Ein Interview mit Thomas Hampson
Der Bariton über seine eigene Stimme auf Band, die Verwundbarkeit des Lieds und die Opernrolle zu Hause.
VAN: Wenn wir unsere Stimme vom Tonband hören, klingt sie so anders für uns als beim Sprechen. Klingt Ihre Singstimme für Sie auf Aufnahmen anders als live?
Thomas Hampson: Das ist eine wunderbare Frage, ich glaube, die hat mir noch nie jemand gestellt. Bei Sängern ist es allerdings auch Tatsache, beziehungsweise Fluch, dass wir uns selbst nicht hören können. Als Sänger ist man zu einem Großteil von den eigenen Empfindungen geleitet. Natürlich hören wir Dinge in unserem Kopf, aber ich singe eher mit Radar als mit Sonar. So unterrichte ich das auch, denn das ist die einzige Möglichkeit, sich gegen unschöne Akustik zu schützen. Dazu muss man wissen, dass die Stimme vibriert und funktioniert, ob man jetzt akustisches Feedback hat oder nicht. Wenn man dann anfängt, die eigene Stimme aufzuzeichnen, wollen sich die meisten erst einmal übergeben. Ich selbst hatte immer ein ambivalentes Verhältnis zu meinen Aufnahmen; ich höre sie mir nicht an.
Was hört sich an Ihrer aufgenommenen Stimme genau anders an?
Meine Singstimme ist vermutlich ein bisschen trockener, als sie mir selbst vorkommt – darüber bin ich immer ziemlich erstaunt. Beim Aufnehmen versuche ich stets, meine Stimme reicher und voller zu machen. Aufnahmen, speziell Stimmaufnahmen, sind aber eine Wissenschaft für sich. Manchmal entspricht das Gehörte nicht unbedingt der Wahrheit. Ich denke, jeder findet seine Stimme vom Band irgendwie uninteressanter als er sie sich in Wirklichkeit vorstellt.
In der Oper South Pole spielen Sie einen Antarktisforscher. Wenn Sie Schauspieler wären, sagen wir Daniel Day-Lewis, dann hätten Sie sich vermutlich die letzten Monate alleine im Schnee aufgehalten, um sich auf die Amundsen-Rolle vorzubereiten.
Das hätte ich gerne gemacht. Wenn das Werk gedreht worden wäre, hätten wir uns wahrscheinlich den Arsch abgefroren. Aber Kunstformen sind Kunstformen. Meines Erachtens ist die Oper eine musikalische Kunstform. Es ist verblüffend, wie der Komponist Miroslav Srnka die Gefühle von Einsamkeit und Kälte in die Partitur hineingearbeitet hat. In der Vorbereitungsphase habe ich gelesen und einige Filme und Youtube geschaut. Ich habe das Gefühl, ich kenne diesen Mann jetzt. Aus dramaturgischen Gründen haben der Librettist Tom Holloway und Miroslav Srnka einen Akzent auf seinen Frauenkomplex gelegt. Viel reicht da tief in Amundsens Leben, womit ich mich oft ein bisschen unwohl gefühlt habe. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Recht und überhaupt genügend Informationen dafür hatten. Aber es ging am Ende darum, Amundsens Aufopferung darzustellen, seine Disziplin zum Erreichen der eigenen Ziele, bis hin zur kompletten Selbstaufgabe. Unter seinen Leichen im Keller waren viele unfertige Beziehungen. Vielleicht ist das nichts Besonderes – ich nehme an, das hat jeder.

Welches ist die emotional schutzlosere Erfahrung, die Oper oder das Lied?
Beim Lied ist es eher möglich, komplexe Überlegungen hörbar zu machen. In der Oper ist man ja immer Teil eines größeren Szenarios, einer größeren Geschichte. Und man kann sich in einem Kostüm verstecken, das ist natürlich angenehmer. Man nimmt eine völlig andere Rolle an und singt. Beim Lied bist du die Person, die die Ideen in der Sprache der Musik für Menschen hörbar macht, die darin ihr Leben und Existenz wahrnehmen können.
Ich setze das aber nicht mit mir gleich. Ich kommuniziere nicht, sondern bin Kommunikator. Auf der Bühne ist es meine Aufgabe, Menschen in meine Welt einzuladen, und um das zu tun, muss man einen heißen Geist und ein kaltes Herz bewahren. Niemand hört sich Tosca an und möchte die Arie nur halb hören, weil die Sängerin vor Emotionen weint – sie wollen am Ende der Arie selbst weinen. Irgendwo innen drin muss es deswegen einen kalten Kern geben.
Der Dirigent eines Blasorchesters, in dem ich in der High School gespielt habe, hat immer gesagt ›Heart on fire, brain on ice.‹
Bravo. Ich habe es anders herum gesagt, aber das passt für mich auch (lacht). Das klingt sehr nach Pascal. Bei ihm gibt es diesen Aphorismus, das denkende Herz. Das Wunder der Musik, vor allem der Vokalmusik, ist, dass sie ein emotionales wie intellektuelles Engagement erfordert. Ich denke, das ist der Grund, warum sie so kontrovers ist, so bedrohlich, daran hängt nämlich ganz schön viel.
Manchmal denke ich, diese Lied-Welt ist wahnsinnig direkt. Die emotionale Struktur – die ist nicht alltagstauglich. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sie vor allem aus dem 18. Jahrhundert stammt. Sondern vielleicht auch, dass man sie meist nicht über einen iPod hört wie Paul Simon! Beim Lied steht jemand auf der Bühne und trägt Dir ein Gedicht vor und die Reaktion ist oft: Oh, wie unangenehm.
In diesem Zusammenhang finde ich auch das Husten und Räuspern ein interessantes psychologisches Phänomen … ich habe Konzertaufnahmen von mir gehört, bei denen man sich fragt, ob gerade eine Tuberkulose-Epidemie ausgebrochen ist (lacht).
In der Uni hatte ich eine Klavierlehrerin, die der Meinung war, dass guter Unterricht, eine gute Stunde, einen erotischen Moment hat. Das Thema kam damals auf, weil ein Lehrer suspendiert wurde, der seine Hand zu direkt auf das Bein eines Studenten gelegt hatte. Haben Sie diese Form von Spannung jemals in Ihrer Zusammenarbeit mit Leonard Bernstein erlebt?
Ich habe nie richtig Stunden bei ihm genommen, wir haben gemeinsam geprobt. Lenny konnte sehr neckisch sein, und es gab sicherlich auch physischen Kontakt, aber ich habe mich nie angegriffen, ausgenutzt oder belästig gefühlt.
Ich hatte jetzt eher die Frage erwartet, wie ich jungen Sopranisten das Atmen beibringe, wie ich ihnen zeige, wie sie ihren Brustkorb und Rücken halten sollen, ohne sie an Stellen zu berühren, wo man sie nicht berühren sollte.
Das wäre meine nächste Frage gewesen.
Eine berechtigte Frage. Es ist unmöglich. Singen ist athletisch und physisch. Klar, wenn ich auf Reisen in öffentliche Masterklassen reinplatze und die armen Kinder da stehen, dann bin ich sehr vorsichtig.
(Ich versuche, mich möglichst unauffällig gerade hinzusetzen; d. Autor)
… eingezogener Bauch, und ein gutes Bewustsein für das, was sie singen möchte … wir brauchen unseren gesamten Körper.
Völlig unpassend wäre es, sich an eine dieser tollen, jungen, talentierte Personen, Junge oder Mädchen, heranzumachen, während sie singen, meinen Arm um sie zu legen, und zu sagen, Du machst das wirklich toll. Das gehört sich nicht.
Es gibt Leute, die gut mit physischem Kontakt umgehen können, andere geben dir zu verstehen, fass mich nicht an, und das merke ich sofort. Wichtig ist nur, dass die Leute verstehen, dass Singen etwas Physisches ist, das kann man nicht leugnen. Ich muss den diskretesten Weg finden, das klar zu machen und zu zeigen.

Thomas Mann sagt, ›Die Berufung, andere zu Unterrichten, rührt nicht von einer inneren Harmonie her, sondern von inneren Differenzen, Zwietracht und Schwierigkeiten – von der Schwierigkeit, sich selbst zu erfahren.‹ (eigene Übersetzung d. Red.) Was ist Ihr Ansatz beim Lehren?
Ich würde es andersherum sehen. Lehren ist, vor allem für jemanden wie mich, der selber noch viel singt – und ich unterrichte schon seit 20 Jahren – wahnsinnig aufschlussreich. Sobald wir uns ein fokussiertes Vokabular erarbeitet haben, ermutige ich meine jungen Kollegen, sich gegenseitig zuzuhören und Wege zu finden, miteinander ins Gespräch zu kommen. Nach drei, vier Tagen unterrichten, singe ich immer besser.
Denn dabei geht es nicht darum, Weisheiten nach unten weiterzugeben. Jeder Künstler ist unvollständig. Was ich an dem Zitat deshalb richtig finde, ist, dass es sich um einen Prozess handelt, dass man gemeinsam sucht. Ich suche schon länger, als die, mit denen ich arbeite. Sie wollen in dieser Profession ihr Leben leben. Ich zeige ihnen, was ich gelernt habe, was ich weiß, auf was ich vertraue, was ich tun muss, um zu beweisen, dass ich nicht total verrückt bin. Hier sind die Geräte dafür. Irgendwie stimmt es wohl, dass Lehren bedeutet, Leuten beizubringen, sich selbst zu erziehen.
Vor allem in der Welt der Sänger, in der es so viel Lehrer- und Coach-Hopping gibt. Wer hat da den magischen Schlüssel? Eigentlich sind es Schweiß, Plackerei, Tränen und fortwährende Unzufriedenheit (lacht). Als Künstler blühe ich auf bei Zurückweisung.
Den Satz ›jeder Künstler ist unvollständig‹ finde ich spannend, was meinen Sie damit?
Nun ja, jeder Mensch ist unvollständig. Aber ist es nicht genau das, worum es im Leben geht? Karajan hat mal gesagt, ›Wenn du das Gefühl hast, du erreichst deine Ziele, dann hast du sie zu niedrig angesetzt.‹ Der Gedanke gefällt mir.
Joseph Campbell, ein großer Philosoph, spricht von der Macht des Mythos, von Heldengeschichten. Er hat die Mythologie als die Maske des Menschen ausgemacht. In anderen Worten, das Wesen des Menschen manifestiert sich in unterschiedlichen Kulturen auf immer andere Weise, es hat verschiedene Glaubens- und Ordnungssysteme, aber es gibt auch immer diesen Kern. Ob man sich für das Katholische oder das Protestantische entscheidet macht vielleicht das Leben besser, aber letztlich geht es doch um etwas ganz anderes. Von Campbell gibt es dieses konzise Statement: Es geht nicht so sehr darum, den Sinn des Lebens herauszufinden, sondern vielmehr, den Sinn im Leben.
Wenn es jemals ein Zitat gab, dass Gustav Mahler am Herzen lag, so war es wohl das. Es gibt so viele Überlegungen zu Mahlers Obsession mit dem Tod. Ich würde sagen, es ging ihm dabei um das Eintreten, nicht ums Sterben. Es ging ihm ums Leben, Warum, was ist das? Und um den Sinn im Leben – diese Herangehensweie entspricht mir sehr.
Haben Sie jemals eine Opernrolle mit nach Hause ins Privatleben genommen?
Ja und nein. Es gibt diese Rollen, und es gab auch schon Nächte, in denen es schwerer ist, davon wegzukommen und sich schlafen zu legen. Ich habe das immer über Don Giovanni gesagt. Danach ist man an ziemlich unangenehmen psychologischen Orten und braucht ordentlich Entspannungszeit. Don Giovanni ist kein besonders netter Typ, und er ist niemand, den man gerne verkörpert. Er ist ein arrogantes, egozentrisches Arsch. Ein Psychopath. Und auch ein Soziopath. Den muss man richtig abwaschen, danach ein paar Bier trinken und nach vorne schauen.
Aber wir sind alle professionelle Theatermenschen. Lebt man eine Rolle? Ja. Ist man sich dessen bewusst? Als Sänger bist du es hoffentlich. Ich kann mir vorstellen, dass es Schauspieler gibt, das kann man auch in deren Privatleben beobachten, die die Grenzen nicht klar ziehen können. Ich habe mich beim Nachhausekommen noch nie ernsthaft gefragt, warum ist das Leben nicht wie das von Germont, oder Boccanegra oder eine Fantasie wie in Arabella – nein.
Haben Sie Entspannungsrituale?
Eine Hühnersuppe, ein Bier und dazu ein Film, das ist gute Entspannung. Ich bin wahnsinnig gut im Nichts tun. Wenn ich runterkommen möchte, bin ich eigentlich zu nichts zu gebrauchen (lacht). Ich liebe Action-Filme, Kriminalgeschichten und Serien, die in der Gerichtsmedizin spielen. Es gibt auch andere schwache Momente, meine Frau und ich lieben zum Beispiel Downtown Abbey. Ich habe jeden James Bond- und Mission Impossible-Film gesehen.

Apropos Filme und Schauspieler: in vielen Interviews mit Ihnen, beginnen die Journalisten oft mit einer Frage zu Ihrem Äußeren.
Machen Sie das nicht (lacht).
Habe ich nicht! Aber es ist wirklich auffällig. Die Süddeutsche Zeitung nannte Sie den ›George Clooney der klassischen Musik‹. Wie ist das für Sie?
Na wenn das nur stimmen würde (lacht). Vielleicht könnte ich reich werden. Es gibt mit Sicherheit Leute, die denken ich sähe gut aus, andere nicht. Das einzige, was wirklich wichtig ist, ist dass meine Frau mich mag. Ich finde sie wunderschön und sie mich attraktiv. Und sonst? Ich bin sehr zufrieden damit, dass ich so groß bin; im Flugzeug wäre ich gerne kleiner, und für das italienische Repertoire ist meine Größe eher ungewöhnlich, aber so ist das halt. Journalisten greifen solche Themen immer wieder auf, weil sie für eine Öffentlichkeit berichten, und die möchte gerne wissen, wie war das wirklich, mit Thomas Hampson zusammenzusitzen? Müffelt er?
Übrigens habe ich das auch gesehen, the George Clooney of opera singers. Und dann dachte ich, ›kann jemand Nespresso anrufen? Ich will 10 Prozent vom Werbevertrag‹.
Bekommen Opernsänger oft Werbeverträge?
Ja, klar. Anna Netrebko, und Rolando (Villazón) hat auch ein paar. Was würdest Du machen? So wie bei den Golfspielern, die die Logos auf ihren Kappen und den Schultern haben … wie wäre es, wenn ich Sponsoren auf meinen Smokings hätte und damit auf die Bühne gehen würde…
Es gab mal diese Firma, Vienna Acoustics, vielleicht gibt’s die auch immer noch (ja, d.Red.), die haben einen Lautsprecher entworfen, und ihn ›Hampson Edition‹ genannt. Da habe ich mich sehr geschmeichelt gefühlt. Ich bin ein Hi-Fi-Freak und hatte ein klein bisschen bei der Entwicklung mitgewirkt; und sie haben mir Lautsprecher für zu Hause gebaut, das hat alles Spaß gemacht. Aber nein, keine Werbeverträge. ¶