Die Sopranistin Catherine Foster singt derzeit zwei der schillerndsten Opernrollen, die es gibt. Aktuell ist sie in Bayreuth die Brünnhilde in Wagners Zyklus Der Ring des Nibelungen, in der abgelaufenen Saison war sie die Elektra in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper. Wir treffen sie in einem Raum der Presseabteilung der Festspiele.


VAN: Danke, dass Sie kurz bevor Sie auf die Bühne gehen noch mit mir sprechen. (Anm. d. Red.: Die Oper beginnt um 16 Uhr, das Interview fand um 15 Uhr statt.) 

Catherine Foster: Das ist bei Siegfried kein großes Problem. Ich gehe erst um 21 Uhr auf die Bühne.

Sind Sie kurz vorher aufgeregt oder hat sich inzwischen schon eine Routine eingestellt?

Es ist komisch, ich muss einen Platz in mir finden, eine innere Ruhe. Ich konzentriere mich und blende die Realität aus. Ich kann nicht in der letzten Sekunde zur Oper kommen –  andere Sänger und Sängerinnen können das –, ich muss mit dem Gebäude atmen, zur Ruhe kommen, noch einmal die Partie durchgehen. Es ist ruhig hier, ich kann in meinem Zimmer Yoga machen, einen Kaffee trinken. Ich schaue meine Partitur durch und überlege noch einmal, zu welchem Punkt ich was auf der Bühne machen muss. Ein bisschen wie zur Schulzeit, vor einer Prüfung. Noch etwas anders ist es bei der Götterdämmerung. Da muss ich mich schon zwei Tage drauf vorbereiten. Ich muss alleine sein, nicht telefonieren, für mich selbst da sein.

Bereiten Sie sich dann speziell auf das Stück vor? Auf die Produktion? Oder auf die Rolle der Brünnhilde?

Es ist das gesamte Stück, das da noch mal durch meinen Kopf geht, zuerst die Wörter, dann kommt die Musik dazu. Ich erinnere mich, welches Wort auf welchen Schlag kommt, dabei merke ich dann auch, welche Stelle ich mir noch einmal ansehen sollte. Es sind eben riesige Werke, das dauert Jahre, bis sich diese in einem fest verankert haben.

Ich selbst kenne es, dass wenn ich Wagner höre – und das tue ich sehr oft –, nicht eine komplette Oper in meinem Kopf bleibt. Vielmehr habe ich wochenlang gewisse »Wagnermomente«, die sich in meinem Kopf festsetzen. Das können einzelne Phrasen sein, vielleicht auch nur ein einziges Wort, oder ein musikalisches Motiv. Geht es Ihnen da ähnlich, haben Sie auch so etwas wie Ohrwürmer oder haben Sie als Sängerin doch immer das große Ganze im Blick?

Wahrscheinlich kann niemand das komplette Werk im Kopf haben. Ich verstehe aber, was Sie meinen: Letzten Montag wollte ich mich zum Beispiel auf Die Walküre vorbereiten, doch es lief immer noch Siegfried in meinem Kopf ab (Anm. d. Red.: Am Mittwoch zuvor lief eine Einzelvorstellung von Siegfried). Also musste ich Siegfried erst mal in eine Schublade stecken und Die Walküre aus einer anderen Schublade in meinem Kopf herausholen. Ich sage immer, dass die Partitur der Walküre für mich wie ein Kopfkissen ist. Wenn ich nachts aufwache und mir die Walküre durch den Kopf geht, dann muss ich direkt noch einmal in den Auszug schauen und das nachlesen.

Als ich den Ring in Amsterdam gesungen habe, hatte ich ein Gespräch mit einem Techniker. Dieser hatte mich gefragt, wieso ich denn immer in meine Partitur schaue, ich müsste doch eigentlich den kompletten Ring auswendig können. Ich habe ihm geantwortet: Man muss ja nicht nur die Musik und den Gesang kennen, sondern sich auch immer daran erinnern, was die Inszenierung von einem fordert, was man zu welcher Zeit tun muss. Es handelt sich ja selten um eine konzertante Aufführung.
Man muss sich so gut im Werk zurecht finden, dass man auch mal improvisieren kann. Zum Beispiel ist in einer Götterdämmerung hier in Bayreuth ein Hocker zusammengebrochen, der aber später noch gebraucht wurde. Da habe ich dann auf der Bühne einen anderen Hocker suchen – und dabei natürlich weiterhin in der Rolle bleiben und singen – müssen.

Damit kann man dann wahrscheinlich auch spielen und das bewusst in seine Darstellung einfließen lassen.

Das muss man! Darum ist es mir so wichtig, den Text auswendig zu kennen. Um noch einmal auf die Prüfungen in der Schulzeit zurück zu kommen: Irgendwann hat man alles ganz oben im Kopf abgespeichert und kann es abrufen, wenn man will. Für mich war lernen nie einfach. Ich musste immer alles oft wiederholen, bis es sich festgesetzt hat. 

Aber dafür ist es eben Live-Theater, da kann auch mal etwas schief gehen. Und im Notfall ist ja immer die Souffleuse da. 

Ich würde gerne ein wenig über die Produktion hier in Bayreuth reden. Jetzt in ihrem dritten Jahr, haben Sie das Gefühl, dass sich etwas verändert hat? Haben Sie vielleicht einen anderen Zugang oder wächst so eine Inszenierung gar mit einem?

Was ich merke ist, dass es immer wieder gut ist, für so ein riesiges Werk zu proben, auch im dritten Jahr noch. Wir haben hier das große Glück, dass wir fast die gleiche Besetzung haben wie auch schon in den Jahren zuvor. Es ist so, als ob Familie zusammenkommen würde. Wir können auf der Bühne besser zusammen spielen, wir kennen uns, können uns sicher fühlen und viel ausprobieren. Ich kann nicht genau sagen, was genau besser ist im dritten Jahr, aber es freut mich sehr, die Entwicklung meiner Kollegen und Kolleginnen zu sehen und zu wissen, dass wir alle zusammen drei Jahre daran gearbeitet haben. 

Ich kann mir nur vorstellen, wie anstrengend es sein muss, so einen kompletten Ring gleich drei Mal innerhalb von wenigen Wochen zu singen. Und dann gleich drei Jahre nacheinander. Ist es die Vertrautheit, die Sie nun dennoch zum dritten Mal nach Bayreuth zieht?

Das ist natürlich zunächst einmal die Festspielleitung, die einen fragt, o
b man wiederkommen möchte …

Sicherlich, aber Sie könnten ja auch ablehnen, wenn Ihnen der Stress zu groß würde. Oder ist es vielleicht auch gar nicht so anstrengend wie ich mir das gerade vorstelle?

Ein Ring ist immer anstrengend, ob in Bayreuth oder nicht. 

Nur haben andere Opernhäuser bessere Klimabedingungen …

Gut, aber dieses Jahr ist die Hitze auch für mich hier so groß wie noch nie vorher. Heute Abend muss ich 15 Minuten unter einer Plastikfolie liegen, bevor ich meinen ersten Ton singe. Ich hoffe, dass der dann rauskommt!

Vor wenigen Monaten habe ich Sie als Elektra in Berlin gesehen. Zunächst im Februar in der Deutschen Oper und dann im Mai in der Philharmonie, bei einer konzertanten Aufführung. Gerade bei letzterer – da kann man ja auch mit geschlossenen Augen zuhören – ist mir wieder bewusst geworden, wie anspruchsvoll diese Elektra ist, nicht nur gesanglich, sondern auch als Figur.

Oh ja, das ist sie. Für mich ist es so, dass sobald die Musik beginnt, ich Elektra bin. Egal ob szenisch oder konzertant. Ich bin sofort drin, bis zum letzten Ton.

Ich finde Elektra ja ziemlich beängstigend, als Figur …

… sie ist verrückt!

Macht einen diese Rolle dann nicht auch selbst ein wenig …

Verrückt! Ich liebe diese Frau! Das spannende ist, dass wenn man verrückt ist, dann ist man das nicht konstant. Wahrscheinlich sind wir beide nicht verrückt und können da nur begrenzt drüber sprechen. Aber wenn man mit einer Person redet, die ein solches Krankheitsbild wie Elektra hat, dann kann man ja dennoch ganz normal mit so jemandem reden. Und doch kann es dann plötzlich passieren, dass mit einem Schnipps alles anders ist. Deswegen ist die Szene zwischen Elektra und Klytämnestra so interessant. Sie spielt mit ihrer Mutter. Sie zieht sie rein in ihre Krankheit, bis ein Punkt für sie erreicht ist: »Lässt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?« Alle ihre Sätze sind zwiespältig. Klytämnestra nimmt das, was Elektra sagt, ganz anders auf, als es von dieser gemeint ist. Bis eben zu diesem Punkt, wo sie die Frage stellt. Dann sind die Sätze eindeutig und brutal. Deswegen liebe ich Elektra, denn der Text ist hervorragend. 

Ich kann mich Elektra auch nicht entziehen. Es ist eine Stunde vierzig Psychoterror.

Genau das ist es! Für mich ist Elektra zu singen so wie Götterdämmerung zu singen. Obwohl Götterdämmerung fünf Stunden lang ist, ist die aufgewendete Energie für mich die gleiche.

Gibt es einen Dialog zwischen diesen beiden Rollen? Elektra auf der einen Seite eines Spektrums, Brünnhilde auf der anderen Seite? Beide sind in ihren Rollen als Töchter definiert. Dennoch sind beide radikal anders. Trotzdem, gerade wenn Sie diese beiden Stücke, Elektra und den Ring, so kurz nacheinander singen. Gibt es diesen Dialog? Oder machen Sie da bewusst einen Schnitt?

Beide sind sehr stark. Beide sind beeinflusst von anderen Menschen, befinden sich in einer Situation, in die sie andere Personen gebracht haben. Der zweite Akt der Götterdämmerung ist meine Elektraszene. Sie ist in einem Zustand, in dem sie nicht freiwillig ist. Dann kommen die Rache und die Wut.

Elektra ist in dem Zustand, in dem sie ist, wegen ihrer Mutter und ihrem Vater. Aber sie hat entschieden, an diesem Ort zu bleiben. Elektra tut nichts, sie manipuliert alle anderen, das zu tun, was sie will. Sie selbst wohnt an einem Ort und zu einer Zeit, aus denen sie sich nicht entfernen will. Brünnhilde andererseits ist nicht so statisch.
Sie hat niemanden, der ihr helfen kann. Sie sucht Rat und gerät dabei an Hagen, der natürlich seine eigene Agenda hat. So kommt es auch in der letzten Szene im zweiten Akt der Götterdämmerung dazu, dass sie entscheidet, dass Siegfried sterben muss. Aber immerhin, sie sucht einen Ausweg, Elektra tut das nicht. Sie bleibt bei dem Gedanken an Rache.

Und da scheint sie ja auch bleiben zu wollen und sich fast wohl zu fühlen.

Sie ist so tief in ihrer Krankheit, dass sie selbst nicht sehen kann, dass sie da raus muss. Ihre Schwester Chrysothemis versucht immer wieder ihr zu helfen. Das ist die Liebe, die sie dazu veranlasst. Darum glaube ich auch, dass Chrysothemis noch stärker als Elektra ist. Zwar ermöglicht sie Elektra, in ihrem hasserfüllten Zustand zu bleiben, sie gibt ihr Essen und Trinken und sorgt sich um sie. Hätte sie das nicht gemacht, dann hätte ihre Schwester niemals so lange an diesem dunklen Ort bleiben können. Aber am Ende wehrt sie sich und sagt, dass sie nicht mehr tun wird, was Elektra ihr sagt. 

Nach diesem eher düsteren Thema zu etwas heiterem: Wenn Sie nicht auf der Bühne stehen, sondern bei sich Zuhause sind. Sagen wir beim Hausputz, oder vielleicht beim Wechseln von Glühbirnen: Wie oft bricht das HOJOTOHO der Brünnhilde aus Ihnen heraus?

Meine Tochter singt es mehr als ich. Vielleicht mache ich das mal, um andere zum Lachen zu bringen. Aber seit meine Tochter vier Jahre als ist, singt sie es. Ich denke dabei auch zu sehr an meine Nachbarn, da ich sehr laut singe, möchte ich diese nicht zu sehr belasten. ¶