Christoph Koncz kommt gerade aus Genf. Dort hat er dirigiert. Nun ist er wieder zuhause, in Wien, wo er bei den Philharmonikern die Position des Stimmführers der Zweiten Geigen innehat. Mit 20 Jahren wurde er frisch von der Uni wegengagiert. Seitdem spielt er immer noch und immer wieder auch als Solist. Eine zufällige Begegnung in Salzburg mit der Geige Mozarts brachte ihn auf die Idee, alle Violinkonzerte des Komponisten mit dessen eigenem Instrument einzuspielen. Koncz lebt in verschiedenen Klangwelten. Mit der Geige des Komponisten soll es möglichst klingen, wie zu Mozarts Zeiten – und bei den Wiener Philharmonikern möglichst nach Wiener Philharmonikern. Dort geht es um einen Klang, den der Vorstand des Orchesters, Daniel Froschauer, so beschreibt: »Es muss in Fleisch und Blut übergehen, dass man sich zurücknimmt, wo man nicht so wichtig ist.« Wer gut zuhören könne und in die Tradition hineinspüre, der sei ein guter Philharmoniker.

VAN: Wie war das, als Sie Mozarts Geige zum ersten Mal begegnet sind?

Christoph Koncz: Vor acht Jahren gab es in Salzburg während der Mozartwoche ein Kammermusik-Konzert, bei dem mehrere seiner Instrumente gespielt wurden. Auch die Geige war dabei. Ich war sofort fasziniert, bin hinter die Bühne und da standen die beiden Leiterinnen der Mozart-Museen und sagten: ›Kommen Sie doch mal vorbei, wenn Sie sie spielen wollen!‹ Ich habe mir einen Barockbogen ausgeborgt, bin wenige Tage später in Mozarts Geburtshaus gegangen und wurde in den Tresorraum geführt, in dem die Geige lag. Ich habe spontan alle fünf Violinkonzerte von Mozart durchgespielt. Drei, vier Stunden. Ich war überglücklich.

Fühlten Sie sich Mozart sehr nah durch die Geige?

Als Geiger kennt man Mozart seit Kindertagen. Er war immer der Komponist, der mir persönlich am nächsten stand. Durch die Geige bin ich für die Chronologie seines Schaffens äußerst sensibel geworden. So klingt zum Beispiel sein Violinkonzert aus dem Juni 1775 ganz anders als jenes, das er im September 1775 geschrieben hat. Da gibt es eine phänomenale künstlerische Steigerung. Die kann man nicht erklären. Was da in diesen paar Wochen als 19-Jähriger in ihm passiert ist, wissen wir nicht. Sein Ausdruck wird von Werk zu Werk tiefer. Mozart hat diese Stücke selbst auf dieser Geige gespielt und das spürt man.

Sie haben versucht, bei der CD-Aufnahme mit Les Musiciens du Louvre die Aufführungsbedingungen zu Mozarts Lebzeiten zu rekonstruieren.

Ich habe tatsächlich sehr umfassende Recherchen betrieben. Das Orchester war bei der Aufnahme nur mit 26 Musikern besetzt. Wie zu Mozarts Zeit üblich habe ich als Solist auch die Tutti dirigiert. Während der Solo-Passagen haben im Orchester nur drei erste Geigen gespielt. Anhand authentischer Orchesterstimmen wissen wir, dass es damals auch so gemacht wurde. Und es bildet die klangliche Textur der Werke noch besser ab. Außerdem sind von Mozart leider keine Kadenzen zu den Violinkonzerten überliefert. Ich habe seine Kadenzen zu den Klavierkonzerten sehr genau studiert und mit Mozarts Violine in der Hand versucht, mir vorzustellen, wie er auf dieser Geige improvisiert hätte. Und das habe ich dann niedergeschrieben.

Ich finde, dass die Geige auf der Aufnahme sehr hell klingt.

Die Violinkonzerte von Mozart haben auch diesen Charakter. Die Geige klingt silbern. Bis sie wieder gut in Form war, hat es lange gedauert. Sie wurde ja jahrhundertelang nicht regelmäßig gespielt. Ich bin also oft mehrere Tage die Woche von Wien nach Salzburg gefahren, um täglich fünf, sechs Stunden auf ihr zu üben. Glücklicherweise bin ich sehr gerne in Salzburg.

Wie hat sich das Instrument verändert unter Ihren Händen?

Der Klang hat sich geöffnet. Manchmal gab es eine Veränderung über Nacht. Die Einspielzeit wurde immer kürzer. Jetzt ist das Instrument sofort da, wenn ich es verwende. Der Ton ist wieder aufgeblüht.

Prägt der Spieler die Geige oder die Geige den Spieler?

Beides. Ich spiele normalerweise auf einer Stradivari von 1707. Sie hat ein beeindruckend reiches Farbspektrum. Aber ich muss diesen Farben auch nachspüren! Meine Spielweise schürft sich dem Instrument aber auch ein. Das ist wie mit einem Bachbett: Das wird geprägt von der Art und Weise, wie das Wasser durchfließt. Wenn Sie eine Geige immer mit Ihrem unverwechselbaren Ton spielen, gewöhnt sich das Instrument daran. Bei Mozarts Geige habe ich natürlich auch meine Vorstellung miteingebracht. Seit seinem Tod hat sich wohl niemand so intensiv mit ihr beschäftigt wie ich.

Ihre Stradivari ist von 1707, die Mozart-Geige kommt etwa aus derselben Zeit. Warum klingen die beiden denn so unterschiedlich?

Fast alle alten Geigen sind im 19. Jahrhundert umgebaut worden. Die Säle wurden damals größer, das Orchester stärker, da mussten auch die Geigen lauter werden. Wer heute auf einer Barockvioline spielt, verwendet eigentlich immer ein Instrument, das bereits einmal modernisiert worden war und später wieder zurückgebaut wurde. Dass Sie eine Geige finden, die niemals umgebaut wurde, ist fast unmöglich. Mozarts Geige ist einfach nie modernisiert worden, weil sie von Anfang an wie eine Reliquie verehrt wurde. Natürlich hat sie heute neue Darmsaiten, Steg und Stimmstock sind im Originalstil nachgebaut, aber davon abgesehen ist alles so, wie es damals war.

Glauben Sie, dass man Mozart nur korrekt aufführen kann, wenn man auch alte Instrumente aus Mozarts Zeit nutzt?

Die Modernisierung der Instrumente war seinerzeit klanglich nicht unbedingt eine Verbesserung. Mozart hat nur diese alten Instrumente gekannt und für sie komponiert. Sie können auch moderne benutzen, aber es wird immer anders klingen. Ich bin ein großer Bewunderer des Originalklangs, das war ich schon als Kind.

Hätten Sie die Violinkonzerte mit Ihrer Stradivari eingespielt, hätten wir jetzt ein ganz anderes Ergebnis?

Zu 100 Prozent. Wir wollten die historischen Gegebenheiten nachbilden, soweit es möglich ist. Natürlich haben wir die Musik mit Mikrofonen aufgenommen; diese Idee hätte damals wohl absurd angemutet.

Sie hatten auch keine Perücken an.

Wir gehen heute auch zum Zahnarzt und reisen mit Flugzeugen, benötigen nicht mehr drei Tage in der Kutsche für die Strecke von Wien nach Salzburg. Wir spielen auch nicht mehr bei Kerzenlicht. Darum geht es aber auch nicht. Mozart ist universal und unterliegt keiner Mode. Er wird nicht alt. Wenn Sie im Museum ein Bild von Leonardo da Vinci sehen – das spricht noch nach 500 Jahren zu uns. Das ist doch unglaublich. Bei großer Kunst merkt man, wie wenig sich im menschlichen Empfinden grundlegend geändert hat. Uns beschäftigen seit der Antike eigentlich dieselben Fragen.

Andererseits nähren Sie auch den Reliquienwahn in der Klassik. Leute zieht es zu Beethovens in Formalin eingelegten Locken, oder zu handgeschriebenen Briefen. Bringt das irgendjemanden näher zur Musik?

Hätte ich irgendeine Barockgeige gespielt, die nicht Mozarts gewesen wäre: Das musikalische Ergebnis wäre sicherlich ein anderes gewesen. Die Locke können wir vergessen, aber Autographe sind für mich sehr wichtig! Durch Mozarts umfangreiche Briefe habe ich erst verstanden: Dieser Mensch hat ja wirklich gelebt. Ich habe gelernt, dass er viel mehr Arbeit in seine Werke gesteckt hat, als wir gemeinhin denken.

Man stellt es sich so vor, dass gerade Mozart alles immer nur so leicht hingetupft hat.

Er hat jedoch auch ganz bewusst musikalische Effekte berechnet, er wusste zum Beispiel vorher: An dieser Stelle wird das Publikum klatschen. Er spricht Herz und Kopf gleichermaßen an, Kenner und Liebhaber. Er ist genial, aber auch unterhaltsam. Für mich ist das ein Zeichen der größten Kunst.

Sie sind Dirigent, Sie sind Solist und als solcher bei Ihrer Aufnahme barock unterwegs. Aber Sie sind eben auch Stimmführer der Zweiten Geigen bei den Wiener Philharmonikern. Und dort wird einem anderen Klang gehuldigt als der, dem Sie sich bei Ihrem Projekt als Solist verschrieben haben. Bei den Philharmonikern spielen Sie eine modernisierte Geige. Wie schafft man das, zwischen den Welten so hin und her zu wandern?

Der Klang bei den Philharmonikern ist ja auch in gewisser Hinsicht ein Originalklang, nur eben von 1870! [lacht]

k.u.k.!

Wenn wir heute Werke von Brahms oder Bruckner spielen, die das Orchester einst uraufgeführt hat, sitzen Sie im Orchester und spüren: Diese Art der Instrumentation ergibt besonders viel Sinn.

Welche Rolle spielen die vielen unveränderten Instrumente für den Wiener Klang?

Oboe, Horn, Pauken – auf unseren Versionen dieser Instrumente spielt man eigentlich nur noch in Wien. Aber unsere Klangvorstellung hängt auch besonders an den Spielern. Ich habe einmal einen Hornisten-Kollegen gehört, der spielt sonst natürlich das ›alte‹ Wiener Horn. Als er dann mal ein übliches modernes Doppelhorn blies, hörte sich das genauso an wie sein eigenes Instrument. Der Klang ist einfach in uns drin.

Und können Sie so leicht wechseln, von barocker Geige zu moderner?

Vor Kurzem habe ich vormittags fünf Stunden in Salzburg auf der Mozart-Geige geübt und anschließend den Zug nach Wien genommen. Abends haben wir dann in der Wiener Staatsoper Salome von Richard Strauss gegeben. Es war lustig, es war schwer. Ich habe ein absolutes Gehör. Ich stimme Mozarts Violine auf a’ = 430 Hz und somit einen Viertelton tiefer als üblicherweise bei meinen Kollegen. Das ist schon ein große Umstellung für mein Ohr, dass ein a morgens so klingt und abends plötzlich höher!

Sind die Wiener Philharmoniker, wenn man Mozart spielen will, das ideale Orchester? Der Dirigent René Jacobs hat mal gesagt, wolle man einen Mozart gut spielen, dürfe man nicht die Wiener beauftragen.

Interessanterweise hat Herr Jacobs die Wiener Philharmoniker noch nie dirigiert.

Unsere Besonderheit, der warme und homogene Klang, verträgt sich meiner Meinung nach hervorragend mit Mozart.

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Wie bewahren Sie sich diesen Wiener Klang? Das Orchester hat, im Gegensatz zu anderen Spitzenorchestern, nicht mal einen Chefdirigenten, der darauf achtet.

Bruno Walter zum Beispiel hat das Orchester über viele Jahrzehnte dirigiert. Er sagte 1960 in einem Radio-Interview: Unglaublich, dass es hier noch so klingt wie 1897. Er fand unser Vibrato dafür sehr wichtig.

Ihr Vibrato?

Ja, er meinte, die Philharmoniker haben eine besondere Art, Vibrato zu erzeugen und das wäre für unseren Klang mitentscheidend. Man könnte das mit einer mittelalterlichen Handwerkszunft vergleichen. Kollegen unterrichten, bringen Schüler hervor, die haben das alte Klangideal und kommen selbst ins Orchester, geben es wieder weiter und immer so fort. Die Wiener Geigenschule geht von Joseph Böhm bis heute durch. Ich könnte Ihnen sozusagen meinen ununterbrochenen geigerischen Stammbaum aufzeichnen.

Aber ein Chefdirigent könnte doch nützlich sein bei der Klangpflege?

Dass wir keinen Chef haben, führt dazu, dass das Orchester alles selbst entscheidet. Jedes Mitglied identifiziert sich mit diesem Klang. Jeder hört sehr aufmerksam zu, wie der andere spielt. Die Verantwortung für den Klang liegt komplett bei uns und diese Besonderheit ist allen bewusst. Ich kam mit 20 ins Orchester, es hat meine Klangvorstellung sehr stark geprägt. Man fürchtet als Streicher oft, mit Orchestereintritt seine individuellen Qualitäten einzubüßen, aber bei mir war es genau umgekehrt. Das passierte völlig zwanglos.

Könnten sie übermorgen auf der gleichen Position, als Chef der Zweiten Geigen, bei den – sagen wir – Berliner Philharmonikern einspringen?

Auf einer Führungsposition wäre das vielleicht schwieriger, im Tutti ginge es wohl. Ich habe als Gast in der Metropolitan Opera New York und im Concertgebouworkest Amsterdam gespielt, einfach um diese Erfahrung zu machen. Man passt sein Spiel sofort an. Bei den Berlinern würde ich gern einmal mitspielen, da ich ein großer Bewunderer bin.

Kann man sagen, die Wiener Philharmoniker sind durch das viele Opernspielen gezähmt, aber die Berliner nicht?

Gezähmt, naja.

In Wien spielt man nicht so porsche-artig.

Nein, wie ein Porsche sind wir wirklich nicht. Die Oper ist sicherlich unsere Grundlage, unsere Identität. In der Staatsoper spielen wir die Repertoirestücke häufig ohne jegliche Probe, da haben Sie gar keine andere Möglichkeit, als auf die Sänger zu hören. Und wir müssen als Opernorchester immer Geschichten erzählen. Das überträgt sich dann auf unsere Konzerte. Die Kollegen spielen wirklich mit Herzblut und Ausdruck. Bei den Berliner Philharmonikern bewundere ich besonders die Virtuosität und die unglaubliche Leistung eines jeden einzelnen Musikers.

Können Sie ein Beispiel geben?

Da hört man in einer Haydn-Symphonie unvermittelt zwei Takte Flötensolo und ist hin und weg. Dieses Orchester lebt im Luxus. Es spielt brillant. Es ist sportlich und muskulös. Ein Forte im Rosenkavalier klingt bei den Berlinern sicherlich anders als in Wien.

Die Wiener Philharmoniker sind defensiver.

Ich habe die Berliner einmal im Musikverein mit der Eroica gehört. Vieles, was man Streicherstudenten über das Orchesterspiel beibringen möchte, machen die Berliner nicht. Jeder spielt mit vollem Risiko drauflos, noch am letzten Pult, mit ganzem Bogen und ganzem Einsatz. Wenn es funktioniert, ist es Weltklasse. Es funktioniert nur bei keinem anderen Ensemble der Welt. Wenn jeder für sich spielt, kann das schnell zur Katastrophe führen. Aber die Berliner haben ein derart hervorragendes Niveau, dass es eben funktioniert! Das Resultat ist dann natürlich äußerst mitreißend.

Gibt es etwas, das Ihr Orchester, die Wiener Philharmoniker, nicht kann?

Da wir grundsätzlich ein Opernorchester sind, geben wir gar nicht so viele Symphoniekonzerte, unser Konzertrepertoire ist also dementsprechend etwas eingeschränkt. Wir greifen häufig auf die bewährten Meisterwerke zurück oder spielen Auftragswerke und zeitgenössische Musik. Raritäten dazwischen entdecken wir leider nur selten.

Ein Wort zu Walzern und ihrer abgründigen Leichtigkeit. Es heißt immer: Die Wiener Philharmoniker spielen bei Walzern eins, zwei…. vielleicht drei. Was meint man damit?

Der dritte Schlag des Taktes kommt viel später, als man es vom Metronom her ansetzen würde. Das lässt sich nur schwer erklären. Wenn man versucht, es zu kopieren, verkommt es sehr leicht zur Karikatur. Wir nennen es ›walzen‹ im Gegensatz zum ›gerade spielen‹.

Sie nehmen die Walzer leicht.

Diese Musik liegt uns sehr am Herzen und wir versuchen, ihre künstlerische Genialität vollends darzustellen. Einem Josef-Strauss-Walzer können Sie sich hingeben. Bonbonfarbene Kleider helfen dabei nicht. Ich erinnere an André Rieu, der in der weltberühmten Akustik des Musikvereins mit elektrisch verstärktem Orchester aufgetreten ist. Also, das kann’s nicht sein.

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Der Musikvereinssaal ist die Schatzkiste der Wiener Philharmoniker.

Und das seit 150 Jahren. Die Bühne ist uralt. Die spartanischen Notenpulte sind aus Holz. Die Stufen auf der Bühne sind sehr unpraktisch. Gastorchester haben im Musikverein häufig große Mühe mit der Aufstellung. Dort ist alles so, wie es seit vielen Jahrzehnten war, weil man Angst hat, dass sich sonst dieser einzigartige Klang verändert. Man will nicht auch nur an einer Schraube drehen, so viel Ehrfurcht hat man. In der legendären New Yorker Carnegie Hall wurden zum Beispiel im Zuge einer Generalsanierung 1986 die Publikumssitze, der Teppich und der Bühnenboden renoviert. Natürlich hat das auch den Klang des Saals beeinflusst.

Die Bühne im Musikverein sieht immer wahnsinnig voll aus. Als säßen Sie sich auf dem Schoß.

Es ist auch so. Das ist bei Ihnen in der Berliner Philharmonie natürlich komfortabler.

Ja, der Saal ist sehr karajanesk. Ein Hit ist das Runterfahren des Flügels per Hebebühne nach erfolgtem Klavierkonzert.

Im Musikverein wird der Flügel hochkant genommen und ohne Füße durch die Tür in den Saal geschoben. Anders passt er nicht durch. Das dauert 10 Minuten. Im Amsterdamer Concertgebouw, noch so ein toller, alter Saal, müssen die Künstler erst einmal unzählige Stufen runter, bis sie auf der Bühne sind. Ich mache mir da manchmal Sorgen, wenn ein 90-jähriger Dirigent ohne Geländer dort hinunter muss, oder Solistinnen mit teuren Geigen und hohen Schuhen.

@christophkoncz über Mozarts Geige, ›walzen‹ und was die Wiener von den Berliner Philharmonikern unterscheidet in @vanmusik.

Sie sind trotz Ihrer Position bei den Wiener Philharmonikern ein Verfechter der historischen Aufführungspraxis. Diese möchte hin zu mehr Objektivität in der Musikinterpretation. Aber kann es Objektivität in der Musik überhaupt geben?

Die Frage ist eher: Soll es sie geben? Objektivität und Kunst sind nur schwer vereinbar. Kunst spricht zu Individuen, zu Subjekten. Natürlich muss man sich als Interpret möglichst detailliert mit der Entstehungszeit der Musik auseinandersetzen. Was steht zwischen den Noten? Darum geht es. Wir haben nur Notenpapier, aber das Papier ist nicht die Musik. Wir retten die Emotionen des Werks über die Zeit. Sobald die Musik erklingt, wird sie bereits interpretiert, das können Sie nicht vermeiden. Man soll sich nur selbst nicht zu wichtig nehmen. Wir sind nachschaffende Künstler, die eigentliche kreative Arbeit leistet natürlich der Komponist. Auch in bester Absicht kann man die eigenen Gefühle noch ungut über die Gefühle des Komponisten stülpen. Ich finde das falsch. Ich muss als Musiker möglichst empathisch die Emotionen des Stücks aufspüren und empfinden, dann wiedergeben und vermitteln. Aber Objektivität, nein, das gibt es nicht, solange Menschen beteiligt sind. ¶

... arbeitet als Redakteurin bei der Religionsbeilage der ZEIT, Christ & Welt. Ausgebildet wurde sie an der Henri-Nannen-Schule. Falls es mit dem Geigenspiel nicht klappt, möchte sie auf Oboe umsteigen.