Elisabeth von Herzogenberg erblickte am 13. April 1847 als drittes Kind einer Diplomatenfamilie – ihr Vater war der Hannoversche Gesandte Bodo von Stockhausen – in Paris das Licht der Welt. Lange bevor sie allerdings von der französischen Metropole künstlerisch hätte im Sinne wirklicher Erfahrungen profitieren können, zogen die Eltern mit der fünfjährigen Elisabeth nach Wien. Dort erhielt sie höchstqualifizierten und prominenten Klavierunterricht bei dem einflussreichen und anerkannten Pianisten Julius Epstein, der sie – wie damals häufig und üblich – auch kompetent in Musiktheorie schulte. (Vielleicht gibt es heute gefühlt viel weniger Komponist*innen als damals, weil die frühe musiktheoretische Vermittlung von kompositionsästhetischen- und analytischen Inhalten durch entsprechende Klavier- und Musiktheorie-Lehrer*innen in Personalunion fehlt.) Zudem erhielt Elisabeth Gesangsstunden, aus denen sie als wohl äußerst stimmkompetente und begabte Sängerin hervorging.

Mit 21 Jahren heiratete Elisabeth den Komponisten Heinrich von Herzogenberg (1843–1900) und zog mit ihm nach Graz, wo das Künstler*innen-Paar die Basis für ein weitreichendes Musiker*innen-Netzwerk aufbaute: Heinrich und Elisabeth engagierten sich im Grazer Singverein und im Musikverein für die Steiermark.

1872 folgte als nächste Station die Musikstadt Leipzig, wo Elisabeth ihre Liebe zu Bach als Pianistin ausleben konnte und zusammen unter anderem mit Philipp Spitta den Leipziger Bachverein gründete. Graz war im Vergleich zu Leipzig Provinz – und so resultierten die netzwerkerischen Bestrebungen des Teams Herzogenberg in unweit prominenteren Freundschaften, beispielsweise zu Clara Schumann und Johannes Brahms, der anlässlich seiner Leipzig-Aufenthalte stets bei den von Herzogenbergs residierte. Angeblich musste sich Elisabeth – die sich als Komponistin nie wirklich frei, entfesselt entfalten konnte – Brahms unterordnen und durfte womöglich den Namen der lesbischen Kompositionsrebellin Ethel Smyth (1858–1944) in seiner Gegenwart nicht einmal erwähnen; Smyth wurde dennoch von Elisabeth unterstützt. Überhaupt entwickelte sie sich zu einer bedeutenden Musikmäzenin ihrer Zeit und gewann durch Vermittlung, Salons und Förderungen immensen Einfluss und Ansehen. Gegenüber Smyth jedoch gab sie einmal zu Protokoll, dass sie es zutiefst bedauere, ihre eigene Musikerinnenlaufbahn nicht recht habe ausbauen können. Aus einer hier bereits mehrfach erwähnten Seite der Hochschule für Musik und Theater Hamburg ist detaillierter nach- und herauszulesen, welche Differenzierung es aktuell bräuchte, um der ewigen Genieästhetik des 19. Jahrhunderts – unter deren Verdikt Elisabeth von Herzogenberg eben als selbst erklärte »Dilettantin« nicht vollends fällt – eine noch unausgereifte musikhistorische Perspektive der Anerkennung von »Musikorganisator*innen« entgegenzusetzen.

1885 nahm Elisabeths Gatte eine Kompositionsprofessur in Berlin an; auch dahin folgte sie ihm, hatte bald aber zunehmend mit einer seit Jugendzeiten bestehenden Herzerkrankung zu kämpfen. Zwei Jahre nach der Übersiedlung nach Berlin musste sie sich zusätzlich um ihren von arthritischen Erkrankungen gezeichneten Ehemann kümmern, der sie aber schließlich doch um acht Jahre überleben sollte.

Am 7. Januar 1892 verstarb Elisabeth von Herzogenberg mit 44 Jahren im italienischen Kurort Sanremo. Die als gesund angepriesene Luft dort hatte keine Heilung mehr bringen können.

Elisabeth von Herzogenberg (1847–1892)Acht Klavierstücke, Nr. 6: Andante (1892)

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Viele Kompositionen von Elisabeth von Herzogenberg sind nicht überliefert. Erhalten blieben einige Lieder und Klavierwerke. In ihrem Todesjahr 1892 wurden die Acht Klavierstücke veröffentlicht. Das sechste dieser Stücke (Andante) steht in fis-Moll, einer klaren, kühlen wie leidenschaftlich-waldumwobenen »Klaviertonart«, die zu Zeiten des klavierspielenden Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und des komponierenden Pianisten Ignaz Moscheles äußerst beliebt war. Von Herzogenberg kommt hier – dabei klug in der musikgeschichtsreferentiellen Wahl von fis-Moll – also etwas »spät« mit der derartig lyrischen Verwendung dieser Tonart.

Auf berührende Art und Weise fließt Elisabeths Bach-Liebe in Form der eingestreuten Triller rechts wie links – Kanon-Polyphonie-Eindrücke generierend – mit in dieses hochromantische Kleinod ein. An Roberts Schumanns Geister Florestan und Eusebius erinnern kleine Dynamik-Überraschungen und der Schwenk zum stimmungskontrastierenden Vivace-Mittelteil. Überhaupt sprießen die Melodielinien in ihrer akkordischen Untermauerung auf eine fast unformulierbare Schumann-Weise nach oben und unten; immer mit dabei ist ein gewisser »Legenden-Ton«, ein Erzählen, eine stille, etwas eingedunkelte Märchenhaftigkeit. Der erwähnte Mittelteil in der Paralleltonart A-Dur bringt kunstvoll tänzerische Elemente und eine getupfte Verschlankung des Satzes. An Freund Brahms gemahnt wiederum das Spiel mit Rudimenten am Ende des Intermezzos, das – wie bei dem besagten Hausgast – als inszeniertes Zerfallen mit dem Ziel der Wiederaufnahme von etwas gefällt.

Von Herzogenbergs kurzes Stück erscheint auf den ersten Blick von nur allzu offenbaren Einflüssen geprägt zu sein. Ihre überlegene Souveränität, gelehrt, poetisch und nie aufsässig »schön« für das Klavier zu komponieren, zeigt allerdings durchaus mehr als nur »Ansätze« einer individuellen Schreibart, von der – wäre die Komponistin, Mäzenin, Organisatorin, Pianistin und mitreisende Ehefrau älter geworden – Einiges zu erwarten gewesen wäre. ¶

Arno Lücker

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.