
Berlin-Kreuzberg an einem Freitagabend im späten Juni. Der bislang heißeste Tag des Jahres geht zu Ende. Ich bin mit dem Cellisten Julian Steckel in der Celo Privat Bar verabredet. Er wohnt gleich um die Ecke und kommt zu Fuß. Eigentlich wollten wir uns an die Bar setzen, aber bei dem Wetter zieht es uns raus an einen der schmalen Tische auf dem Bürgersteig.Eine Woche zuvor sind wir uns zufällig beim Konzert des Cellisten Steven Isserlis im Konzerthaus über den Weg gelaufen. Wir plaudern ein bisschen über Isserlis (»eine polarisierende Erscheinung, letztlich muss man sagen: einer der total seriösen, jemand der für seine Überzeugungen kämpft«) und Schumann auf Darmsaiten (»die Hardcore-Stahl Power-Cellisten sagen: kann man nicht laut genug hören, ergo taugt es nichts.«). Der staubige Wind bläst in der Abendsonne durch die Ohlauer Straße wie ein Fön, um uns herum streunen von der Hitze dösige Hunde und Touristen mit sonnenverbrannter Haut, die Amseln singen. Endlich kommt das erste Bier. Gießen wir ein bisschen Öl ins Feuer. Wo wir gerade bei Schumann waren …
VAN: … ich habe eine Kritik gelesen zu einer Aufführung des Schumann Konzerts von dir in München.
Julian Steckel: Oh ja, schön. Wo denn?
In der SZ.
Herrlich. Ich habe mein Abo trotzdem nicht gekündigt.
Ich darfs nochmal vorlesen?
Oh ja, bitte.
›Solist Julian Steckel beginnt den ersten Monolog des Cellos nicht melancholisch, sondern traurig, gar ein bisschen verzweifelt, zerrissen. Ein toller Moment, flüchtig leider. Denn nie kehrt Steckel zu dieser geistigen Präsenz zurück; er leistet hochvirtuos eine Art Musikvollzug, ohne große Ideen. Die Wiederholungen im dritten Satz etwa finden einfach statt, er macht sich dazu keinerlei Gedanken. Tags darauf erfährt man per Zufall die mögliche Erklärung: Steckel laborierte an einer Grippe, hatte Medikamente genommen. Warum er jedoch dann noch eine Zugabe spielt, das Präludium aus Bachs dritter Suite, das weiß niemand; und seine Darbietung erklärt es am wenigsten.‹ Gelesen?
Blöderweise kurz vorm Schlafengehen, und mich natürlich ganz schön geärgert. Ich frage mich: Würde mir der Herr Tholl (Egbert Tholl, ein Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung; d. Red.) das auch so ins Gesicht sagen?
Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe vertraute Kollegen angerufen, zwei Münchner Musik-Urgesteine, und gefragt, ob ich da jetzt was unternehmen sollte. ›Mit Medikamenten‹, das klingt ja fast so, als ob der Steckel nicht zurechnungsfähig gewesen wäre. Selbst wenn ich am Morgen eine Aspirin genommen hätte – was nicht der Fall war – hat das etwas in einer Kritik zu suchen? Es war für mich lehrreich zu sehen, was in der Zeitung alles geht. Es hat mich jetzt halt mal selbst getroffen.
Man merkt: So richtig weiß Steckel immer noch nicht, wie er damit umgehen soll. Das mit den Medikamenten scheint ihn dabei noch mehr zu wurmen als der Rest. Klar, es berührt die heilige Währung des klassischen Musikers, die technische Perfektion. Da geht es ihm nicht anders als dem Herzchirurgen. Aber vielleicht ist die Angst vorm ruinierten Ruf auch größer als andernorts. Später müssen wir noch einmal darauf zurückkommen.
Deine Solo-Karriere läuft gut, der Konzertkalender ist gefüllt; die Wertung eines Musikkritikers auf der anderen Seite ist sehr subjektiv, trotzdem wurmt es?
Die SZ-Kritik wird mir sicher nicht das nächste Engagement bei den Münchner Philharmonikern verhageln. Aber Aufmerksamkeit ist halt eine Währung, und so viel gibt es davon in unserer Branche ja nicht. Ich hatte nie diese Papa- oder Mamafigur des Kritikers, die sich gesagt hat: ›Steckel ist der tollste, dem helfe ich jetzt mal‹. Oder einen Gergiev oder Muti, der gesagt hat: ›nur noch mit dem‹. Einerseits ärgert einen das, andererseits macht es mich unabhängiger, da ich mich mehr oder weniger selbst freigeschwommen habe.
Wenn schon nicht der Kritiker, kommt denn sonst jemand vorbei nach dem Konzert?
Ich hoffe es immer. Ich spiele öfter in Ankara mit dem Bilkent-Sinfonieorchester. Da ist alles total direkt, die ganze Schulklasse steht nach dem Konzert vor dir, alle wollen knipsen, deine E-Mail-Adresse, und die schreiben dann auch, das ist super.
Gibt’s eigentlich Groupies?
Nicht so viele, sie sind dann auch eher älter. Aber ich bin auch nicht David Garrett.
Was war denn die skurrilste Begegnung nach einem Konzert?
Nach einem Recital irgendwo am Bodensee kam ein Hobbycellist auf mich zu, der es unmöglich fand, wie ich Beethoven gespielt habe. ›Wie konnten Sie da im zweiten Takt auf dem Cis vibrieren‹, und so weiter. Alle standen Drumherum, er hat sich laut empört und ist gegangen. Wenigstens ehrlich. Was mir noch nicht passiert ist: dass eine Prinzessin kommt und sagt, ich habe hier ein Montagnana, nehmen Sie es.
Gegenüber am Späti bricht ein Streit los. Wir schauen kurz herüber, es bleibt beim Wortgefecht. Wir reden über Steckels Instrument, einen elf Jahre alten Neubau (»sagenhaft gutes Cello, schön stabil, tolle Farben, doppelt so laut wie die meisten anderen«). Trotzdem schaut er sich gerade nach Alternativen um. Es gibt eine Preisexplosion auf dem Instrumentenmarkt, mancher reiche Hobbycellist spielt ein besseres Instrument als der Profi, legendäre Instrumente wie Montagnanas »Sleeping Beauty«, das einst Heinrich Schiff gehörte, werden von reichen Sammlern für ihre Kinder aufgekauft. Noch immer ist es glühend warm. Noch ein Helles bitte.
Was ist die Perspektive, mit 34, in deiner speziellen Situation? Wie geht’s weiter die nächsten fünfzig Jahre?
Ich versuche möglichst viele konkrete Punkte zu finden: was ich gerne mit wem wo machen würde.
Zum Beispiel?
Mal den Sprung nach Amerika zu machen. Es geht nicht darum, die Welt zu erobern, ich freue mich, wenn ich alle zwei Jahre fünf Konzerte dort habe. Oder wenn sich Beziehungen mit Orchestern bilden. Als Cellist ist es ja so, dass die direkte Wiedereinladung von einem Orchester heißt: ›Wir sehen uns frühestens in vier Jahren wieder‹. Nicht wie bei Geigern oder Pianisten, also braucht man erst mal Geduld.
Es gibt ja Kollegen in deinem Alter, die manches davon schon haben. Was antworten die wohl?
Gute Frage, das Phänomen des Jungstars, der mit dreißig schon überall war, das wird immer mehr so kommen. Wo du manchmal denkst: ›Ich habe in dem Alter noch studiert …‹
Hast du Rollenmodelle?
Natürlich war mein Lehrer Heinrich Schiff früher mal eines. So wollte ich auch leben, immer in Action, hundert Konzerte im Jahr, das Handy klingelt, ›Ah, hallo Mariss (Jansons)‹, tolle Schüler, riesige Wohnung in Wien, die Villa am See …
Dafür bist du auch zu spät geboren, oder?
Ja. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Heinrich, bei einem Essen, nach unserem allerletzten Unterricht in Wien. Da meinte er: ›Weißt du Julian, wenn du 20 Jahre früher geboren wärest, dann säßest du jetzt nicht hier sondern würdest First Class nach Japan fliegen und Haydn spielen, und nur dass Du’s weißt: das wird nie passieren!‹ Und ist auch nie passiert. (lacht)
Wer ist es heute?
Christian Tetzlaff (hier im VAN-Interview) habe ich immer total geschätzt, diese Haltung des ›Ich mach was ich will‹. Seit ein paar Jahren dreht er ja nochmal wahnsinnig auf. Bei dem leicht extremen Lebensstil, den das mit sich bringt, was ich mache – wenn man da gleichzeitig das andere nicht ganz missen will im Leben: Beziehung, Familie, dann ist das mental schon eine ganz schöne Herausforderung. Ich wünsche mir sehr, dass das funktioniert und ich mit 60 guten Gewissens auch noch ein Bierchen trinken und mal eine Zigarette rauchen kann.
Mit wem würdest du gerne mal spielen?
Neulich fuhr ich im Auto zurück von Rostock und habe im Radio eine Bruckner 5 gehört und dachte: ›fantastisch, tolles Orchester, wunderbare Tempi.‹ Die hat sich mir so erschlossen wie selten. Das war die NDR-Radiophilharmonie mit Andrew Manze. Spontane und daher ehrliche Antwort: Sehr gerne mal mit Andrew Manze.
Mit wem nie wieder?
Ich habe letztes Jahr mit Gergiev gespielt, da gab’s schon eine gewisse Schieflage, was meine Überzeugungen betrifft. Allerdings würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, ›ich will nicht wieder mit ihm spielen‹. Er ist im Konzert schon sehr mitreißend. Kompromisse stellen sich oft erst danach als solche heraus, man muss seinen Bauch erst kennenlernen. Ich habe zum ersten Mal wahnsinnig stark gemerkt, mit wem ich gerne zu tun haben will, als ich in Heimbach war, bei Lars (Vogts) Festival. Ich war super jung, 21, aber habe mich dort sofort zuhause gefühlt. Ich war auf einmal gar nicht nervös, mit den ganzen Cracks zu spielen, saß neben Isabelle Faust und dachte: ›danke, phänomenal, da kann ich was lernen, bitte so und nie wieder anders.‹
Brahms: Streichsextett No. 2 G-dur op. 36; eine Aufnahme vom Festival Spannungen in Heimbach 2005. Mit Isabelle Faust, Christian Tetzlaff, Stefan Fehlandt, Hanna Weinmeister, Gustav Rivinius und Julian Steckel.
Er hat jetzt Christian Tetzlaff und Lars Vogt erwähnt, und man denkt spontan: Das ist eine gute Klassik-Posse. Plötzlich fällt noch eine Parallele zwischen Tetzlaff und Steckel auf, auch wenn sie altersmäßig 15 Jahre trennen: beide sehen heute ja viel besser aus als früher, weniger nach Streber und aus der Zeit gefallen, irgendwie mehr im Leben und nicht nur in der Musik. Beide tragen jetzt Bart …
Warum gibt’s eigentlich in der Klassik so wenig Hipsterbärte?
Stimmt!
Früher gabs noch mehr, aber das war nicht der Hipster-, eher der Onkelbart.
Tattoos sieht man auch selten.
Wenn ein klassischer Musiker ein verborgenes Tattoo auf dem Schulterblatt oder am Knöchel hat, ist das schon das ultimative Coolness-Zeichen. Das wird dann manchmal so im Geheimen vorgezeigt.
Kommen zum Outfit manchmal Rückmeldungen?
Ich habe vor vielen Jahren regelmäßig mit den Hofer Symphonikern gespielt, unter anderem einmal in Kronach, im tiefstem Frankenland. Ich hatte einen schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd an, ganz stinknormal. Meine damalige Agentur bekam irgendwann ein Schreiben: ›Julian Steckel hat den Vertrag gebrochen. Er ist nicht im Frack aufgetreten, sondern im staubigen Straßenanzug. Was gedenken Sie zu tun?‹ Es lag auch noch ein persönlicher Brief vom Veranstalter bei, der über den Verfall der Kultur schwadronierte. ›Man solle nicht glauben, dass das, was in den Großstädten passiere, auch in Kronach funktioniere‹.
Zurück zum gelingenden Leben. Ein letztes Bier? Gerne.
Welche Sache, die du als Musiker nie haben konntest, vermisst du am meisten?
Es gibt nicht viel.
Du konntest nie sagen: ›Ich geh mal ein Jahr surfen‹.
Ja, das ist das einzige. Das vermisse ich. Ich habe gerade ein Gespräch mit einem Studenten geführt, wo es um die Frage ging, wo er im Leben steht, was ansteht? Der ist 18, hat gerade Abitur gemacht, muss es jetzt sofort weitergehen? Aber: Wenn du 18 bist und noch nicht phänomenal, kannst du als Musiker nicht sagen, ›ich gehe mal ein Jahr backpacken‹.
Was man zu der Zeit vielleicht machen sollte?
Ich versuche, das jetzt ein bisschen nachzuholen, war aber auch vorher nie der Typ, der hermetisch eingeschlossen lebt. Wenn das so gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich angefangen, die Musik dafür verantwortlich zu machen, dass andere Dinge zu kurz gekommen sind.
Wie holst du das nach?
Ich mache mindestens einmal im Jahr im Sommer für vier Wochen Urlaub.
Komplett ohne üben?
Zwei Wochen ohne üben.
Schlechtes Gewissen dabei?
Gar nicht. Ich möchte darauf nicht verzichten, habe das ein paar Jahre versucht und es hat mir gesundheitlich nicht gut getan, vom Kopf her, einfach nicht gut.
Nach dem Ende seines Studiums wird Steckel zunächst Solo-Cellist beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. 2010 gewinnt er den ARD-Musikwettbewerb, plötzlich kommt Anfrage auf Anfrage. Im Frühjahr 2011 gibt er seine Stelle beim RSB auf, startet eine Solo-Karriere, ein Jahr später wird er Professor an der Hochschule für Musik und Theater Rostock, muss eine eigene Klasse aufbauen und nebenher 100 Konzerte im Jahr spielen. Ist er irgendwann ans Dach gestoßen?
Ja, ein paar Jahre nach dem ARD Wettbewerb. Ich habe das schon lange vermutet und auch gespürt, dass das alles etwas viel ist, aber da war wirklich Sackgasse, es spitzte sich zu, irgendwann war der Punkt, wo ich dachte: ›ich komm hier nicht weiter, ich muss irgendwas ändern‹.
Hast du das selbst herausgefunden?
Ja. Und natürlich auch durch meine Nächsten. Die Sachen, die ich wiederentdeckt habe, waren nicht neu, sondern verschüttet. Irgendwann merkst du gar nicht mehr, was dir eigentlich fehlt.
Gibt’s einen guten, offenen Umgang mit solchen Sackgassen?
Bei uns erstaunlicherweise gar nicht, wir führen relativ versteckte Leben, man tendiert eher dazu, das zu überspielen, obwohl es gar nicht nötig wäre, die Aufmerksamkeit ist ja sowieso relativ gering.
Woran liegt das?
Die Leute haben Angst, auf jeden Fall, ich weiß gar nicht wovor, oder vielleicht doch: Du musst natürlich perfekt sein.
Wenn jetzt in der SZ steht ›unter Medikamenteneinfluss‹ …
… dann sag ich sicher nicht: ›und übrigens, ich arbeite jetzt seit zehn Jahren mit einem Therapeuten zusammen.‹ Dann heißt es gleich ›der ist labil oder hat ‘nen Schuss‹, aber das ist, ehrlich gesagt, ziemlich scheiße.
Schon ein merkwürdiger Sonderfall des Künstlertyps. Interessant vor dem Hintergrund, dass die Musik, die man spielt, auch nicht von Leuten stammt, denen die Abgründe der Existenz fremd waren.
Vielleicht ist die Klassik da wirklich eine absolute Ausnahme, denn wenn du in andere Bereiche guckst, wird gerade demjenigen, der sich komplett entblößt und der völlig ausrastet, am meisten zugetraut.
Der träge Abend ist einer verheißungsvollen Nacht gewichen. Um uns stürzen sich Menschen ins pralle Wochenende. Doch noch ein letztes Bier, Steckel holt die Zigaretten raus. Reden wir ein bisschen über Lieblingsstücke, Raritäten, magische Momente.
Dein magischer Musik-Lieblingsmoment?
Der Abgesang im Dvořák-Konzert, da kann ich gar nicht drauf warten, da freue ich mich die ganzen vierzig Minuten darauf, dass man dann endlich ankommt und spürt: ›Jetzt geht es nach Hause, nach der langen Reise des Lebens.‹ Aber das lässt sich auch nicht auf Knopfdruck reproduzieren, da braucht es die richtige Mischung aus Spannung und Gelöstheit.
Julian Steckel spielt Dvořáks h-moll-Cellokonzert beim Preisträgerkonzert des ARD Musikwettbewerbs 2010, den er gewann. Es spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Christoph Poppen dirigiert. Den magischen Moment gibt’s ab Minute 38:40.
Welches Stück nie wieder?
Brahms’ Doppelkonzert in der Fassung ohne Geige. Musste ich einmal machen, ist unspielbar, klingt grauenhaft, tut weh. Das mache ich nie wieder. Es gibt Stücke, die mir angeboten wurden und die ich nicht gemacht habe. Ich bin noch nicht ganz dran an dem Schnittke-Konzert, da gibt’s eine Menge Stücke auf dem Weg, für die ich mehr brenne.
Welches Stück öfter?
Gerne mal wieder das Lutoslawski-Konzert oder Schostakowitschs Zweites.
Wieso werden die so selten programmiert?
Lutoslawski finden die meisten erst einmal merkwürdig: zu laut, tut weh, dann endet das Stück mit dem Cello allein, auch nicht optimal. Du kannst ein Stück schreiben, das 25 Minuten vor sich hin wabert, aber wenn du einen genialen Schluss dranhängst, finden es die Leute toll. Ich schlage manchmal das Zimmermann-Konzert vor, fast unmöglich. Ich liebe Schelomo von Bloch …
Eigentlich ein ziemlich eingängiges Stück …
… es hat die größten Höhepunkte des ganzen Repertoires, ist phänomenal orchestriert, hört aber leider dunkel gründelnd auf. Warum wird das Erste Cellokonzert von Schostakowitsch immer gespielt und das Zweite nie? Weil es halt im absoluten Nichts aufhört.
Aber sind das nicht alles falsche Annahmen: ›das Publikum will dies und jenes‹, die dazu führen, dass sich das System immer wieder selbst reproduziert? Die Leute gehen doch auch nicht ins Theater und erwarten, dass da am Ende immer der große Knall kommt.
Ich habe neulich mit einem Dirigenten gesprochen, da ging es auch um das Schumann-Konzert und ein Debüt bei einem Orchester. Der meinte: ›Vielleicht bei diesem Orchester das erste Mal ein Stück, dass mehr fürs Publikum ist?‹ Ich dachte: ›Mist, ich habe die letzte Zeit meine Debüts immer mit Schumann gespielt!‹ Vielleicht hätte es Elgar, Dvořák, Saint-Saëns, sein müssen. Aber ich liebe den Schumann eben besonders. Es wird ja auch von uns bedient. Wenn man mal guckt, wer was mit wem spielt. Was spielst du, wenn du mit Boston debütierst? Wahrscheinlich werden die meisten Kollegen etwas probieren, was den größten Eindruck hinterlässt.
Wir reden darüber, dass der Fisch vielleicht vom Kopf her stinkt, dass es an mutigen Intendanten und querdenkenden Veranstalterinnen mangelt. Steckel erzählt von seinen Erfahrungen mit Orchestermusikern, ›wer beim Neue-Musik-Festival Dienst hat, hat die Arschkarte gezogen‹. Wir kommen auf das Interview mit Patricia Kopatchinskaja, die alles umkehren will: das ›Alte‹ nur noch in Ausnahmefällen. Das andere Extrem sei auch nicht die Lösung, meint Steckel. Aber es fange schon an der Hochschule an, wo die Komponisten oft irrsinnige Probleme hätten, Musiker/innen für ihre Stücke zu finden, ›wo ich oft denke, hallo, die sind zwanzig und wollen trotzdem alle nur Haydn D-Dur und Dvořák spielen, weil sie ihre Probespiele gewinnen wollen?‹ Es gebe eine gewisse Scheu, man wolle in seinem Zaun bleiben, nicht auffallen, den Purismus schützen. Bei demjenigen, der ein Image aufbreche, werde sofort eine Strategie dahinter vermutet. Aber so pessimistisch soll das Gespräch jetzt nicht enden, bevor es in die Nacht geht.
Mal auf einem Kreuzfahrtschiff gespielt?
Ja, ertappt. Zwei, drei Mal.
Das stelle ich mir skurril vor.
Ja total, aber das ist ja auch jedem bewusst. Die MS Europa ist das Schiff, auf das alle wollen. Ich mache es nicht mehr, weil ich keine Zeit habe. Lässt sich auch schwer vermitteln, mitten im Semester drei Wochen von Bora Bora über die Fidschi-Inseln zu schippern.
Wo warst du?
Ich hatte eine phänomenale Tour: über Sidney nach Bali, an der ganzen australischen Ostküste entlang. Da war ich noch im Studium.
Muss man da jeden Abend spielen?
Nein, du spielst ganz selten! Wir haben in drei Wochen viermal gespielt, glaube ich.
Und den Rest der Zeit dann auf dem Sonnendeck?
Sonnendeck, Bar, Schnorcheln, Whirlpool. Da war ich so 25, die MS Europa lag in Sidney vor der Oper. Wir haben eine Flasche Champagner bekommen, und ich bin mit Paul Rivinius nachts um zwei in den Whirlpool gesprungen. Da wurden wir dann nach zwanzig Minuten rausgeschmissen. ¶