Jana Zöll ist staatlich anerkannte Schauspielerin und lebt mit einer Behinderung. Wie die Vielzahl an Zugangsbarrieren auf, hinter und vor der Bühne, die aktuell noch existieren, abgebaut werden können, erklärt sie in diesem Kommentar über inklusive Change-Prozesse im Kulturbetrieb. Dabei spricht sie ausdrücklich nur für sich selbst, aufbauend auf den Erfahrungen, die sie mit ihrer Behinderung und der Ausbildung als Schauspielerin gemacht hat, denn für Menschen mit anderen Behinderungen und anderen Hintergründen können ganz andere Aspekte wichtig sein. »Es mag ein paar grundsätzlich Punkte geben, die bei Inklusion zu beachten sind«, sagt Zöll. »Aber letztlich gilt: Sprechen Sie immer mit den Menschen, die Ihnen begegnen, und fragen Sie diese nach ihren Bedarfen!«
Grundlegend für den gleichberechtigten Zugang zu Kunst und Kultur ist meiner Erfahrung nach der gleichberechtigte Zugang zu inklusiver Bildung. Ich selber bin zur Regelschule gegangen, habe Abitur gemacht und eine staatlich anerkannte Schauspielausbildung abgeschlossen. Dadurch bin ich für einen Menschen mit Behinderung bereits unglaublich privilegiert. Diese Privilegien sind mir nicht einfach zugefallen, meine Eltern mußten sie mir vor dreißig Jahren auf dem Land, wo es noch gar kein Anrecht auf inklusive Bildung gab, hart erkämpfen. Bei inklusiver Bildung geht es nicht in erster Linie um das erlernte Allgemeinwissen. Der viel wichtigere Punkt ist die Sozialisierung. Man erschließt sich eine gemeinsame Welt mit all ihren Möglichkeiten, lernt miteinander umzugehen und im besten Falle auch, dass es für jede:n diverse Möglichkeiten gibt. Ich bin überzeugt davon, dass ich, wenn ich auf eine Förderschule in einer Sonderwelt gegangen wäre, keine Schauspielausbildung gemacht hätte. Wenn es dort gut gelaufen wäre, säße ich heute irgendwo in einem Büro, aller Wahrscheinlichkeit nach aber in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, weil das für Menschen mit Behinderung in unserem System so vorgesehen ist. Was die Kunst- und Kulturinstitutionen da machen können? Öffnet eure Frühförderungsangebote inklusiv: die Spielclubs, die Musikschulen, die Jugendtheater, die Kinderkonzerte.
Nach meinem Abitur habe ich eine Schauspielausbildung an der damals einzigen integrativen Schauspielschule Deutschlands gemacht. Auch heute sieht die Ausbildungssituation nicht besser aus, vielleicht sogar schlechter. An dieser Schule von Integration zu sprechen war allerdings eine Farce. Der Unterricht fand meistens im zweiten Stock statt, einen Aufzug gab es nicht. Allein räumlich gesehen war diese Schule also alles andere als barrierefrei. Ich habe hier ein weiteres Privileg: Mir ist es durch Assistenz möglich, solche räumlichen Barrieren zu überwinden. Inzwischen ist mir diese nötige Assistenz seitens des Staats auch bewilligt, damals hat meine Mutter noch diese Rolle übernommen, was logischerweise zu anderen sozialen Ausschlüssen geführt hat. Ich kann mich also mit externer Unterstützung noch relativ gut an gegebene Strukturen anpassen. Aber das ist ja gerade der »Witz« bei Behinderungen, dass diese »Anpassungsfähigkeit« eingeschränkt ist. Die Strukturen müssen sich dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Dazu kommt: Damit, dass ich immer meine eigenen Lösungen finde, bin ich für Institutionen leicht inkludierbar, sie müssen wenig bis gar nichts tun und können trotzdem sagen: »Schaut her, wir sind inklusiv und offen für Menschen mit Behinderung.«
Dieses Phänomen nennt sich Tokenism. Sie möchten gar nicht wissen, wie oft ich mich als inklusives Aushängeschild missbraucht gefühlt habe oder das Gefühl hatte, andere Menschen mit Behinderung werden als solches missbraucht. Sei es wegen Fördergeldern oder fürs Images, weil das Label inklusiv in den letzten Jahren immer hipper geworden ist. Da werden Menschen mit Behinderung auf die Bühne gestellt mit Texten und niemand macht sich die Arbeit, dafür zu sorgen, dass die vortragende Person überhaupt versteht, was sie da erzählt. Reicht ja, wenn sie auch mal auf die Bühne darf und alleine dafür schon Applaus bekommt. Oder man engagiert Menschen mit Behinderung als feste Ensemblemitglieder, weiß dann aber nicht, wie man sie besetzen soll. Weil in Dramaturgie, Regie und Intendanz nur nicht-behinderte Menschen vertreten sind, die glauben, wenn sie eine Schauspieler:in mit Behinderung besetzen, müssen sie das in ihrem gesamten Konzept begründen. Genau wie die Kritiker:innen scheinen die Verantwortlichen zu meinen, dass der »besondere« Körper immer auch etwas Besonderes erzählen muss. Warum? Wo bleiben da Kreativität und künstlerische Offenheit? Und dann wird noch ins Feld geführt, dass das Publikum sich mit einem Körper, der wenigstens noch einigermaßen so aussieht wie der eigene, besser identifizieren kann. Wo bleibt, folgt man dieser Logik, das Publikum mit Behinderung?

Ich persönlich habe die Kriterien der Rollenvergabe irgendwann als größte Barriere empfunden und war es auch leid, immer wieder die Perspektive nicht-behinderter Menschen auf Behinderung oder den »besonderen« Körper darzustellen. Gerade deswegen ist die Repräsentation von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen und nicht nur auf der Bühne so wichtig. Damit auch andere Geschichten und Perspektiven erzählt werden.
Deshalb bin ich inzwischen wieder in die freie Szene gewechselt und realisiere vermehrt meine eigenen Projekte, die disabled led, intersektional oder mixed-abled sind. In denen wirklich auf Augenhöhe gearbeitet wird und jede:r sich als Künstler:in einbringen kann. Dass dies in der freien Szene eher möglich ist als in der öffentlich finanzierten liegt hauptsächlich daran, dass die Strukturen in letzterer sehr viel schwerfälliger und hierarchischer sind. In der freien Szene kann ich selber Gelder für eigene Projekte beantragen. Am Stadttheater bin ich »nur« die Schauspielerin, die im Zweifel die Ideen anderer ausführt. Mit meinem Schritt zurück in die freie Szene ist meine Kunst auch politischer geworden, wobei ich das Gefühl habe, sobald ein Mensch mit einer Behinderung auf der Bühne agiert, ist das an sich schon ein politisches Statement. Aber das reicht nicht. Wir brauchen Veränderung und dafür muss man deutlicher Haltung zeigen.
Und ja, hier und da werden Verbesserungen sichtbar. Meist ist der Abbau der räumlichen Barrieren der erste Schritt und das ist wichtig, keine Frage. Aber das ist erst der Anfang. Um einen wirklich gleichberechtigten Zugang für alle zu gewährleisten, reicht es nicht, immer mal wieder, am besten noch projekteweise, Menschen mit Behinderung dabei sein zu lassen. Die Strukturen von Institutionen, unseres ganzen Gesellschaftssystems müssen sich grundlegend verändern. Wir müssen bereit sein ernsthaft miteinander zu kommunizieren. Und wir müssen weg vom Wohltätigkeitsdenken: Gleichberechtigter Zugang ist keine gute Tat, sondern ein Menschenrecht! ¶