Wie im Märchen von den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen wurde das historische Opernhaus Unter den Linden sieben Jahre lang fleißig saniert, restauriert, optimiert, modernisiert, neu gepolstert, digitalisiert und jetzt ist es endlich (fast) fertig. Für eine knappe Woche öffnet die Oper am Tag der deutschen Einheit feierlich ihre Pforten, bevor sie dann bis Dezember für letzte Instandsetzungsarbeiten wieder verschlossen sind.

Foto © Gordon Welters
Foto © Gordon Welters

Es ist alles neu, aber gefühlt hat sich nichts geändert in der Staatsoper. Es sieht aus wie immer, es ist nur einen Tick funkelnder und bestimmt sauberer. Die Akustik ist wohl schärfer, klarer, aber heute, am 3. Oktober 2017, scheint mir alles ambivalent, denn nicht zu trennen ist das eine Gedöns vom Anderen: Staats- und Festaktsprotokoll, Steuergeld-Beklatschung (Bund und Land), Steinmeister-Beklatschung, immer wieder Flimm-Beklatschung und Barenboim-Verherrlichung mit Standing Ovations und zu guter Letzt dann noch eine Huldigung des Nationaldichters mit Robert Schumanns nebulösen Szenen aus Goethes Faust als szenischem Spektakel.

Aber halt! Was soll das? Hat doch gerade ein Berliner Theater – die Volksbühne – mit dem Faust götterdämmerungsartig zugemacht, macht das andere, wie bei einem Staffellauf, mit dem Faust schon wieder auf?

André Jung (Faust), Elsa Dreisig (Una Poenitentium), Roman Trekel (Faust/Doctor Marianus), Sven-Eric Bechtolf (Mephistopheles) und Chor
André Jung (Faust), Elsa Dreisig (Una Poenitentium), Roman Trekel (Faust/Doctor Marianus), Sven-Eric Bechtolf (Mephistopheles) und Chor

Ursprünglich sollte die Staatsoper Unter den Linden mit der Uraufführung von Wolfgang Rihms Oper Saul eröffnet werden, doch aufgrund dessen Erkrankung im Frühjahr musste fix ein neues Stück gefunden werden, am besten eins, in das die zum Teil schon angefertigten Kunstwerk-Kulissen von Markus Lüpertz irgendwie passen und wo auch das hausinterne Sängerensemble und der Chor sich anspruchsvoll besetzen ließen. Mit Schumanns Szenen aus Goethes Faust haben Jürgen Flimm und Daniel Barenboim tatsächlich ein hierfür scheinbar geeignetes Werk gefunden. Mit Faust kann man eben alles machen. Doch Schumanns schleierhafte Faust-Szenen sind keine leichte Kost. Durch den Versuch, hilfs eingestreuter Schauspielszenen einen roten Faden in die Handlung einzuziehen, wird dem Faust-Laien zwar geholfen, doch eine sinnvolle Auseinandersetzung mit Schumanns Werk ist damit zum Scheitern verurteilt. Denn der Regisseur Jürgen Flimm versucht dem Publikum eine opernhafte Erzählung zu liefern bei einem Werk, wo das gar nicht gefragt ist. Schumanns experimentelle Dramaturgie verweigert sich jeder konventionellen Handlungsentwicklung. Die Verinnerlichung des Faust-Stoffes ist für ihn gegebene Voraussetzung.

Was findet also statt? Wir sehen: Ein inspiriertes und wunderbar deutlich musizierendes Sängerensemble, an dessen Spitze der feingeistige Roman Trekel als Faust, der charismatische neue Hausstar Elsa Dreisig als Gretchen und der lüstern dröhnende René Pape als Mephistopheles stehen. Dazu eine Staatskapelle, die gemeinsam mit Barenboim das schwierige Werk engagiert schultert. Dem musikalischen Apparat steht jedoch eine anachronistische Inszenierung entgegen, in der Flimm sich ein altbacken-klamaukiges-retro-buffo Hampelmanntheater in Anlehnung an die Commedia dell’arte zusammenschustert. So werden auch die zur Hilfe geholten Schauspieler, ein krächzender André Jung als Faust, ein Jack-Nicholson imitierender Sven-Eric Bechtolf als Mephistopheles und eine bieder spielende Meike Droste als Gretchen inszenatorisch hängen gelassen und auf Text- und Grimassenlieferanten reduziert.

René Pape (Mephistopheles), Elsa Dreisig (Gretchen), Meike Droste (Gretchen), André Jung (Faust), Katharina Kammerloher (Marthe) und Chor
René Pape (Mephistopheles), Elsa Dreisig (Gretchen), Meike Droste (Gretchen), André Jung (Faust), Katharina Kammerloher (Marthe) und Chor

Damit ist Flimm dem Mummenschanz, aber auch der Opernparodie unfreiwillig nah. Das Bühnenbild, eine mittig aufgebaute Bretterbühne, ein Theater im Theater also, führt zu einer weiteren Verkasperung der Figuren und läuft sich bald leer in seiner direkten Umsetzung der goetheschen Idee.

Der ganze Radau hat mit Schumann wenig zu tun. Die Szenen werden größtenteils zerlatscht, weil irgendwo schon wieder ein verkleidetes Irgendwas oder ein Chor oder zehn Statisten auftreten und komödiantisch nerven oder aufräumen. Es wird generell viel aufgeräumt und gefegt auf der Bühne, denn der Faust soll ja gereinigt werden. Platter geht es eigentlich nicht. Doch, es geht: Man kann sich dafür als Reinigungspersonal oder Feuerwehrmann verkleiden. Die unerträglichen Kostüme von Ursula Kudrna sind eine Mischung aus Fundus und Tim Burton, scherenschnittartig und comichaft. Brüche, Fragen an das Stück oder Haltungen zu den Figuren oder dem Faust-Stoff treten nicht auf. Klar, bei diesem Narrenfest des Sich-Gebärden-Dürfens kommt auch eine Spielfreude auf, aber das Ganze bleibt ohne Nachhall. Auch nicht musikalisch. Die Musik kommt keine Sekunde zuhilfe, sie lädt uns nicht ein, erklärt nichts, verklärt nichts, vielmehr fordert sie.

Schumann ist kein Opernkomponist. Die Faust-Szenen sind dem Oratorium oder der Kantate viel näher. Unsanft und deutsch packt diese Musik zu, sie schiebt und drängt zum höchsten Gipfel, zum Engelschor, zum Knabenchor, zum Chorunisono gepaart mit feierlich hymnischem Orchesterklang.

Stephan Rügamer (Ariel) und Chor 
Stephan Rügamer (Ariel) und Chor 

Am Ende ist Fausts Seele dann gerettet. Oder so ähnlich. Ein schweres und schwer verständliches Stück, mit dem Schumann in seinem Versuch der Seelenreinigung durch Dichtung und Musik verunglückt. Und ich denke am 3. Oktober 2017: Nein, nein, ich will hier nicht verweilen, nicht in dieser Wiedergängeroper, die sich fast zu gut einreiht in die restaurative Tendenz der Nachbarschaft von Alter Kommandantur und Stadtschloss. Man freut sich zwar über die neue alte Schönheit der Staatsoper, deren Gebäude nach wie vor einlädt und Lust macht, hier Opern zu entdecken und wiederzuentdecken. Doch die historisierende Dynamik des Ortes scheint sich auf die Inszenierung selbst gelegt zu haben. Anstelle des Verweilens wünscht man dieser Oper Bewegung und Mut zu Neuem. ¶