Kann man über das Außen sprechen? Welches Innen muss dafür kreiert werden? Oder lässt sich das gar nicht trennen? Kann ich als Subjekt über ein Gegenüber, ein Objekt, überhaupt reden? Der Begriff der Immersion, also das Eintauchen in Welten, die für sich erstmal dicht und geschlossen scheinen, erzählt gerne von der Unmöglichkeit einer solchen subjektorientierten Position. Die Münchener Biennale – ein Festival, das fast alle Performances an besonderen, immersiven Orten installiert – hatte sich in diesem Jahr das Thema »Privatsache« gesetzt; eine besonders konfliktreiche Konstellation: Denn wer Privatheit behauptet, nimmt immer auch so etwas wie die Öffentlichkeit, ein Außen, an. Das ist eine extrem biedere Annahme – gerade heute, wo jedem klar sein müsste, dass alle digitale Präsenz und Kommunikation gespeichert und ausgewertet wird.

Und wie man es vom Metier des Musiktheaters erwarten konnte, setzte die Mehrheit der diesjährigen Biennale-Produktionen auf eben diese Möglichkeit eines Innen und Außen. Vorneweg die vor der Bayerischen Staatsoper errichtete Tonhalle: ein kleines blaues Häuschen mit angemaltem Säulengang, quasi die große Oper ins Kleine kopiert.

Dort führte ein von einem Kulturwirt promotetes Streichquartett seine Werke vor einer kleinen Zuschauer*innengruppe auf – während eben dieser Kulturwirt in bester Volksstadltheatermanier die Störgeräusche von außen abwehrte, um drinnen weiter sein Projekt verkaufen zu können. Rührend wurde dieses Happening insbesondere in den Momenten, wo der Moderator sich und das Publikum ins Verhältnis zum großen Außen setzte, der Oper sowie dem applaudierenden und auf den Platz tretenden Publikum, dem man durch die dünnen Holzwände lauschte – immer in der Überzeugung, dass wir alle in dieser kleinen blauen Tonhalle es dort niemals hinschaffen werden. Das war so bieder, dass es schon wieder zuckersüß war.

Im Bathtub Memory Project sitze ich in einer Badewanne und erhalte einen Gesangsvortrag über Kindheitserinnerungen. Eintauchen tue ich nicht – so sehr die Sängerin über Augenkontakt auch versuchte, mich suggestiv in die Gebärmutter hineinzuziehen: »Erinnerst du dich?«  

Die in einer Privatwohnung stattgefundene Nachlassversteigerung begann hingegen ziemlich realistisch. Das Publikum wurde von einem Nachlassverwalter durch die Wohnräume geführt.

Die Besucher*innen versuchten, das Privatleben des Toten zu ergründen. Nach und nach performten im Publikum versteckte Musiker*innen kleine Musiken mit den zur Versteigerung freigegebenen Gegenständen. Wieso aber muss solch ein Happening in ein Konzert münden? Es ist ein überkommenes Klischee: Die Künstler*innen wollen ihre Kunst, ihr Handwerk, behaupten und zeigen, dass sie die Welt transformieren können. Immersive Praktiken? Das machen sie, weil es up to date ist. Alles in allem also ein schlechter Kompromiss.

Auf dem Starnberger See verkaufte in Königliche Membranwerke – Nomictic Solutions ein fiktives Unternehmen ein Stimm-Überwachungssystem an die Zuschauenden – ihre potentiellen Kunden. Die Geschichte verblieb aber auch hier im Reich der Suggestion. Immersion heißt auch, dass es nicht genügt, eine Fiktion einfach zu erzählen. Wenn man schon diesen immensen logistischen wie finanziellen Aufwand betreibt …

Sehr klar umrissen und in sich hochkonzentriert war demgegenüber zum Beispiel die Performance Interdictor, in der ein mit Drähten und Bewegungssensoren verschalteter Performer in einem Solarzelt allerlei »Vorbereitungen« mit akustischen Auswirkungen trifft, um schließlich nach einer Stunde im Raumanzug den Schritt aus seinem Raumschiff heraus in die gefahrenvolle Außenwelt, in den Zuschauerraum, zu wagen.

So gewitzt und klar hier »Privatheit« konterkariert wurde, bestätigte sich zumeist jedoch die Biederkeit, mit der Kunst auf der diesjährigen Biennale betrieben wurde. Die Annahme eines Außen führt zu verstockten Antworten à la »Ich, die Kunst, erzähle etwas über die Welt.« Diese Phrase ist derzeit tatsächlich der diskursive Anspruch neuer Musik und Musiktheater. Zu lange sei sie »immersiv« geblieben, habe sie sich um sich selbst gekümmert. Die Lösung ist aber nicht einfach ein Außen zu eröffnen. Zu sehr ist man dann als Künstler*in damit beschäftigt, nicht in gefährliches Terrain oder falsche Fußstapfen zu treten. Es sollte nun auch für das Musiktheater gelten: Hin zur Immersion! Und es ist auch möglich. Interessanterweise waren die konsequenteren Projekte allesamt von den schon eher etablierteren Komponist*innen entworfen worden. Ob das darin liegt, dass sie sich als »Autoritäten« dem Plattform-Modus der Biennale, also einem wilden Zusammenkuratieren von Personen, die dann etwas zusammen entwickeln, widersetzen konnten?

Es gibt kein Außen! Kein Außen!Alles ist innen … und privat!

…ruft es aus den Höhlen von Trond Reinholdtsens ins Maßlose übertriebenem Norwegian Opra Haus auf der Münchner Biennale für neues Musiktheater. Fünf Figuren in schrillen Kostümen tanzen sich einen Wolf und singen von der Oper: »Alles ist immanent und zentripetal!« Oper reflektiert hier sich und die vorherrschenden Kunstdiskurse, die sagen: Oper soll sich mit der Welt, der Politik, den Geschichten unserer Zeit beschäftigen. Sind aber nicht die Kunstdiskurse selber das vielleicht eigentliche Außen der Kunst? Davon wissen Reinholdtsens Figuren und verarbeiten diese diskursiven Ansprüche auf albernste, das heißt beste Weise. Sie behaupten, es gebe nichts außerhalb ihrer Kunst-Welt, die sie da aus Pappmachée, Kartons, Bauschaum, Stoffbahnen und gefundenem Schrott zusammengekleistert haben.

Vergleichbar abgeklärt war auch die Installation Skull ark – upturned with no mast von Clara Iannotta, die über 50 Minuten eine eigene dichte und elektronische Welt innerhalb eines installativen Gestrüpps aus Metallstangen und Seilen entwerfen konnte.

Oder das Chorstück Alles klappt von Ondřej Adámek, das die alten Kriegsbriefe von Adámeks Großvater in eine kleine sinnlich-metaphorische Welt übersetzte – ganz im Sinne der neuen Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin: eine Welt ohne Außen! Das Schlagwort heißt: Immersion. Die Frage nach wirklich immersiven Praktiken in der Kunst, ihren künstlerischen Folgen und was für eine Rolle Musik darin einnehmen kann, sollte sich auch ein Festival wie die Münchner Biennale stellen! ¶