Am 12. Januar eröffnete das Ensemble Resonanz den Kleinen Saal der Elbphilharmonie, wir berichteten von den Proben. Einen Tag danach versammelten das Ensemble und VAN – jetzt wieder im resonanzraum im Bunker an der Feldstraße – etwa 100 Gäste und drei Diskussionsteilnehmer, um über das Thema Resonanz zu sprechen: Hartmut Rosa, Soziologe und Autor des Buches Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung, Georg Friedrich Haas, Komponist, dessen Werk Release am Vortag Uraufführung feierte und Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz. Elisa Erkelenz moderierte die Diskussion, Bratscher Tim-Erik Winzer lieferte akustische und sprachliche Interventionen. Lesen Sie hier unsere gekürzte und textlich bearbeitete Fassung des Gesprächs mit Soundschnipseln vom Abend.

VAN: Was ist denn eigentlich Resonanz?
Hartmut Rosa: Also erst einmal ist Resonanz eine Metapher aus dem Akustischen, die sich gut anwenden lässt, wenn man Soziologie betreibt. Aber ich habe versucht, den Begriff aus dem Reich der Metapher herauszuholen und als spezifische Form der Beziehung zu definieren. Laut dieser Definition ist Resonanz eine Beziehung zwischen zwei Entitäten – Menschen, Klangkörpern –, die sich wechselseitig berühren, ohne dass sie einander etwas aufzwingen. Zwei Klangkörper, die miteinander in Resonanz treten, beeinflussen sich wechselseitig, lassen sich vom anderen erreichen, antworten darauf – aber in einer jeweils eigenen Frequenz oder Stimme. Es geht darum, dass man die eigene Stimme hörbar machen kann und mit einer anderen Stimme, die man als Anderes erfährt, in ein Verhältnis setzt, das einen wiederum berührt und dadurch irgendwie zu verändern vermag. Wobei dann zu dem Begriff von Resonanz für mich immer auch ein Moment von Unverfügbarkeit gehört. Man kann nicht sagen, wann sie sich einstellt und was dabei herauskommt.
Und diese Entitäten können alles Mögliche sein?
Rosa: Ja, das kann zum Beispiel auch ein Text sein … in der Regel wird es interessant, wenn man eine der Entitäten als Mensch denkt. Resonanz ist aber nicht das Gleiche wie Kommunikation, wir können uns hier auch den ganzen Abend sprechen und es bewegt sich nichts zwischen uns …

Wollen wir es nicht hoffen!
Rosa: … ich sage das, was ich immer sage und Sie fragen das, was Sie immer fragen. Aber manchmal merkt man, was Sie sagen, berührt mich irgendwie, es bewegt mich, es erreicht mich, wie ich es eben nicht vorher wusste. Und Resonanz ist dann das, was dazwischen entsteht, was zwischen der Konsonanz ist – was wir eh schon immer dachten –, der reinen Harmonie, aber auch zwischen der reinen Dissonanz – ich verstehe überhaupt nicht, was Sie wollen. Eine Art von Schwebung dazwischen; diese Resonanzbeziehung kann sich einstellen zu einer Musik, die wir hören, zu einem Buch, das wir lesen, zu einer Landschaft, in der wir uns bewegen und ganz häufig auch in Arbeitsprozessen: Wir arbeiten uns an einem Material ab, und es macht immer etwas anderes als wir dachten; der Teig ist für den Bäcker so etwas, hat eine Art von Eigenleben und die Pflanzen für die Gärtnerin und die Frisur für den Friseur und der Text für jemanden, der schreiben muss und wahrscheinlich das Musikstück für jemanden, der versucht es zu komponieren.
Ihr Buch ist ja auch voll von Musik, wie sind Sie auf diese akustischen Metaphern gekommen?
Rosa: Also ich hatte das ehrlich gesagt vorher nicht geplant, ich wollte in erster Linie so etwas wie die Soziologie der Weltbeziehung schreiben, dieser Begriff kam zuerst, ich dachte: Mich interessiert, wie wir uns in die Welt gestellt fühlen – manchmal getragen, manchmal hineingeworfen. Der erst Titel hieß: ›Getragen oder Geworfen‹, und mich hat interessiert, was sind die jeweiligen Bedingungen dafür? Und dann kam ich auf die Idee, dass das was mit etwas wie Responsivität zu tun hat, wenn ich die Erfahrung mache, die Welt antwortet mir, sie erreicht mich, da ergreift mich etwas, aber ich bin auch in der Lage, das andere zu ergreifen, das ist für mich eine Art von gelingendem Weltverhältnis. So bin ich auf den Resonanzbegriff gekommen, aus der Physik, als akustisches Phänomen. Ich hatte immer vor, ein Kapitel über Musik zu schreiben, weil das für mich eine zentrale Resonanzachse ist. Aber was mir damals nicht klar war, das hat sich erst in der Diskussion gezeigt: Leute sagten, ›was du da machst ist eine Art von Umstellung, in dem du nicht mehr das visuelle Weltverhältnis, sondern das akustische als das primäre betrachtest‹. Und ich dachte, ›das stimmt: Hören und Antworten ist meine Zentralidee.‹ Also, wie sollen wir auf Welt bezogen sein? Und ich würde sagen, wenn Leben oder auch zum Beispiel Demokratie gelingen soll, dann muss es im Modus des Hörens und des Antwortens und nicht des Beherrschens und Verfügens geschehen. Und dieses Hören und Antworten ist, glaube ich, ein musikalisches, ein akustisches Geschehen.
Herr Haas, wie hier Resonanz beschrieben wurde, dass sie transformiert oder auch verflüssigt, in den Grundfesten erschüttern kann, können Sie das auf die Kunsterfahrung übertragen?
Georg Friedrich Haas: Resonanz ist im Bereich der Musik so notwendig, wie das Atmen zum Leben. Es beginnt damit, oder besser endet damit, dass unsere Gehörknöchelchen resonieren, wenn wir hören und Resonanz ist einfach etwas ganz Fundamentales. Spannend ist es dann, wenn man diese musikalisch-physikalischen Elemente auf das Gesellschaftliche überträgt. Sie haben die Begriffe Konsonanz und Dissonanz verwendet. Also: Konsonanz ist passend. Dissonanz ist auseinandergehend.
(Rosa deutet Einspruch an.)
Wenn wir jetzt etymologische Forschung betreiben, dann werden sie feststellen, die meisten Menschen sind total gelangweilt bei Konsonanz …
Rosa: Da muss ich mich wehren, beziehungsweise: ich stimme ihnen zu! Weil eine reine Konsonanz ist gerade keine Resonanz, ich höre da weder meine eigene Stimme, noch eine andere.
Haas: Akustisch ist es schon eine volle Resonanz, also wenn – um auf das Stück gestern zurückzukommen (die Uraufführung von Haas’ neuem Werk Release, Anm. d. Red.) – das ganze Orchester einen Obertonakkord spielt, dann kommt diese Resonanz auch physikalisch zur Wirkung. Ich lege großen Wert darauf, dass, wenn man diese Art von mikrotonaler Musik wie ich macht, man das nicht mit elektronischen Mitteln herstellt, weil es dann keine Resonanz gibt, weil die Lautsprecher nicht resonieren. Die armen Musiker des Ensemble Resonanz haben 42 Stunden Lebenszeit damit verbracht, diese verrückte mikrotonale Stimmung zu machen, die ich wollte. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn ich gesagt hätte, dass wir das mit Live-Elektronik transponieren. Aber dann hätte es keine Instrumentalresonanz gegeben. Dann wären keine Schallkörper der Violoncelli dagewesen.
Rosa: Genau!
Haas: … keine real schwingenden Saiten, die sich gegenseitig beeinflussen. Und ob da der Begriff der Resonanz alles abdeckt, da gibt es ja noch andere Dinge wie Schwebung, Interferenz. Gut, ich bin auch kein Akustiker.
Rosa: Bei mir geht es mit dem Resonanzbegriff wirklich darum, dass das was daran beteiligt ist, seine jeweils eigene Stimme hat. Und das scheint mir das zu sein, worauf es Ihnen auch ankommt.

Eine These im Buch lautet auch: Resonanz ist nicht Echo, sondern Widerstand. Da sind Sie vielleicht schon eher einverstanden, Herr Haas?
Haas: Vielleicht ein Beispiel: Ich habe hier zwei Stimmgabeln. Wenn ich eine davon anschlage und die zweite in der Nähe ist, dann schwingt sie mit. Ist das Widerstand? Nein, es ist so, dass die Eigenschwingung der Stimmgabel von sich aus mitgeht. Und wenn die Stimmgabel einen Viertel Ton tiefer gestimmt wäre, würde der Tisch mit derselben Freude mitschwingen. Dieses Mitschwingen, wenn alles draußen schwingt, dann schwing ich mit, völlig gleichgültig davon, was in mir drin ist, ist eben auch Resonanz.
Das heißt die Frage ist eigentlich, ob es eine Stimme gibt und eine gleichberechtigte Stimme, die mitschwingt oder ob es auch eine passive Stimme sein kann?
Haas: Vielleicht gehen wir in dieses Tonbeispiel, das ich mitgebracht habe. Ich habe ein wunderschönes Stück von meinem sehr verehrten Lehrer mitgebracht, die Keintate von Friedrich Cerha, es ist deutsch, ich werde es aber trotzdem übersetzen müssen, denn es ist wienerisch.
… sie haben verstanden? »Und ich war immer im Spalier.« Und das ist die Resonanz, vor der ich mich fürchte. Die Resonanz der Tischplatte, die eines der bedrohendsten Dinge in unserer Gegenwart ist.
Rosa: Das verstehe ich. Als ich mit der Resonanztheorie angefangen habe, hat einer gesagt: ›Ja, das ist das, was die Nazis gemacht haben. Um zu radikalisieren haben sie mit Fahnen, mit Fackeln, mit Uniformen und Liedern eine Art von Resonanzsphäre geschaffen.‹ Das hat mich geschockt; ich dachte, ›klar, aber das ist jetzt nicht das, was ich will.‹ Aber lassen Sie uns nochmal bei den beiden Stimmgabeln bleiben, mit denen operiere ich ja auch in meinem Buch. Was bedeuten die genau? Der entscheidende Punkt scheint mir zu sein, dass in der Resonanzbeziehung, die ich beschreibe, beide einmal Erste und einmal Zweite Stimmgabel sein können oder müssen. Sie berühren sich wechselseitig oder regen sich an. In dem Sich-wechselseitig-anregen transformieren sie sich in Richtung eines Gemeinsamen. Für mich soll es nur Resonanzbeziehung heißen, wenn beide Seiten die eigene Stimme entfalten und zu Gehör bringen, den anderen berühren und sich berühren lassen und sich dabei transformieren. Bei den Nationalsozialisten ging es gerade darum, keine andere Stimme mehr hörbar zu machen, sondern sie alle zum Verstummen zu bringen. Alles, was noch hätte anders sein können, mich hätte anregen könnten, sollte zum Verstummen gebracht werden. Und die eigene Stimme wurde auch unhörbar gemacht, sie sollte ausgelöscht werden, ›im Volksganzen‹, im Identitären. Das beschreibe ich als Echobeziehung. Da findet eine Verstärkung des Immergleichen statt, das unterläuft das, was ich als Resonanzbeziehung verstehe. Das ist dann eine Frage der begrifflichen Definition, aber ich denke, von der Idee her würden wir das Gleiche wollen, nur dass Sie das, was ich als ›Echo‹ beschreibe, noch als ›Resonanzbeziehung‹ beschreiben und deshalb für problematisch halten.
Haas: Das Schöne an Ihrem Konzept von Resonanz ist ja, dass hier zwei Individuen sind, von denen jeder seine komplexe Stimmung hat und in bestimmten Bereichen diese Stimmgabeln sind<, die resonieren wollen. Und ich sage als trauriger Realist: Es gibt auch noch das andere Konzept der Tischplatte, die mit allem mitschwingt, was die Stimmung angibt. Physikalisch ist das auch Resonanz.
Rosa: Aber ist das wirklich so? Da gibt es doch Grenzen.
Haas: Es gibt Grenzen, aber wir könnten dasselbe Experiment auch machen, wenn sie auf das Holz der Bratsche klopfen und wir den Ton hören, den die Bratsche hat. Es gibt diese Resonanz, dass die eine C-Saite auf der anderen mitschwingt, jede hat ihre eigene Schwingung, und es gibt diese andere Resonanz, vor der ich mich fürchte, das Potenzial mit allem mitzuschwingen, was stark genug ist, zum Mitschwingen anzuregen.

Rosa: Aber ist immer noch die Tischplatte, oder? Es ist etwas eigenes erhalten, auch wenn Sie sie mit unterschiedlichen Frequenzen zum Schwingen bringen können, klingt sie nicht wie eine andere Tischplatte oder eine Glasplatte.
Haas: Aber unser virtuelles Ich hat ja auch einen Personalausweis …
Rosa: Mein Konzept ist eigentlich ein phänomenologisches. Die Idee ist: Wir lassen uns von etwas berühren. Das bedeutet nicht, dass ich darin vollständig aufgehe, da ist immer ein Differenzmoment. Aber wenn ich zum Beispiel ein Musikstück höre, dann kann ich es langweilig finden, ich kann es hassen, ich kenn denken: Es ist schon cool oder schön, ich seh’ es ein, aber irgendwie passiert nichts. Und manchmal passiert was, und dann geh ich ein bisschen als ein anderer aus dem Konzert heraus, als der, als der ich hineingegangen bin.
Ist diese Veränderung, diese Transformation nicht genau das, was man sich für die Rezeption von Kunst wünscht?
Haas: Da gehe ich mit Ihnen konform, das geht wahrscheinlich nur dann, wenn man schon die entsprechende Stimmgabel in sich hat und bereit ist – in der Kunst. In der Politik bin ich mir nicht immer so sicher, ob es da nicht auch diese Wirkung gibt. Das verrückte ist: Der technologische Fachbegriff heißt ›erzwungene Resonanz‹, was ja dem gesellschaftlichen Prozess überhaupt nicht entspricht. Das ist ja nicht erzwungen, das ist ein freiwilliges sich erzwingen lassen.

Ich würde gerne zurück zur Kunst kommen. Eine Frage an Tobias und Tim: Einer der wichtigsten Gedanken für die Namensgebung des Ensemble Resonanz war der Dialog, der zwischen Werken entsteht, die programmiert werden in einem Konzert, oder?
Tobias Rempe: Das mit dem Titel war tatsächlich eher zufällig. Uns ist dann nachher aufgefallen, dass der ziemlich gut ist (lacht). Da spricht uns auch dieses responsorische Element, von dem Sie gesprochen haben, an – und auch das mit dem Widerstand darin.
Häufig heißt es, es ist schön, dass das Ensemble Resonanz alte und neue Musik verbindet. Das erleichtert auch das Verständnis oder den Zugang zur neuen Musik. Das ist sicherlich richtig. Ich glaube aber für uns selber, für die meisten Musiker des Ensembles ist es genau umgekehrt interessant. Dass der Zugang zur alten Musik viel leichter wird dadurch, dass sie in den Programmen so eingebaut ist, dass genügend Widerstand entsteht und es auch in dem Alten immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.
Tim-Erik Winzer: Ok, ich bringe ein Beispiel. In unserem ersten Resonanzen-Konzert dieser Saison – Galaxy – haben wir ein sehr berühmtes Werk mit einem sehr unbekannten Werk kombiniert. Das eine sind die Goldberg-Variationen, die aus sehr vielen verschiedenen Variationen bestehen, eines der meistgespielten und -gehörten Werke. Dabei habe ich als Musiker und als Zuhörer das Gefühl, zwischen diesen einzelnen Variationen würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, auch mal auszumachen oder mal woandershin zu horchen oder einfach mal mir selbst zuzuhören oder meinem Atem zu folgen oder was auch immer. Das versuchen wir in so einem Programm zu unterstützen. Mit moderner Musik, mit zeitgenössischer Klaviermusik – in diesem Fall von Georges Lentz, der auch mit mikrotonalen Elementen arbeitet. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Fantasie, das Träumen ein bisschen zu unterstützen, und das klingt dann so:

Ich würde dem Lentz folgend gerne zu den innermusikalischen Schwingungen kommen. Sie haben in einer Ihrer 5 Thesen zur Mikrotonalität gesagt, dass Schwebungen und Dissonanzen eigentlich ein menschliches Grundbedürfnis seien. Was ist damit genau gemeint?
Haas: Das ist einfach empirisch, wenn man sich zum Beispiel verschiedene Volks- und Kunstmusiktraditionen anschaut. Ich hab in der Schule gelernt: Der Dur-Akkord kommt aus der Natur, er besteht aus dem 4., 5. und 6. Oberton. Erstaunlich ist, dass wir glauben, nur wir Mitteleuropäer wären intelligent genug gewesen, das zu begreifen. Das scheinbar Natürliche ist aber im Grunde stinklangweilig, und die anderen Kulturen interessieren sich nicht dafür. Aber in allen Kulturen finden Sie verstimmte Oktaven, verstimmte Einklänge. Und wenn in der indischen Musik die reine Quinte, die Bordunquinte so wichtig ist, dann liegt das daran, weil der Raga dagegen Schwebungen produziert. Ich bin ja nicht der Erfinder der Mikrotonalität. Alles ist mikrotonal. Eines der mikrotonalsten Instrumente, die ich kenne, ist die Orgel, das falscheste Instrument, das wir haben, weil es ein Blasinstrument ist, bei dem man die Intonation nicht korrigieren kann, das muss falsch sein. Aber das steckt man in einen großen, halligen Raum, und allen Menschen läuft der kalte Schauer über den Rücken, weil da so viele Schwebungen und Differenzen sind. Wie ist das es denn bei Ihnen? Ich würde den Resonanzbegriff gerne um den Schwebungsbegriff erweitern, also die geringfügige Abweichung.

Rosa: Da rennen Sie bei mir offene Hallentore ein. Wenn ich Sie mit der Mikrotonalität richtig verstehe, würde ich sagen, das ist genau das, was ich meine. Wir suchen also nach Differenzen, also nach Dissonanzen mit der Hoffnung auf eine gewisse Anverwandlung. Ich will eine Differenz hören, die eine Spannung erzeugt, auf die ich reagiere, aber mit der Hoffnung, dass dieses Andere mich nicht einfach repulsiv verletzt oder stört. In den Sozialwissenschaften gibt es diesen jahrhundertelangen Streit: Identitätstheorien, die davon ausgehen, dass wir eine feste Identität brauchen und Differenztheorien, die darauf beharren, dass da unüberbrückbare Differenzen und Andersheiten sind. Ich hoffe, mit dem Resonanzbegriff einen Weg aus einer starren Dichotomie zu finden und sage: Nicht Identität, sondern dieses Angeregtsein durch einen Anderes, was mir erlaubt, mich auch selbst zu verwandeln, ist das Richtige.
Haas: Was ich nicht glaube, ist, dass diese Schwebung etwas ist, das aufgelöst werden sollte. Dazu eine Anekdote. Es war in Darmstadt 1996, da hat Toshio Hosokawa einige Zen-Mönche gebracht, die haben da gesungen, und es war tief beeindruckend, aber die haben ›halt verdammt falsch‹ gesungen, ständig ›ein bisserl daneben‹ um es österreichisch auszudrücken. Dann hat jemand in der Diskussion danach gefragt und der Mönch hat eine wunderschöne Doppelantwort gegeben, erst meinte er – ironisch –, dass es eben Unterschiede zwischen Mönchen und Komponisten gebe. Und das Zweite war für mich ein Schlüsselsatz: In dieser Schwebung liegt die Spiritualität. Und das ist es für mich, dieses (haucht hörbar aus). Darum ist die Orgel so schön.
Rosa: Einer meiner liebsten Sätze ist: Resonanz ist eigentlich nur die Hoffnung auf das Aufscheinen einer neuen Möglichkeit. Die reine Dissonanz, die keinerlei Hoffnung auf Berührung zulässt, ist auch nichts.
Haas: (nach einer Pause) Jo … (lacht), da könnte ich Ihnen jetzt ein paar Stücke von mir vorspielen.
Winzer: Wir könnten auch ein Stück aus dem 16. Jahrhundert hören, auch sehr schräg, Froberger, Cembalo.
»Den von Ihnen möcht‘ ich sehen, der sagt: Herr Haas, lösen sie doch bitte diese Sept einen Sechstelton tiefer auf, in die Natursept« – eine Einführung in die Mikrotonalität. Herr Haas spielt Klavier, greift ins Klavier und lässt einen Bratscher natürliche Obertöne spielen.
Rosa: Diese mikrotonalen Differenzen, die Sie da herausarbeiten, die scheinen mir nach meinem Laienverständnis genau das zu sein, was ich meine: eine eigene Stimme, ein Moment von Unverfügbarkeit und eben nicht die vollständige Übereinstimmung, die dann dazu führt, dass man die gar nicht mehr unterscheiden kann.
Haas: Genau! Das Faszinierende ist nicht das Genau-beisammen, sondern das knapp-daneben.
Ist das Schönheit?
Rosa: Da bin ich stockaltmodisch. Musik, die mich berührt, würde ich ohne mit der Wimper zu zucken als ›schön‹ bezeichnen. Kein vernünftiger Kunstphilosoph oder Ästhetiker verwendet noch ›Schönheit‹, aber ich finde, das geht an unserer rezeptiven Realität vorbei. Ich würde aber zustimmen, das geht mit Spannung einher. Der reine Wohlklang führt zu Fahrstuhlmusik. Ich nenne das ›Resonanzsimulation‹, die soll das Gefühl erzeugen, dass wir getragen sind und uns in einer harmonischen Welt befinden, auch wenn wir es vielleicht nicht tun.
Haas: Ich habe kein Ahnung, was Schönheit ist. Ich bin, was Ästhetik betrifft, so etwas wie ein höfischer Absolutist, Louis XIV hat gesagt, ›L’Etat c’est moi‹, und ich sage: ›La musique c’est moi‹. Was ich als schön empfinde, schreibe ich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich mir ganz vertraue, dann wird die Resonanz automatisch bei dem Einen oder der Anderen passieren, vorausgesetzt ich bin mutig genug, mich auf das einzulassen.
Wir haben ja auch schon mal über eine Petition gegen Vier Jahreszeiten an Bahnhöfen nachgedacht.
Rosa: In Hamburg natürlich (wo damit ursprünglich die Obdachlosen vertrieben werden sollten, d. Red.), das ist ja das allerscheußlichste, Musik einzusetzen, um Dissonanz oder Repulsion zu erzeugen.
Andererseits leben wir in einer Gesellschaft, die sich rundum musikalisiert. Meine Deutung dafür ist: Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir von der Umwelt gar keine Resonanz mehr erfahren. Ich fahre in der Straßenbahn und habe nicht das Gefühl, dass ich mit der Umwelt, mit den Menschen, die zusteigen in irgendeine Form von resonantem Verhältnis kommen kann, also lebe ich eigentlich in entfremdeten Oberflächen und versuche mich in eine Resonanzsimulation oder eine Art von Eigenresonanz zu versetzen, indem ich mir Kopfhörer aufsetze. Die Welt, die Bahnhöfe ist mir gleichgültig oder kommt mir feindlich, verödet vor.

Ist das nicht aber ein Zeichen dafür, dass wir ein verstärktes Bedürfnis nach Resonanz haben? Warum rennen dann nicht alle in die Konzerthallen?
Rosa: Ins Konzert zu gehen hat ja ein rituelles Moment. Also es beginnt irgendwann, man setzt sich hin, es wird dunkel, man wird leise; diese Art von Einstimmung schafft so etwas wie dispositionale Resonanz, im Gegensatz zum Alltag, wo wir in der Regel instrumentell auf die Welt gerichtet sind, wir wollen schnell und effizient Dinge erreichen und blenden alles andere aus. Meine These basiert ja auch der Beobachtung, wir alle hetzen zunehmend stärker durch die Gegend und sind gezwungen zum Optimieren, zum Verdinglichen. Und dann wollen wir Freitag oder Samstag Abend im Konzertsaal völlig umstellen, ganz in Resonanz mit der Welt gehen. In der Regel klappt das nicht so gut. Wenn man einen Satz hört, wie ›die Flüchtlinge müssen für sich selber sorgen, wir können keine mehr aufnehmen‹, da kann man sehen: Wir verschließen uns von der Welt, gestisch, in der Stimme, wollen nicht affiziert werden, und dann wollen wir im Konzert aber affiziert werden und das funktioniert dann häufig nicht. Und die Leute strömen nicht ins Konzert, weil sie die Erfahrung machen: ›Ich bin ja hier genauso angeödet, da passiert nichts mit mir.‹ Die Haltung, mit der wir Dingen begegnen, ist in der Regel eine instrumentelle: ›Lassen Sie uns nicht lange rumlabern, ich hab noch was zu tun.‹ Und das macht es eben schwierig, sich in der Kunst oder so auf Resonanz einzulassen. Dann wollen wir lieber die Wellness-Oase und denken, uns fehlt die reine Konsonanz. Und in der Politik will man den Anderen ja auch immer öfter nicht hören, weil man ihn für einen Rassisten, Faschisten hält oder einen linken Gutmenschen, da entstehen so Echosphären. Der Verlust der Fähigkeit des Hörens und Antwortens ist ein gesellschaftliches Problem.
Haas: Ich würde gerne noch einen Aspekt einbringen und Sie fragen, wie Sie dazu stehen: Resonanz ist, wie ich vorher schon erklärt hatte, meiner Meinung nach etwas, das zwischen physikalischen Materien stattfindet. Wir leben aber in einer Zeit, in der das elektronische eine große Rolle spielt, da gibt es noch etwas anderes, die Rückkopplung. Wenn ich zum Lautsprecher gehe und laut genug spreche (Haas geht nah zum Lautsprecher und erzeugt eine leise Rückkoppelung und hält sie), dann ist es völlig gleichgültig, was ich spreche, weil das dann vom Lautsprecher verstärkt wird. Wenn man das auf demokratische Wahlen überträgt, dann ist man bei Donald Trump. Das ist eigentlich nicht lustig. Da passiert etwas innerhalb der Medien, was man irgendwie vergleichen kann, oder?
Rosa: Ich nenne das das Entstehen eines leeren Echoraumes, der aus Verstärkung des Immergleichen besteht. Es kommt zu einer Aufschaukelung, gebildet auf einer entfremdeten Weltbeziehung, die nicht auf Zuhören und Antworten, sondern auf dem Ressentiment basiert, das hat Donald Trump ja massiv gemacht. Demokratie lebt ja davon, dass jeder von uns eine Stimme hat. Die Sprache ist da verräterisch, wir geben die Stimme am Wahltag ab, dann können wir sie natürlich nicht mehr im Sinne eines Resonanzgeschehens einsetzen. Habermas bringt dann die Idee der deliberativen Vernunft: Am Ende wird sich die Vernunft durchsetzen. Hier gehen die Differenzen auch verloren, es gibt keine individuellen Stimmen, eine Art Filterprozess und es fehlt die leibliche Dimension. Und dann gibt es eben entweder den Wutbürger, oder – die dominante Form, sich vor allem in den Medien mit Politik auseinanderzusetzen – das zynische Gelächter, nehmen wir die »heute-show« und Ähnliches. Politiker sind die, über die wir lachen, mit denen setzen wir uns nicht in ein Resonanzverhältnis.
Nancy Love, eine amerikanische Philosophin, hat ein Buch geschrieben, das heißt ›Musical Democracy‹, und die Idee ist, dass Demokratie da funktioniert, wo sie wie ein Resonanzensemble ist. Man arbeitet jeder mit seiner Stimme auf ein gemeinsames Anderes hin, zumindest so, dass man politisch handlungsfähig wird. Das war immer die Idee des Republikanismus – also der philosophischen Tradition. Und ich frage mich wirklich, ob wir die ästhetische Erfahrung ernster nehmen müssen: Sie kennen das Alle, wir werden ergriffen und antworten innerlich darauf, selbstwirksam. Häufig haben wir dabei Tränen in den Augen oder eine Gänsehaut. Und diese Erfahrung meinen wir eigentlich, wenn wir sagen: Das war schön.
Wie hängen diese ästhetischen Erfahrungen mit dem Raum zusammen, in dem wir sie machen? Oder anders gefragt: Wie müsste der klassische Konzertsaal beschaffen sein, damit er kein Entfremdungsraum wird?
Rempe: Ich weiß nicht, ob es so sehr am gebauten Raum liegt, vielleicht gar nicht so stark. Herr Rosa, sie haben eingangs gesagt, dass es schwer ist, Resonanzerfahrung berechenbar zu machen, Parameter zu definieren, unter denen sie wahrscheinlicher wird. Am allerleichtesten wäre, zu definieren, was sie unwahrscheinlich macht. Dazu gehören Wiederholung, Entfremdung, Überwältigung, sie könnten die Liste wahrscheinlich fortsetzen. Überwältigung ist bei der Elbphilharmonie schon ein Thema, da geht man dann hin, und will überwältigt werden, und das ist keine optimale Voraussetzung, wenn man soviel will.

Rosa: Und hinterher redet man es sich dann ein, weil es muss toll gewesen sein, besonders, wenn man sich superteure Karten gekauft hat.
Rempe: Aber da kommt dann ins Spiel, da waren die Konzerte des NDR auch im großen Saal ein Zeichen, es haben ganz viele unbekannte und neue Stücke eine Rolle gespielt. Und das ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn das Gebäude schon so anziehend ist, dann drin wieder einen offenen Raum herzustellen.
Haas: Ich würde Ihnen bei der Sache mit den superteuren Karten gerne widersprechen, es gibt nämlich immer noch die Möglichkeit des Protestes. Von mir wurde in der Carnegie Hall mal ein Stück aufgeführt, gemeinsam mit Schumann, und da gab es etwa 150 Leute, die heftig gebuht haben, das ist gut so! Diese Bedeutung dieses Bauwerkes liegt doch ein bisschen tiefer. Ich meine, es gibt ein menschliches Grundbedürfnis nach Transzendenz oder Spiritualität und wir haben heute in unserer Gesellschaft keinen Platz, wo das befriedigt wird. Die Kirchen haben versagt, Sekten und Fundamentalismus sind irrational. Es gibt einen Aspekt in der Gesellschaft, wo der Wunsch nach Spiritualität mit ganz klarer Rationalität verbunden werden kann, und das ist Kunst. Der Anfang von Schuberts Unvollendeter h-Moll-Sinfonie ist eine der spirituellsten Musiken, die es gibt und ist ganz klar harmonisch strukturiert und lässt sich rational begründen. Deshalb lautet meine These: Ein Konzertsaal ist heute das, was 500 Jahren zuvor eine Kathedrale war.
Rosa: Ich glaube, es liegt nicht unbedingt an objektiven Raumbedingungen, sondern an der Beziehung zwischen den Menschen die da sind, und dem Raum. Ein Problem in klassischer Musik kann dann noch die Passivierung des Körpers sein. Man sitzt nur da, schließt die Augen und hat erstmal keine Selbstwirksamkeit. In der Rockmusik, im Techno, Hip Hop, Trance sind wir körperlich involviert und antworten auf das Geschehen. Die, die es lieben, würden vielleicht sagen, dadurch entsteht aber eine viel tiefere Form des Antwortens und sich als wirksam Erlebens, aber diese Kulturtechnik geht vielleicht verloren, ist nicht so leicht zu haben.
Haas: Ich würde sagen, das ist etwas, das hängt mit dem Genre der klassischen Musik, wie wir sie konzipiert haben, zusammen. In dem Augenblick, in dem ich eine Ästhetik der leisen Töne haben will, brauche ich natürlich auch eine Übereinkunft aller, dass sie diese leisen Töne hören wollen und daher still sind. Lassen Sie mich noch einen Schritt weiter gehen: Ich glaube, dass es grundsätzlich den Wunsch von Menschen gibt, sich zeitweilig zu unterwerfen. Das gehört auch dazu zu dem Sich-hinein-begeben in das Ritual.
Rosa: Da stimme ich zu, aber ich würde es nicht Unterwerfung nennen. Denn da ist ja auch ein Moment der Befreiung drin. Ein anderer interessanter Punkt am Ritual ist ja die Erwartungshaltung, die geweckt wird. Und die wird natürlich durch den Kanon geweckt. Wenn so viele Leute sagen, Schubert ist toll, hör dir das an, dann probiere ich das vielleicht irgendwann. Ich glaube wir haben eher ein Problem dieser Erwartungshaltung, da gibt es niemanden, der sagt, lass dich mal auf Schubert ein.
Rempe: Aber wenn der Kanon zur Distinktion wird haben wir auch ein Problem. Es ist was anderes zu sagen: Hör Dir mal Schubert an als: Wenn Du keinen Schubert kennst, bist du ein Vollhonk.
Rosa: Ja, da würde ich ihnen recht geben, das ist eine saublöde Haltung zu Musik, die Resonanz untergräbt.
Winzer: Aus Musikersicht würde ich da gerne mal eben einhaken, denn ich glaube, dass es ein Element in diesem Dreieck der Verständigung gibt, das in der Diskussion fehlt. Denn wir reden jetzt von der Ebene »Mozart direkt zum Rezipienten«, das funktioniert aber für die wenigsten so, weil die wenigsten können sich eine Mozart-Sinfonie einfach durchlesen. Ich glaube der entscheidende Punkt, der die Resonanzerfahrung behindert, sind wir Musiker, sind die Interpreten, die genau in dieser Wiederholungsschleife steckengeblieben sind. Ein Großteil der Musiker funktioniert so, dass sie Sachen immer wieder spielen, immer wieder wiederholen, und dass dadurch für den Zuhörer der Moment der Einmaligkeit nicht entstehen kann. Wir sind selber dafür verantwortlich.
Rosa: Wenn die Musiker untereinander nicht mehr miteinander interagieren, kann es das Publikum auch nicht. Das finde ich plausibel. ¶
