Ein Gespräch mit Jan Vogler über Ausländerfeindlichkeit und Interkulturalität

Text · Titelfoto © Felix Broede · Datum 25.5.2016

VAN: Sie sind in Ostberlin aufgewachsen, wohnen jetzt in New York, Ihre Frau ist Chinesin, Sie sind solistisch auf der ganzen Welt unterwegs und Intendant zweier internationaler Musikfestivals in Dresden. Wie oft wurden Sie in den letzten Jahren auf Pegida angesprochen?

Jan Vogler: Gar nicht so oft. In der Musikerfamilie lebt man schon in einer Art Blase. Woher man kommt, welche Religion man hat, welche sexuelle Orientierung, welche Lebensart, das ist als Thema völlig durch unter uns. Es gibt einen großen Kontrast zwischen der Welt, mit der ich täglich zu tun habe, und der Welt, die ich wahrnehme, wenn ich zum Beispiel die Zeitung lese.

Was sagen denn Ihre Bekannten außerhalb der Musikerfamilie?

In Deutschland empört sich die bürgerliche Mitte immer besonders über Sachsen und Dresden, weil die rassistischen Tendenzen dort stärker sind als in anderen Bundesländern. Im internationalen Freundeskreis gibt es eher generell einen sorgenvollen Blick: auf Europa, auf Österreich, auf Frankreich, auf Trump, der ja ziemlich identische Strategien einsetzt, die Leute zu fangen, wie die AfD bei uns. Auch der Brexit wäre, wie ich finde, ein großer Rückschritt für Europa.

Foto © Oliver Killig
Foto © Oliver Killig

Kennen Sie dann überhaupt Menschen, die zu Pegida-Demonstrationen gehen oder die AfD wählen?

Ich habe auch einige Bekannte, die massive Ängste haben. Ich diskutiere natürlich mit denen, versuche zuzuhören, auch wenn es manchmal schmerzt, weil bestimmte Positionen für mich nicht verhandelbar sind. Wenn ich vor einem größeren Publikum spiele oder spreche, sind da sicher einige dabei, die nicht mit mir übereinstimmen, die sich aber in dem Moment sagen: ›Na ja, das passt zu dem, der ist Künstler. Außerdem mag ich, wie er Cello spielt, deshalb schlucken wir das so‹. Neulich habe ich auf einer Ausstellung zum 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland gesprochen. Da kam hinterher ein offensichtlich eingeladener Gast zu mir, fragte,was ich denn meine mit ›Rassismus‹, das wäre doch ein Placebo, ein linker Mythos. Wir müssen es aber in einen größeren Kontext einordnen: Wenn Sie über die Grenze gehen nach Polen, nach Tschechien, da kann ein schwules Paar nicht ohne massive Probleme in eine Bar gehen.

Haben Sie eine Erklärung für das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in vielen Ländern?

Längere Friedensperioden sind immer gefährdet durch diese Aggressionsausbrüche, die wie Entzündungen die Gesellschaft befallen. Das ist mein emotionales Verständnis der Situation, auch in Amerika, wo die Atmosphäre sich so aufheizt, wenn Donald Trump spricht. Es gibt eine gewisse Friedens- und Demokratiemüdigkeit da. Es zu schaffen, dass diese Entzündung immer wieder abklingt, das ist die Herausforderung, ein ständiger Kampf der Menschheit.

Sie erzählen oft, dass für Sie die Wende die ›größte Sache Ihres Lebens war‹, weil sie Ihnen ein kosmopolitisches Leben und den Austausch mit anderen Kulturen ermöglicht hat. Verstehen Sie Menschen, die das, was Sie als Glück erlebt haben, eher mit Angst erfüllt?

Verstehen ist schwierig, ich kann es eher analysieren. Ich bin in einer sehr westlich orientierten Familie aufgewachsen, meine Eltern hatten Kontakte in den Westen, wir hatten die verbotenen Bücher zuhause versteckt. Vielleicht haben wir ein offenes Leben schon ein bisschen antizipiert, vielleicht ist es auch eine Typfrage, dass auf mich das kosmopolitische Leben immer eine extreme Faszination ausgeübt hat. Als die Wende kam, bin ich sofort nach New York gezogen, ich wollte lernen, mich in dieser Welt zu definieren, mich weiterzubilden, Sprachen zu lernen, als Künstler international zu leben. Ich empfinde es heute immer noch als wahnsinnige Bereicherung, diesen globalen Freundeskreis zu haben. Aber natürlich hatten viele Leute nicht die Möglichkeit oder den Wunsch, ihren Radius zu erweitern.

Was ist denn schiefgelaufen nach der Wende?

Ich glaube, dass wir bei der Wiedervereinigung einen riesigen Fehler gemacht haben. Wir haben die Infrastruktur fantastisch aufgebaut. Wenn man sich heute umsieht, zum Beispiel in Dresden – jede Straße, jede Brücke ist neu. In jedem Dorf, in dem kaum noch jemand wohnt, weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist und die Leute abwandern, ist die Landstraße so wie in keinem anderen Land der Erde. Der Bürgersteig wird die nächsten hundert Jahre halten, auch wenn da keiner drüber läuft. Aber wo haben wir wirklich in die geistige Wiedervereinigung investiert? Die geistigen Schlaglöcher sind tiefer als die auf den Straßen. Wir hätten wahrscheinlich ähnliche Summen in die Hand nehmen müssen, um die interkulturelle Verständigung in beiden Ländern einzuüben. Ich glaube, viele Leute haben noch gar nicht richtig verstanden, dass nicht nur die Supermärkte anders sortiert sind und die Stadt anders aussieht, sondern dass damit auch eine geistige Umstellung einhergeht.

Vielleicht hat uns die Wende auch ein bisschen blauäugig und arglos gemacht, die Überraschung, dass so etwas wie eine friedliche Revolution passiert ist. Das hat vielleicht unsere Sensoren dafür abgeschwächt, wie sensibel und fragil so eine Demokratie und wirkliche Toleranz sind.

In der Öffentlichkeit gibt es Streit darüber, wie man mit Pegida und der AfD umgehen soll. Ihr Dresdner Kollege Christian Thielemann hat im Februar 2015 in einem Beitrag in der Zeit dafür plädiert, Pegida besser und mehr zuzuhören. Ende 2015 forderte er eine Bannmeile um das historische Zentrum, um den Image-Schaden für die Stadt zu mindern. Was kann Kunst politisch bewirken?

Ich glaube tatsächlich, dass Kultur und Bildung die einzigen Waffen, die einzigen Mittel sind, um die Aufklärung der Gesellschaft immer wieder voranzutreiben. Ich glaube, wir müssen als Deutsche lernen, nicht nur an diese materiellen ›Dinge‹ zu glauben. Sie können in jedem Bundesland in einer Stadtratssitzung ein millionenteures Infrastrukturprojekt durchbringen, aber versuchen Sie mal, eine Millionen Euro für ein interkulturelles Projekt loszueisen. Stattdessen wird jetzt gerade das EUYO geschlossen werden. Da fehlen vielleicht 300.000 EUR. Es reicht nicht, den Flüchtlingen eine Unterkunft, was zu essen und einen Schlafsack zu geben; es reicht auch nicht, den Menschen in diesen Orten zu sagen, ›so jetzt haben die Flüchtlinge eine Unterkunft, und ihr dürft keine Molotowcocktails schmeißen.‹ Das reicht nicht. In jedem Dorf muss es eigentlich ein interkulturelles Zentrum geben, wo man sich treffen kann, wo man beraten wird, warum die Menschen hierherkommen. Da müssen wir als Deutsche ein bisschen gegen unsere Schwäche ankämpfen, nur an Dinge zu glauben, die man sehen kann.

Pegida Demonstration in Dresdens historischem Zentrum am 19. Oktober 2015 · Foto strassenstriche.net (CC)
Pegida Demonstration in Dresdens historischem Zentrum am 19. Oktober 2015 · Foto strassenstriche.net (CC)

Es fällt auf, dass sich bekannte klassische Musiker viel seltener und weniger klar zu politischen Fragen positionieren als Künstler anderer Sparten. Ein Beispiel, weil wir hier gerade in der Berliner Philharmonie sind und Sie den Brexit ansprachen: Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Simon Rattle, möchte sich weder zum Brexit äußern, noch hörte man von ihm als UNICEF-Botschafter einen Kommentar zur britischen Flüchtlingspolitik. Bei den Künstlerinitativen zu beiden Themen finden sich keine klassischen Musiker unter den Unterstützern. Woran liegt das?

Weil die Leute ganz schnell in eine Ecke gestellt werden. Ich habe mich schon in einer Position wiedergefunden, in der ich Valery Gergiev verteidigt habe. Christian Thielemann und ich arbeiten beide in Dresden sehr hart an Kultur, wir sind beide Musiker, reisen beide weltweit und haben beide politisch wahrscheinlich ziemlich verschiedene Ansichten, aber man wird ja als Künstler sofort an die Wand genagelt, wenn man irgendwie eine Meinung hat, die irgendjemanden nicht gefällt.

Das ist ja aber doch das Wesen von politischer Äußerung, dass es nicht allen gefällt.

Es gibt die Haltung, die viele meiner Kollegen unterschreiben würden: ›Wieso äußerst du dich zu etwas, was du nicht verstehst‹?. Das würde sich vermutlich ändern, wenn es mehr Toleranz gäbe beim Anhören der politischen Äußerungen von Künstlern.

Als Intendant des Moritzburg Festivals und der Dresdner Musikfestspiele: Gibt es bei Künstler/innen oder Gästen Vorbehalte, nach Dresden zu kommen?

Es gab bisher keine Musikerin, die gesagt hat, ich komme nicht wegen Pegida. Keine Einzige. Wir kriegen pro Tag vielleicht eine E-Mail vom Publikum, wo drinsteht, ›bitte streichen sie mich von der Besucherliste, ich will mit Dresden nichts mehr zu tun haben‹. Ich glaube, dass wir in Dresden mal die kritische Zehnprozentrozentmarke beim Ausländeranteil überschreiten müssen. Warum protestieren in Dresden so viele Leute gegen Ausländer? Weil wir zu wenige haben. ¶

Am Donnerstag, den 26. Mai, findet in der Münchner Philharmonie am Gasteig ein Konzert anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der Hilfsorganisation CARE mit dem Singapore Symphony Orchestra unter der Leitung von Lan Shui statt. Jan Vogler tritt hier als Solist neben der Violinistin Arabella Steinbacher auf.

Dies ist der Link zur Veranstaltung.

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com