Über klassische Konzerte als politische Aktion.

Text · Titelbilder © Lebenslaute · Collage VAN Magazin · Datum 10.10.2018

7. Oktober, kurz vor 11 Uhr, Rheinisches Braunkohlerevier. Gestern haben sich hier 50.000 Menschen versammelt, um friedlich für einen baldigen Kohleausstieg, den Erhalt des Hambacher Forstes und generell gegen die Erweiterung des RWE-Braunkohletagebaus zu demonstrieren. Jetzt klettern 30 Aktive des musikalischen Aktionsnetzwerkes Lebenslaute ins Gleisbett der »Hambachbahn«, um musizierend die Schienen zu blockieren, über die RWE die Braunkohle aus dem Tagebau Hambach abtransportiert. Auf einer nahen Brücke versammelt sich das Publikum, um die Musizierenden die Polizei. Nach einer Dreiviertelstunde und der dritten Aufforderung durch die Beamten verlassen die Aktiven den Aktionsort, um nach einer Personalienfeststellung im Hambacher Forst mit einem sehr viel größeren Ensemble (Chor und Orchester) ein weiteres Konzert für die Menschen im Wald zu geben.Mit einem Sänger des Lebenslaute-Chores spreche ich im Anschluss – nicht über mögliche Verstrickungen von RWE und Politik und das Kopf-in-den-Baggersand-Stecken vieler Entscheidungsträger*innen, wenn es um Klimaschutz geht – sondern darüber, wie er den Protest durch klassische Musik erlebt und was diese mit angespannten Situationen macht. Mit denen hat Lebenslaute Erfahrung, denn die allermeisten Lebenslaute Konzerte beinhalten einen Akt des zivilen Ungehorsams, einen Gesetzesübertritt in Form einer Besetzung oder Blockade, mit Instrumenten und in Konzertkleidung.

Welche Attribute verbindest du mit klassischer Musik?

Das zu sagen fällt mir ziemlich schwer, weil klassische Musik so vielfältig ist. Meist hat klassische Musik etwas sehr Konzentriertes – das ist vielleicht eine Gemeinsamkeit. Sie wird immer mit Hochkultur verbunden und vermittelt ein Gefühl von Ordnung. Wenn wir auf Lebenslaute schauen, steht das im Kontrast zum Gesetzesübertritt, der ja eher Unordnung vermittelt.

Wie ist die Wirkung bei der konkreten Aktion – wie war die Stimmung an der Hambachbahn beim Runterklettern ins Gleisbett und dann mit Beginn des Konzerts?

Das ist auf jeden Fall eine Form von Protest, die Grenzen überschreitet und dementsprechend auch gerade die Polizei vor den Kopf stößt. Es gab bei dieser Aktion an der Hambachbahn ganz klare Äußerungen eines Polizisten, der direkt am Anfang, als wir runtergegangen sind zum Gleisbett, meinte: ›Protest ist ja schön, aber nicht, wenn ihr so einen Scheiß macht.‹ Das änderte sich, als die Musik auftauchte. Es gab dann Versuche der Polizei, das Ganze einzuordnen – es war gar nicht klar, was das ist.

Konzertbeginn – Blockade der Hambachbahn
Konzertbeginn – Blockade der Hambachbahn

Aber es kommt auf jeden Fall immer auch positiv an. Letzte Woche in Schnöggersburg (Besetzung der Rheinmetall Kriegs-Übungs-Stadt durch Musikerinnen und Musiker von Lebenslaute am 3. Oktober) hat eine Polizistin gefragt, ob wir engagiert werden können. In Köln, wo wir Ende August den Verfassungsschutz blockiert haben, gab es einen Polizisten, der anfing, mitzuwippen und dann irgendwann innehielt und sich umschaute und ein bisschen ertappt wirkte.

Bevor die Musik anfängt, gibt es immer viel Bewegung, die Polizei versucht, Leute wegzuschicken … Wenn dann die Musik erklingt, bewirkt das automatisch ein Innehalten und Zuhören – und das ist für die Polizei nicht gerade der Normalzustand. Protest richtet sich ja selten direkt an die Polizei, sondern an entscheidungstragende Menschen oder die Menschen in der direkten Umgebung – wenn Musik erklingt, hören alle erstmal zu. Es hat immer etwas Zur-Ruhe-Kommendes.

Publikum und Polizei an der Hambachbahn
Publikum und Polizei an der Hambachbahn

Singende Gruppen können ja auch bedrohlich wirken – Fußball-Fans zum Beispiel. Ist speziell klassische Musik so beruhigend?

Ich denke, das ist schon eine Eigenart der klassischen Musik. Bei Demos gibt es ja auch oft Samba-Bands. Die haben auch immer etwas Aufheizendes – auch im positiven Sinne. Klassische Musik hat oft diese Momente, gerade wenn es ins Leise geht – das hat dann eine klar deeskalierende Wirkung.

Welches Stück hat für dich am besten funktioniert bei der Blockade der Hambachbahn?

Gerade für diesen Bereich Braunkohleabbau, auch in der Lausitz mit ›Ende Gelände‹, habe ich ziemlich gute Erfahrungen mit romantischen Liedern gemacht, zum Beispiel mit Mendelssohns Abschied vom Walde auf einen Eichendorff-Text oder mit dem Volkslied In einem kühlen Grunde.

In der Lausitz gab es eine Situation, wo die Polizei uns vom Platz geführt hat und angekündigt hat, dass es am Ende eine genaue Personalien-Aufnahme gibt. Auf dem Weg dahin haben wir diese Lieder gesungen und an der Stelle, wo wir eigentlich hätten stehenbleiben sollen und unsere Personalien abgeben, sind wir einfach bestimmt weitergegangen. Da gab es überhaupt keinen Versuch uns aufzuhalten und ich hatte das Gefühl, sie haben sich anders entschieden und das könnte etwas mit der Musik zu tun haben, die wir da gesungen haben.

Würdest du auch ohne Musik solche Blockaden machen?

Ja.

Nach der Hambachbahn-Blockade habt ihr dann noch ein Konzert im Hambacher Forst gespielt, also keine direkte Besetzung, aber dafür mit großem Orchester und Chor. Wie haben Leute im Forst auf eure Musik reagiert?

Im Hambacher Forst haben wir an einer Stelle gespielt, wo mal ein Baumhausdorf, Oaktown, war, das nun nicht mehr da ist. Für viele war das eine Möglichkeit zu trauern.

Foto © Tim Wagner
Foto © Tim Wagner

Ich glaube, dass auch Menschen, die sonst nicht in die Philharmonie gehen würden, dieser Musik etwas abgewinnen können, wenn sie in so einem Umfeld gespielt wird. 2015 im Tagebau gab es ja auch Menschen, die auf dem Förderband zu Schostakowitsch getanzt haben, die sonst wahrscheinlich eher nicht zu klassischen Konzerten gehen.

Würdest du dir den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr der Musik in gewisser Weise Unrecht tut, weil es eigentlich egal ist, was ihr spielt, Hauptsache es ist klassisches oder romantisches Repertoire? Schlägt Wirkung Musik?

Diesen Vorwurf würde ich mir gefallen lassen, wenn ich selbst nicht bei den Proben dabei wäre. Da ist schon zu merken, dass es vielen Menschen sehr um die Musik geht. Das sorgt auch immer wieder für Konflikte, wenn es um die Frage geht: Wollen wir viel Kraft da reinstecken, eine direkte Aktion zu machen und die durchzuplanen oder wollen wir lieber die Zeit zum Proben nutzen und dann zum Beispiel ›nur‹ im Wald spielen? Gerade am letzten Wochenende war das ganz deutlich. Es wurde geprobt und dann geplant bis spät in die Nacht und dann am nächsten Tag vor der Aktion nochmal geprobt… Das geht es auch sehr darum, dass die Musik gut klingt, da geht es auch sehr um die Musik an sich. Es kommt aber auch drauf an, wen von Lebenslaute man fragt. Manchen ist die Aktion wichtiger, machen die Musik, manchen beides.

»Wenn die Musik erklingt, bewirkt das automatisch ein Innehalten und Zuhören –das ist für die Polizei nicht gerade der Normalzustand.« Was live gespielte klassische Musik mit der Stimmung bei politischer Aktion macht in @vanmusik.

Dieses Wochenende hat sich das nochmal darin gezeigt, als wir ein Lied übernommen haben von dem Chor ›Andere Seiten‹, in dem RWE als ›Scheißverein‹ bezeichnet wird. Da meinte ein Mitglied, das Wort ›scheiße‹ komme ihm nicht über die Lippen, vor allem bei so einer Musik. Auch wenn es um Diskussionen geht wie: ›Kann hier noch eine Klarinette mitspielen?‹ Dann heißt es: ›Nein, in diesem Stück ist keine Klarinette vorgesehen, dann sing doch lieber mit im Chor.‹ ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com