Ein Interview mit Charly Hübner, Tobias Schwencke und Tobias Rempe vom Ensemble Resonanz.
Charly Hübner, das Ensemble Resonanz, eine Band und Tobias Schwencke als Komponist kommen zu einer Séance zwischen Franz Schubert und Nick Cave zusammen.Aus dem lyrischen Ich Wilhelm Müllers, dessen Gedichte Schubert in der Winterreise zu einem Seelenkosmos vertont, und zwei von Nick Cave besungenen Täterfiguren formt Hübner eine neue. Etwas Schlimmes hat sie getan. Und landet schließlich auf dem elektrischen Gnadenstuhl.
Nach der Premiere in Rostock, einem Gastspiel in Hannover und weiteren Entwicklungsgesprächen wächst die »schöne, garstige Pflanze«, wie Ensemble-Bratscher Tim-Erik Winzer das Projekt in einer SMS an Hübner bezeichnet, nun weiter: Am 6. und 7. November geht die Schubert-Cave-Séance in der Elbphilharmonie die nächste Runde. Zwischendrin treffen wir uns zur Momentaufnahme im Bahnhofs-Sushi in Berlin.
Charly, es ist ja Dein erster Auftritt mit Orchester, dann gleich Schuberts Winterreise. Wie kam es denn dazu?
Charly Hübner: Es ging eigentlich damit los, dass die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren was mit mir machen wollten. Ich habe dann das Ensemble Resonanz vorgeschlagen und mich dann mit Tobias Rempe in Salzburg zum Schnitzel verabredet. So ging es eigentlich los, ich hatte beim Ensemble Resonanz und einer möglichen Begegnung immer schon Nick Cave im Kopf, wir waren dann aber auch recht schnell bei Schubert.
Dann klingelte bei Dir das Telefon, Tobias, wie hast Du reagiert?
Tobias Schwencke: Ich habe die Winterreise als Pianist schon oft gespielt und fand die Idee von Anfang an irgendwie toll. Auch wenn ich schon dachte: Wow, da nehmen wir jetzt ein Biedermeier-Kernwerk den Biedermeiern weg. Da werden einige ächzen. Aber gut.

In einer Mail im Juli diesen Jahres hast Du zum sogenannten ›SchubertCaveRave‹ geschrieben, Charly: ›Ich merke, dass ich es als Zuschauer wirklich unspannend fände, wenn Hübner versucht, wie ein klassischer Sänger zu singen.‹ Frage in die Runde: War das denn wirklich mal der Plan?
Tobias Rempe: Nein, die Idee des Projektes war nie, dir das Singen beizubringen. Sondern dich als Schauspieler zu treffen. Mit all deinen Mitteln des Ausdrucks eine Geschichte zu erzählen, die musikalischen Welten von Schubert und Cave eher zu beschwören als zu interpretieren, sozusagen eine Séance zwischen Musik und Sprache auf die Bühne zu bringen, um deiner Figur da näher zu kommen. Wie das genau geht, das war tatsächlich lange Zeit die Frage…
Wie sah denn die erste Begegnung mit dem Ensemble aus?
Charly Hübner: Das war sehr aufregend für mich. Da kamen ein paar Musiker, Gregor, Swantje, Tim, Tom und Saerom glaube ich. Denen habe ich dann von unserer Projektidee erzählt. Und die wollten dann auch gleich hören, was man stimmlich so mit mir anstellen kann. Und ich dachte so: ›Heidewitzka, das Einzige, was ich aus dem Kopf kann, ist der Lindenbaum.‹ Ich habe dann Auf dem Flusse angefangen zu singen, etwa so: (macht Gebärdenlaute).
Tobias Rempe: Ja, ich habe ein paar Fragen beantworten müssen nach der Probe.
Charly Hübner: Es ist ja auch so: Das reine, klangliche Singen interessiert mich bis jetzt nicht so richtig. Mir geht es ums Gründeln.

Das, was Wasservögel machen? Was meinst Du damit genau?
Charly Hübner: Zum Beispiel bei Ich bin am Ende meiner Träume. Es war klar, dass ich diese rauf- und runter-purzelnden Halbtonschritte mit meinem Muskel nicht singen kann. Dann war die Frage, wie wir damit umgehen. Spricht man das einfach? Helfe ich mir mit dem Mikrofon? Dann kam ich beim Spazieren neulich aufs Heulen. Die Figur hat ja auch erst so eine große Fresse, nach dem Motto ›Brauche ich doch gar nicht, was ihr Spießer alle braucht, ich bin frei von all dem‹, und dann holt sie aber das Unterbewusstsein ein. Dieses romantische Gefühl, alleine in der Welt zu sein, ausgesetzt. Und aus dieser heulenden Stimmung heraus war die Melodie im musikalischen Sinne auf einmal überhaupt kein Problem mehr. Oder rede ich jetzt Bullshit?
Tobias Rempe: Nein, das war ja tatsächlich etwas, was uns von Anfang an interessiert hat! Dass dadurch, dass der Ausdruck ganz direkt wird, auch durch eine gewisse Ungeschliffenheit, es gelingen kann, Texte und Musik von so einer klassischen, kunstgesanglichen Überspanntheit zu befreien und sie theatral zugänglich zu machen. Und dass sich dann eine ganz eigene, berührende und wiederum sehr musikalische Schönheit herausschält.
Tobias Schwencke: Die ist ja bei Schubert auf eine Art auch schon angelegt. Seine Lieder sind strukturell so gesehen auch nicht weit entfernt von Nick Cave, es gibt aneinandergereihte Strophen… und fast immer ist ein Ton auch eine Silbe, es gibt dann ab und zu diese Wiederholungsfloskeln. Es geht Schubert ganz explizit um die Direktheit der Aussage durch sehr expressive Melodie- und Harmonieführung. Für seine Zeit war das sehr neu. Da wurden Melodiefloskeln aneinandergereiht, mit relativ klaren, harmonischen Gängen, die gemacht werden mussten, und dann war es dem Sänger überlassen, das stark zu emotionalisieren.
Inwiefern habt ihr die bei der Winterreise mitschwingende politische Dimension in Eurer Fassung aufgegriffen, wird die Geliebte auch zur Freiheit und so weiter?
Charly Hübner: Wir haben uns eher auf die konkrete Liebesgeschichte gestürzt statt auf die Libération. Das Problem ist: Wenn man das Politische explizit formuliert, dann müsste ich da eine eigene Tür aufmachen, eine revolutionäre Tat hinzunehmen, einen Terror-Akt oder so. Auf der anderen Seite bin ich bei dem Projekt gedanklich auch viel bei Biermann in der DDR. Dieses Direkte und trotzdem Versteckte, das war ja auch im Protektorat Metternich nicht anders. Da konntest du die Sachen ja nicht nackt präsentieren.
Tobias Schwencke: Ich glaube, man kann die Winterreise eigentlich nie nicht-politisch verstehen. Bei Schubert oder jedenfalls bei Wilhelm Müller kommt das ja aus einer ganz dezidiert politischen Haltung. Die Texte waren verboten. Die Zeitungen, die Schubert las, ebenso. Wilhelm Müller war erst noch begeisterter Nationalist, der in den Befreiungskämpfen 1813/14 mitgekämpft und eine Anstellung in Brüssel gehabt hat bei irgendeinem Grafen. Dort muss es auch eine Liebschaft gegeben haben, man weiß es nicht genau. Und dann ist er tatsächlich zu Fuß im Winter von dort in seine Heimatstadt Dessau gelaufen. In seiner Biografie und seiner politischen Haltung gab es in dieser Zeit eine Wende. Er war nicht mehr der glühende Nationalist, wurde dann eher zu einer Art Europäer. Jedenfalls in dem Maße, wie man das in der Zeit werden konnte. Deswegen ist der Stoff auch so interessant. Das ist mehr so ein Hilferuf, von Müller, aber auch von Schubert, so ein ›Wo seid ihr alle?‹, es kann ja nicht sein, dass die ganze Welt unter dem Druck und der Zensur der Restauration zu Hause sitzen bleibt.
Auch der subjektive Ausdruck im Lied war ja zu Schuberts Zeit schon ein politischer Akt.
Tobias Schwencke: Genau, der Prozess begann ja gerade, mit Beethoven und Mozart, dass das Bürgertum sich das Repräsentationsmittel Musik griff und es dem Klerus und dem Adel wegnahm. Dagegen hat sich der Adel natürlich gewehrt, dahingehend ist das Subjektive auch politisch.
Das ganze Projekt ist ja als Séance überschrieben. Als Geisterbeschwörung. Was haben sich denn die Geister von Cave und Schubert zu sagen?
Charly Hübner: Erstmal sagt Cave zu Schubert ›danke‹. Danke, dass du vorgelegt hast. Wenn du dir Boatman’s Call anguckst, oder auch Murder Ballads oder The Good Sons – das sind eigentlich alles Winterreisen. Und was beide ja in ihrem Oeuvre auch immer gemacht haben, ist mit den vorhanden Konventionen zu spielen, die zu mixen. Cave zitiert aus der Punk-Welt, bezieht sich aber auch auf Burt Bacharach. Bei Schubert sind es orientalische Einflüsse. Und wir machen nun letztlich eine Verwurstung der Verwurstung, eine Art Hybrid von den beiden.
Tobias Schwencke: Für mich war es beim Komponieren ein bisschen so, als gäbe es eine zeitlose Dimension in diesem Universum, und da sitzen dann Schubert und Nick Cave und schreiben diese Stücke. Und Wilhelm Müller ist auch dabei. Der Wegweiser zum Beispiel klingt jetzt mehr wie ein Lied von Nick Cave.
Es verschmelzen ja auch verschiedene Love Stories in dem Projekt, von Wild Roses, wo ein Mann seine Geliebte umbringt, zu Müller, der wohl mit einer Jungfrau geschlafen hat, und daher aus Brüssel fliehen muss… Was hast Du da für eine Liebe im Kopf?
Charly Hübner: Eine krasse Romeo und Julia Geschichte auf jeden Fall. Voll verknallt. Es ging ums Knutschen und ums Schnorcheln. Bei Müller war es ein Söldner, so eine Art Woyzeck, der dann einfach eine Jungfrau, die schon versprochen war, geliebt hat. Da hätte dann nur noch Geld die Ehre retten können. Aber dieser räudige, preußische Soldat, der hatte natürlich nichts. Das war eine sehr leidenschaftliche, triebgesteuerte Romanze würde ich sagen. Im Mai, wo die Bäume sprießen. Verbunden mit Wild Roses haben wir aus dieser Tat dann insgesamt einen Mord gemacht. Haben die Schubert und die Cave-Schraube zusammen noch etwas fester gezogen.
›All beauty must die…‹
Charly Hübner: Ja, das ist der vielleicht philosophischste Satz im ganzen Stück, entnommen aus Wild Roses. Was da für mich indirekt mitschwingt ist die Frage: Ist es vielleicht wirklich besser, man lebt in einer gewissen ewigen Gräue, und ist dadurch vielleicht unaufgeregter, aber auch glücklicher am Ende, als wenn ich Hotspots habe von Glücklichsein, aber danach auch krasse, depressive Schluchten?

Gibt es noch weitere Sätze, die an Dir besonders haften geblieben sind?
Charly Hübner: Es gibt bei Müller diesen Satz: ›Welch ein törichtes Verlangen treibt mich in die Wüstenei’n.‹ Dass er sich seine Schuld eigentlich nie eingesteht. Bei Cave ist es ja auch immer dieses ›Ich konnte nicht anders, ich musste das tun‹. Diese innere Bestimmung, die keine Kehrtwende verträgt. Letztlich ist dieser Identitätsverlust ja eine Urangst.
Tobias Rempe: Auch hier sind wir wieder bei der Geisterbeschwörung. Es geht ja recht lange um diese sehr männliche Selbstbemitleidung, um jemanden, der von der Gesellschaft und der Welt ausgestoßen ist und dafür überall, nur nicht bei sich selbst, die Schuld sucht. Er steigert sich in so eine ›ich bin ein lonely wolf‹-Weinerlichkeit hinein. Und das geht in der Tat ganz gut mit diesen Liedern! Für die Konfrontation mit der eigenen Schuld muss er dann unfassbare Umwege gehen. Dieser Kampf beschert uns eigentlich den ganzen Abend.
Wie bist Du Charly mit den mit diesem Projekt verbundenen Tretminen und deinen Ängsten umgegangen?
Charly Hübner: Ich habe dann irgendwann meine Ruhe gefunden und gesagt, dafür ist das jetzt auch in meinem Leben. Dass ich mich in etwas begebe, von dem ich keine Ahnung habe. Ich habe meinen kleinen Werkzeugkoffer mit schauspielerischen Gesten und so, aber der Rest ist eine weiße Landschaft. Und mein einziger Kompagnon ist der Nick, den kenne ich ganz gut, seit 30 Jahren. Die genetische Grundinformation des Ganzen ist eigentlich die des Jägers. Dass Du Dich auf eine Pirsch begibst. Und entweder machst Du es alleine klar, oder man holt eine Truppe zusammen. Man jagt ja nicht nur nach etwas, sondern auch sich selber in etwas rein, ›…in die Wüstenein‹ Alles hat immer was mit ›sich aussetzen‹ zu tun. Und das macht Cave, das macht Schubert.
Der Geist, der da drin steckt, ist der Geist der Überforderung. Der einen an Orte bringt, wo man eigentlich nichts verloren hat. Aber eigentlich doch, sonst würde man da ja nicht hinwollen. Aber es ist kalt da draußen und auch einsam, man wünscht sich eigentlich auch mal eine gute Flasche Wein ab und an, die gibt es aber nicht.
Den Punkt des Verlorengehens finde ich ganz interessant. Auch in der Winterreise gibt es ja den Moment, wo er sich im Erratischen eigentlich ganz wohl fühlt. Geht Dir das auch so?
Charly Hübner: Ja, er tritt aus der Vernunft heraus. Ich persönlich denke da eher an Besessenheit. Wie bei Mahler zum Beispiel, dass sich einer so verliert, dass er jeden Sommer in diese komischen Alpen düst, immer schwimmen, immer Bergwandern, immer komponieren. Schubert war ja auch so drauf, immer komponieren, in den kleinsten Stuben, trotz Krankheit. Diese Hyperaktivität an Produktion. Das kenne ich genauso von Regisseuren, die im Jahr mal eben sechs Inszenierungen raushauen oder Musikern, die über Jahre touren. Wenn du besessen bist von etwas, dann hast du kein Leid. Dann fällst du vielleicht mal um. Aber dann stehst du auch wieder auf und machst weiter. Du spürst, dass etwas weiter bearbeitet, gezeigt, erzählt, durchdrungen, behauptet werden muss. Das ist eine Art Lebensgrund.
Wie oft passiert Dir das?
Charly Hübner: Schon oft, weil ich viel zu neugierig bin und mein Hirn so offene Sensoren hat, dass ich immer irgendwo reingesogen werde. Manchmal sagt der Körper dann so ›Hey, warte mal, wir haben viel zu wenig Mann an Bord – wir haben nur vier Ruderer, brauchen aber 16.‹ Das ist so in meinem Wesen drin, war aber immer schon so. Ich würde mich jetzt nicht als besessen bezeichnen, ich will einfach immer nur Sachen kapieren. ¶