»Die kleine Zelle war von vielen weiteren umgeben, in denen Insassen des Todestrakts oder Untersuchungsgefangene untergebracht waren. Es war kein Licht darin. Der Gefangene hob die Hand, sah aber nichts. Es gab keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Dunkelheit ist vor allem Dunkelheit. Es war Tag eins.«

[aus Nguyen Quang Hong Nhans The hell is real]

In der Textsammlung The hell is real verarbeitet Nguyen Quang Hong Nhan die Zeit seiner Haft in einem vietnamesischen Gefängnis literarisch und schreibt dabei unter anderem den Beginn des Buches Genesis um. The hell is real heißt auch das Werk, mit dem seine Tochter, die Klavierstudentin Hong An Nguyen, kürzlich beim HUGO-Wettbewerb für neue Konzertformate im Rahmen der Montforter Zwischentöne den zweiten Platz belegte. »In meinem Projekt versuche ich, meine Situation der Heimatlosigkeit zu beschreiben: Es gibt so viel Bedrohung und Leid, aber es gibt auch Hoffnung und Mut«, erklärt sie per Mail. »Ich habe versucht, Musik zu finden, die das ausdrückt.« Bachchoräle, Neue Musik von Samir Odeh-Tamimi, Christian Mason und anderen, eine Uraufführung der Eigenkomposition Ephata. »Die Musik verbinde ich mit den Texten meines Vaters, der versucht hat, als Mensch und Schriftsteller im Gefängnis zu überleben. Mein Vater ist Autor und Menschenrechtsaktivist, der fast 20 Jahre lang unter der kommunistischen Diktatur Vietnams inhaftiert war.«

Das Gefühl der Heimatlosigkeit ist für Hong An Nguyen sehr konkret: Vater, Mutter und Tochter reisten 2015 nach Deutschland, wo die hochbegabte Pianistin zu einem internationalen Klavierwettbewerb eingeladen war. Die Familie beantragte politisches Asyl, die Tochter begann ein Klavierstudium an der Musikhochschule in Nürnberg. Das Studium verlief sehr erfolgreich, der Asylantrag allerdings wurde, wie auch der Folgeantrag, vom BAMF abgelehnt. Ein deutsches Verwaltungsgericht war der Auffassung, die vietnamesische Regierung interessiere sich heute nicht mehr für den Oppositionellen. Darum wurde das Ehepaar Ende März 2019 abgeschoben. Hong An Nguyen blieb, weil ihr Pass abgelaufen war und eine Abschiebung ohne gültigen Pass nicht möglich ist. »Kurz nachdem meine Eltern abgeschoben wurden, hatte ich die Abschlussprüfung für das Bachelorexamen. Ich konnte nur beten und mich darauf konzentrieren, mein Bestes zu geben. Ich höre und spiele immer Musik, egal was passiert.« Sie bestand den Bachelor und auch die Master-Aufnahmeprüfung. Ein paar Tage vor dieser musste sie bei der Ausländerbehörde in Nürnberg eine Duldung beantragen, die für nur zwei Wochen ausgesprochen wurde. »Ich lebe immer in Angst, dass man kommt und mich abholt. Wenn ich schlafe, habe ich Angst das Licht zu löschen.« Außerdem belastet sie die Sorge um die Familie stark: »Meine Eltern wurden als Oppositionelle von den zentralen Presseorganen der vietnamesischen kommunistischen Regierung scharf verurteilt. Die Abschiebung meines Vaters interessiert immer noch viele Leute. Die vietnamesischen Kommunisten wissen das gut und sie wissen auch, dass ich hier bin und nicht schweigen werde, wenn meine Eltern in Vietnam verhaftet würden. Also haben sie sie durch Falschinformationen in den Medien von der Gesellschaft isoliert. Dadurch ist das Leben meiner Eltern zurzeit äußerst schwierig.« Laut einer Pressemitteilung des Bayerischen Flüchtlingsrats vom 9. April 2019 wurde das Ehepaar nach Ankunft in Vietnam 14 Stunden lang verhört und in der Folge weiter überwacht. »Als sie aus Deutschland deportiert wurden, erlaubte die Polizei ihnen nicht, Geld mitzunehmen, auch keine Medikamente«, berichtet Hong An Nguyen. »In Vietnam haben sie außerdem kein Haus mehr zum Leben. Der Gesundheitszustand meines Vaters ist jetzt sehr schlecht. Medikamente, die ihm aus Deutschland geschickt wurden, wurden zurückgesendet.«

Vietnam gilt nicht als »sicheres Herkunftsland«. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht das Land derzeit auf dem fünftletzten Platz, 176 von 180. Amnesty International schreibt in einem Bericht zur Lage der Menschenrechte in Vietnam in den Jahren 2017 und 2018:

»Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit unterlagen weiterhin willkürlichen Einschränkungen. Die Repressionen gegen Andersdenkende verschärften sich, so dass sich zahlreiche Menschen gezwungen sahen, das Land zu verlassen. Menschenrechtsverteidiger, friedliche politische Aktivisten und Angehörige von Religionsgemeinschaften wurden Opfer zahlreicher Menschenrechtsverletzungen wie willkürlicher Inhaftierung, unfairer Gerichtsverfahren wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit und anderer vage formulierter Anklagen sowie lang andauernder Haft. Bekannte Aktivisten wurden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und waren Überwachung, Schikane und gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Gewaltlose politische Gefangene wurden gefoltert und anderweitig misshandelt. Es gab Berichte über verdächtige Todesfälle in Polizeigewahrsam. Die Todesstrafe wurde beibehalten.«

Trotzdem wurden laut der Asylgeschäftsstatistik des BAMF im Jahr 2019 von 853 Entscheidungen über Asylanträge von Vietnames*innen keine Asylberechtigung oder Anerkennung als Flüchtling ausgesprochen, auch wurde kein subsidiärer Schutz gewährt. In sechs Fällen griff ein »Abschiebungsverbot gemäß § 60 Satz 5/7 AufenthG« (ein Verbot der Abschiebung, wenn diese gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen würde oder im Heimatland eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht), es gab außerdem 157 »sonstige Verfahrenserledigungen« (zum Beispiel sogenannte »Dublin-Fälle«, bei denen die Zuständigkeit für das Verfahren bei einem anderen EU-Land liegt). Das BAMF selbst stellt aber in einem »Entscheiderbrief« (einem monatlich durch das vom BAMF unterhaltene »Informationszentrum Asyl und Migration« verfassten Schreiben, das den Mitarbeitenden des BAMF, die über Asylverfahren entscheiden, Informationen über die aktuelle Lage in relevanten Herkunftsländern bereitstellt) vom Juni 2019 eine Verschärfung der Gefahr vor allem für online publizierende Regierungsgegner*innen in Vietnam fest. Der folgende Absatz bezieht sich vermutlich implizit auf ein Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 2. Juli 2013, in dem es heißt, ein*e im Ausland exilpolitisch tätige*r Asylbewerber*in aus Vietnam müsse im Falle der Rückkehr nur dann mit asylrelevanter Verfolgung rechnen, wenn die oppositionellen Aktivitäten besonders hervorgetreten, ihre Wirkung nicht auf das Ausland begrenzt und sie seitens der vietnamesischen Behörden als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktischer Opposition gewertet würden. »Asyltaktisch« bedeutet in diesem Fall, dass einer Person unterstellt wird, im Ausland in erster Linie politisch aktiv zu werden, um als Asylbewerber*in Anerkennung zu finden. Das BAMF schreibt im Sommer 2019 im Entscheiderbrief:

»Die Einschätzung des Bundesamts, asyltaktische Exilaktivitäten würden von der vietnamesischen Regierung als solche erkannt und es sei nur in herausragenden Fällen eine Bestrafung zu befürchten, ist nach Auffassung des Gerichts zumindest teilweise überholt. Die vietnamesische Regierung hat die politische Verfolgung in diesem Bereich, insbesondere durch der [sic!] Verschärfung des Gesetzes zur Kontrolle des Internets vom Januar 2019, deutlich intensiviert. Damit dürfte die Schwelle für einen ›herausragenden Fall‹ zumindest bezogen auf Veröffentlichungen im Internet deutlich niedriger geworden sein. Dies gilt selbst dann, wenn die Veröffentlichungen nicht von einer breiten Öffentlichkeit in Vietnam wahrgenommen werden. Denn diese eingeschränkte Wahrnehmung ist gerade Ergebnis und Erfolg der staatlichen Zensur und Kontrolle des Internets. Es kann nach der aktuellen Erkenntnislage nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass die Regierung wegen der eingeschränkten Wahrnehmung auf Verfolgungsmaßnahmen verzichten würde. Vielmehr scheint die vietnamesische Regierung gewillt, Meinungsäußerungen im Internet immer weiter einzudämmen und sich dazu auch verstärkt der Bestrafung regimekritischer Blogger zu bedienen.«

Auch in den Briefing Notes, (die das BAMF wöchentlich veröffentlicht und in denen den Mitarbeitenden Informationen über die aktuelle Lage in relevanten Herkunftsländern auf Basis öffentlicher Quellen an die Hand gegeben werden) weist das BAMF Ende November 2019 auf mehrere Fälle hin, in denen Aktivisten in Vietnam verurteilt wurden. Unter anderem müsse der Musiklehrer Nguyen Nang Tinh eine elfjährige Haftstrafe antreten, weil er Vietnams Regierung im Internet kritisiert hatte. Auch das BAMF scheint also eine Verschärfung der Lage von Regierungskritiker*innen in Vietnam festzustellen.

Der siebte Tag war der Tag, an dem Gott zufrieden ruhte, aber viele andere hier weinen, viele verzweifelt …

[aus Nguyen Quang Hong Nhans The hell is real]

Neben dem Bayerischen Flüchtlingsrat protestierten zahlreiche andere Stellen Anfang April 2019 gegen die Abschiebung Nguyen Quang Hong Nhans und seiner Frau: Das PEN Zentrum Deutschland reagierte mit einem offenen Brief an den BAMF-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer und den Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, in dem es fragte: »Wie kann man einen Autor, dessen Lebensgrundlage die Freiheit des Wortes ist, in ein Land abschieben, das für Repression und Zensur bekannt ist?«, und darauf verwies, dass der Schriftsteller aufgrund eines Schlaganfalls dauerhaft auf Medikamente angewiesen ist. Die Grünen-Abgeordneten im Bayerischen Landtag Cemal Bozoğlu und Verena Osgyan forderten eine vollständige Aufklärung über dieses »Total-Versagen in der bayerischen Asylpolitik«. Margarete Bause, Grünen-Bundestagsabgeordnete, wies das Auswärtige Amt an, »sich über den Verbleib dieser massiv gefährdeten Personen zu informieren und sich für ihren Schutz stark zu machen«. Auch die SPD-Stadtratsfraktion in Nürnberg zeigte sich »sehr bestürzt« und bemühte sich um eine Rückholung des Ehepaares. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk kündigte das BAMF eine Überprüfung des Falls an. Auch stand die Frage im Raum, warum der Asylantrag der Familie ausnahmsweise in Bayern bearbeitet wurde, obwohl dies bei vietnamesischen Asylsuchenden sonst nicht der Fall ist. Auf Nachfrage Ulla Jelpkes (DIE LINKE) im Bundestag am 10. April 2019 ließ der Parlamentarische Staatssekretärs Günter Krings jedoch verlauten: »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat die Bearbeitung der Asylverfahren im Rahmen der zentralen Qualitätssicherung überprüft. Im Ergebnis wird an der getroffenen Entscheidung festgehalten. Die Bearbeitung beim BAMF erfolgte stets im Rahmen der jeweils aktuellen Herkunftsländerzuständigkeit der Außenstellen. Antragstellung und Anhörung im Asylerstverfahren fanden bei einer Außenstelle in Bayern statt, während die Bescheide im Erst- und in den Folgeverfahren außerhalb Bayerns erstellt wurden. Der Bundesregierung liegen derzeit keine eigenen Erkenntnisse zur Situation des Ehepaars vor.«

Foto Chrstphre (CC BY 2.0)
Foto Chrstphre (CC BY 2.0)

Aus der Antwort des Staatssekretärs sprechen die undurchsichtige bürokratische Strukturen, mit denen sich auch Hong An Nguyen konfrontiert sieht. Für ihren Fall zuständig sind zwei Behörden: Das BAMF, das über den Asylantrag entscheidet, und die Ausländerbehörde der Stadt Nürnberg, bei der bei negativem Bescheid des BAMF eine Aufenthaltserlaubnis beantragt werden müsste und die für die Durchsetzung der Passpflicht zuständig ist, denn ohne gültigen Pass oder Passersatz in Deutschland zu leben, stellt eine Straftat dar. »Jeden Monat muss ich zur Ausländerbehörde in Nürnberg gehen, um meine Duldung zu verlängern«, schreibt Hong An Nguyen. »Es geht mir immer sehr schlecht an dem Tag, an dem ich dorthin muss.« Vor kurzem wurde sie von der Stadt Nürnberg dazu angehalten, bis Ende Februar bei der zuständigen Auslandsvertretung ihres Herkunftslandes einen Pass oder Passersatz zu beantragen, sonst mache sie sich strafbar. »In der momentanen Situation bin ich oft sehr erschöpft von den Versuchen, den Forderungen der Behörden nachzukommen«, schreibt sie daraufhin. »Ich versuche mit Hilfe von Anwälten, eidesstattlichen Versicherungen u.a. nachzuweisen, dass es nicht meine Schuld ist, dass Vietnam meinen Pass nicht verlängert – es ist einfach unmöglich, die von der Botschaft geforderten Papiere zu besorgen! Ich versuche es trotzdem jeden Tag und das kostet sehr viel Kraft.« Die Logik hinter den anhaltenden Forderungen der Stadt Nürnberg, den Passersatz zu beantragen (in Hong An Nguyens Fall im vietnamesischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main), ist: Dass der Asylantrag, den Hong An Nguyen zusammen mit ihren Eltern gestellt hatte, vom BAMF abgelehnt wurde, kann dahingehend gedeutet werden, dass ihr von der vietnamesischen Regierung keine Gefahr drohe. Davon ausgehend kann es auch als »zumutbar« angesehen werden, das vietnamesische Generalkonsulat aufzusuchen. »Ich selbst schreibe viele Artikel und spreche öffentlich gegen die vietnamesische kommunistische Regierung«, meint Hong An Nguyen dazu. »Fast alle vietnamesischen Zeitungen im Ausland, z.B. die Voice of America [die von der vietnamesischen Regierung als oppositionell eingestuft wird, d. Red.] veröffentlichen meine Artikel und sie sind in sozialen Netzwerken (Facebook, Twitter, in verschiedenen Blogs) weit verbreitet. Ich habe politisches Asyl gegen eine kommunistische Diktatur beantragt und werde jetzt gezwungen, schutzlos in die Botschaft dieses Landes zu gehen. Das ist so eine absurde, unverständliche Sache. Haben Sie gelesen, was in der Vergangenheit mit vietnamesischen Dissidenten in Deutschland passiert ist?« Hong An Nguyen spielt damit auf den Fall des vietnamesischen Managers Trịnh Xuân Thanh an, der im Juli 2017 aus dem Berliner Tiergarten entführt und in die vietnamesische Botschaft gebracht wurde, von wo aus er mit einem Diplomatenfahrzeug nach Bratislava gefahren und von dort nach Vietnam ausgeflogen wurde. Dort wurde er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Foto Chrstphre (CC BY 2.0)
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Ob es für die Studentin zumutbar ist, den Passersatz zu besorgen, entscheidet die Ausländerbehörde der Stadt Nürnberg. Käme es für Hong An Nguyen zum Strafverfahren und zur Verurteilung wegen mangelnder Eigenbemühungen um Pass oder Passersatz, könnte das wiederum negative Auswirkungen auf aufenthaltsrechtliche Perspektiven haben.

Die Stadt Nürnberg stellt jetzt auf VAN-Nachfrage allerdings klar, dass noch ein Asylverfahren bezüglich des Falls von Frau Nguyen laufe und man sich darum dazu nicht äußern könne. Solange dieses Verfahren läuft, ist formal aber nicht geklärt, ob Frau Nguyen politisch verfolgt wird. Die Argumentation der »mangelnden Eigenbemühungen« bei Nichtaufsuchen des Generalkonsulats beziehungsweise die Zumutbarkeit des Besuchs dieser vietnamesischen Behörde dürfte dann nicht mehr greifen. Zudem müsste Hong An Nguyen während eines laufenden Asylverfahrens eigentlich den Status einer »Aufenthaltsgestattung« statt einer »Duldung« innehaben. Dass in den Schreiben der Nürnberger Ausländerbehörde noch immer von »Duldung« die Rede ist, ist vor diesem Hintergrund mindestens verwunderlich.

Sollte das BAMF den Asylantrag ablehnen, käme eine »Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden« (§25a AufenthG) in Betracht, die Hong An Nguyen dann wieder bei der Nürnberger Ausländerbehörde beantragen müsste. Dafür müsste dann auch wieder ein Pass im vietnamesischen Generalkosulat beantragt werden. Solange das Asylverfahren läuft, kann der Antrag auf Aufenthaltsgewährung nach §25a aber nicht gestellt werden. Für diesen Antrag läuft allerdings die Zeit ab, da Hong An Nguyen ihn nur stellen kann, solange sie das 21. Lebensjahr noch nicht überschritten hat, was im Oktober 2020 der Fall sein wird. Sie kann also aktuell nur warten, während ihr gleichzeitig die Zeit davonrennt.

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Unterstützung im Umgang mit Behörden und der belastenden Lebenssituation findet Hong An Nguyen an der Musikhochschule Nürnberg. Hier setzen sich Menschen aus der Hochschulleitung, der Lehre, der Verwaltung und der Studierendenschaft entschieden für die Studentin ein. »Sobald man in der Hochschule wusste, dass meine Eltern auf unmenschliche Weise abgeschoben wurden und ich allein war, fanden die Professoren und Studentinnen und Studenten der Hochschule und auch die Verwaltung schnell Wege, mir so gut wie möglich zu helfen. Ich war sehr sehr tief bewegt, als alle sofort ein Solidaritätskonzert abhielten, um mir zu helfen, während ich in Aufruhr war. Ich bin allen zutiefst dankbar. Der Präsident der Hochschule für Musik Nürnberg, Professor Christoph Adt, setzt sich sehr für mich ein. Er sagte der Presse, dass keine Studenten von der Hochschule deportiert werden dürfen, während sie an der Hochschule noch studieren. Ich bin sehr stolz und dankbar, Studentin der Hochschule für Musik Nürnberg zu sein.«

Im Rahmen eines Hochschulkurses bei Jeremias Schwarzer entwickelte Hong An Nguyen auch The hell is real, zusammen mit anderen Studierenden. Zum HUGO-Wettbewerb nach Österreich konnte sie nicht reisen. Die Anfrage um eine Sondererlaubnis durch den Künstlerischen Leiter Folkert Uhde wurde vom Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann abgelehnt mit der Begründung, die Studentin könne danach als Geduldete ohne gültigen Aufenthaltstitel einerseits nicht wieder nach Deutschland einreisen, andererseits müsse man Schritte der österreichischen Behörden bis hin zur Festnahme befürchten. Auch das Schreiben Herrmanns verweist auf die von den Behörden als solche eingestufte »mangelnden Eigenbemühungen« Hong An Nguyens in Bezug auf gültige Reisedokumente. Die Pianistin wirkte darum per Skype an der Aufführung in Feldkirch mit. Am 26. Juni 2020 wird das Werk im Rahmen des Musikfest ION jedoch noch einmal in der Elisabethkirche in Nürnberg zu erleben sein – mit der künstlerischen Leiterin am Klavier, vor Ort. »Für einen Künstler ist die Einschränkung des Reisens ein großer Verlust«, meint Hong An Nguyen. »Und wenn die Aufenthaltserlaubnis nicht klar ist, entsteht ein permanentes bedrohliches Gefühl der Unsicherheit. Sie können nicht vorhersagen, was passieren wird.« VAN wird unterdessen weiter über den Fall berichten. Und Hong An Nguyen wird weiter studieren und auftreten. »Ich versuche, Musik zu machen so gut ich kann und nicht unterzugehen. Die bloße Anstrengung, alle Hindernisse zu überwinden und nicht aufzugeben, wird für mich manchmal zu einer starken Motivation.« ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com