François-Xavier Roth und Gregor Schwellenbach über die Begegnung zwischen dem Gürzenich-Orchester und der Kölner Elektronik
Am vergangenen Wochenende fanden in der Kölner Wassermannhalle am Rand der Stadt zwei Konzertabende mit einer Auswahl des Gürzenich-Orchesters, geleitet von François-Xavier Roth (FXR wird auf die Hände und Handgelenke gestempelt) und drei weiteren Musikern statt: Marcus Schmickler, Wolfgang Voigt und Gregor Schwellenbach. Schmickler ist kaum einem Genre zuzuordnen, er stand in Bars und hat experimentelle Geräuschmusik gemacht, als Pluramon veröffentlichte er in wenigen großen Aufnahmen so etwas wie einen kleinen Katalog über avantgardistische Rock- und Popstile. Dazwischen gibt es noch mehr: Projekte mit Neue-Musik-Ensembles, Theater, Hörspiel, Improvisationen, immer mit dem Versuch, in feine Verästelungen vorzudringen. Wolfgang Voigt nennen sie Doyen oder auch Veteran dieser so besonderen Kölner Elektronikmusik-Szene. Er ist so lange dabei wie Acid House, hat das Plattenlabel Kompakt mitgegründet, »ein Symbol für Köln«, wie FXR sagen wird. Voigt selbst? Mit GAS und unter seinem eigenen Namen entsteht seit vielen Jahren elektronische Instrumentalmusik: in den letzten Jahren eher weite, sinfonische Bögen, poröse, trocken atmende Flächen in mannigfaltigen Strukturen, manchmal verwehte, rhythmische Geräusche. Auch er macht Studien mit Sound.
Gas, Ohne Titel; Album: Pop (2000)
Gregor Schwellenbach wiederum sitzt ein paar Tage vor dem Konzert im Café Funkhaus am Wallraffplatz gegenüber François-Xavier Roth und spricht über diese Begegnung, bei der die Kulturen vielleicht weiter auseinander sind als die Musik selbst.

VAN: Sind eigentlich die Zeiten in Köln, in denen diese Experimentierszene den Leuten auch über Ausgehen, Feiern und Tanzen zugänglich war, vorbei?
Gregor Schwellenbach: Die können doch jetzt alle zu uns kommen. Die sind jetzt halt ein bisschen älter. Wir haben aber lange überlegt, ob wir da Stühle reinstellen, weil das immer so ganz locker aussieht, wenn man steht. Aber das sind Stücke, wo man die Möglichkeit haben muss, richtig zuzuhören, das geht anders besser.
François-Xavier Roth: Bei einem Stück wie City Life von Steve Reich zum Beispiel, ist wirklich fühlbar, dass das aus der Clubkultur New Yorks kommt, obwohl man auch moderne Musik dazu sagt, das ist für mein Orchester schon etwas Exotisches.
GS: Lustigerweise merkt man gerade als DJ, wie sehr das auch tanz- und clubtechnisch aus dieser Zeit kommt, das Stück stammt auch in dieser Hinsicht klar aus den Neunziger Jahren.
Steve Reich, City Life, Ensemble Modern geleitet von Sian Edwards (Frankfurt, 1995)
Was suchen Sie in diesem Projekt?
FXR: Mein Wunsch war, diese Künstler zu treffen, ich hatte von diesem Köln-Sound gehört und wollte wissen, was charakteristisch dafür ist. Das Label Kompakt ist dafür ein Symbol; mit der Musik dieser Kölner Schule und der von Wolfgang, Gregor und Marcus habe ich mich aber erst in diesem Projekt beschäftigt.
Bei Ihnen ist das anders, Gregor Schwellenbach.
Während meines Studiums in Hannover bekam ich mit, was die Leute meines Alters in Köln machten, wo ich herkomme. Da wurden Plattenläden gegründet, da verkaufte ein Kompositionsstudent Kassetten von Tonbandexperimenten von sich und seinen Freunden in der Küche, ein anderer machte Techno, der nicht zum Tanzen ist, sondern irgendwie eine Boulez’sche Provokation in sich trägt und gleichzeitig leicht wie Karnevalsmusik ist. Das eine war Marcus Schmickler mit a-Musik, das andere war Wolfgang Voigt mit Kompakt. Dahin musste ich gehen, weil es zwischen Pop, Punk und Neuer Musik nicht einzuordnen war.
Jetzt, 15 Jahre später, bezieht sich meine größte Aufregung darauf, ob meine Musik in diesem Kontext bestehen kann. Die sinfonischen Werke des Abends sind auch für meine Arbeit wegweisend. In dem subkulturellen Kontext, in dem ich sonst auftrete, kokettiere ich manchmal mit der Tatsache, dass ich mich auch mit der klassischen Moderne beschäftige. Aber ob meine Musik wirklich standhält, wenn davor Ligeti und danach John Adams läuft … das ist bei Schmickler und Voigt anders, da hört man gleich diese Tiefe.
FXR, sind die Möglichkeiten in der elektronischen Musik für jemanden, der am Klang eines ganzen Orchesters arbeitet, manchmal verlockend, weil man bei der ersteren so effizient den Klang einstellen kann, am Gerät?
FXR: Ach, das können wir mit unseren Instrumenten auch … außerdem ist das nicht neu für mich, mit den Maschinen zu arbeiten; bei dem Stück von Péter Eötvös beim letzten Sinfoniekonzert gibt es auch einen »elektronischen« Teil mit Keyboard und elektrischer Gitarre, das ist meine tägliche Arbeit.

Wenn man sich so vom Pop langsam an die klassische moderne Elektronik annähert, merkt man da nicht, dass es da schon alles gab?
GS: Es gibt heute soviel Zugriff auf soviel tolle Musik, dass ich eigentlich kaum je komponieren wollte. Das war gar nicht mein Ziel. Dieses Bedürfnis, mir was auszudenken und Musik zu schaffen, hatte ich lange Zeit immer nur in gewissen Kontexten von Theaterstücken, Hörspielen, Filmen, Installationen. Wenn jemand zu mir kam und von einem Film erzählt hat. In seltenen Fällen, wenn ich heute etwas finde, von dem ich denke, es ist neu und lohnt sich, anderen Menschen vorgespielt zu werden, dann schreibe ich es auf. Abgesehen davon wäre es faul und unzulässig, zu sagen, es gibt schon alles. Der Gedanke taucht zum ersten Mal im 13. Jahrhundert auf. Dann darf man es aber bleiben lassen, das Komponieren.
Die großen Experimente in der Elektronischen Musik liegen schon lange zurück. Ist das für Sie noch ein Feld, in dem Entscheidendes passiert, Herr Roth?
FXR: Die Arbeit an den verschiedenen elektronischen Studios in Europa (Baden-Baden, Paris, Köln) nach dem Krieg war ein Kampf um die Frage, was wir für eine neue Musik bauen können, für die Gesellschaft, nicht nur die Kunst. Mit diesem Konzert können wir zeigen, dass diese Grenzen verschwinden und es diese Schubladen nicht gibt. Das ist Recherche, das ist immer noch die Suche nach neuem Territorium. Dafür steht diese Stadt hier immer noch, für das Zusammensein verschiedener Musikkulturen. Als Ligeti nach Deutschland kommen wollte, wollte er nach Köln, das Eldorado für neue Musik … für Utopie! Dieses Programm ist auch eine Hommage an Köln. Köln ist nicht nur Fiesta oder nur ernst … Hier ist diese Grenze einfach speziell. Es gibt hier eine positive Distanz und ein Zusammenleben. Und ich habe hier keine Sorgen vor der Arroganz, und das sage ich als Pariser. ¶
Dieser Text ist entstanden im Rahmen der Medienpartnerschaft mit dem Gürzenich-Orchester Köln