Schön und fair war der »Echo« nie, aber keiner lehnte den Preis ab. Jetzt wird er geopfert – nach Entgleisungen, in denen sich gesellschaftliche Vorgänge spiegeln. Volker Hagedorn sieht da viel Symbol und wenig Diskussion.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte die Pianistin Yaara Tal kürzlich, die Grenze des künstlerischen Ausdrucksbedürfnisses verlaufe für sie da, »wo das Leid von Menschen verhöhnt wird. Der Holocaust ist das konzentrierteste Symbol für das, was Menschen anderen Menschen antun können.« Sie sagte das mit Bezug auf zwei Rapper, auf deren jüngster CD unter anderem die Zeile »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« zu hören ist und die für den Verkaufserfolg dieses von der Bertelsmann Music Group produzierten Albums mit dem »Echo«-Preis der Deutschen Phonoakademie ausgezeichnet wurden – mit der Folge eines Proteststurms.
Yaara Tal wies nicht deswegen auf die Würde der Opfer hin, weil das sonst niemand täte. Sie tat es, um nicht missverstanden zu werden. Denn sie hatte sich, wie ihr Klavierduo-Partner Andreas Groethuysen, entschlossen, ihre fünf »Echo«-Trophäen nicht zurückzugeben, anders als viele andere Musiker. Sie fände so eine Geste »wohlfeil«, »denn in unseren Biographien stehen auch die ›Echos‹«. Man habe mit ihnen geworben, und ihre Rückgabe träfe »nicht die gesellschaftliche Problematik, mit der wir alle umgehen müssen.« Aber offenbar kann nicht einmal die Tochter von Überlebenden des Holocaust so etwas sagen, ohne befürchten zu müssen, man werde sie der Verharmlosung zeihen.
Denn nicht nur bei diesem Thema dominiert ein polarisierendes Denken, das nach starken und symbolhaften Signalen verlangt. Dem hat heute auch der Bundesverband Musikindustrie nachgegeben und die Abschaffung des »Echo« verkündet. Ende der Debatte? Es war eine, in der Differenzierungen unter Verharmlosungsverdacht gerieten. Das machte es andererseits vielen leicht, moralische Integrität zu demonstrieren, die mit dieser Eigenschaft, anders als etwa Daniel Barenboim, zuvor nicht aufgefallen sind. Dass er und seine Orchester, die Staatskapelle Berlin und das West-Eastern Divan Orchestra ihre »Echos« zurückgaben, macht gleichwohl immer noch keinen zum Gewaltbefürworter, der die hässliche Trophäe behielt.
Sie war schon immer hässlich, so wie der »Echo« nie als fachliche Würdigung angesehen war. Ursprünglich schoben ihn einfach die umsatzstärksten Labels der deutschen Musikindustrie untereinander ihren Stars zu, später wurden auch unabhängige Juroren eingebunden, von denen man bis heute nicht weiß, wie sie zu ihren Befunden kamen. Aber es profitierten dann auch mal eher mutige als verkaufsstarke Musiker von der PR-Maschinerie des »Echo«, sogar ein Projekt wie haltbar gemacht, eine CD der Kinderkompositionsklasse des Ensembles »L´art pour l´art«. Dieses schrieb vor einigen Tagen: »Wir wären verlogen, wenn wir nicht darauf hinweisen würden, dass der ›Echo‹ auch anders kann.«
Diesen Musikern kam die Rückgabe der für sie einst durchaus hilfreichen Auszeichnung »pathetisch« vor. Die Vergabe an die Rapper zeige aber, dass »Tabubrüche um jeden Preis als Geschäftsmodell geadelt werden…« Die Situation Deutschlands biete »ein kristallines Bild davon, wohin das Diktat der Einschaltquoten und klingenden Kassen geführt hat.« So wie die Entgleisung bei der »Echo«-Verleihung auch ein Symptom besinnungsloser Gewinnorientierung war, so machte sich im »Echo«-Bashing auch die Ohnmacht gegenüber einem Kapitalismus Luft, gegen den sich nicht so gezielt protestieren lässt. Oder von dem man gern weiter profitieren möchte, aber mit gutem Gewissen.
Für die beiden Rapper, an deren Album BMG schon in der ersten Woche nach Erscheinen Millionen verdiente, könnte die Sache kaum besser laufen. Spätestens jetzt sind sie auf jedem Schulhof die »unangepassten Helden« gegen das Establishment. Von all den Musikern, die für ihren Eigensinn und ihre Qualität vom inzwischen nahezu mittellosen, aber in seiner Unabhängigkeit singulären Preis der Deutschen Schallplattenkritik gewürdigt werden, wird eine breitere Öffentlichkeit auch weiterhin nicht annähernd so viel Kenntnis nehmen wie von jedem Prominenten, der in untadeliger Haltung seine »Echos« zurückgab, als seien sie in einer Mördergrube geschmiedet worden.
Unterdessen trauern Millionen um den schwedischen DJ Avicii, dessen Musikvideo Wake me up in vielen Ländern auf Platz 1 landete. Es zeigt zwei schöne, cool gekleidete, reiche Mädchen, die sich in einem Ort voller misstrauisch blickender Arbeiter nicht recht wohl fühlen, umso mehr aber in der Fangemeinde, die in der nächsten Stadt zur Musik von Avicii tanzt. Alle tragen, wie die Mädchen, ein Zeichen auf der Haut, das Signet einer geschlossenen Gesellschaft, das auch flammend und groß die Bühne ziert. »Versenkung unter Gleichen, ganz ohne Sonderstatus«, schwärmt die FAZ.
Es ist ein Festival kollektiver Abgrenzung, und nichts anderes betreiben auf ihre Art die Rapper Farid Bang und Kollegah. Es spiegeln sich darin gesellschaftliche Vorgänge, die sich nicht so einfach aus dem Weg räumen lassen wie das, was noch nie der »renommierteste Klassikpreis der Welt« gewesen ist.¶