İpek İpekçioğlu ist eine der angesagtesten Djanes der Berliner Clubwelt (DJ Ipek), kämpft für die türkische LGBTI-Szene und outet sich jetzt auch noch als Klassische-Musik-Fan. Ende des Monats bringt die »Queen of Eklektik BerlinIstan« bei einem Festival im Radialsystem die türkische Künstler-Diaspora Berlins zusammen (#displaced – #replaced). Vom 28.–30. Juli gibt es Neue Musik, Electronics, Tanz-Performances, Video-Collagen und Clubnächte im Kater Blau. Während Erdoğan nichts anderes als die nächste Säuberungswelle ankündigt, unterhalten wir uns über Fragen der Entortung, die Angst vor Repression – und die musikalischen Vorlieben von Deutschländern und Türkeideutschen.

WAS WAR DEIN IMPULS, DAS FESTIVAL #DISPLACED – #REPLACED INS LEBEN ZU RUFEN?
Es gab ja einen Vorläufer, die Reihe New Sounds of Istanbul and Berlin. Die fand im Berliner Radialsystem und im Istanbuler Borusan Music House statt, zwei renommierten, interdisziplinären Spielstätten. Mit den New Sounds bin ich angetreten, um für Austausch zu sorgen, aber auch eine Plattform für politische Kunst aus der Türkei zu eröffnen, abseits des hier Bekannten. Das war wahnsinnig erfolgreich und wir wollten das gerne fortführen. Als wir dann in Istanbul angefragt haben, ob sie 2017 wieder was mit uns machen wollen, kam allerdings schnell die Rückmeldung: ›Das können wir gerade nicht planen, wir wissen ja nicht, wo die Türkei morgen steht. Wir können nichts versprechen.‹ Die Lage wird für Künstler zunehmend gefährlich in Istanbul. Ich lebe ja auch in Teilen des Jahres dort und bekomme jedes Mal etwas mehr Unbehagen, manchmal Angst. Wir haben uns dann entschieden, es trotzdem in Berlin weiter zu führen. So ist dann die Idee entstanden zu #displaced – #replaced, was noch stärker auf die Entortung vieler türkischstämmiger Künstlerinnen und Künstler anspielt. Viele finden ihre neue Heimat inzwischen in Berlin, die Stadt wird zum Raum der Neuortung.
WAS BEDEUTET DAS BEGRIFFSPAAR ENTORTUNG / NEUORTUNG FÜR DICH?
Der Begriff ›displaced person‹ stammt ja von den Alliierten, die nach der NS-Zeit jene Menschen so nannten, die nicht in ihre Heimat zurück konnten. Der Gedanke der Entortung und was er mit Identitäten, vor allem auch mit künstlerischen Identitäten zu tun hat, hat mich schon immer beeindruckt. Was bedeutet es, wenn ich auf Türkisch schreibe und dann auf Deutsch veröffentlichen muss? Was macht das mit meiner Kunst, mit meiner Sprache? Was lasse ich zurück, wenn ich meine Heimat verlasse, aber auch: Mit welchen neuen Szenen interagiere ich? Was kann dabei entstehen? Aus dem experimentellen Bereich zum Beispiel gibt es viele Künstler, die schon immer Fans der deutschen Experimentalkunst waren und hier perfekt andocken können. Andere finden neue Sprachen, schreiben und singen auf einmal auf Deutsch oder Französisch und können sich darin anders ausdrücken. Es kann auch total fruchtbar sein im künstlerischen Sinne, entortet und neu verortet zu sein.
WAS MACHT BERLIN FÜR TÜRKISCHE KÜNSTLER ALS RAUM DER NEUORTUNG SO INTERESSANT?
In erster Linie glaube ich, ist es die kulturelle Diversität. Durch die ist Berlin auch für mich in den letzten Jahren zur Heimat geworden. Dass es nicht zu teuer ist, klar. Die Club-Szene natürlich, die für viele Exil-Türken offen steht. Aber auch renommierte, offene Räume, wie das Gorki-Theater oder das Radialsystem, die auch türkische Künstler programmieren. Das ist ja für viele das Problem: Du bist in deiner Heimat bekannt, kennst die Strukturen – das musst du dir im Exil alles erst einmal wieder aufbauen und da ist eine Stadt wie Berlin mit einer wachsenden, türkischen Community natürlich ein Anziehungspunkt. Trotzdem bleibt es unheimlich schwierig und es gibt wenig Möglichkeiten, sich als türkischer Künstler hier bekannt zu machen. Vor allem ist es sehr schwer, Künstler und Leute kennen zu lernen, die nicht aus Istanbul sind. Untereinander lernt man sich sehr schnell kennen und kriegt mit, wenn Ahmed nach Berlin zieht. Meine Idee für das Festival war es, ein Gemisch zu machen: Aus Neuankömmlingen, den Türkeitürken, Alteingesessenen, also den Migranten der zweiten und dritten Generation, die wir uns liebevoll ›Deutschländer‹ oder ›Alamanci‹ nennen, und den Einheimischen. Ich möchte ein total gemischtes Publikum erreichen. Und auch unsere eigene Diversität zeigen und dafür Raum geben.
GEHEN ›TÜRKEITÜRKEN‹ UND ›DEUTSCHLÄNDER‹ EIGENTLICH ANDERS MIT DER MUSIKALISCHEN TRADITION IHRER HEIMAT UM?
Ja! Wenn ich das mal generalisieren darf: Wir Deutschländer können genauso gut zu elektronischer Musik abgehen wie zu traditioneller Musik aus der Türkei. Es wird nicht über die Maßen kategorisiert. So gehe ich ja auch beim Auflegen vor: Ich mische total eklektisch, von türkischer Musik über Twerk, Deephouse, manchmal auch Klassik. Die Türkeitürken aus einer bestimmten Künstlerszene hingegen orientieren sich oftmals eher in Richtung abstrakter, experimenteller Musik und kehren der Tradition den Rücken. So werden wir Deutschländer zu den Traditionalisten auf dem Festival.
DAS KLINGT DANN WIE?
Sakina zum Beispiel, singt traditionelle armenische, kurdische und türkische Lieder, begleitet vom Anadolu Quartet, das ist wunderschöne mit der westlichen klassischen Musik gepaarte Musik aus Anatolien. So etwas war mir auch wichtig, im Festival zu zeigen. Für mich ist das ein ganz elementarer Teil unserer Kultur. Noch ein Highlight: Das Neuphon Ensemble trifft erstmalig auf Kanun-Spieler Serdar Dagdelen, darauf bin ich besonders gespannt. Dann gibt es natürlich auch traditionelle türkische Musik, die heute auf anderer Ebene gebrochen wird. Zum Beispiel die Gruppe Adirjam, die alte kurdische Lieder singen, aber mit queeren Texten.
DEN QUEER COMMUNITIES IN ISTANBUL UND BERLIN IST EIN SCHWERPUNKT DES FESTIVALS GEWIDMET, NEBEN KONZERTEN QUEERER KÜNSTLER WIRD AUCH DER TRANSFEMINISTISCHE FILM #DIRENAYOL GEZEIGT.
Ja, ich glaube, dass wir viel von den queeren Communities lernen können, auch wenn es um Widerstand, die Behauptung der eigenen Identität geht. Im Dokumentarfilm #direnayol begleitet der Regisseur Rüzgâr Buşki die Transaktivistin Şevval Kılıç während der 21. Istanbul LGBTI Pride, bis zum Aufstand im Gezi-Park. Die Frage der Entortung, die fängt ja schon im Sexuellen an. Das ist natürlich auch meine persönliche Geschichte. Aber es geht auch um Protestbewegungen: Da haben die Queeren in Istanbul, zum Beispiel auch bei Gezi, eine wichtige Rolle gespielt. Von Strukturen wie in Berlin, wo die Szenen unterstützt werden und frei sprechen können, ist Istanbul ja sehr weit entfernt.
MIT PINAR SELEK IST AUCH EINE DIE TRANSSEXUELLEN MINDERHEITEN IN ISTANBUL VERTEIDIGENDE SCHRIFTSTELLERIN TEIL DES FESTIVALS, DIE NICHT NUR ENTORTET WURDE, SONDERN DIE POLTISCHE REPRESSION ALS HAFT UND FOLTER ZU SPÜREN BEKAM …
Ja, Pinar Selek wird unterstellt, eine Bombe im Ägyptischen Basar gelegt zu haben. Sie wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, obwohl es nie auch nur im Ansatz einen Beweis gab. Sie hat gestört, schlicht und ergreifend. Es ist ein absolutes Farce-Verfahren, sie wurde immer wieder freigesprochen, neu verurteilt, verhaftet, freigesprochen. Ihr ist nach zweieinhalb Jahren im Gefängnis die Flucht gelungen, und sie hat dann als P.E.N.-Stipendiatin in Berlin gelebt. Sie wird beim Festival aus ihrem Essay Weil sie Armenier sind lesen, aber auch im Panel diskutieren, zusammen mit der Musikerin Sakina Teyna, dem Impro-Künstler Korhan Erel und dem Spiegel-Korrespondent Maximilan Popp. Da soll es um eben diese verschiedenen – zum Teil freiwilligen, zum Teil gezwungenen – Gründe der Entortung gehen. Und um die Frage, wie sie sich auf die Sprache der Kunst auswirken. Aber wir müssen auch aufpassen, es gibt Spitzel, das wissen wir, und ich möchte keine Künstler durch unser Festival in Gefahr bringen. In erster Linie soll es ja auch um die Künste gehen.
WIE SIEHST DU DAS BEI DIR PERSÖNLICH, WIE WIRKEN SICH DEINE POLITISCHEN ERFAHRUNGEN AUF DEIN SCHAFFEN ALS MUSIKERIN AUS?
Meine Musik ist zu 90 Prozent politisch. Von Wasserwerfern über die Gezi-Proteste zu Gasattacken in Syrien, all das fließt in meine Remixe ein, aber auch in mein Schaffen als Kuratorin. Ich habe die glückliche Situation, in der Öffentlichkeit zu stehen und ich habe Messages zu geben. Nicht jeder Künstler muss das tun, aber ich nutze meine Position gerne dazu, meinen politischen Bedürfnissen Gehör zu verschaffen.
EINES DEINER PROJEKTE, DIE DU IM FESTIVAL ZEIGST, IST EINE NEUE FASSUNG VON ROTKÄPPCHEN, DIE DU MIT DEN SOUNDSCAPES OF RESISTANCE AUF DIE BÜHNE BRINGST …
Mit den Soundscapes of Resistance machen wir sehr politische, experimentelle Projekte, vom Stoff her eine Mischung aus Flucht, Aufstand, Gezi all over the world. Über einen sehr experimentellen Mix und Projektionen lese ich diesen Rotkäppchen-Reloaded-Text. Diese urdeutsche Rotkäppchen-Story lautet ja im Kern: ›Verlasse bloß nicht den Pfad, das System, sonst wirst du gegessen.‹ Oder: ›Höre auf Deine Mutter und mache, was man dir sagt. Gehe bloß nicht mit dem Wolf, dem bösen Mann, sonst passiert Dir was.‹ Diese Urgeschichte der Anpassung haben wir genommen und ge-reloaded. Darauf gekommen sind wir während der Gezi-Proteste, als im türkischen Fernsehen zu 80 Prozent Märchen erzählt wurden. Die Presse in der Türkei ist ja in fester Hand der AKP. Während der Proteste wurden Pinguine gezeigt. Jetzt erzählen wir eben selber Märchen, etwas eigen interpretiert. ¶