Die Sopranistin Maria Bengtsson im Interview
Ich treffe die Sopranistin Maria Bengtsson Anfang April, kurz vor der Wiederaufnahme von Benjamin Brittens The Turn of the Screw in einer Inszenierung von Claus Guth an der Staatsoper Berlin mit Aufführungen noch am 20. und 22 April. Bengtsson stammt aus Malmö, Schweden, hat in Freiburg studiert und ist dann Anfang der 2000er nach Berlin gezogen, wo sie Teil des Ensembles der Komischen Oper wurde (viel Zeit zum Feiern blieb ihr während der legendären Berlin-Renaissance nicht). Ich habe gerade erst eine Aufnahme von The Turn of the Screw gehört und möchte mit Bengtsson über ihre ambivalente Rolle als die Governess sprechen.

VAN: In dieser Inszenierung von The Turn of the Screw bist du durchgehend auf der Bühne. Wie schaffst du es, während der ganzen Vorstellung im Charakter zu bleiben?
Maria Bengtsson: Das ist eine Sache der Konzentration. Wenn eine Szene vorbei ist, gehe ich schon mal die nächste im Kopf durch, ob sie technisch schwierige Stellen oder praktische Herausforderungen auf der Bühne hat. Bei The Turn of the Screw muss ich zum Beispiel viele Kerzen mit den Händen ausmachen, während ich schwierige Stellen singe.
Viele Sänger_innen finden es doof, wenn sie zu viel Außermusikalisches zu tun haben.
Ich liebe die Herausforderung: je schwieriger, desto besser. Das darf ich jetzt nicht so laut sagen (lacht), aber es hilft auch den Charakter zu finden, wenn man viele verschiedene Seiten einer Rolle ausbreiten muss.
Reicht dir die Musik nicht?
Natürlich kann man Opern konzertant machen und sich trotzdem viele Sachen vorstellen. Aber ich bin Schauspielerin und Sängerin, würde ich mal behaupten, und liebe es, mich auf der Bühne zu bewegen. Ich finde, es ist manchmal sogar gut für meinen Gesang.

Wie ist dein Zugang zur Governess?
Ich habe bisher erst in dieser einen Inszenierung von Claus Guth gesungen, und hier ist die Governess wirklich wahnsinnig. Claus wollte, dass sie aus einer sehr religiösen Familie stammt, mit unterdrückten Gefühlen und unterdrückter Sexualität.
Wie würdest du die Rolle der Governess inszenieren, wenn du eine Regisseurin wärest?
Sie ist eine sehr labile, psychisch unsichere Person, die sich schnell beeinflussen lässt.
Für mich ist sie eher eine Frau, die in das falsche System gesteckt wird.
Ja, aber sie muss schon auch ein bisschen labil sein, um das Ganze anzunehmen, sonst hätte sie sich vielleicht herauskämpfen können. ›I shall do nothing. I shall say nothing‹, sagt sie ziemlich am Anfang. Sie ist in diesem Haus – in dieser Gesellschaft – wie klaustrophobisch eingeschlossen.
The Turn of the Screw spielt mit kleinen Gesten und Andeutungen. Im Film haben die Schauspieler_innen die Kamera vor sich und können auch ›klein‹ spielen. In der Oper geht das nicht.
Wir haben diese Distanz und diese Dunkelheit, wir müssen größer spielen. Oder genauer: Intensiver. Und müssen uns wiederholen. Wenn man im Film einmal die Haare zurechtrückt, macht man das in der Oper noch ein oder zwei Mal.
Du sollst eine ›labile‹ Frau spielen. Wie machst du das, ohne dass es beleidigend oder unsensibel wirken könnte?
Wir spielen ihre Fantasien eher als Fieberträume. Das kenne ich aus meiner Kindheit: Man schläft und hat die Augen trotzdem weit offen. Oder wie mein Kind einmal zu mir sagte: Nimm es weg, Mama. Aber ich bin hier, sagte ich. Ja, ich weiß, Mama, aber ich sehe die roten Augen. Wir spielen es eher wie solche Wachträume. Und alles endet sowieso fürchterlich, in dieser Inszenierung bringt die Governess Miles um.
Wie ist es, das zu spielen?
Schwierig. Wenn man Mutter ist und ein Kind umbringen muss, das ist so weit entfernt von einem – überhaupt jemand umzubringen, aber dann noch ein Kind. Und es ist auch musikalisch eine schwierig Stelle.
Lenkt dich das vielleicht vom Emotionalen ab?
Ja, sicherlich. Das hilft.
Du hast 2012 Anna Netrebko bei einer Produktion an der Staatsoper ersetzt. War das wirklich der große Durchbruch für dich, wie oft zu lesen war?
Nein, das kann ich nicht sagen. Das stand so in der Zeitung, aber ich habe so viel davor gemacht: Die Entführung aus dem Serail zum Beispiel (in einer ›knallharten‹ Inszenierung von Calixto Bieito – d. Red.). Meine Karriere hat schon damit angefangen.
Was schätzt du besonders an Dirigent_innen?
Klarheit und Exaktheit. Es gibt schwierige Inszenierungen, wo man vielleicht nicht immer hört, wo das Orchester ist, und da muss man den Einsatz wirklich mitbekommen. Ich schätze auch Dirigent_innen, die bei langen Phrasen mitatmen. Daniel Cohen, der The Turn of the Screw dirigiert, ist dafür ein sehr gutes Beispiel.

Was stört dich an Dirigent_innen?
Es gibt Dirigent_innen, bei denen man das Gefühl hat, sie schauen sich selbst beim Dirigieren zu, damit es schön aussieht. Das bringt uns auf der Bühne nichts.
Du bist vor allem für deine Mozart-Rollen bekannt. Kann man selbst beeinflussen, wie vielfältig die Rollenangebote sind? Oder musst du Donna Anna erst zehnmal hintereinander singen – auch wenn du keine Lust hast?
Ich habe auf jeden Fall noch Lust auf Donna Anna. Ich habe ja fast zehn Jahre lang nur Mozart gesungen. Ich bin dafür auch dankbar, weil Mozart die Stimme pflegt – wie Medizin. Die schwierigen Stellen aus Mozart baue ich immer noch jeden Tag beim Üben ein. Das gehört zu meinem täglichen Gesangs-Ritual.
Gibt es Momente in Mozarts Opern, die du jetzt noch besonders schätzt?
Ich freue mich meistens auf die ruhigen Momente: Das Orchester ist leise, es wird ganz still, und ich kann pianississimo singen. Zum Beispiel »Per Pietà« aus Così fan tutte oder »Dove sono« aus Die Hochzeit des Figaro. Das sind Glücksmomente für mich, weil ich das Gefühl habe, ich hole das Publikum mit dem pianississimo auf die Bühne zu mir. Meistens muss ich ja zu ihnen senden. Ich genieße sogar die Pausen von einer Phrase … zur nächsten.
Bekommst du mit, wenn in solchen leisen Momenten jemand hustet?
Ja. Manchmal habe ich das Gefühl, dieses Husten wird richtig zelebriert. Einmal ist es mir passiert in der Komischen Oper bei »Per Pietà«, dass ich draußen eine Feuerwehr gehört habe. Drinnen war alles still und…NEE, NÄÄ, NEE, NÄÄ. Das hat dann gestört (lacht).
Wie lang übst du, wenn du keine Proben hast?
Drei Stunden vielleicht, aber ich singe nicht die ganze Zeit. Ich lerne neues Repertoire, die Noten und die verschiedenen Sprachen müssen ja auch in den Kopf rein. Meine Kinder kommen um 13 Uhr nach Hause, deshalb muss ich die Zeit von 10 bis 13 Uhr unbedingt nutzen.
Hast du schon Lieder gesungen, die für Mann oder Frau funktionieren, wie die Winterreise?
Nein, aber ich habe vielleicht Lust. Wenn ich allerdings als schwedische Sängerin Recitals in Deutschland plane, werde ich oft gebeten, skandinavisches Repertoire zu singen. Grieg, Sibelius und Ture Rangström werde ich zum Beispiel als nächstes machen.
Kann diese Erwartung nicht manchmal frustrierend sein?
Nein, ich liebe das Repertoire und es kommt nicht oft vor, dass ich in meiner eigenen Sprache singen kann. Es gibt Opern mit schwedischem Libretto, aber die werden wenn überhaupt dann nur in Schweden aufgeführt.
Hast du je eine Oper auf Schwedisch gesungen?
Nee, noch nie. ¶