Vor über drei Jahren interviewten wir den aus Österreich stammenden Dirigenten kurz nach seinem Umzug in die USA, wo er mit 33 Jahren gerade Chefdirigent des Illinois Philharmonic Orchestra in Chicago geworden war. Inzwischen leitet Danzmayr bereits im dritten Jahr das ProMusica Chamber Orchestra in Columbus (Ohio) und ist seit dieser Saison außerdem Chefdirigent des Zagreb Philharmonic Orchestra. Die Nachrichten aus den USA werden täglich absurder werden, deswegen ist dies der richtige Moment, mal wieder ein Ferngespräch zu führen. Keine Politikanalyse, sondern die persönliche Wahrnehmung eines musikalischen Gastarbeiters. Ich erreiche David per Skype in Columbus, wo er mit seiner Familie wohnt. Seine Frau ist Sängerin am dortigen Opernhaus (»Ein großes Glück! Es ist selten, dass man als Künstlerehepaar etwas in derselben Stadt findet.«).

VAN: Du arbeitest jetzt seit vier Jahren als Dirigent in den USA. Hat sich dein Amerikabild im letzten Jahr durch den Wahlkampf und nach dem Sieg Trumps irgendwie geändert?
David Danzmayr: Es hat sich nicht wahnsinnig geändert. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Amerikaner zu den freundlichsten Menschen der Welt gehören. Ich kann die schlechten Erfahrungen, die ich gemacht habe, weil ich Ausländer bin, an einer Hand abzählen. Ich finde es schade, dass das Amerikabild so stark geprägt ist von all dem, was außenpolitisch schiefgeht – eigentlich schon seit 50 Jahren. Ich könnte mir keinen offeneren Empfang in einer Gemeinschaft vorstellen. Die Leute klopfen an deine Tür und sagen ›herzlich willkommen, schön, dass du hier bist, was brauchst du, wie können wir dir helfen?‹. Der Bürgermeister von Columbus hat gerade ein neues Vorhaben auf den Weg gebracht, um mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Es gibt eine Gegenbewegung zu Trump, genug Leute, die sagen: jetzt erst recht.
Merkst du, dass sich etwas geändert hat seit der Wahl im gesellschaftlichen Umgang und Klima?
Was man schon während des Wahlkampfs gemerkt hat, ist, dass manche Leute anfangen zu glauben, jetzt sei es ›okay‹ bestimmte Sachen zu sagen. Meine Frau, die Deutsche ist, hat mir neulich von einer Begegnung erzählt, die sie hatte, als sie mit unseren beiden Kindern im Schwimmbad war. Sie haben sich zu dritt auf Deutsch unterhalten und der Verkäufer am Süßigkeitenstand wollte, dass sie sich dafür rechtfertigt. Man merkt, dass der Wahlkampf und der neue Präsident den Leuten Aufschwung gibt, die immer schon so gedacht haben und es jetzt nach außen tragen dürfen. Ich habe das in Österreich aber schon vor Jahren viel stärker erlebt, deswegen bin ich jetzt vielleicht nicht so geschockt. Während ich aufwuchs hatten wir dort die schwarz-blaue Regierung aus ÖVP und FPÖ, und durch diese Haider-Rhetorik, die rechte, schmutzige, ekelhafte, hat sich der allgemeine Ton im Land stark geändert.
Hat dich das Ergebnis der Wahl auch so überrascht wie viele andere?
Gar nicht so. Ich glaube, viele Leute haben während der Vorwahlen der Republikaner ignoriert, dass ja nicht nur Trump relativ populär war, sondern das rechte Spektrum insgesamt. Es hat sich abgezeichnet, dass die moderate konservative Mitte der Partei, was auch immer man von ihr hält, immer mehr wegbricht. Jemand wie John Kasich, der hier in Ohio Gouverneur ist und sich klar gegen Trump positioniert hat, bekam am Ende fünf bis zehn Prozent. In einer Parteienlandschaft wie Österreich fällt es natürlich auf, wenn die Volkspartei auf einmal nur noch 20 Prozent und eine extrem rechte Partie wie die FPÖ 30 bekommt. In den USA spielt sich das halt innerhalb der Parteien ab.
Wie waren die Reaktionen in deinem Umfeld?
In meiner Nachbarschaft gab es schon ein paar Leute, die Trump-Schilder aufgestellt und dann triumphiert haben, aber es waren viel weniger als ich erwartet hätte. In Columbus haben über 65 Prozent Hilary Clinton gewählt. Wenn man dann noch die Nichtwähler einbezieht, haben am Ende vielleicht 15 Prozent für Trump gestimmt. Im gesamten Bundesstaat Ohio wurde aber mehrheitlich Trump gewählt. Es gibt halt diese krasse Trennung zwischen Stadt und Land, dadurch war das Ergebnis auch für viele Städter so ein Schock.
Du bist in Columbus Music Director des ProMusica Chamber Orchestra. Habt ihr euch Gedanken darüber gemacht, ob ihr als Institution Stellung beziehen wollt und wie das aussehen könnte?
Schon während des Wahlkampfs, in dem ja einiges an chauvinistischen und rassistischen Sprüchen gefallen ist, haben wir beschlossen, nächste Saison in jedem Programm ein Werk von einem Komponisten zu spielen, der nach Amerika emigriert ist oder dessen Familie einen Migrationshintergrund hat. Wir machen auch sonst eine Menge Projekte in sozial schwächeren Stadtteilen. Ich glaube, so etwas Produktives ist die beste Art, als Künstler zu reagieren. Indem man darstellt, dass Migration einer der Grundpfeiler von Musik und Kunst ist. In beiden geht ohne Vermischung überhaupt nichts.
Viele Musiker treibt die Frage um, ob es reicht zu sagen, dass Musik quasi inhärent und über den kooperativen Prozess des Musizierens Werte wie Toleranz vermittelt oder ob es an der Zeit ist, klarer und konkreter politisch Stellung zu beziehen. Was meinst du dazu?
Das ist eine gute Frage. Es haben ja ganz viele Hollywood- und Popstars Stellung während des Wahlkampfs bezogen, da hat man fast das Gefühl gehabt, dass es einen Gegeneffekt verursacht hat. Zumindest hat es nicht geholfen. In Österreich hat es sicher etwas gebracht, dass der Reinhard Fendrich dem (grünen Präsidentschaftskandidaten) Van der Bellen den Song I am from Austria geliehen hat, der sowas wie die heimliche österreichische Hymne ist, und gesagt hat, ›eigentlich benutzen die Rechten immer dieses Heimatgefühl, und deswegen gebe ich das Stück dem Van der Bellen um zu zeigen, dass man denen das Feld nicht überlassen darf‹. Ich bin immer dafür, etwas Konkretes zu tun, was die Leben verändert. Ich will nicht einfach nur ein Musiker sein, der dirigiert, weil das sein Traumberuf ist und juchhei. Das ist etwas, was ich manchen Leuten auf der liberalen Seite schon vorwerfe, die eine Haltung vor sich hertragen, aber im eigenen Umfeld nicht viel machen. Jeden Tag Hundert Posts auf Facebook, aber wann habt ihr zuletzt eurem alten Nachbarn über die Straße geholfen? Das klingt naiv, aber man vergisst schnell, dass man die zehn, zwanzig Leute, die um einen herum wohnen und mit denen man arbeitet, dass man die am ehesten erreichen kann.
Stimmt der Eindruck, dass sich klassische Künstler eher schwer tun mit politischen Äußerungen?
Das kann schon sein, vielleicht liegt es daran, dass man sich in einem subventionierten System weniger traut, sich mit Politikern oder Sponsoren anzulegen. Man ist ja zum Beispiel als Chefdirigent eines Orchesters auch verantwortlich für eine gewisse Stabilität der Organisation. Als Popstar bist du mehr oder weniger nur für dich selbst verantwortlich. Bei Bruce Springsteen geht es darum Tickets zu verkaufen, der wird nicht subventioniert. Von der Frau meines Vorgängers beim Illinois Philharmonic Orchestra habe ich gehört, dass sie einmal nach der Wahl 2008 mit einem Mäzen gesprochen und gesagt hat, ›ist doch super, dass Obama jetzt Präsident ist‹, woraufhin der Donor am nächsten Tag alle Spenden zurückgezogen hat.
Eine Sache, die in mir immer Befremden auslöst, ist der Patriotismus in den USA. Wie gehst du damit um?
In gewisser Hinsicht stumpft man ab. Es ist schon sonderbar, wenn vor jedem zweiten Haus eine amerikanische Flagge hängt. Ich versuche es zu verstehen, aber in mir sträubt sich schon viel dagegen. Ich finde jede Art von Patriotismus schwierig, das hat schon in Österreich angefangen – dieses ›Österreich den Österreichern‹ und ›wir sind so ein wundervolles Land‹. Ich habe ja kein Problem mit Leuten, die sagen, sie lieben ihre Heimat, wenn das nicht auf Kosten anderer geht. Ein Problem habe ich dann, wenn es heißt ›unser Land ist besser als alles andere‹, oder ›wir wollen keine Fremden bei uns‹. Da ist für mich schon ein großer Unterschied. Der Österreicher oder Amerikaner, der sagt, mein Land ist super, aber auch andere Länder sind schön, das kann ich anerkennen. Ich war schon in meinen 30ern, als ich nach Amerika zog, da merkt man, dass man ein bisschen resistent gegen Anpassung ist. Manche Sachen in diesem Land sind mir fremd und bleiben es wahrscheinlich auch. Ich bin in Salzburg damit aufgewachsen, wahnsinnig viel mit dem Fahrrad zu fahren. Das machen wir hier als Familie auch weiterhin. Für viele hier im Mittleren Westen wirkt es aber ein bisschen sonderbar, wenn wir auch bei kühleren Temperaturen auf unseren Radln umher fahren, mit den Kindern jeden Tag spazieren gehen und nur ein Auto besitzen. Ich kenne keine einzige amerikanische Familie, die nur ein Auto hat. ¶