Auch schon vor fünfzig Jahren nahmen die Festlichkeiten zu Ludwig van Beethovens rundem Geburtstag mitunter groteske Züge an. Einer, der diese Entwicklungen gleichermaßen kritisch wie künstlerisch reflektiert aufs Korn nahm, war Mauricio Kagel. Für seinen Film Ludwig van ließ er Räume eines imaginären Beethoven-Hauses von befreundeten Künstlern zu skurrilen Kulissen ausstatten, darunter Joseph Beuys, der im Film auch selbst auftritt, und Dieter Roth, der eine Hotel-Suite zur Toilette des Komponisten umfunktionierte, mit unzähligen Beethoven-Büsten aus Schmalz, die sich zum Schokoladieren in der Badewanne befanden. 2020 schwillt der Jubelchor auf Beethoven erneut auf exorbitante, mitunter irritierende Ausmaße an. Der Komponist Marcus Schmickler nimmt das zum Anlass, um ausgehend von Mauricio Kagels Lesart unser aller Beethoven-Bilder einer aktualisierten Re-Lektüre zu unterziehen, und zwar im Rahmen der Veranstaltung »Ludwig van, Kraftwerk. Eine Kritische Diskothek. Experimentelle Lecture zu Kagels Sicht auf die Beethoven-Rezeption um 1970« am 15. März in der Akademie der Künste in Berlin. Im Interview verrät er, was sich hinter diesem Format verbirgt und was Beethoven, Kagel und Kraftwerk miteinander zu tun haben – zumindest teilweise, denn wer das genau wissen will, wird sich seinen experimentellen Zugang schon selbst ansehen müssen.

VAN: Es gibt von Mauricio Kagel ja den Film Ludwig van, ein gleichnamiges Musikstück und auch eine prominente Einspielung davon bei der Deutschen Grammophon. Worum geht es in Ihrer Lecture?

Marcus Schmickler: Es geht in erster Linie um den Film. Einmal als Objekt an sich, mich interessieren aber auch Kagels Mitstreiter bei dem Film und insgesamt die Beethoven-Rezeption von 1970. Zugleich ist meine Beschäftigung damit die Basis für ein imaginäres neues Projekt.

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Beethoven-Rezeption 1970 – wie sah die denn aus?

Das liegt natürlich auf der Hand, wenn man den Film kennt. Wenn man ihn nicht kennt: Kagel wendet in dem Film einen besonderen Trick an, indem er Beethoven sich selbst besuchen lässt, 200 Jahre später, und zwar mit der Kamera. Beethoven läuft in sein Geburtshaus, kommt an Plattenläden vorbei usw., und ist überrascht, was er da vorfindet.

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Und die zweite wichtige Stelle im Film, bei der es direkt um Rezeption geht, ist der fingierte internationale Frühschoppen als Diskussionsrunde im Fernsehen mit bekannten Musikjournalisten, die sich darüber unterhalten, ob Beethovens Musik missbraucht wird. Heinz-Klaus Metzger etwa kommt da zu dem Schluss, dass Beethovens Musik auf jeden Fall missbraucht wird, denn man versucht, den radikalen Anteilen in dessen Werken den Stachel zu ziehen, um diese Musik schön und bekömmlich zu machen. Das hat mit einer präzisen Analyse der Kompositionen aber wenig zu tun.

Metzger spricht von der ›universalen Komestibilität dieser Musik‹ in der Aufführungspraxis um 1970. Ich musste erstmal nachschauen, was das heißt: ›Essbarkeit‹. Damit sei das Ende Beethovens gekommen – und jemand wie Herbert von Karajan steht dann für Metzger sinnblich für diese Form von Missbrauch. Vermutlich hat Metzgers Invektive auch mit der um 1970 endgültig manifesten Allverfügbarkeit des Repertoires durch Langspielplatten zu tun (und zwar in den meisten Haushalten solche, die von Herbert von Karajan eingespielt worden waren!). Das bringt mich zu der Frage: Wir haben jetzt – 50 Jahre später – wieder ein Beethoven-Jubiläum, hat sich seitdem die Situation verändert oder einfach nur potenziert?

Das hat für mich zwei Seiten. Einerseits habe ich die letzten 50 Jahre persönlich miterlebt. Ich bin 1968 geboren, der Film wurde 1969 gedreht. Teilweise erkenne ich daher meine eigene Kindheit in diesem Film. Und andererseits hat sich natürlich schon vieles geändert. Ich kann und möchte da jetzt zwar keine genaue Diagnose geben, aber erstmal hat sich einiges seit damals durchaus potenziert. Wenn man sich etwa die Veranstaltungen des Beethoven-Jahres 2020 anschaut, dass da etwa die Fantastischen Vier auftauchen, oder dass spektakuläre Klimbim-Sachen und Souvenirs dazu verkauft werden, dann wird deutlich, dass das mehr mit Tourismus zu tun hat als mit Beethoven. Mir scheint aber auch, dass sich die Debatte um bestimmte künstlerische Positionen mit Blick auf Beethoven sehr diversifiziert hat und nicht mehr so zugespitzte Einzelpositionen vertreten und klare Feindbilder benannt werden, wie damals zum Beispiel im Fall von Heinz-Klaus Metzger und Karajan.

Und wieso ist Kraftwerk in der Veranstaltung mit im Boot? Wie wird der Bezug hergestellt?

Das möchte ich jetzt eigentlich im Detail noch nicht verraten, es gibt aber einen sehr spannenden historischen Bezug zwischen Kraftwerk und Mauricio Kagel. Worin der besteht, werde ich dann in der Veranstaltung auflösen.

Kraftwerk wird im Rahmen von BTHVN 2020 auch auftreten.

Ja, vor 20.000 Leuten in Bonn. Bei Kraftwerk ist sehr interessant, wie sie mit ihrem eigenen Erbe umgehen. Schon lange veröffentlicht Kraftwerk ja keine neuen Stücke mehr, sondern eigentlich immer nur noch Remakes. Die Band gibt es jetzt seit fünfzig Jahren (auch ein rundes Jubiläum dieses Jahr), und seit etwa 25 Jahren haben sie nichts wirklich Neues mehr herausgebracht. Wenn man das durch Brille der Postmoderne sieht, über die wir vorhin gesprochen haben, diese Diversifizierung, das Wegfallen des Zuspitzens einzelner Positionen, dann ist eine solche Haltung, das Beharren auf einer einzigen Position, auf sieben Alben, natürlich ein gutes Moment dagegen. Darauf zu bestehen, dass es eben doch sehr wichtige und nicht wiederholbare Ereignisse gibt, wie sie sie mit diesen Platten geschaffen haben.

Was bedeutet denn der Veranstaltungsuntertitel ›Kritische Diskothek‹? Bezieht sich das auf Tonträger, oder etwa aufs Tanzen?

Das bezieht sich tatsächlich auf Tonträger und hat einerseits wieder mit dem konkreten historischen Bezug zwischen Kagel und Kraftwerk zu tun, den ich dann in meiner Lecture erkläre. Es geht aber auch allgemein um künstlerische Positionen, mit denen sich unter anderem Kagel sehr beschäftigt hat: dass man wegkommt von Aufführungsformaten und sich nur noch auf editierbare Medien konzentriert. Wo man Revisionen anlegen kann und sagen kann: Das war’s jetzt noch nicht. Ich mache jetzt noch einen Take und noch einen und noch einen… Wo man versucht, ein Werk zu vervollkommnen und zu einer Art Referenz werden zu lassen, eine Perfektion, die man in Echtzeit überhaupt nicht erzeugen kann.

Und worin besteht das Experimentelle, hat das etwas mit dem imaginären neuen Projekt zu tun? Oder ist das auch eine Spoiler-Frage?

Ja, genau. Wer das erfahren will, der muss schon kommen am 15. März. ¶