Langsam aber sicher klopft der Herbst an die Türe. Genau der richtige Zeitpunkt, um die Chaiselongue zu entstauben, den alten CD-Player aus dem Keller zu holen und Gnedby mal wieder auf Stand zu bringen. Gemeinsam mit Torsten Posselt vom Berliner Studio FELD – der unter anderem Plattencover für Nils Frahm, Ólafur Arnalds und den Rest der Erased Tapes Posse gestaltet – schauen wir auf die Gestaltung von neun klassischen CD-Veröffentlichungen aus dem Jahr 2018. Teil 1 von 3: Gerstein spielt Gershwin, das Swiss Piano Trio spielt Beethoven und Levit spielt Musik von Bach bis Bill Evans.

Kirill Gerstein – Gershwin-Album

Myrios, Februar 2018

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[Betrachtet die CD] Ach hier, guck mal. Gershwin, Gerstein – ich habe leider gar keine Ahnung, wer diese Leute sind … [lacht]. Auf jeden Fall ist es fantastisch, dass man beim Anfassen viel Pappe und wenig Plastik spürt. Das Compact Disc- und das Gema-Logo auf der Rückseite finde ich super – das ist natürlich nur was für Nerds. Lustig, dass man so was heute noch macht. 

Auf dem Cover verleibt sich King Kong auf dem Hochhaus gerade das »S« von »Gershwin« ein. Die Schrift hat was Jugendstil-mäßiges, was persönlich gar nicht mein Ding ist. Aber hier passt das total gut und ist ja auch eine klare Anspielung auf die ikonischen New Yorker-Cover. Das Booklet ist mit 40 Seiten sehr umfangreich, was vor allem an der Mehrsprachigkeit der Inhalte liegt. Es werden auch alle Personen aufgeführt, die irgendwie an der Produktion mitgewirkt haben. Leider kann man es nicht aus der Hülle nehmen, was ich sehr schade finde. So was will man doch in die Hand nehmen.

Obwohl die CD mein Gestalter-Herz nur wenig frohlocken lässt, ist es eine relativ entspannte und klassische Nummer. Optisch ist alles aus einem Guss, es gibt viele Informationen, der Text ist zweispaltig – und halbwegs vernünftig – gesetzt und auch der Grauwert passt ganz gut. Leider taucht der verspielt illustratorische Duktus der Außenseite innen nicht mehr auf. Der Rest ist persönlicher Geschmack. Dass er meinen nicht trifft, liegt auch an der Qualität der verwendeten Materialien. Darüber kann man natürlich streiten, aber wir wissen ja, dass es fast unmöglich ist, hochqualitative Sachen für den Musikmarkt zu produzieren, weil es dafür einfach kein Geld gibt. Da muss alles relativ standardisiert sein.

Zu Fotos habe ich kein besonders gutes Verhältnis – außer es sind richtig gute. Hier haben wir ein einfaches Portrait-Foto und Herr Gerstein sitzt in einem funky Stuhl. Sehr sympathisch. Ein nettes Bild, das fast schon was Dokumentarisches hat. Ich hoffe, das ist das, was sie rüberbringen wollten.

Ob die Gestaltung Zeitgeist hat, kann ich nicht sagen. Der einzige Zeitgeist, der offensichtlich in der Platte steckt, ist die Art und Weise, wie sie hergestellt wurde. Insgesamt aber eine runde Sache und eine feste Bank. So richtig vom Hocker reißt es mich nicht – muss es aber auch nicht.

Swiss Piano Trio – Ludwig van Beethoven: Complete Works for Piano Trio – Vol. 5

Audite, September 2018

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WOW! [lacht] W–O–W! Das ist jetzt eine ganz andere Nummer. Völligst verrückt! Das zieht einem schon fast die Schuhe aus. Sieht aus, als hätte man es in den Achtzigern in die Zeitkapsel geworfen und jetzt beim Hausbau wieder ausgebuddelt. Hat total viel Elektronisches – aber eben diesen Achtziger-Elektronik-Style. Außen hochglänzender Chromokarton, innen Plastik. Ich weiß gar nicht, wie man diese Machart nennt [Digipak, d. Red.], weil ich es eigentlich vermeide, so etwas zu verwenden.

Das Cover schreit einen förmlich an – pink, violett, schwarz. Ein unglaubliches Foto: Das Trio posiert vor einem Grand Piano und im Hintergrund passiert total was – man kann aber nicht sagen, was genau. Ich hoffe, dass hier ein Fotograf am Werk war, der wenigstens ein paar Euro dafür bekommen hat. Sehr interessant …

Bei der Gestaltung hat man sich nicht viel Mühe gegeben. Der Satz ist Kraut und Rüben, der Rand viel zu klein, man hat zweispaltig alles in den Blocksatz reingekloppt, was noch irgendwie da war und zum Schluss wurden unten noch schnell die Seitenzahlen reingepresst. Auch hier ist wieder alles mehrsprachig – es scheint im Klassikmarkt ein großes Bedürfnis zu geben, mehr als nur eine Sprache zu bedienen. Die Farbauswahl ist sehr »interessant«, die Typografie mal gestürtzt, mal versal und mal kursiv. Im Laden würde ich daran vorbeilaufen und ich möchte es eigentlich auch nicht in die Hand nehmen, weil es sich einfach nicht gut anfühlt. Es ist schade, wenn so viel Material in die Welt gebracht wird und die Sachen dann nicht so aussehen, als würden sie in Würde altern. Ich hoffe, dass dieses Werk zumindest wegen der Musik in Würde altert – wegen der Gestaltung auf jeden Fall nicht.

Schade auch, dass man beim Booklet das gleiche Motiv wie auf der Hülle benutzt hat. Auch die Rückseiten sind relativ ähnlich. Hier war ein Gestalter ohne großes Herz am Werk. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass die Gestaltung einem einheitlichen Raster folgt, das vom Label mal irgendwann definiert wurde.

Auf jeden Fall erkennt man einen Zeitgeist – aber keinen schönen. Wenn ich nicht wüsste, dass es sich um ein 2018er Release handelt, würde ich es wahrscheinlich irgendwo in den Neunzigern verorten.

Ist die Gestaltung und Machart von CDs oder Schallplatten dem klassischen Publikum überhaupt wichtig? Oder geht es da vielmehr um die Musik?

Heutzutage gibt es das »klassische Publikum« ja gar nicht mehr. Mittlerweile ist das von jüngeren Leuten durchdrungen, die man vor zehn Jahre noch nicht dazu gezählt hätte.

Wenn man sich für klassische Musik interessiert – also für Musik, die mit Händen und Füßen gemacht wird; wo es um Physik und Akustik des Raumes geht – dann hoffe und wünsche ich mir, dass die Zielgruppe ein hohes haptisches und gestalterisches Gefühl mitbringt. Diese Leute wollen was in die Hand nehmen, was ihrem Gefühl für Musik entgegen kommt.

Deshalb sind Platten-Cover für Gestalter so interessant: Im besten Fall arbeitet man mit guten Künstlern und guten Labels zusammen – und im allerbesten Fall auch mit guter Musik. Im Umkehrschluss arbeitet man für eine Klientel, die einem sehr ähnlich ist. Und dementsprechend sollte man auch gestalten: für ein Publikum, von dem man idealerweise selbst ein Teil ist. Und wenn man das fertige Release in den Händen hält und Gestaltung und Musik zu einem kohärenten Erlebnis werden, ist das ein tolles Gefühl.

Eigentlich sollte es sich genau dort hinbewegen und eigentlich waren wir auch schon mal an diesem Punkt – vor 30, 40 oder noch mehr Jahren. Aber wie mit so vielen Dingen in der Welt haben wir es leider nicht geschafft, klassische Gestaltung und gutes Handwerk in die Jetztzeit zu übertragen. Das ist nicht mal eine Frage der Kosten, sondern vielmehr eine Frage der Vision.

Es gibt hier auch ganz klar einen Bildungsauftrag – ein hartes Wort, aber relativ angebracht, glaube ich. Je mehr gute Gestalter wieder was für die Musikbranche machen, desto stärker ändert sich der visuelle Eindruck – und desto stärker ändert sich auch die Erwartung der Konsumenten. Den Schwarzen Peter darf man aber nicht nur den Labels und Verlagen zuschieben, denn am Ende ist der Konsument selbst schuld: Es ist völlig OK, wenn einem das Artwork mehr oder weniger egal ist und man Musik auf Spotify hört. Möchte man aber Geld für ein physisches Produkt ausgeben, dann sollte man auch was verlangen, mit dem man alt werden kann.

Igor Levit – Life

Sony Classical, Oktober 2018

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Ahhh, super! Da kommen wir schon eher in meine Gefilde… Krasser Unterschied zu den beiden davor. Das ist schon sehr progressiv und gewagt. Aber auch sehr einfach und zurückhaltend. Die weiße Schrift sieht ein bisschen »wonky« aus, passt aber total gut zum Foto im Instagram-Look.

Der Text auf der Rückseite ist relativ groß, aber sehr zeitgeistlich gesetzt. Das sieht tatsächlich nach 2018er Textgestaltung aus. Die Schrift hat – ohne es beweisen zu können – was sehr französisches. Die Gestaltung ist sehr verspielt und modern klassisch aufgeräumt. Einziger Nachteil ist das Jewel Case. Diese Art von CD-Hülle mag ich überhaupt nicht. Wenigstens hat man außen einen Pappschuber drum gemacht. Das hilft total, weil man nicht sofort das Plastik in der Hand spürt. Insgesamt ist alles ziemlich ansprechend gemacht – noch ansprechender wäre es natürlich ohne Plastik und Hochglanzpapier…

Auch hier quillt das Booklet wieder fast über vor Text. Aber der ist zumindest super gesetzt und mit klarer Typografie-Linie. Das sieht toll aus und gefällt mir gut. Im Vergleich zu den beiden anderen, die wir bisher gesehen haben, ist das auf jeden Fall eine Ansage.

Der Künstler – hier auf dem Foto im schwarzen Rollkragenpulli – scheint relativ jung zu sein und dazu passt die (typo-)grafische Umsetzung sehr gut. Hält man das Booklet etwas weiter weg, springen beim dreispaltigen Raster mit Blocksatz weiße Riesenlücken ins Auge. Das hätte man mit etwas mehr Mühe vielleicht hübscher machen können. Ich bin aber fast dazu geneigt, den Gestalter*innen zu unterstellen, dass es Absicht war. Denn die Art und Weise wie man hier mit Typografie umgeht, spielt ja mit Brüchen und Kontrasten im Grauwert.

Insgesamt sieht man eine klare Linie und eine gestalterische Handschrift. Es ist sofort erkennbar, dass mit Sinn und Verstand – und mit Gusto – gearbeitet wurde. Super! Bis jetzt auf jeden Fall mein Favorit. Aber darum geht es ja nicht. Oder doch? ¶


Torsten Posselt, FELD

Das Berliner Designstudio FELD ist auf Projekte an der Schnittstelle von digitalen Technologien und Designstrategien spezialisiert. Neben Ausstellungs- und Interaktionsdesign sowie Rauminstallationen und digitalen Kommunikationsprojekten sind visuelle Kommunikation und Grafikdesign weitere Schwerpunkte des 2011 von Torsten Posselt und Frederic Gmeiner gegründeten Studios.

... arbeitet als freier Art-Direktor und Grafik-Designer in Köln. Er kuratiert Ton, Text und Bild für verschiedene Labels und Projekte und gibt Workshops im Spannungsfeld von klassischer Typografie, experimentellem Design und interaktivem Sound. Bei VAN kümmert er sich um Pixel, Codes und Kreatives. alex@van-verlag.com