Schon klar: gemeint ist hier nicht die Stadt im Schwarzwald, sondern die Donaueschinger Musiktage, das älteste Festival für zeitgenössische Musik in Deutschland. Und weil alle, die extra zu diesem Festival anreisen, immer nur von Donaueschingen sprechen, tue ich dies in den folgenden Zeilen auch.

Ich liebe Musik. Vor allem liebe ich Musik, die abwegig ist. Auf Parties darf ich nicht auflegen, weil sich sonst die Tanzfläche leert und die Leute sich komisch anschauen. Vom Jazz bin ich zur zeitgenössischen komponierten Kunstmusik gekommen und habe hier endlich Leute getroffen, die gleichzeitig Squarepusher, Mahler, Sonny Rollins, Messiaen und Gesualdo hören und gutem Death Metal etwas abgewinnen können. Ich habe keinerlei musikalische Ausbildung durchlaufen (eine andere schon) und fühle mich privilegiert, da ich aus meiner Leidenschaft einen Beruf machen konnte und jeden Tag mit Musik zu tun habe. 

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Donaueschingen kenne ich schon lange. Und doch habe ich mich einige Jahre nicht getraut, hinzufahren. Ich hatte Angst, keinen Anschluss zu finden; nicht mitreden zu können; davor, dass ich die hier gespielte Musik nicht verstehen würde – und dass man mir meine Unkenntnis vorwerfen würde. Als ich dann das erste Mal hier war, war es schlimmer, als erwartet. Es gab Menschen, mit denen ich sprechen wollte – die aber nicht mit mir. Wenn es dann doch zu einem Gespräch kam – oder ich zumindest daneben stand – ging es um Form und Material und vor allem um Namen, viele Namen, die ich nicht kannte. Selten wurde gesagt, dass einem ein bestimmtes Werk gefallen hat, dass man von etwas emotional berührt war, oder dass man etwas so richtig beschissen gefunden hat. Man könnte ja mal selber zu den so Kritisierten gehören, ob als Komponist oder Interpret. Gefühlt mehr als 60 Prozent der Besucher:innen sind nämlich vom Fach, also Musiker:innen oder Komponisten (Musik, die von Frauen geschrieben wurde, wurden damals noch nicht aufgeführt). 

Jetzt sitze ich also in einem der Konzerte. Jetzt heisst 12 Jahre später. Der Musikredakteur trägt mittlerweile Socken in seinen Trekkingsandalen, hin und wieder werden auch Werke von Frauen gespielt und es stehen sogar ein paar Komponierende auf dem Programm, die nicht an einer europäischen Hochschule unterrichten. Mittlerweile kenne ich viele und viele kennen mich, ich werfe mit Namen um mich, führe Gespräche und werde angesprochen – fühle mich aber noch immer fremd. 

Fremd vielleicht deshalb, weil die ästhetische Offenheit der aktuellen Kunstmusik hier nicht so eine große Rolle zu spielen scheint, wie ich es eigentlich erwarte. In Donaueschingen werden erbittert sperrige ästhetische Haltungen und Klangvorstellungen verteidigt, jeder emotionale Reaktionen evozierende Takt als Kitsch abgewatscht und Referenzen zu anderen als den seit 100 Jahren von den immer selben (Wenigen) als »Meister« gefeierten »Avantgardisten« als billige Zitate beschimpft. Dabei wird noch immer gequietscht und geknarzt, französische oder alemannische Algorithmusfetischisten lassen Lautsprecher knuspern, so dass ein ungeschultes Ohr an elektronische Störungen denkt. Unfassbar guten Musiker:innen wird eine technische Akrobatik abverlangt, bei der am Ende doch nur ein hektisches Rauschen erklingt – in quälenden Schleifen und Wiederholungen mit bloß nicht pathetischen sondern lieber kraftlosen Pausen auf unsägliche 40 Minuten gestreckte Werke aus oft armseliger Ideeneinfalt, aus der John Lennon noch nicht mal einen Zwei-Minuten-Song gemacht hätte. 

Und dann wird geklatscht. Immer. 

Viele Werke werden aber nur hier beklatscht: denn woanders findet diese Musik kaum statt. Nicht in den Abos der Orchester oder Opernhäuser, erst recht nicht bei Plattenlabels oder im Stream.

Aber sage ich dann mal, dass ein Werk schrecklich klingt und die emotionale Strahlkraft eines Türstoppers hat, dann schauen sie einen an, als wollten sie mich direkt zu einem Helene-Fischer-Konzert schicken. Und ich fühle mich dann klein und ungebildet, die anderen müssen es besser wissen, sie komponieren ja ständig solche Musik, oder sie spielen sie, oder sie schreiben darüber – und ich höre ja nur zu. Also nicke ich, denke manchmal an Des Kaisers neue Kleider, seufze leise »Hurtz« und wechsle das Thema. 

Ich will in einem Konzert Teil eines spannenden Diskurses werden, ich will angeregt werden, überrascht, ja auch mal überrumpelt werden. Ich will, dass meine Hörgewohnheiten hinterfragt werden, ich will aber auch Lachen und Weinen; und ich will erfüllten, schwitzenden aber glücklichen Musiker:innen dabei zusehen, wie sich durch ihr Spiel die Welt, ja der gesamte Kosmos für einen Moment öffnet. Und danach will ich mit anderen darüber sprechen, gerne auch streiten und ein gutes Bier oder einen tollen Wein trinken – und vielleicht auch was essen. Ich mache das nämlich alles (auch) zum Spaß. 

In Donaueschingen ist das aber immer ein bisschen schwierig. 

Nächstes Jahr fahre ich wieder. ¶

Als Mitarbeiter eines Unternehmens, das auch im Bereich der Neuen Musik tätig ist, hat sich der Autor für ein Pseudonym entschieden, um auszuschließen, dass seine persönliche Haltung als Haltung der Organisation missverstanden werden könnte. Sein Name ist der Redaktion bekannt.

Eine Antwort auf “Ich mache das nämlich alles (auch) zum Spaß.”

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