Das Duo Arp Frantz im Interview
Abgesehen von einigen Klavier-Duos scheinen aus lediglich zwei Instrumentalisten bestehende, kontinuierlich auftretende Kammermusikensembles im aktuellen Klassikbetrieb selten zu sein. Zum Teil aus naheliegenden Gründen. Während etwa das Beaux Arts Trio so lange existierte, wie Menahem Pressler am Klavier bei wechselnden Partnern die Konstante bildete und das Artemis Quartett auch über den gerade angekündigten Abschied des letzten verbliebenen Gründungsmitglieds Eckard Runge hinaus bestehen bleiben soll, ist in einem Duo offensichtlich diese Form der Fluktuation ausgeschlossen. Da hat es eindeutig Ausnahmecharakter, dass der Cellist Julian Arp und der Pianist Caspar Frantz 2018 bereits das 20. Jahr ihrer von vielen Preisen gesäumten gemeinsamen Duo-Laufbahn feiern können. Arp gehörte zu den letzten Schülern des 2004 früh verstorbenen Boris Pergamenschikow in Berlin, setzte sein Studium dann bei David Geringas fort und ist seit 2013 Professor an der Kunstuniversität Graz. Frantz studierte in der Klasse von Matthias Kirschnereit an der Hochschule für Musik und Theater Rostock und anschließend, gemeinsam mit seinem Duo-Partner, an der Berliner Hochschule für Musik »Hanns Eisler«. Besonders prägend war der Unterricht beim legendären Kammermusik-Lehrer Eberhard Feltz, der, so Frantz, »viele Fäden unseres musikalischen Lebens zusammengeführt hat«. 2016 übernahm der Pianist eine Professur für Kammermusik an der HMT »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig. Ein Gespräch über das Jubiläum, Repertoire, lernen, lehren, Momente der Transzendenz und Lerchenflüge mit György Kurtág.
VAN: Ihr bildet zusammen ein festes Duo, spielt aber auch in anderen Konstellationen viel Kammermusik. Gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Zu-Zweit-Spielen und dem Musizieren in größeren Ensembles?
Julian Arp: Was ich das Schöne am Duospiel finde, ist, dass der Dialog-Charakter am Stärksten ist, dass es ein musikalisches Gespräch auf Augenhöhe gibt. Bei anderen Besetzungen ist man als Cellist manchmal vielleicht doch mehr in einer dienenden Rolle. Beim Duo-Spielen sind beide Partner gleich wichtig, egal, wer gerade die Melodie hat oder die Begleitung spielt.
Caspar Frantz: Es gibt die Idee des Sich-unterordnen-Müssens nicht. Man ist im direktesten Ausgleich voneinander abhängig und miteinander stark.

Wann habt Ihr Euch kennengelernt und wie ist es mit Eurer Zusammenarbeit losgegangen?
Julian: Wir haben uns 1996 bei Jugend Musiziert kennengelernt. Ich habe Caspar damals beim Preisträgerkonzert gehört und zu meinen Eltern gesagt: Mit diesem Pianisten möchte ich mal zusammenspielen.
Caspar: Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich war damals auch bei Jugend musiziert unterwegs und habe dasselbe von Julian gesagt: Mit dem möchte ich spielen.
Julian: Und dann haben wir uns ein Jahr später zum ersten Mal getroffen und Beethovens A-Dur Sonate vom Blatt gespielt. Das hat von Anfang an gepasst. 1998 haben wir das erste Konzert gegeben und seitdem regelmäßig zusammengearbeitet. Wir haben 2006 recht viele Wettbewerbe gespielt und unter anderem beim Deutschen Musikwettbewerb gewonnen. Dann spielt man in einem Jahr 30 Konzerte an verschiedenen Orten.
Caspar: Da lernt man Deutschland kennen…..
Julian: Aber es war nie eine bewusste Entscheidung, dass wir als Duo zusammenbleiben. Das hat sich bei uns so gefügt, würde ich sagen.
Caspar: Stimmt. Jedenfalls hat es im Laufe der Jahre keine größeren Unterbrechungen im gemeinsamen Musizieren gegeben. Wir haben das ganz kontinuierlich aufgebaut, gemeinsam Repertoire erarbeitet und diese 20 Jahre gemeinsam durchschritten.
Im Hinblick auf das Repertoire für Eure Besetzung finden vermutlich Bratscherinnen oder Oboisten, dass Ihr Euch nicht beschweren solltet. Aber es gibt doch einige wichtige Komponisten, die nichts für Eure Besetzung geschrieben haben wie Mozart und Haydn, Schubert oder Bartok.
Caspar: Auch Ravel hat unverschämterweise keine Cello-Sonate geschrieben.
Julian: Es ist natürlich sehr traurig, dass Clara Schumann ja wahrscheinlich Cello-Romanzen von Robert vernichtet hat.
Caspar: Schumann spielt für uns beide eine zentrale Rolle und ist gerade derjenige, der außer den Stücken im Volkston für unsere Besetzung nichts hinterlassen hat.
Julian: Deswegen spielen wir sehr gerne die Oboen-Romanzen, die Fantasie-Stücke und Adagio und Allegro und sind sehr froh, dass wir das in unserer Besetzung erarbeiten können.
Caspar: Wir haben insgesamt ein sehr reiches Programm. Wir sind sehr beschenkt mit Repertoire, das man erkunden kann und in der glücklichen Situation, noch Dinge vor uns zu haben. Zum Beispiel die Schostakowitsch-Sonate, die wir noch nicht im Konzert gespielt haben.
Julian: Wir haben sie natürlich erarbeitet, aber eine Aufführung hat sich bisher nicht ergeben, obwohl ich ja bei zwei russischen Lehrern studiert habe. Prokofiev und Schostakowitsch warten noch. Grundsätzlich geht es mir nicht darum, Repertoire abzudecken. Das Wichtigste ist die Verbindung zu einem Werk. Und manchmal dauert es einfach eine Weile, bis man diese Verbindung hat.
Ihr habt ein reines Mendelssohn-Album aufgenommen, dann eine CD mit Werken verschiedener Komponisten und schließlich eine Einspielung, bei der sich Bach und Kurtág gegenüberstehen. Wie konzipiert ihr Eure Programme?
Julian: Ich finde es immer wichtig, Stücke aus verschiedenen Jahrhunderten zu finden, die eine innere Verbindung haben. Durch die Kombination von gegensätzlichen Klangwelten kann man die Ohren des Publikums öffnen, selbst wenn man Standard-Repertoire wie Beethoven oder Mendelssohn spielt.
Caspar: Wir wünschen uns ein Geflecht, ein Netzwerk, in dem die Stücke sich aufeinander beziehen. Es geht aber nicht nur um den Bezug zwischen den Stücken, sondern auch um die Bewunderung, die Komponisten füreinander empfunden haben. Welche unglaublichen Energien Bach als wiederentdeckter Komponist bei Mendelssohn oder Schumann freigesetzt hat!
Julian: Bei unserem Jubiläumsprogramm könnte man Bach, dessen 3. Gamben-Sonate wir spielen, als Fundament bezeichnen. Beethoven bezieht sich mit dem Fugato in seiner 4. Sonate direkt auf ihn. Im dritten Satz der Mendelssohn-Sonate gibt es diese wunderbare Gegenüberstellung von Choral und Rezitativ, die auch ein direkter Anklang an Bach ist. Und natürlich ist Kurtág auch sehr mit Bach verbunden – niemand spielt so Bach wie Kurtág und seine Frau Márta.
Julian: Dann gibt es den Strang mit der zweiten Wiener Schule, auf die sich wiederum Kurtág sehr stark bezieht. Er arbeitet wie Anton Webern mit sehr wenigen Tönen und expressiven Gesten, aphoristischen musikalischen Botschaften. Und dann haben wir als Kontrast ein Stück, das Johannes Motschmann für uns komponiert hat.
Caspar: Wir haben dieses Jubiläumsprogramm im engen Austausch mit Johannes Motschmann konzipiert. Es ist für uns spannend zu erfahren, wie seine Musik in der Begegnung mit den anderen Werken zu fliegen beginnt. Sein Stück hat etwas fast Tranceartiges, ständig Mutierendes.
Julian: Eine flirrende Klangwelt mit sehr vielen Obertönen…..
Caspar: Aus einer Ruheposition erfährt man Transformationen, die einen wie auf einem fliegenden Teppich mitnehmen. Es ist auch ein sehr physisch erfahrbares, sehr rhythmisches Stück. Das teilt es mit Mendelssohn. Bach und Mendelssohn sind für mich die rhythmischsten Komponisten überhaupt. Es gibt in der Artikulation immer einen Drive, diese Form des Anhaltens des Rades, die einem bei Schumann begegnet, die gibt es bei Mendelssohn nie.
Mit György Kurtág, der prominent im Konzert vorkommt, habt ihr sehr intensiv zusammengearbeitet. Er ist inzwischen 92 Jahre alt und bereitet die Uraufführung seiner ersten Oper vor. Wie habt Ihr die Arbeit mit ihm erlebt?
Caspar: Man lernt bei ihm, was es heißt, die vermeintlich einfachsten Sachen neu zu begreifen; was es heißt, ein Crescendo wirklich zu empfinden. Das sind die glücklichen Momente als Musiker, wo man so sehr vom bloßen ›Machen‹ wegkommt. Wie man sich ›die Ohren von außen‹ wieder zurückerobert, das tut wahnsinnig gut. Einmal haben wir, glaube ich, zehn Tage an einem einzigen Satz von Brahms F-Dur-Sonate gearbeitet.
Julian: Manchmal kommt es vor, dass selbst die gestandensten Musiker an einem Takt oder einer Phrase mehrere Stunden mit ihm arbeiten. Mein Lehrer Boris Pergamenschikow erzählte mir, dass er sich nach einem Unterricht zusammen mit Gidon Kremer wie ein Anfänger fühlte. Nach einer Aufführung des d-Moll Trios von Schumann war der folgende Satz von Kurtág für ihn das wertvollste Kompliment: ›Das hohe d im Seitenthema hat mir sehr gefallen!‹ Es gibt Aussagen von ihm, an die ich mich immer erinnern werde: ›Spiel das Decrescendo wie eine Lerche, die nach oben steigt und neue Horizonte sieht.‹
Caspar: Einzigartig ist bei ihm diese Suche nach dem wirklich umfassenden Begreifen, das Verstehen Wollen. Man begegnet heute ja oft der Ansicht, dass das Verstehen einen vom Fühlen wegbringt. Bei Kurtág konnte man lernen, dass mehr Wissen einem das Fühlen nicht verwehrt. Und dann gibt es die Idee der Transzendenz: Irgendwann hebt das Flugzeug ab. Den Moment kann man nicht vorhersagen. Aber man muss alles dafür tun, damit es zu ihm kommen kann.
Ihr habt alleine oder als Duo bei wichtigen Musikern wie Kurtág, Eberhard Feltz, Elisabeth Leonskaja oder Boris Pergamenschikow studiert und gelernt und seid inzwischen selbst Hochschul-Professoren. Kann man von Lehrern lehren lernen?
Caspar: Was einem wichtige Lehrer mitgegeben haben, bewegt einen doch immer weiter. Nur das Kopieren wäre sehr gefährlich. Es verlangt eben den Schritt, dass man alles hinterfragt. Dann gibt es eine Form der Synthese. Die Idee der Methode ist mit Vorsicht zu genießen. Wenn ich höre, dass es irgendwelche Meistermacher gibt, habe ich eher Fragezeichen im Kopf.
Julian: Ich habe bei Boris Pergamenschikow vor seinem Tod zwar nur zweieinhalb Jahre studieren können, die mich aber auch als Lehrender sehr geprägt haben. Er hat jeden Studenten unglaublich individuell gefördert und gesehen und hatte für jeden einen Weg vor Augen. Er hat großen Wert darauf gelegt, dass man sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch entwickelt und zum Beispiel zu jedem Stück ein Buch empfohlen. Man sollte den Studierenden dabei helfen, das Unnötige wegzulassen, um ihre eigene Sichtweise zu finden.
Caspar: Durch das Unterrichten ist jedenfalls auch mein eigenes Spiel ganz anders geworden. Die Art und Weise, wie ich übe, wird durch jede Stunde, die ich mit einem Studenten arbeite, hinterfragt. Weil man ständig mit der Aufgabe des Lösung-Findens umgeben ist. Das lässt einen sehr auf der Hut sein, was das eigene Spiel betrifft. Wenn das Intuitive aufgeraut ist, gibt es eine Art von Chaos, das aber als Katharsis wichtig ist. Im eigenen Spiel und im Austausch mit den Studenten gibt es diese Fragestellung ständig. Und das ist sehr gesund und gut. ¶