Gespräche über das Hören und das Fremde – zwischen Wissenschaft, Philosophie und Musik. Der Bunkersalon ist eine Gemeinschaftsproduktion vom VAN Magazin und vom Ensemble Resonanz. Die erste Folge am 21. September 2016 war »Galaxy«: Nicht erst seit Joachim-Ernst Berendts Nada Brahma von 1983 erforschen die Menschen in Teilchenphysik und Meditation die Schwingungshaftigkeit des Kosmos. Und nicht erst seit ein wissenschaftlicher Essay über die Weite des Alls dem Komponisten Georges Lentz 2002 für Wochen den Boden unter den Füßen weggezogen hat, sind dessen Werke rar wie bewohnte Planeten im Sonnensystem. Ist der Kosmos Musik? Oder umgekehrt? Und wenn ja, in welcher Stimmung?Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dominik Schwarz (Astrophysiker), Felix Kubin (Weltallexperte und Künstler) und Georges Lentz (Komponist). Moderiert von Patrick Hahn.Teil 2/2: Sphärenharmonien von Hildegard von Bingen, mit dem Komponisten Georges Lentz im australischen Outback und die Erkenntnis, dass das Universum verstimmt ist.
Patrick Hahn: Dass das Universum klingt, wie jetzt die Gravitations-wellenforschung herausgefunden hat, ist keine so ganz neue Erkenntnis …
Dominik Schwarz: Ist es nicht, stimmt. Wobei die mittelalterlichen Ideen eher Spekulationen waren.
Patrick Hahn: Die Menschen hatten damals noch keine großen Messgeräte, aber sie hatten viel Zeit, nachts den Himmel zu beobachten und auch Überlegungen dazu angestellt, in welchem Verhältnis unsere Planeten und anderen Bestandteile unseres Kosmos zueinander stehen. Sie sind auf die Idee gekommen, dass das ein harmonisches Verhältnis sein müsse, so kam es zur Theorie der Sphärenharmonie.
Patrick Hahn: Das Stück hat Hildegard von Bingen zu einer Zeit komponiert, als noch ein Weltbild geherrscht hat, wie es auch zum Beispiel Boethius noch im 6. Jahrhundert nach Christus vertreten hat– die Astronomie als Teil der Musik. Man hört im Hintergrund einen liegenden Bordunbass, und darüber findet eine Melodie statt. Was denken Sie denn aus heutiger Sicht über diese mittelalterlichen Theorien, die auf die Antike zurückgehen?
Dominik Schwarz: Einer der quasi wirklich den Umbruch geschafft hat zwischen den mittelalterlichen Ideen und denen der Neuzeit war unter anderem Johannes Kepler. Der hat ein ganzes Buch geschrieben, Harmonices Mundi, in dem er versucht hat, die Planetenbewegungen, die platonischen Körper, mit dem Sphärischen in Einklang zu bringen. Das war nicht aus der Luft gegriffen, denn was er herausgefunden hatte, ist, dass die Planeten im Sonnensystem in gewissen Bahnresonanzen zueinander stehen. Er hatte überhaupt keine Idee, warum das so ist. Wir beginnen das heute langsam zu verstehen. Seit ungefähr zehn Jahren kennen wir Planeten in anderen Sonnensystemen und haben seit wenigen Jahren eine einigermaßen umfassende Statistik. Das heißt: Wir kennen nicht nur einen oder zwei, sondern jetzt vier- oder fünftausend Planeten, die in anderen Sonnensystemen sind. Wir können uns anschauen, wie dort die Bahnen und die Umlaufzeiten aussehen, und finden erstaunlich viele dieser Resonanzverhältnisse. Ich denke, so hundertprozentig verstanden ist die Planetenbildung noch nicht. Also man stelle sich vor: man hat zuerst eine Gas- und Staubscheibe, aus der sich gleichzeitig der zentrale Stern plus Gesteinsbrocken bildet, die dann irgendwann die Scheibe leerräumen und um sich keine anderen Planeten zulassen. Das muss mit dieser Dynamik der Entstehung von Planete zu tun haben, warum die Planeten gerade in so einer Abfolge angeordnet sind, damit dann im Wesentlichen wirklich harmonische Frequenzen herauskommen. Zum Teil kommen aber auch sehr schiefe Verhältnisse zustande.
Patrick Hahn: Auf die schiefen Verhältnisse möchte ich später nochmal kommen, aber dass wir Hildegard von Bingen gewählt haben, ist absichtsvoll passiert, denn wir haben heute noch einen Überraschungsgast hier in unserem Salon: Er ist sozusagen das gelüftete Geheimnis des ersten Resonanzen-Konzerts dieser Saison. Sie wissen bereits, dass Musik von ihm auf dem Programm steht: der Komponist Georges Lentz.
Herr Lentz, Ihnen haben wir den Untertitel des ersten Konzertes zu verdanken: »Die Himmel erzählen…« oder lateinisch »Caeli enarrant…«, diesem Werkzyklus von Ihnen, dessen Titel Sie wiederum aus der Bibel entnommen haben. Verstehen Sie sich als christlicher Komponist?
Georges Lentz: Meine Einstellung zu der ganzen Sache hat sich schon sehr geändert über die Jahre. Ich fing mit etwa 25 an, ein Werk zu schreiben, nachdem ich einen Artikel über das riesige Universum gelesen hatte und wirklich in Panik geriet, wochenlang nicht mehr schlafen konnte. Um mir das irgendwie zurechtzulegen und auch weiterleben zu können, hab ich mir das von der Seele geschrieben. Ich bin in einem sehr katholischen Umfeld in Luxemburg aufgewachsen und hatte dieses ganze Zeug zum Teil wortwörtlich geglaubt. Ich bin immer noch an diesen Fragen interessiert, obwohl ich überhaupt nicht sagen will, dass ich irgendeine Antwort habe. 1990 bin ich nach Australien ausgewandert, ich lebe nach wie vor in Sydney. Und da ist meine Erfahrung des Universums oder des Sternenhimmels eine ganz andere geworden. Ich fahre sehr gerne und regelmäßig allein in die australische Wüste, schlafe oft im Auto und erfahre den Sternenhimmel, den unglaublich klaren riesigen Sternenhimmel über der Wüste. Das ist mir immer eine Inspirationsquelle, aber belehrt einen auch schnell eines Besseren, was pompöses Zeug, religiöses Zeug angeht (lacht).

Patrick Hahn: Kommen Ihnen dann auch Ideen von einer Sphärenharmonie?
Georges Lentz: Die Idee von Pythagoras ist unglaublich schön, unglaublich poetisch, dass die Himmel irgendwie eine Himmelsmusik erzeugen. Ich stell mir da schon ein bisschen etwas anderes vor.
Patrick Hahn: Und komponieren Sie dann diese Vorstellung?
Georges Lentz: Irgendwie schon. Ich würde das aber nicht als Sphärenmusik bezeichnen, das ist ein großes Wort. Wenn man da draußen alleine in der Wüste ist, kann man einfach nicht anders als zu sagen ›Wow!‹, es ist etwas Erhabenes, ein Wort, das heute sehr unmodisch ist. Und da kommt auch ganz schnell eine Einsamkeit. Ich entfliehe der Millionenstadt, aber ich finde etwas Fragiles in mir drin, von dem ich glaube, dass es in uns allen ist – etwas Verwundbares, winzig klein. Und dadurch hat für mich Spiritualität etwas mit Menschlichkeit zu tun, weil wir alle im Grunde genommen die gleichen Ängste und die gleichen Hoffnungen, die gleichen Fragen haben. Und es sind diese Fragen, die vielleicht in der Musik sind, ohne Antworten. Etwas, was mir auch im Outback immer wieder wichtig wird, ist die Beschränkung auf das Wesentliche. Das zeichnet sich auch dadurch aus, dass man nicht hunderttausend Stücke schreibt. Wenn man meint, man hat nichts Neues, wartet man halt noch ein bisschen länger. Diese Beschränkung auf das Wesentliche hat dann einen ethischen Aspekt, auch vielleicht einen ökologischen. Das ist überhaupt Kunst. Wahre Kunst hat mit ›Sich auf das Wesentliche beschränken‹ zu tun, obwohl es auch gleichzeitig alles umfassen kann.
Patrick Hahn: Georges Lentz gilt als einer der letzten lebenden musikalischen Mystiker; viele seiner Interpreten stellen ihn in eine Reihe stellen mit Hildegard von Bingen und anderen christlichen Mystikern. Ich möchte jetzt aber auch nochmal den Wissenschaftler fragen: Ich habe von Ihnen einen Text gefunden, der hat die reißerische Überschrift ›Is the universe out of tune?‹ – ›Ist das Universum verstimmt?‹ Was gibt Ihnen denn Anlass zu der Vermutung, dass das Universum verstimmt sei?
Dominik Schwarz: Das ist ein Artikel, den ich für ›Scientific American‹ geschrieben habe. Wir haben den sogenannten kosmischen Mikrowellenhintergrund analysiert. Diese Strahlung ist ein Relikt des Urknalls, kommt aus jeder Richtung und ist gleichförmig in jede Richtung gesehen. Wenn wir aber sehr genau messen, mit einer Genauigkeit von 1:1000, dann finden wir kleine Schwankungen. Das sind im Wesentlichen Schallwellen, die durch das Universum laufen. Das Medium, in dem diese Schallwellen laufen, ist die im Universum vorhandene Materie. Heute ist die so verdünnt, aber im sehr frühen Universum war alles viel dichter, viel kompakter, viel heißer, da war das Universum so dicht, dass da tatsächlich Schall in dem Sinne, in dem wir ihn kennen, entstand. Irgendwann wird das Universum so dünn, dass das Licht beginnt, zu uns zu kommen und in dem Moment hören diese Schallwellen auf. Und dann sieht man in dem Licht, das wir heute sehen können im Mikrowellenbereich diese kleinen Fluktuationen, sozusagen einen Schnappschuss dieser Schallwellen im Sinne von ›Dort ist es ein bisschen heißer, und dort ein bisschen kälter.‹ Dann kann man das analysieren und so wie die Obertöne bei einem Streichinstrument kann man das Bild auch in Grundtöne und Obertöne zerlegen. Wir haben ein kosmologisches Modell, das nennt sich kosmologische Inflation – es erlaubt uns eine Vorhersage, wie diese verschiedenen Schwingungswogen zueinander im Verhältnis stehen sollten. Wir haben ungefähr vor 12, 13 Jahren herausgefunden, dass es bei den niedrigsten Schwingungsmoden ein bisschen anders aussieht, als uns unser Modell vorhersagt. Und deswegen dachten wir uns diese Metapher zu einem kosmischen Orchester: Die ganzen höheren Töne, das sind die Geigen und Piccoloflöten und so weiter, und die tiefen Töne, das ist der Kontrabass und die Tuba und die spielen einfach was anderes als der Rest im Universum.

Patrick Hahn: Aber die Frage, die ich mir gestellt habe: Da kann ja nur was verstimmt sein, wenn man ein herkömmliches oder ›vollkommenes‹ Harmoniemodell zu Grunde legt. Wenn wir jetzt annehmen würden, im Universum hätte die Emanzipation der Dissonanz auch schon stattgefunden, könnte das dann nicht wiederum stimmen? Hat das Universum nicht vielleicht einfach festgestellt, dass auch Dissonanzen schöne Resonanzen erzeugen?
Dominik Schwarz: Das ist genau unsere Methode, egal ob in der Kosmologie oder in jedem anderen Wissenschaftszweig. Wir stellen ein Modell auf, das nach dem Stand der Dinge stimmig ist, und dann versuchen wir, es zu widerlegen. Zuerst ist es mal eine Dissonanz bis wir ein besseres Modell gefunden haben, und dann ist es wieder total harmonisch. Ich glaube, das ist auch in der Musik so: Wenn man sich überlegt, wie die Leute in den 1960er Jahren Musik wahrgenommen haben, wie schockiert sie waren. Wenn man sich das heute anhört, dann denkt man, ›das klingt doch alles total harmonisch‹. Auch in der Rockmusik ist es so: mit Heavy Metal kann man niemanden mehr schocken, aber das war mal so.
Felix Kubin: Ich hatte eine Tante, die hatte einen Adeligen geheiratet und meinte, sie müsste mich jetzt in die etwas gehobene Kultur einweihen. Die hat mich dann immer mitgenommen zu Wagner und anderen Komponisten, die ich einfach nicht mochte. Und ich hab dann gesagt ›Warum können wir nicht mal zu einem Bartók-Konzert oder zu Strawinski?‹ Und dann hat sie gesagt ›Dafür bist du noch viel zu jung.‹. Sonntags hat mein Vater immer gerne klassische Musik gehört, ich empfand vor allem die sehr moderate Klassik, die da gespielt wurde, also Beethoven oder Mozart und so weiter, als sehr aggressive Musik, die hat mich wirklich genervt. Wenn dagegen atonale Sachen liefen, habe ich die als viel weicher empfunden, als viel angenehmer zu hören. Ich weiß auch nicht so recht, wo diese Definition von Harmonie und Disharmonie herkommt, es sei denn, es ist eine mathematische Definition.
Aber interessant war ja davor das Wort ›Resonanzen‹ — Herr Schwarz, Sie verwenden die ganze Zeit musikalische Begriffe bei der Beschreibung der ganzzahligen Wellenverhältnisse im All.
Patrick Hahn: Also wenn ich jetzt noch was mitnehme aus dem Gespräch, dann kommt das Universum offenbar in das Alter, wo es auch Dissonanzen hören kann. In die Moderne quasi. Und was mir noch aufgefallen ist: Es gibt ja einfach Bereiche, wo einem Dissonanzen dann irgendwie nicht mehr so dissonant vorkommen. Und gerade das Universum oder der Weltraum scheinen Menschen offenbar das Gefühl zu geben, dass da schräge Töne einfach dazugehören. Wenn man sich mal anhört, was damals so direkt in den 1960er Jahren, als die ersten Weltraumfilme produziert wurden, für Musik dazu erdacht worden ist ….
Felix Kubin: Ich habe mich immer für Science-Fiction interessiert, und ich würde sagen, dass die 1950er vielleicht das Jahrzehnt sind, in dem am meisten Begeisterung für die Zukunft und die Technik herrschte. Da entstanden auch wirklich einige revolutionäre Musikstücke, nicht nur Gesang der Jünglinge. Es gab auch einige andere Labore auf der Welt, in denen elektronische Musik entwickelt wurde. Sehr unbekannt sind zum Beispiel einige Künstler aus Holland, die in den 1950er Jahren, ungefähr zur gleichen Zeit wie Stockhausen, an einer sehr interessanten Mischung populärer experimenteller Elektronik gearbeitet haben. Das war zum Beispiel Tom Dissevelt, es gab dann auch noch H. Badings, die wurden alle unterstützt von den Philips Research-Laboratories.
Patrick Hahn: Weltraumforschung wurde eben nicht nur bei der NASA betrieben, sondern auch in den Musiklaboratorien und vielleicht als einen Ausstieg aus unserem Salon kommt hier ein bisschen Musik, die ein wenig von der Aura der fliegenden Bügeleisen atmet.
Felix Kubin: Das ist von 1958, soweit ich weiß, oder 1957.
Patrick Hahn: Ja meine Damen und Herren, das war ein Ausschnitt von Dissevelt aus einem Stück mit dem sprechenden Titel ›Song of the second moon‹. Das und viel mehr können Sie zu Hause noch einmal nachhören auf der Playlist des VAN Magazins, die wir zum Thema ›Galaxy – die Himmel erzählen‹ zusammengestellt haben. ¶