… 24 Stunden nach dem niedergeschrienen Piano Phase

Text · Titelfoto © Bernhard Musik / DG · Datum 2.3.2016

Wollen Sie nochmal die Atmosphäre vor dem Reich-Stück beschreiben?

Also es war keine gute Atmosphäre. Schon bei den langsamen Sätzen bei Bach (Link zum Konzertprogramm bei der Kölner Philharmonie) war klar zu erkennen, dass die Leute nichts wollen, was langsam ist, sie waren irgendwie gelangweilt, haben herumgezappelt. Und ich spürte eine Feindseligkeit von Seiten der älteren Besucher; um ehrlich zu sein, vor allem von Seiten der älteren Männer, nicht der Frauen. Ich denke, ich kann ein Publikum ziemlich gut lesen und konnte gut in die Gesichter schauen. Bei Frith habe ich dann nicht mitgespielt. Und Górecki, dessen Musik danach kam, ist auf eine Art aufregend, da kommt keine Langeweile auf. Insgesamt schien es mir ein Publikum zu sein, in dem große Teile an der Musik nicht sehr interessiert waren.

Was meinten ihre Mitmusiker/innen von Concerto Köln, wie haben die diese Feindseligkeit interpretiert?

Viele meinen, dass das am Sonntagnachmittag-Publikum lag, das auch anderswo in Deutschland etwas zerstreuter ist. Und das ist sicherlich der Fall. Mit so einem Publikum kann man auch die sichere Karte spielen. Aber das ist das eigentlich Seltsame: gerade das Reich-Stück – ich war sicher, das kommt an. Und nach dem Konzert sagten auch Viele, sie wären speziell für Reich gekommen, aus Stuttgart, aus Hamburg, aus Dortmund, sie wollten Reich hören.

Also hat man sich doch an Ihrer englischen Ankündigung gestört?

Ich spreche ja deutsch. Auch oft zum Publikum. Aber diese technischen Besonderheiten des Stücks wollte ich nicht in deutsch darlegen. Das sagte ich dem Publikum auch, es schien ok. Doch in dem Moment, in dem ich Steve Reichs Nachnamen englisch, also (ähnlich wie ›Reish‹, d. Red.) aussprach, da sagte jemand, ›Speak German‹. Und jetzt gibt es unter diesem Post von Norman Lebrecht diese ganzen Kommentare, wo es heißt, er soll halt deutsch lernen. Meine Loyalität zur deutschen Kultur steht nicht in Frage, ich liebe sie, ich wäre fast hierher gezogen. Und ich liebe Köln, da haben ein paar meiner besten Konzerte stattgefunden.

Trotzdem eine nationalistische Anwandlung im deutschen Klassikpublikum?

Nein, eher nicht. Das klassische Publikum ist nicht so. Ehrlich gesagt, bei Cembalo-Musik schon ein bisschen. Also ich spreche von Leuten, die nur Cembalo und frühe Musik hören, in Frankreich und Italien sind die schon manchmal im rechten Spektrum. Das ist historisch. Keine Ahnung, weißt du, jede Woche gibt es unter irgendeinem Artikel oder Video mit mir einen rassistischen Kommentar. Aber das war es gestern eher nicht, ich würde eher auf ein paar alte Männer tippen, deren Testosteron sich bedroht gefühlt hat und die das dann noch mit ein paar anderen Dingen, die sie vielleicht störten, zum Ausdruck gebracht haben. Aber dann waren es wiederum auch weiße ältere Männer, die sich am Ende das Mikrofon schnappten, wissen Sie …

Sie haben sich kurz nach dem Konzert auf Facebook eher euphorisch über die gewaltigen Reaktionen geäußert, die man mit dem scheinbar braven Instrument auslösen kann.

Ja, es war streckenweise auch ziemlich spaßig, diese Unterstützung. Aber um ehrlich zu sein, bin ich heute ein bisschen verärgert, fühle, dass das erst einmal auch eine gewaltsame Übertretung war. ¶

Aufruhr im Wohnzimmer gefällig? Time Present and Time Past (Werke für Cembalo, eingespielt von Mahan Esfahani und Concerto Köln) ist bei der Deutschen Grammophon erschienen. Mit Musik von Alessandro Scarlatti, Henryk Górecki, Steve Reich, Johann Sebastian Bach.