Text · FOtos Privat · Datum 13.1.2021

Seit mittlerweile 10 Monaten steht das Reisekarussell für die meisten Musiker:innen mehr oder weniger still. Zukunftsprognosen fürs Tourgeschäft fallen schwer oder – mit Blick auf Pandemie und Brexit – ernüchternd bis erschütternd aus. VAN schaut darum mit Künstler:innen zurück: auf ihre lustigsten, verrücktesten oder unangenehmsten Erlebnisse beim Reisen mit Instrument.

Uli Fussenegger

Kontrabassist, Komponist, Leiter und Koordinator der zeitgenössischen Musik an der Hochschule für Musik Basel

Ich bin Ende der 80er Jahre für ein Konzert mit dem Clemencic Consort nach Palermo geflogen mit einem Kontrabass-Case, das ich mir geliehen hatte und das aussah wie ein riesiger Sarg aus Alu. Der Flug hatte eine wahnsinnige Verspätung. Ich kam um 1 Uhr nachts an und die Person, die mich dort abholen sollte, war schon längst gefahren. Dort am Flughafen stand noch genau ein Taxi, ein Fiat Cinquecento, allerdings mit Dachträger. Der Fahrer war begeistert von der Herausforderung, hat im Flughafengebäude ein Seil besorgt und mit mir das Case auf das Dach gehoben. Das sah unglaublich aus, das Case war fast größer als das Auto. Die Fahrt vom Flughafen in die Stadt ist in Palermo recht weit, entlang des Meeres, und es ging ein ziemlich starker Wind. Wir mussten alle drei Kilometer halten und das Seil wieder festzurren, weil wir sonst den Kontrabass verloren hätten.

Palermo war damals atmosphärisch recht herb, hatte noch diesen Mafia-Geruch an sich. Durch eine Gasse konnten wir nicht fahren, weil da jemand mitten auf der Straße einen riesigen Haufen Müll verbrannt hat. Der Taxifahrer blieb stehen und hupte den Müllhaufen an, anstatt einen anderen Weg zu suchen. Da gingen Fenster auf, die Leute guckten – alle dachten, das wäre ein Sarg, den wir da mitten in der Nacht auf dem Dach durch die Gegend fahren. Irgendwann haben wir doch gewendet und ich kam nach insgesamt zwei Stunden Fahrt im Hotel an. Das hat natürlich Unsummen gekostet. Der Fahrer hat sich noch für weitere Fahrten in den nächsten Tagen angeboten, weil er fand, dass der Transport doch fantastisch funktioniert hat. Das habe ich aber lieber nicht in Anspruch genommen.

Baiba Skride

Geigerin

Wahrscheinlich kennen alle Geiger:innen die wiederkehrende Situation, am Flughafen erklären zu müssen, dass man das Instrument mitnehmen möchte und es nicht im Frachtraum transportiert werden soll. Einmal habe ich zusammen mit meine Familie auf dem Rückweg von einer Tour einen kurzen Urlaub auf einer tropischen Insel, zu der man nur mit einem kleinen Flugzeug gelangen konnte, »mitgenommen«. Natürlich hatte ich auch meine Geige dabei, üben muss man ja trotzdem. Und egal wie sehr ich darauf bestanden habe: Die Mitarbeiter meinten, die Geige müsste in den Frachtraum, anders ginge es einfach nicht. Nach langem Hin und Her haben sie netterweise zugestimmt, dass ich mir immerhin angucken darf, wie die Geige verstaut wird. In dem winzigen Flugzeug stellte sich heraus, dass der »Frachtraum« der Platz direkt hinter meinem Sitz in der letzten Reihe war, wo sie die Geige ganz vorsichtig oben platziert und sogar noch festgebunden haben. Sie haben beim Aussteigen außerdem niemanden etwas anfassen lassen, bevor ich die Geige wieder in den Händen hatte.

Immer wieder lustig ist es beim Security-Check, egal an welchem Flughafen. Häufig fragt das Bodenpersonal im Scherz: »Ach, ist das eine Stradivari?« Und wenn ich antworte, dass es wirklich eine ist, sind die Mitarbeiter:innen ganz verdutzt. Manchmal bitten sie dann ehrfürchtig darum, das Instrument anschauen zu dürfen. Und ab und zu werde ich sogar gefragt, ob sie ein Selfie mit der Geige machen können.

Maximilian Hornung

Cellist

Vor über zehn Jahren wollte ich mit einem Klaviertrio, das ich damals hatte, ein Konzert in Wilhelmshaven spielen. Am Tag zuvor hatten wir ein wichtiges Konzert in Zürich, in der Tonhalle, das sehr gut gelaufen ist. Wir sind darum ganz entspannt und gut gelaunt mittags losgeflogen von Zürich nach Hamburg, wollten dort ein Mietauto nehmen, nach Wilhelmshaven fahren und um 20 Uhr das gleiche Programm nochmal spielen. Der Flug hatte schon etwas Verspätung. In Hamburg haben wir festgestellt, dass die Windschutzscheibe von unserem Mietauto gesprungen war. Bis das jemand inspiziert und uns einen neuen Wagen gegeben hatte, dauerte es bestimmt eine halbe Stunde. Und dann nahm das Elend seinen Lauf. Erst gab es eine Umleitung, dann eine Vollsperrung, dann nochmal eine Umleitung auf der Umleitung … Irgendwann haben wir die Veranstalterin angerufen und vorgewarnt: Es wird knapp mit der Anspielprobe, wir werden wahrscheinlich erst um halb 8 da sein, aber es sollte noch pünktlich klappen mit dem Konzert, sie müsste sich also keine Sorgen machen. Auf der andere Seite der Leitung war erstmal lange Stille. Und dann kam eine zaghafte Stimme: »Sie wissen aber schon, dass das Konzert um 19 Uhr beginnt?« Das war irgendein Missverständnis, in unserem Vertrag stand tatsächlich 20 Uhr. Die Veranstalterin war erst etwas panisch und hat dann einfach Gratissekt ausgeschenkt für das wartende Publikum. Als wir um halb 8 ankamen, waren im Foyer alle ziemlich guter Stimmung, weil sie schon einige Gläser gekippt hatten. Uns wurde applaudiert, als wir zur Tür reinkamen, vollbepackt mit Taschen und Koffern und gestresst. Wir haben ausgepackt, kurz fünf Minuten lang den Raum und den Flügel gecheckt und vertragsgerecht um 8 begonnen. Das Konzert hat sehr viel Spaß gemacht.

Maximilian Hornungs Cello auf seinem Fensterplatz.
Maximilian Hornungs Cello auf seinem Fensterplatz.

Jack Adler-McKean

Tubist

Bei einer Fluggesellschaft darf man partout keine Tuba mit in die Kabine nehmen – obwohl ich wirklich lange versucht habe, einen Mitarbeiter am Telefon zu überreden. Aber der meinte, das sei einfach nicht möglich, man dürfe nur ein Cello in der Kabine transportieren, kein anderes großes Instrument. Wenn ich jetzt fliege, buche ich also einfach immer einen Sitzplatz für meine Tuba als »Mr Seat Cello« und das funktioniert problemlos.

Normalerweise muss man für das Orchesterspiel immer zwei Tuben mitnehmen, eine Basstuba und eine Kontrabasstuba. Und eigentlich bin ich ein stolzer Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel, deswegen fahre ich auch oft Zug, obwohl so viel Gepäck da natürlich schwer zu managen ist.

Alban Gerhardt

Cellist

Am 4.11.1995, drei Tage nach meiner ersten Hochzeit in Berlin, fuhr ich mit meiner (mittlerweile Ex-)Frau nicht in die Flitterwochen, sondern mit einem Mietwagen samt Schwiegermutter um 5 Uhr morgens Richtung Reutlingen, um dort um 12 Uhr zum ersten Mal in meinem Leben Schostakowitschs beliebtes 1. Cellokonzert zu proben, für Konzerte am 5. und 6.11. mit der Württembergischen Philharmonie.

Seit ich konzertiere, versuche ich immer so viele Tage wie möglich zuhause und so wenig Zeit wie möglich in Hotels zu verbringen, weshalb ich oft Flüge, Züge oder eben Mietwagen zu frühestmöglicher Stunde nehme, um die Nacht noch im eigenen Bett verbringen zu können – ähnliches geschieht auch nach Konzerten, wo ich oft noch durch die Nacht nach Hause fahre, um meinem eigentlichen Stubenhocker-Naturell zu frönen (auch einer der Gründe, weshalb die Corona-Krise mich nicht in eine Depression geworfen hat, da ich es eigentlich genieße, mal länger als eine Woche am Stück zuhause sein zu dürfen).

So unverantwortlich und dumm es auch anmuten mag, ich hatte mir vorgenommen, die 650 km Berlin-Reutlingen direkt vor der ersten Schostakowitsch-Probe meines Lebens mit dem Auto zu fahren, und so kam es, wie es kommen musste: Irgendwo auf der A9 zwischen Berlin und Leipzig wurden wir (Anfang November!) von einem Schneesturm überrascht, der den kompletten Verkehr lahmlegte. Wir saßen fest in unserem Mietwagen, und da es zu dieser Zeit nicht üblich war, ein portables Telefon zu besitzen und ich auch keine Chance hatte, von der Autobahn abzufahren, um per Telefon mein Fehlen bei der einzigen Probe für das Konzert am nächsten Tag zu vermelden, musste ich mich wohl oder übel meinem Schicksal fügen und »unentschuldigt fehlen«. Ich glaube, wir saßen vielleicht vier Stunden auf der Autobahn fest, meine Schwiegermutter erleichterte sich irgendwann in einer Wasserflasche, und wir erreichten Reutlingen mit fünfstündiger Verspätung am Nachmittag – das Orchester hatte die Probe komplett ohne mich bestreiten müssen. Netterweise erklärten sich die Musiker bereit, die Anspielprobe am nächsten Tag direkt vor dem Konzert etwas auszuweiten, so dass wir das Cellokonzert wenigstens einmal durchspielen konnten.

Wie gut das Konzert im Endeffekt lief, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur noch an eine Kritik erinnern, in der vermerkt war, dass ich den langsamen Satz so traurigschön gespielt hätte, dass der Schreiber sich fragte, ob ich dabei an die Jitzchak Rabin gedacht hätte. Der war am Vortag ermordet worden. Eine Tat, die den Friedensprozess im Nahen Osten zurückgeworfen hat – bis heute. Für mich ist diese Kritik die schönste, die ich in meinem Leben erhalten habe. Die Ermordung Jitzchak Rabins hatte mich in der Tat tief bewegt und ich hatte das Konzert seinem Andenken widmen wollen, allein der Dirigent hatte sein Veto eingelegt, so dass wir das Konzert ohne Widmung aber mit der Trauer im Herzen spielten – was sich immerhin dem Rezensenten mitgeteilt hat.

Matthias Engler

Perkussionist (Ensemble Adapter)

Während der Arbeit mit dem Ensemble Adapter beim Disko Arts Festival 2018 im nordöstlichen Grönland fand ich auf der Müllhalde des kleinen Fischerdorfs Oqaatsut eine sehr schön klingende ausgediente Schiffsschraube. Auf dem Rückflug von Grönland nach Island wurde diese als gefährlicher Gegenstand eingestuft und aus meinem Handgepäck in den Frachtraum verbannt. In meinem Koffer fand die Schraube dann schließlich ihren Weg von Reykjavík nach Berlin, um fester Teil meines Instrumentenfundus zu werden. Bei Proben mit der grönländischen Komponistin Arnannguaq Gerstrøm in unserem Berliner Proberaum wurde die Schraube Teil einer neuen Auftragskomposition, die wir zur Feier 100-jähriger Unabhängigkeit Islands mit dem isländischen Sinfonieorchester und der grönländischen Trommeltänzerin Varna Marianne Nielsen live im Fernsehen in Reykjavík uraufgeführt haben. Die Schiffsschraube reiste also mit mir von Grönland über Deutschland zurück nach Island, um dort ein klangliches Symbol für die grönländische Unabhängigkeitsbewegung zu werden.

Christian Stach

Kontrabassist

Wir spielten im Liceu in Barcelona. Es könnte Störungen geben, sagte unsere Disponentin, drinnen und draußen. Das Saal- und Garderobenpersonal streikt gegen irgendwelche Knebelverträge mit kürzester Laufzeit, die jederzeit gekündigt werden können. Die meisten von uns hatten Verständnis.

Das Konzert war ausverkauft. Immerhin waren alle reingekommen, trotz der Aktionen auf der Rambla. Ab und zu, an leisen Stellen, hörte man Sprechchöre. Unser Chefdirigent war unzufrieden. In der Pause wurde kurz überlegt, ob wir weitermachen oder nicht. Eine Kollegin hatte Angst. Vielleicht stürmt »das Proletariat« die Bühne. Die Situation war dann aber doch nicht so revolutionär wie Mai 1937.

In der zweiten Konzerthälfte war es ruhig. Allerdings konnte man an einer SEHR leisen Stelle ein neues Geräusch hören, eine Art Hauch. Einen sound, den ich noch nie gehört hatte, außer bei Lachenmann. Langsam begriff ich: So klingen Flugblätter, wenn man ganz viele einzeln abwirft, wenn sie also wirklich welche sind.

Die Leute in den prekären Beschäftigungsverhältnissen hatten sich auf dem höchsten Rang versammelt und machten das Publikum mit ihren Problemen bekannt. Es entstand eine leichte Unruhe, als die Blätter überraschend auf Köpfen und Schenkeln landeten, auch im Orchester. Wir spielten weiter, der Solist spielte weiter, die Zuhörer hörten weiter – angestrengt irritiert –  konzentriert, als ob nichts wäre, mit weißen Zetteln in der Hand, auf dem Schoß, auf dem Pult. Ich fand die Idee großartig. Andere nicht so. Ob sie Erfolg hatte, weiß ich nicht.

So hat Christian Stachs damals neunjährige Tochter nach seiner Rückkehr die Ereignisse illustriert.
So hat Christian Stachs damals neunjährige Tochter nach seiner Rückkehr die Ereignisse illustriert.

In den letzten Jahren sind wir immer wieder nach Kinshasa / DR Kongo gefahren für workshops mit dem Orchestre Symphonique Kimbanguiste. Alle fanden das Projekt großartig. Völkerverbindend. Stärkung der Zivilgesellschaft.

Wir hatten uns in einer Villa der deutschen Botschaft am Kongoufer einquartiert. Der Botschafter war verreist und hatte uns seinen Geländewagen mit Fahrer überlassen. Morgens saß Ludwig mit dem Horn im Frühdunst am Ufer und spielte sich ein. Tagsüber unterrichteten wir im Zentrum der Kimbanguisten. Wenn es dämmerte, holten wir uns ein Bier von nebenan und warteten auf den Wagen, abends saßen wir auf der Terrasse am Kongo und redeten, was uns in der Tropennacht einfiel. An einem der letzten Tage wollten wir wieder zurück aus dem Gewühl in unsere Luxusunterkunft. Unsere kongolesische Dolmetscherin Maggy stieg ein, dann zwängten wir uns in den abendlichen Stau auf der Straße vor den Verkaufsständen.

Ein Mopedfahrer, ein Jüngling im kurzärmeligen Hemd und ohne Helm, drängelte sich top speed auf der rechten Seite zwischen Auto und Marktständen durch, schrammte an unseren Beifahrertüren entlang und stürzte schließlich über den rudimentären Kantstein. Unser driver hielt an, stieg aus, schrie ihn zusammen und verpaßte ihm eine: Der Wagen, den ihm sein Chef anvertraut hatte, war beschädigt.

Auflauf. Sensation. Großes Auto mit Weißen drin. Es bildeten sich augenblicklich zwei Lager. Die einen hatten die Sache ungefähr beobachtet und wußten, wer schuld war. Die anderen sahen einen Chauffeur für Weiße, der sich aufspielt und einen armen Jungen verprügelt. Maggy meinte: »Ich hol die Polizei, steigt nicht aus und haltet die Türen verriegelt.« Ludwig und ich also allein im Wagen, und so nach und nach merkten das auch die Leute draußen. Die Jungs vom zweiten Lager umringten uns. Ludwig hatte das Fenster etwas runtergedreht, weil es so heiß war. »Mach das Fenster zu«, sagte ich. Wie Reinhard Goebel zu sagen pflegt: Here comes trouble. Sie fingen an, perkussionsmäßig aufs Blech zu schlagen und schließlich den Wagen zu schaukeln. Wir fühlten uns unwohl und mußten uns was überlegen: selbstbewußt aussteigen oder so. Aber uns fiel nichts ein. Dann tauchte Maggy mit dem Fahrer und einem Polizisten auf. So schnell, wie die Menge entstanden war, löste sie sich auf. Alles ging den normalen Gang. Kurze Befragung durch die Polizei, merci und au revoir. Ich nehme an, Maggy wußte, wie viel man dafür anlegen muß.

Die universelle und völkerverbindende Sprache der Musik ist möglicherweise weniger universell, als wir gern denken, vor allem, wenn man nicht spielt. Selbst mit Hornkoffer auf dem Sitz.

Ein Platz in Kinshasa, nahe der Unfallstelle.
Ein Platz in Kinshasa, nahe der Unfallstelle.

Derya Yildirim

Sängerin, Bağlama-Spielerin

Fliegen mit Bağlama war so lange entspannt, wie ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Mir ist mal ein Hardcase bei einem Flug kaputt gegangen, als ich die Bağlama als Gepäckstück aufgegeben habe. Das Instrument war okay, aber seitdem habe ich die Bağlama immer mit in die Kabine genommen. Irgendwann durfte ich das dann plötzlich nicht mehr, obwohl sie oben in die Ablage passt. Einen zusätzlichen Sitz kann ich oft nicht buchen, weil meine Gagen dafür nicht hoch genug sind. Fast immer hatte ich Glück und konnte die Leute von der Fluggesellschaft überzeugen, dass ich mein Instrument doch mit in die Kabine nehmen kann – außer einmal. Da hat mir noch ein türkischer Mitarbeiter beim Special Luggage Check-in gesagt: »Ich weiß, wie das ist, eine Bağlama zu schätzen. Ich passe auf dein Instrument auf.« Aber ich bin dann nicht geflogen, weil man so ein Instrument eben nicht ersetzen kann.

Also fahre ich seit anderthalb Jahren nur noch mit dem Zug, in ganz Europa. Und schlafe dann nicht, weil ich auf die Bağlama aufpasse, auch wenn die Fahrten oft lange dauern. Es würde helfen, wenn alle ein bisschen mehr darauf achten, die Gepäckstücke von anderen nicht kaputt zu machen. Nur wenn der Sitz neben mir frei ist, hab ich genug Platz um zu Schlafen, mit der Bağlama neben mir.

Eine Pianistin meinte letztens zu mir, sie findet es so schön, dass man direkt als Musikerin erkennbar ist, wenn man mit einem Instrument reist. Man hat dann mehr Präsenz und die Leute gehen eher auf einen zu, fangen Gespräche an, selbst in der Corona-Zeit. Als ich zum Beispiel mal im Zug nach Lyon saß, ist irgendwann eine Frau eingestiegen und hat mich gefragt, ob sie im richtigen Zug ist. Dann hat sie erzählt, dass sie aus Burkina Faso kommt und dass es da auch ein ähnliches Saiteninstrument wie die Bağlama gibt. Und ich habe von einem Künstler erzählt, den ich aus Hamburg kenne, Patrick Kabré, der ganz viel Exchange mit Burkina Faso in Gang setzt. Die Frau meinte: »Patrick Kabré kenne ich natürlich.« Ein krasser Zufall.

9 Musiker:innen und ihre lustigsten, verrücktesten oder unangenehmsten Erlebnisse beim Reisen mit Instrument. In @vanmusik.

Ruth Velten

Saxophonistin

»Reisen beginnt im Kopf.« So fing einmal ein Projekttext von LUX:NM an, in dem es darum ging, dass Neugier und Forscherdrang uns antreiben, unbekanntes Terrain zu erkunden. Und das hat mich geprägt. Physisches Reisen begann bei mir immer mit zu viel Gepäck. Egal wohin es ging – nach Kanada, in die USA, nach Chile, Mexiko, Indonesien, den Iran, europaweite Flüge: immer waren mindestens drei Saxophone dabei. Statt zu reisen stapeln sich jetzt Bücherberge vor meiner Couch, die gelesen werden wollen. Als mir meine KfZ Versicherung schreibt: »Herzlichen Glückwunsch, Sie waren dieses Jahr unfallfrei unterwegs«, lache ich, denn dieses Jahr war ich fast nicht unterwegs. Ich genieße mein Zuhause mit ein klein wenig Fernweh. Ein Gutes hat es aber auch: Ich habe Kilometer gespart und den ökologischen Fußabdruck verbessert.

Ruth Velten, Zoé Cartier, Vitaliy Kyianytsia, Florian Juncker, Kamera: Silke Lange

Wenn meine Familie früher fragte: »Und wo bist Du gerade?«, wusste ich, dass mein Terminkalender ungewöhnlich voll war. Zeitweise hätte man mich aufgrund meiner vielen Ortswechsel und Reiserouten auch schwer orten können. 2018 vielleicht in Teheran, denn dort war ich ganze vier Wochen am Stück, im September – mitten im Trauermonat: mit in einem internationalen Künster:innenkollektiv, das sich dort in künstlerische Klausur begab, um eine gemeinsame Produktion zu entwickeln. Ich erinnere mich an unseren unterirdischen Probenort, die laut hupenden Taxis auf den Straßen, die Smogglocke über der ganzen Stadt, die einen kaum atmen ließ und die sich nur an zwei autofreien Tagen für kurze Zeit lichtete. Zum ersten Mal gab es frische Luft in den Straßen, die wir wir sonst nur oben auf den Bergen außerhalb der Stadt fanden.

Mir fehlen vor allem die Gerüche, Sprachen, Klänge und anderen Klimazonen. Zum Beispiel in Jakarta/Indonesien, wo ich an der Yayasan Musik Amadeus unterrichtete und dann über das Wochenende auf eine kleine Insel vor der Stadt zum Schnorcheln fuhr. Oder das Café Yas in Teheran, das ich mit meinen Kolleg:innen täglich frequentierte: die Kaffeevarianten mit Ingwer, Zimt, Kardamom sowie sämtliche Getränkesorten mit Rosenblättern und andere Kreationen.

Claudia van Hasselt, Ruth Velten, Silke Lange
Claudia van Hasselt, Ruth Velten, Silke Lange

Irgendwann habe ich auf Reisen angefangen, Fahrstuhlmusiken der Hotels aufzunehmen, in denen ich war. Wenn ich die Musik des Teheraner Hotels höre, fröstelt es mich in Erinnerung an die gut arbeitende Klimaanlage.

Wo andere Urlaub machten, arbeitete ich: z.B. auch in Mexiko, im Herbst zum Día de los muertos mit all seinen Farben, seiner Musik und den Traditionen. Mein buntes Sammelsurium an Erinnerungen lässt mich fröhlich an die Zeit zurückdenken und das Jetzt so nehmen, wie es eben gerade ist. Es geht immer weiter. Und deshalb gehe ich nun erst einmal Schneewandern. Schnee hat etwas Magisches. Da kommen mir die besten Ideen, was ich als nächstes machen werde. ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com