Ich treffe Anna Lucia Richter kurz vor Weihnachten in Hamburg, wo sie in den kommenden Tagen innerhalb von 48 Stunden fünf Mal im Michel das Weihnachtsoratorium singen wird. Wir haben uns für den Aufnahmenvergleich im resonanzraum am Hochbunker an der Feldstraße in St. Pauli verabredet. Richter hat ihre Partitur der Vierten mitgebracht, in der sie sich beim Hören der Aufnahmen Stellen markiert. Die intensive Beschäftigung mit dem Stück scheint ihrer Begeisterung dafür keinen Abbruch getan zu haben, im Gegenteil …

Anna Lucia Richter • Foto © Matthias Baus
Anna Lucia Richter • Foto © Matthias Baus

Wieso hast du für diesen Aufnahmenvergleich den Schlusssatz aus Mahlers 4. Sinfonie gewählt?

Erst einmal ist es eines der Stücke, die ich bisher mit am öftesten gesungen habe. Und dann ist es wunderbar plastische Musik, man kann viel darin entdecken, dadurch in vielen Aufnahmen auch viele Unterschiede in der Interpretation. Ich kann gar nicht verstehen, wie manche Leute diese Musik oberflächlich oder kindisch finden können. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Mahler sich meiner Meinung nach vorgestellt hat. Nur deshalb, weil Mahler die Vertonung des Wunderhorn-Gedichts ursprünglich mit ›Was mir das Kind erzählt‹ betitelte, denkt man, sei es ein Kinderlied. Dabei ist es viel wahrhaftiger als die meisten anderen Mahler-Sinfonien. Wenn ein Kind etwas erzählt, mit einem heiligen Ernst, dann ist es ganz wichtig, aber mit einfachen Worten ausgedrückt. Das Kind als das Wahrhaftige an sich, als die Seele, die im Himmel ankommt, ist ohnehin ein Thema, mit dem ich mich als Sopranistin permanent beschäftige. Wenn in irgendeinem Oratorium eine Seele oder ein Engel vorkommt, wer singt das dann? Der Sopran. (lacht)

Der Cellist Jean-Guihen Queyras hat erzählt, dass er sich bei Mahler mit 18 gedacht habe: ›Warum muss man sich das Leben so kompliziert machen?‹ Wie war das bei dir, wann bist du das erste Mal mit Mahlers Musik in Berührung gekommen?

Ich habe Mahler im Mädchenchor des Kölner Doms kennengelernt, als wir in seiner Dritten und Achten Sinfonie mitgesungen haben. Mit zehn oder elf fand ich die Musik toll wegen der ganzen Action, selbst wenn man – wie in der Achten – die ganzen Faust-Szenen nicht versteht. Ich kenne außer Mahler und vielleicht Hugo Wolf niemanden, der derart lautmalerisch komponiert.

Was waren deine Kriterien für die Auswahl der Aufnahmen?

Verschiedene. Es gibt einerseits die große Diskussion darüber, ob es – weil der Protagonist ein Kind ist – auch von einem Kind gesungen werden müsse. Deshalb ist die Bernstein-Aufnahme mit einem Knabensopran dabei. Dann die mit Edith Mathis, weil es lange Zeit meine absolute Lieblingsaufnahme war und immer noch zu meinen Favoriten gehört. Generell geht es mir um die Anlage der Interpretation: Ob man den Ochsen hören kann, ob man das Lämmchen schreien hört, und ob das, was Mahler unter die Singstimme im vierten Satz schreibt (schaut in die Partitur), ›Mit kindlich heiterem Ausdruck, durchaus ohne Parodie‹, umgesetzt ist. Es ist so ein schmaler Grat zwischen kindisch und kindlich, der aber unglaublich viel ausmacht. Das Unbeschwerte kann man nur rüberbringen, wenn man sängerisch nirgendwo technische Grenzen hört, es nirgendwo so klingt, als sei es schwer.

Ist die Singstimme denn schwer?

Auf jeden Fall, sie hat ja einen außergewöhnlichen Stimmumfang. Wenn es vom Sopran gesungen wird, hat es eine ziemliche Tiefe, wenn vom Mezzo, geht es relativ hoch, in einer ganz zarten Farbe. Das so zu singen, dass es natürlich und nicht virtuos klingt, es fließen zu lassen, das finde ich wichtig. Dann gibt es zum Beispiel diese Parlando-Stelle in der dritten Strophe, wo in kurzer Zeit aufgezählt wird, was es im Himmel alles zu essen gibt: Ein Kind hört vor lauter Begeisterung nicht auf, ganz hastig von etwas zu erzählen. Man kann an der Stelle nicht richtig gut atmen und muss Schnappatmer einbauen. Gleichzeitig ist dort das Orchester nicht gerade dünn besetzt, man muss also genug Klang entwickeln. Die Stelle ist auch noch in anderer Hinsicht interessant, weil es diesen Bezug zum Wunderhorn-Lied Das irdische Leben gibt: Dort stirbt das Kind vor Hunger, im Himmlischen Leben ist es das Essen, worüber sich das Kind am meisten freut. Ich stelle mir immer vor, dass es in beiden Liedern dasselbe Kind ist.

Edith Mathis (Sopran), Wiener Philharmoniker, Leonard Bernstein (Dirigent)

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Anna Lucia Richter: Ihre Grundfarbe finde ich einfach schon mal total schön. Ich habe bei Mathis immer bewundert, dass ihre Stimme eine Helligkeit hat, die, wenn sie in die Tiefe geht, etwas Kerniges kriegt. Bei Sopranen gibt es das ziemlich selten und es passt gut zu dem Stück, weil es von Anfang an etwas schelmisch-charmantes hat.

Von Bernstein finde ich in der Aufnahme auffällig, dass er, bis auf wenige Schwankungen, das Metrum von Anfang bis Ende nahezu beibehält. Das Ende ist nicht deutlich langsamer als der Anfang. Da (im Video ab hier) finde ich das Tempo aber ein bisschen zu diktiert, diese Ruhe, um die es geht, kommt mir nicht klar genug durch. Die Basstöne sind mir zu kurz, dadurch kriegt es so etwas Marschierendes. Der Schluss, mit den »Elftausend Jungfrauen«, die tanzen, das muss etwas unglaublich Sinnliches haben. Dieses Harfenmotiv, das am Schluss so lange nachklingt, ist für mich kein Tanz im Sinne von Ringelrein, das ist plötzlich nicht mehr kindlich, es geht eigentlich um etwas ziemlich Erwachsenes. Spätestens dort zeigt sich, ob das Tempo gut ist. Oder man ist bereit, es an der Stelle zu verlangsamen, damit es dieses Sphärische bekommt. Es gibt ein paar Videos aus der Zeit, die damaligen Ausdruckstanz als eine Art Herumschweben in griechischen Walle-Walle-Gewändern zeigen. So stelle ich mir das dort vor.

An der Stelle »Sankt Ursula selbst dazu lacht« habe ich viel gebastelt. Mahler hat auf das »lacht« portamento bzw. glissando geschrieben. Mathis macht das ganz charmant, ein ziemlich glatter Juchzer nach unten, aber sie baut noch ein bisschen portamento ein, so dass man die einzelnen Tonstufen hört. Sauschwer, aber es macht einen großen Unterschied und macht Spaß, wenn die erste Geige das an der Stelle mitmacht. Wenn beide das gleich glatt machen, klingt es einfach zu brav.

Bei »Johannes das Lämmlein auslasset« würde ich persönlich für die Empörung noch eine andere Farbe reinbringen. Auch davor, »Wir führen ein englisches Leben«, – das ist in der Partitur nicht umsonst die Ziffer 2, ein neuer Absatz, auch ein neues Tempo, da steht »fließend« drüber, aber sie bringt da keine andere Farbe, das finde ich ein bisschen schade. Ich mag das Übermütige an dieser Stelle, diese Mischung aus legato und staccato, auf der einen Seite das »englische Leben«, auf der anderen das »Hüpfen und Springen«. Das könnte man noch etwas mehr machen, muss aber auch immer aufpassen, dass man sich nicht verzettelt an zu vielen Details. Sie schafft es sehr gut, bis zum Schluss eine Linie zu ziehen. Das ist ganz große Kunst.

Wenn man hört, wie viele Gedanken du dir zu einzelnen Stellen machst, wünscht du dir manchmal, dass mehr Leute all diese Details mitkriegen?

Vom Publikum wünsche ich mir eigentlich nur, dass es sich von der Musik angesprochen fühlt. Klar wäre es toll, wenn da jemand säße und solche Sachen selber entdeckt, ›ach, hast du gehört, da lacht die Sankt Ursula, hörst du den Ochsen an der Stelle?‹.

Gibt es heutzutage überhaupt genügend Probezeit, um solche Feinheiten herauszuarbeiten?

Nein, da geht in der heutigen Zeit wirklich viel verloren, bei Aufnahmen erst recht, da hat man für eine halbe Sinfonie nur einen Tag Aufnahmezeit. Harnoncourt hat sich für seine Matthäus-Passion sechs Wochen genommen, der hatte sicherlich für eine Arie einen ganzen Tag Zeit. Das gibt’s überhaupt nicht mehr, was schade ist. Ich würde mir eigentlich auch wünschen, dass man sich mit dem Dirigenten oder der Dirigentin vor der ersten Orchesterprobe zusammensetzt und über solche Dinge unterhält und man so offen ist und darüber diskutiert.

Wollen wir etwas hören, was ein Kontrast zu Bernstein ist?

Gerne, lass uns mal die ganze alte Aufnahme hören von Mengelberg. Bei der fand ich spannend, dass die Aufnahme nur 38 Jahre nach der Uraufführung entstand, also noch ziemlich nah dran ist [und Mengelberg Mahler die Sinfonie 1904 in Amsterdam noch selbst hat dirigieren sehen, d.Red.].

Jo Vincent (Sopran), Concertgebouw-Orchester Amsterdam, Willem Mengelberg (Dirigent)

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Anna Lucia Richter: Ich finde das interessant, man darf nicht einfach sagen, ›oh Gott, das geht gar nicht‹. Die haben es ja auch nicht einfach willkürlich gemacht, sondern schon eine Idee gehabt. Manche Sachen sind sehr klug, zum Beispiel finde ich es spannend, wie ein großes Orchester es schafft, eine Sängerin im wahrsten Sinne des Wortes zu begleiten. Sie kann einfach machen, was sie will. Natürlich rappelt es an manchen Stellen, aber letztlich begleiten sie sie ziemlich gut. Die Kiste bei der »lachenden Ursula« ist natürlich etwas heftig groß geraten (im Video ab hier). Aber was man dadurch super hört, sind die Vorhalte in den ersten Geigen direkt davor, wenn sie von den »Elftausend Jungfrauen« singt. Es ist zwar auch nicht sinnlich schwebend, aber es bekommt dadurch etwas total charmantes, wie kleine Fußspitzen, die aufgesetzt werden. Klar, Mahler schreibt vor »lacht« auf der Fermate »kurz«, und auf dieser Aufnahme ist es alles andere als das. Aber gut, vielleicht haben sie sich damals unter »kurz« auch etwas anderes vorgestellt als heute. Was mir hier übertrieben zu viel ist, während es mir bei Bernstein zu wenig war, ist, dass sie bei den Doppelstrichen nahezu einen halben Takt einfügen, bevor es weitergeht. Bei Bernstein geht es zu schnell ineinander über, er fällt in diesen Auftakt rein, was sängerisch unglaublich schwer ist, weil man keine Zeit hat, auf die Höhe umzustellen. Hier bei Mengelberg wird zu lange gewartet. Dadurch bricht die Spannung einmal in sich zusammen und muss wieder neu aufgebaut werden.

Miah Persson (Sopran), Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer (Dirigent)

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Anna Lucia Richter: Bei der Aufnahme hätte ich glaube ich sogar beim bloßen Hören erkannt, dass es Iván Fischer ist. Iván ist unter allen Dirigenten, die ich kenne, derjenige, der es am meisten liebt, sich kindlich zu freuen – der da reingeht, es rauskitzelt und Spaß dran hat. Das kommt hier beim Mahler natürlich super raus. Er nimmt diesen Tempowechsel bei »Wir führen ein englisches Leben« auch total ernst. Der ist so patsch da, das neue Tempo steht sofort, das finde ich toll. Was mir bei Miah Persson auffällt ist dieser Vorhalt am Anfang bei den »himmlischen Freuden«, der bekommt sowas Skandinavisch-Volksliedhaftes bei ihr: Die Hauptnote bleibt fast liegen, die Nebennote wird nur kurz angetickt, eigentlich deutlich kürzer als die Sechzehntel, die in der Partitur steht. Es kriegt dadurch etwas Neckisches, was Mahler bei der Stelle auch meint, finde ich. Zu brav oder zu lieb ist mir natürlich wieder meine geliebte Ursula geraten, aber vielleicht habe ich da auch einfach einen Tick, dass ich da so drauf achte, weil ich sie so mag. Was ich erstaunlich finde für Iván: dass das Lamm in der Oboe und der Ochse im Kontrabass viel zu schön klingen. Das ist künstlerisch hochwertig hübsch. Hat aber auch schon wieder was, weil es dadurch fast wie eine Beerdigung klingt. Das ist ja an der Stelle auch nicht falsch, weil sie ja gerade geschlachtet werden. Vielleicht ist es also tatsächlich so gewollt.

Helmut Wittek (Knabensopran), Concertgebouw-Orchester Amsterdam, Leonard Bernstein (Dirigent)

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Kannst du mir erklären, warum viele Menschen so verzückt sind von Knabenstimmen?

Es kann etwas unglaublich Unmittelbares haben, wenn Knaben singen, weil sie sich im besten Sinne noch nicht produzieren, ein Image von sich aufbauen, sondern einfach sind …

Für mich klingt es aber oft nicht natürlich, sondern künstlich, weil es trainierte Stimmen sind in einem perfektionistischen Kontext.

Das kommt eben drauf an. Bei der Aufnahme stört mich auch, dass ich den Eindruck habe, der Junge macht einfach das, was ihm gesagt worden ist, und nicht das, was er eigentlich selber fühlt. Ich weiß nicht, was er da fühlt, das kann ich kaum erkennen. Es ist auch vom Ambitus her dermaßen jenseits von Gut und Böse, das passt einfach nicht für eine Knabenstimme, es klingt viel zu angestrengt. Das ist für mich ein Missverständnis: Klar soll es ein Kind sein, das erzählt, aber es soll eben einfach klingen und natürlich, dafür ist es musikalisch zu schwer, als dass ein Kind es so umsetzen kann. Genauso wenig wie Schuberts Der Hirt auf dem Felsen von einem Tenor gesungen wird, nur weil es ein Hirte ist.

Außer dem Alter hat es wenig Kindliches an sich.

Genau, es ist artifiziell, das ist schade. Aber ich bin selber in einem Chor groß geworden und finde schon, dass Mädchen- und Knabenchöre einen unglaublichen Zauber haben können, aber es muss das richtige Repertoire sein. Es darf nicht sowas Dompteurmäßiges bekommen, trainierte Äffchen, die ihre Kunststücke zeigen. Da geht’s dann sehr um die Vermittlung, wie die Kinder etwas lernen. Dadurch, dass meine Mutter Stimmbildnerin bei den Kölner Domchören ist, habe ich davon viel mitbekommen. Es geht nicht darum, eine CD vorgelegt zu bekommen und das nachzusingen. Das ist das Schlimmste was man machen kann, weil es sich komplett von der eigenen Person entfernt und nichts mehr mit dem Sängerkind zu tun hat.

Singst du Das himmlische Leben eigentlich auch manchmal alleinstehend mit Klavierbegleitung bei einem Liederabend?

Neulich zum ersten Mal, weil ich Irdisches und Himmlisches Leben in einen gemeinsamen Kontext setzen wollte. Das geht ganz gut, aber ich vermisse im Klavier zu viel. Vielleicht liegt es daran, dass ich es orchestral so gut kenne. Dieser Schluss, der mit der Harfe so schön verklingt, während das Klavier einfach stundenlang in der linken Hand eine Oktave spielt – das hat keine Wirkung.

Sylvia McNair (Sopran), Berliner Philharmoniker, Bernard Haitink (Dirigent)

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Anna Lucia Richter: Was ich bei Haitink so mag, ist, dass alles so unglaublich gut durchhörbar ist. Du nimmst so viele Details wahr, es ist sehr sehr klar. Ich kann mich daran nicht satt hören, auch wenn es an manchen Stellen vielleicht etwas frecher sein könnte. Wenn ich mit ihm Mahlers Vierte mache, höre ich mir gerne den dritten Satz auf der Bühne an, weil ich jedes Mal etwas Neues entdecke. Das ist schon wirklich eine Kunst, erst Recht, wenn man auf die 90 zugeht und das Stück hunderte Male dirigiert hat. Das hat auch mit seiner Demut als Person und Dirigent zu tun, dass er da wenig reindrückt oder aufoktroyiert, sondern einfach sein lässt. Die Klangfarbe von Sylvia McNair finde ich sowas von rein und schön, fast zum drin Baden. Das einzige, was ich schade finde ist, dass es bei der einen Klangfarbe bleibt und sich wenig ändert. Das liegt nicht daran, dass sie es nicht anders kann, in ihrer Interpretation soll es halt in dieser einen Farbe bleiben. Auffällig finde ich, dass es die Aufnahme mit den längsten Vorhalten am Anfang ist. Was bei Persson etwas Skandinavisch-Volksliedhaftes hatte, ist bei ihr schon fast überlang. Dadurch kriegt es ein viel größeres Legato, was zu dieser Engelsklangfarbe, die sie hat, sehr schön passt.

Du singst Mahlers Vierte in den kommenden zwei Jahren mit ganz unterschiedlichen Dirigenten, Bernard Haitink, Iván Fischer, Valery Gergiev, Teodor Currentzis. Wenn du das erste Mal mit einem Dirigenten auftrittst, woran merkt man, ob es passt oder nicht?

Ich versuche, es für mich zu schaffen – und allmählich fängt es an, mir zu gelingen – dass ich mir darüber nicht allzu viele Gedanken mache. Wenn man da steht und denkt, ›oh Gott, vielleicht findet er es ja nicht gut‹, dann verbraucht man dafür zu viel Hirnkapazitäten, statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Du hast vorhin davon gesprochen, dass heutzutage alles sehr eng getaktet und die Probe- und Abstimmungszeit knapp ist. Gibt es denn generell nach einem Auftritt Zeit und Raum für eine ›Manöverkritik‹?

Wenn man beim ersten Schlussapplaus von der Bühne geht, zwischen den Verbeugungen, bevor man wieder rausgeht, gibt es meistens diesen Moment, in dem ein paar erleichterte Sätze fallen, ein Schulterklopfen oder ›Spaß hat’s gemacht‹. Da merkt man ganz schnell, wie die allgemeine Stimmung ist. Wenn da nichts kommt …

… fragt man dann nach?

Das mache ich eigentlich nicht. Es gibt eigentlich immer eine Gelegenheit, wenn man sich verabschiedet, oft gibt’s ja auch noch einen Empfang. So gar kein einziges Wort habe ich eigentlich noch nie erlebt. Man merkt es auch nonverbal während der Musik, ob man da auf einer Welle schwimmt oder keinen Zugang zueinander findet. Mit Bernard Haitink, der ja auch überhaupt kein Mann der vielen Worte ist, war es zum Beispiel so. Er hat eine ganz liebe Art, dass er es irgendwie rüberbringt, wie er es gerade findet.

In einer Kritik zu einem Konzert von dir mit Haitink und dem Chamber Orchestra of Europe verglich der Autor deine Interpretation der Wunderhorn-Orchesterlieder mit der ›authentischen, durchdachten Theatralik des jungen Thomas Hampson in seiner Blütezeit‹…

… da habe ich mich natürlich wahnsinnig gefreut, mit Thomas Hampson verglichen zu werden bei Mahler ist schon sehr sehr fein. (lacht)

Siehst du dich als Mahler-Sängerin?

Man will natürlich nicht in eine Schublade gesteckt werden, aber für mich ist es gerade ganz schön, weil ich bisher sehr viel Lied, Bach und Alte Musik gemacht habe und man da nicht so unbedingt auf die Idee kommt, dass ich auch Mahler singe. ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com