Text · Titelbild © HARALD HOFFMANN / DG · Datum 13.1.2016

Die tschechische Mezzosopranistin wirkt im Gespräch erst einmal zurückhaltend, leicht reserviert. Und wenn ich ihre Mimik richtig deute, schaut sie bei Fragen, die sie vielleicht umständlich oder besides the point findet, etwas skeptisch. Für eine Mutter von drei kleinen Kindern, die als Künstlerin trotz eines etwas reduzierten Arbeitspensums sehr viel unterwegs ist, können Pressetermine nicht das reine Vergnügen sein. Aber sobald Kožená über Projekte spricht, die ihr am Herzen liegen, spürt man die Leidenschaft.

Es ist kurz vor dem Beginn einer Probe zu Debussys Oper Pelléas et Mélisande in der Inszenierung des amerikanischen Regisseurs Peter Sellars und unter der Leitung von Simon Rattle, ihrem Ehemann. Mit Sellars hat Magdalena Kožená bereits bei den jetzt schon legendären ›ritualisierten‹, szenischen Bach-Passionen gearbeitet. »Ich weiß natürlich nicht, was am Ende dabei herauskommt. Aber die Projekte mit Peter sind immer unglaublich intensiv«. Es ist etwas ziemlich Großartiges dabei herausgekommen, nicht zuletzt wegen Koženás idiomatischem Gesang. Debussys Pelléas ist für Kenner/innen, wie auch viele Sachen von Schönberg, ein unumstrittenes Meisterwerk, hat aber nie ein ganz großes Publikum gefunden. Trotz der Besetzung mit Kožená und dem Bariton Christian Gerhaher bleiben nach der Pause ziemlich viele Plätze frei.

Nachträglich fallen mir einige Bemerkungen wieder ein, die wie ein nachdenklicher Refrain in unserem Gespräch immer wiederkehren: dass es zunehmend schwierig sei, Liederabende anzusetzen. Arnold Schönberg schrecke ab, selbst wenn dessen witzige Brettl-Lieder auf dem Programm stünden. Gerne würde Kožená öfter in Barockopern auftreten, aber die Opernhäuser könnten es sich nur selten leisten, für solche Aufführungen die von ihr für diese Musik bevorzugten Originalklang-Ensembles zu engagieren. Dabei beklagt sie sich nicht, sondern betont, dass sie zu den lucky ones gehöre, die bei der Repertoirewahl nach wie vor relativ freie Hand hätten.                 

Gustav Mahler: Rückert-Lieder: Um Mitternacht; Magdalena Kožená (Mezzosopran), Berliner Philharmoniker, Simon Rattle (Dirigent); Deutsche Grammophon, 2012 (Link zur Aufnahme)

Besonders nachdrücklich belegt das ihr aktuelles Projekt: Im Rahmen von Residenzen an mehreren Orten (London, Alte Oper Frankfurt, Elbphilharmonie Hamburg, Luxemburg, Prag) führt Kožená ein vierteiliges Programm auf, in dem sie Musik vom Barock bis in die Gegenwart singt, ein ganzes Cole Porter gewidmetes Konzert inklusive: »Ich mache eigentlich kein Crossover und finde das grundsätzlich nicht so interessant, obwohl manche Künstler das sicherlich sehr gut können. Cole Porter sehe ich aber nicht als Crossover, sondern eher in der Kategorie eines Classical American Song.« Eine Aufnahme von Federica von Stade habe sie davon überzeugt, dass man sich als Opernsängerin für die Unterhaltungs-Musik der 20er Jahre nicht verbiegen müsse, sondern sie mit »der eigenen Stimme« singen könne.

Das »verrückteste« Projekt der Reihe ist für sie ein halb-szenischer Abend mit dem Barockensemble La Cetra, bei dem neben alter Musik auch Luciano Berios Solostück Sequenza III zu hören sein wird. Man kennt es von der Aufnahme der wilden Vokalakrobatin Cathy Berberian, Muse und zeitweilige Ehefrau des italienischen Komponisten:

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Magdalena Kožená: »Ich habe schon immer gefunden, dass alte Musik, besonders die von Monteverdi, viel mit zeitgenössischen Kompositionen gemeinsam hat: Die Art, in der mit Sprache umgegangen wird, der rezitativische Stil. Gleichzeitig wollen wir aber auch das Tragische bei Monteverdi mit Berios ›Nonsense-Talk‹ aufbrechen. Der Text der Sequenza ist ein Satz, der vollständig dekonstruiert wird.«

Die Barockmusik stand von Anfang an im Zentrum von Koženás Repertoire. Als entscheidende Station ihrer Karriere betrachtet sie ihr erstes, noch in Tschechien produziertes Bach-Album, das von der Deutschen Grammophon herausgebracht wurde und zu Bekanntschaften mit Musikern wie Gardiner, Minkowski und Harnoncourt führte. Eine meiner Lieblingsaufnahmen ist die Bach-CD Lamento von 2004, auf der die Sängerin, vom Ensemble Musica Antiqua und Reinhard Goebel scharfkantig begleitet, nicht nur Werke von Johann Sebastian, sondern auch die Kantate Ach, das ich Wassers g’nug hätte von dessen Onkel Johann Christoph Bach interpretiert. Unwiderstehlicher, geradezu expressionistischer Barockgesang:

Johann Christoph Bach: Ach, dass ich Wassers g’nug hätte; Magdalena Kožená (Mezzosopran), Musica Antiqua Köln, Reinhard Goebel (Leitung); Deutsche Grammophon, 2005 (Link zur Aufnahme)

Das vierteilige Residenzen-Projekt passt zu einer Künstlerin, die sich auf der Opernbühne, im Konzertsaal und im intimen Rahmen des Liederabends wohlfühlt. Sie hat ein unverwechselbares, schlankes und doch schwerkräftiges Timbre und jenen wehmütig-melancholischen Ton, der ihre Mahler-Interpretationen so unvergesslich macht. Sonst singe sie gar nicht sehr viel deutsche Lieder. »Es gibt für dieses Repertoire so wunderbare Kollegen«. Überhaupt fällt auf, mit welcher vorbehaltlosen Bewunderung die Sängerin über andere Musiker spricht. Etwa über den 2010 verstorbenen Dirigenten Charles Mackerras: »Er war ein wunderbarer Mensch und Musiker. Ich habe bei seinem letzten Konzert in Prag gesungen. Man hat ihn dort wie einen Gott empfangen.« Mackerras habe quasi im Alleingang dafür gesorgt, dass Janáčeks Opern zu dem internationalen Erfolg wurden, der sie heute sind. Leider gibt es in den Bühnenwerken ihrer Landsleute Janáček und Dvořák, die hohe Frauenstimmen bevorzugten, für Mezzosoprane wenig zu singen. Ihre Opernauftritte beschränkt die Sängerin aber ohnehin zugunsten ihrer Familie auf zwei Produktionen im Jahr, wovon möglichst eine in Berlin stattfinden sollte. ¶

... studierte Literatur- und Musikwissenschaften und arbeitet als freier Dramaturg und Journalist unter anderem für den Tagesspiegel.