvertrags aller Zeiten«, die Stimmungslage um die Gespräche war durchwachsen, aber vorsichtig optimistisch – Ergebnisse waren aber noch keine absehbar. Umso freudiger die Überraschung, als am 28. Juni die Beteiligten eine Einigung verkündeten.
In den Verhandlungen zwischen dem Deutschen Bühnenverein auf der Arbeitgeber- und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) gemeinsam mit der Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles (VdO) und dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) auf der Arbeitnehmerseite ging es vor allem um eine Anhebung der Mindestgage. Diese wird nun in zwei Stufen von bisher 2.000 Euro brutto in auf 2.550 Euro ab 1. September und 2.715 Euro ab dem neuen Jahr erhöht. Außerdem wurde beschlossen, die Mindestgage ab der Folgespielzeit 2023/24 zu dynamisieren, um eine lineare Entwicklung zu gewährleisten. Auch Gastgagen werden entsprechend angepasst. Gleichzeitig wird eine dynamisierte Beschäftigungszulage von 200 Euro eingeführt, sodass Solobeschäftigte und Bühnentechniker:innen an DBV-Theatern nach zwei Jahren Anstellung mindestens 2.915 Euro erhalten.
Zwar entspricht diese Einigung nicht ganz der ursprünglichen Forderung der GDBA von 2.750 bis 3.100 Euro, doch auch auf die nackten Zahlen zeigt sich das Ergebnis als historischer Durchbruch: »Wir haben nun für dieses eine Jahr eine Erhöhung der Mindestgage erkämpft, die höher ist als die über die gesamten letzten drei Jahrzehnte hinweg«, so Heinrich Schafmeister, Schauspieler und Vorstand des BFFS gegenüber VAN. Der Bundesverband Schauspiel saß in den letzten beiden Gesprächen formal nur als Beobachter mit am Tisch, mit der gemeinsamen Unterzeichnung der Einigung ist das wegweisende neue Dreierbündnis der Künstler:innengewerkschaften nun auch offiziell als Verhandlungsgemeinschaft manifestiert. Die geschäftsführende Präsidentin der GDBA Lisa Jopt äußert sich in der gemeinsamen Pressemitteilung ähnlich euphorisch: »Dies ist ein historischer gemeinsamer Erfolg. Die Dynamisierung der Gagen ist seit über dreißig Jahren ein Thema der Gewerkschaften.«
Eine der weiteren Verbesserungen, die schon in der jetzigen Vereinbarung auf Papier fixiert wurde, soll eine tarifliche Regelung zur Teilzeit sein. Die Erhöhung der Mindestgage ist der Grundstein, auf den nächste Schritte, wie dieser »dringend notwendige« folgen können, so Claudia Schmitz, Direktorin des DBV. Denn bei allen Erfolgen ist die Einigung nur eine Erhöhung der Gagen, alle weiteren Probleme des NV Bühne wie mangelhafte Regelung der Arbeitszeiten, »agile« Kurzfristigkeit und das Damoklesschwert der Nichtverlängerung in der Dauerbefristung bleiben unangetastet. Es tut Not, sich auf Arbeitnehmerseite nicht zu schnell finanziell beschwichtigen zu lassen.
Die Erhöhung der Mindestgagen hat auch nicht nur Folgen für die Beschäftigten an Theatern und Opernhäusern, sondern automatisch auch für die freischaffenden Künstler:innen, für die der Geschäftsführer des VdO Tobias Könemann schon in der gemeinsamen Pressemitteilung »angemessene und verbindliche Gagenregelungen« fordert. Gegenüber VAN führt er aus:
»Mittelfristig muss das Verhältnis zwischen Mindest- und Gastgagen zu Gunsten der Gastgagen modifiziert werden. Auf Produktionsdauer beschäftigte Künstler:innen haben erstens erheblich höhere Aufwendungen und müssen zweitens in der Lage sein, für Zeiten des Nicht-Engagements vorzubauen. Und schließlich darf es für die Theater nicht attraktiver werden, Festangestellte durch Gäste zu ersetzen. Dies gilt auch für Opernchor- und Tanzgruppengäste, die in dieser Runde eine unterproportionale Anhebung erfahren haben.«
Auch Solo-Selbstständige müssen in die tariflichen Regelungen miteinbezogen werden, so Könemann: »Hierfür setzt sich die VdO intensiv über den Deutschen Kulturrat gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein; im Rahmen einer Sitzung der EuroFIA [International Federation of Actors] konnte ich dieses Thema heute auch bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission plazieren.« Hier sei ein »brennend wichtiger Inhalt« – nicht erst seit der Pandemie – vor allem eine verbindliche Regelung von Ausfallhonoraren, »wie sie in der Film- und Fernsehbranche gang und gäbe sind«, so Könemann gegenüber VAN.
Nach der Einigung liegt der Ball nun aber auch im Feld von Ländern und Kommunen. Die Mitteilung schließt mit dem Appell Claudia Schmitz’ vom DBV: »Der aktuelle Abschluss stellt für die Bühnen eine finanzielle Herausforderung dar, die sie alleine nicht schultern können. Die Bühnen brauchen dringend die Zusage der Rechtsträger, diesen Mehraufwand mitzutragen. Dieser Abschluss nimmt uns alle – gemeinsam – in die Verantwortung.«