Ein Instagram-Selfie als Aida mit dunkel geschminkter Haut, gepostet von Anna Netrebko aus dem Backstage-Bereich des St. Petersburger Mariinsky-Theaters, offenbart, was die Opernwelt über Blackfacing denkt.
Eine Followerin kommentierte: »Wundervoll gesungen. Aber Blackfacing – muss das wirklich sein?« Die Antwort der Sängerin: »Black Face and Black Body for Ethiopien [sic] princess, for Verdi[‘s] greatest opera! YES!«, was die Followerin wiederum veranlasste, ihren Punkt deutlicher zu machen: »Es ist aber unangebracht, sich dunkel zu schminken, um die Rolle darzustellen. Und es ist nicht notwendig. Verstehen Sie nicht, dass das unsensibel gegenüber People of Color ist oder ist es Ihnen einfach egal?«
Und dann kam der Gegenangriff. Unzählige Fans sprangen Netrebko zur Seite. Die Sopranistin Marsha Thompson empfahl der Kritikerin, sich nicht künstlich aufzuregen und sich lieber um die echten Probleme Schwarzer Menschen zu kümmern. Ein Nutzer schrieb: »Sänger*innen, die auf sehr hohem Niveau musizieren, glauben nicht, dass man mit Make Up jemanden beleidigt. Es wäre eher beleidigend, einen Schwarzen Menschen nicht Schwarz darzustellen.« Ein anderer fragte: »Wäre es dann Whitefacing, wenn ein weißer Sänger Otello singt?« Ein vierter meinte: »Stolz darauf zu sein, wie ein Schwarzer Mensch auszusehen, ist das Gegenteil von Rassismus.«
»Bullshit«, schrieb Netrebko selbst, »ich werde KEINE weiße AIDA!« Andere Kommentare wurden von der Künstlerin gelöscht. Ihre Presseverantwortlichen reagierten nicht auf meine Bitte um ein Statement. (An dieser Stelle muss ich vielleicht anmerken, dass ich selbst mal für Netrebko, beziehungsweise für die Agentur, die sie vertritt, gearbeitet habe.)
Aus irgendeinem Grund scheint die Opernwelt eine letzte Bastion für Blackfacing zu sein. Während andernorts beispielsweise unbedachte, auf rassistischen Klischees aufbauende Karnevalskostüme als Problem erkannt und diskutiert werden, mauert die Opernwelt. Als die Metropolitan Opera 2015 ankündigte, bei ihrer Otello-Produktion mit der Blackfacing-Tradition brechen zu wollen und die New York Times sich in einem Artikel dazu äußerte, zog das 259 zum Teil erboste Kommentare nach sich. Einer schrieb, so werde durch oberflächliche Political Correctness der ganze Plot zerstört.
Auch Netrebkos Reaktion zeigt, dass hier der Kern des Problems liegt. Opernfans behaupten, die Geschichte über das Love Triangle zwischen Aida, Radames und Amneris würde nicht mehr funktionieren, wenn Aida nicht Schwarz wäre. Genauso scheint niemand auf die Idee zu kommen, Otellos Andersartigkeit über einen anderen Weg als die Hautfarbe zu kommunizieren. Auch einige Schwarze Sänger*innen halten das für unmöglich. In einem umfangreichen Round-Table-Interview der Washington Post mit fünf Sänger*innen erklärte der Bassist Kenneth Kellogg, dass die Oper Otello für ihn ihre Kraft gerade aus den unterschiedlichen races der Protagonist*innen ziehe. »In diesen Unterschieden gründet die gesamte Spannung der Geschichte.« Tenor Russell Thomas fügte hinzu, »beim Blackfacing geht es um ein absichtliches Karikieren, nicht einfach NUR ums dunkel Anmalen. Ich habe das Gefühl, dass viele, die sich daran stören, nicht unbedingt Opern-Kenner*innen und Fans sind.« Netrebko scheint diese Einstellung zu teilen, geht aber deutlich weiter, indem sie ihre Kritiker*innen als »low class jerks« bezeichnet.
Die Art, wie eine fiktionale Geschichte auf der Opernbühne inszeniert wird, ist eine Sache, wie Sänger*innen in ihrer Freizeit mit diesen Darstellungen umgehen, eine andere. Es ist nicht das erste Mal, dass Netrebko vor ihren fast 470.000 Instagram Followers mit unterschiedlichen kulturellen Identitäten hantiert. Auch den Aida-Look hat sie schon geteilt – mehrfach. Beim aktuellen Post zeigt sich aber im Besonderen, wie wenig bereit sie ist, in dieser Angelegenheit andere Perspektiven zuzulassen.
»Daran sieht man, dass all das direkt unter der Oberfläche brodelt«, sagt Opern-Forscherin und Musikwissenschaftlerin Imani Mosley. Ihre erste Reaktion auf Netrebkos Post war: »Oh gosh, jetzt müssen wir wieder da durch, es ist immer dasselbe, wenn das Thema in der Opernwelt aufkommt.« Das Thema an sich ist für sie vielschichtig und komplex, das Foto aber schlichtweg Blackfacing. »Es ist mir egal, ob das eine klischeehafte, beleidigende Minstrel-Show ist, oder nicht«, sagt Mosley. »So etwas hat weitreichende Folgen, selbst wenn es schön aussieht und keine abwertenden Klischees über Schwarze Menschen reproduziert.«
Ob man es nun Blackfacing nennt oder nicht: Weiße Menschen sind in der luxuriösen Position, sich als andere race verkleiden zu können. Andersrum funktioniert das nicht. Denken wir nur an Naomi Andrés Buch Black Opera: History, Power, Engagement von 2018, in dem der südafrikanische Tenor Johan Botha abgebildet ist, der sich, um Verdis Otello zu singen, dunkel schminkte und dabei gleichzeitig auf eine Vergangenheit im Militär des südafrikanischen Apartheids-Regime, wo er seine Wehpflicht leistete, zurückblickt.
Ignorieren wir diesen Kontext, führt das nur zur »mentalen und institutionellen Trägheit unseres Genres, nicht nur der Oper, sondern der klassischen Musik im Allgemeinen«, wie es der Countertenor Reginald Mobley ausdrückt. Mit Blick auf Netrebko fügt er hinzu: »Wenn Menschen wie sie sowas machen, sorgt das dafür, dass es weiterhin legitim erscheint, People of Color so zu behandeln. Solange sie denkt, das wäre ok, denken auch Regisseur*innen so, genau wie Dirigent*innen, andere weiße Europäer*innen oder auch weiße Amerikaner*innen.«
Aber es ist eben nicht ok. Aida, Otello und einige andere omnipräsente Opern fetischisieren race zur Unterhaltung des Publikums, wenn auch zu unterschiedlichen Graden. Die Opernwelt kann versuchen zu argumentieren, dass Entscheidungen bezüglich des Make Ups nie zum Ziel hatten, andere races zu parodieren (obwohl ich da als Amerikanerin mit arabischem Hintergrund nach zu vielen Aufführungen der L’italiana in Algeri mittlerweile meine Zweifel habe). Trotzdem muss die Opernwelt damit umgehen können, wenn Traditionen in Frage gestellt werden. Opernplots und –produktionen scheinen lange losgelöst von der heutigen Realität unverändert vor sich hin existiert zu haben. In Zeiten, in denen sich Oper mehr und mehr Mainstream-Medien bedient, im Kino übertragen und auf Youtube, in sozialen Netzwerken oder bei Streaming-Diensten zugänglich wird, werden Traditionen und nostalgische Ästhetik immer stärker machtkritisch und diskriminierungssensibel betrachtet, sowohl mit Blick auf die Künstler*innen als auch die Fans. Im 20. Jahrhundert konnte Plácido Domingo noch als Otello Blackfacing betreiben, ohne sich Sorgen darüber zu machen, dass sein Verhalten online hinterfragt wird. 2019 ist damit zu rechnen, dass diese Debatten eher zu- als abnehmen werden. ¶