Ein Interview mit dem Bildhauer und Bühnenbildner Alexander Polzin

Text · Titelbild © Javier del Real / Teatro Real · Datum 8.7.2015

Ich treffe Alexander Polzin in seinem Haus in Pankow, in dem sich auch sein Atelier befindet. Ein paar Steinwürfe von hier, im ehemaligen Ost-Berlin, ist er aufgewachsen. Nach einer Ausbildung als Steinmetz arbeitet er zunächst vor allem als Bildhauer und Maler. Zu seinen Skulpturen im öffentlichen Raum zählen das Denkmal für Giordano Bruno auf dem Potsdamer Platz in Berlin und die Skulptur Das Paar im Foyer der Opéra National de Paris. Im Herbst wird im Pariser Parc de Bercy das von ihm geschaffene Paul-Celan-Denkmal, eine drei Meter große Bronzeskulptur, eingeweiht. Nachdem er sich in seiner bildhauerischen Arbeit intensiv mit Komponist/innen und zeitgenössischer Musik auseinandergesetzt hat, arbeitet Polzin seit fast 15 Jahren auch als Bühnenbildner für die Oper, darunter für Inszenierungen bei den Salzburger Osterfestspielen, am Teatro Real in Madrid und der Genfer Oper. Bei den Tiroler Festspielen Erl hat er zudem letztes Jahr sein Regiedebüt gefeiert, mit einer Inszenierung von Beethovens Fidelio.

VAN: Du arbeitest nicht nur als Bühnenbildner, sondern auch als Bildhauer und Maler viel mit, oder: über Musiker und Komponisten, zum Beispiel in deinem Porträt von Josef Tal, der Skulptur Requiem, die György Kurtag gewidmet ist, der Skulpturalen Intervention für Helmut Lachenmann; aktuell machst du eine Skulpturenserie für András Schiff. Wie kam es zu dieser Verbindung in deiner Arbeit?

Alexander Polzin: Ich habe sehr früh angefangen, Klassik zu hören. Im Radio bin ich drauf gestoßen, habe das sehr gemocht und mir viele Platten gekauft. Ich war so ein Nerd damit, dass ich bis heute wesentliche Dinge aus der Rockgeschichte überhaupt nicht weiß. Am Theater lief ich dann dem ein oder anderen Musiker oder Komponisten über den Weg, und das hat meine Beschäftigung mit Musik weiter angefeuert. Es ist nicht ganz zwanzig Jahre her, dass ich Kurtág das erste Mal begegnet bin, über ihn habe ich dann Konstantia Gourzi kennengelernt, mit der ich 2003 meine erste Opernarbeit gemacht habe (Philomon und Baucis im Magazin der Staatsoper Unter den Linden), und von da hat es so seinen Lauf genommen.

Alexander Polzin erzählt, wie er den Komponisten György Kurtág und dessen Frau Márta kennengelernt hat.

Hast du auch den Eindruck, dass zeitgenössische Musik von anderen Kunstbereichen mit spitzen Fingern angefasst wird?

Ja, das sehe ich in meiner Umgebung auch; bei Theaterkünstlern, bei Choreographen – da gibt es große Berührungsängste. Einer der komfortabelsten Wege, diese abzubauen, ist die Bekanntschaft mit den Machern. Wenn man sich zum Beispiel mit Komponisten unterhält und dann ein Gefühl für die Zusammenhänge bekommt, hat man offenere Ohren im Konzertsaal.  

Als Bildhauer arbeitest du in deinem Atelier radikal selbstbestimmt. Ist die Institution Oper im Gegensatz dazu überhaupt ein geeigneter Ort für Kunstproduktion?

Es ist zumindest wesentlich schwieriger. Man dreht an kleinen Schräubchen, um das, was institutionell dagegen spricht, abzupuffern. Opernarbeit ist per se Teamarbeit und infolgedessen immer auch mit Kompromissen verbunden. Sich hinzusetzen und zu sagen: ›Wir machen Oper, absolut kompromisslos‹, das ist ein Schmarrn, das geht nicht.


BILDERGALERIE: SKULPTUREN VON ALEXANDER POLZIN

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Gleichzeitig hat die Oper ja den Ruf, eine sehr hierarchische Institution zu sein. Wie kommen da Kompromisse zustande?

Ich weiß nicht, ob man das unter ›Hierarchien‹ einordnet, aber klar hat man ein Problem, wenn der Dirigent eine Besetzung macht und dabei in erster Linie auf stimmliche und nicht auf darstellerische Qualitäten geachtet wird. Wenn ein Sänger auf der Bühne dann Schwierigkeiten hat, fünf Meter geradeaus zu gehen, dann stellt das den Regisseur vor gigantische Herausforderungen, die sich zum Schluss natürlich auch auf das Bühnenbild auswirken. Wenn du einen Raum entwirfst und der Darsteller kann sich darin nicht bewegen, dann hast du ein Problem. Ich kann diesbezüglich nur ein Loblied auf das Teatro Real in Madrid singen …

… wo du für zwei vom mittlerweile verstorbenen Künstlerischen Leiter Gerard Mortier in Auftrag gegebene Produktionen Bühnenbildner warst, 2014 für Lohengrin und 2015 für die auf García Lorcas gleichnamigem Drama basierende Oper El Público von Mauricio Sotelo. Es heißt, du schätztest Mortier sehr; du hast auch die Skulptur für den posthum ins Leben gerufenen Mortier-Preis gestaltet. Was ist am Teatro Real anders?

Das hat auch wieder mit Teamarbeit und Kompromissen zu tun. Man braucht dafür im Haus auch eine Begeisterungsfähigkeit, die zum Beispiel zur Folge hat, dass man bereit ist, außerhalb von Gewerkschaftszeiten zu agieren. Von nine to five ist meist keine Kunst machbar. Wenn man in Madrid in die Requisitenwerkstatt geht und eine verrückte Sache haben will, die noch nie irgendjemand gebaut hat und keiner genau weiß, wie das überhaupt geht, dann kommen die einem nicht entgegen und sagen: ›Oh Moment, das kostet ja Überstunden‹ oder: ›Dafür müssten wir heute Nachtschicht machen‹. Nein, sie sind neugierig und begeistert und wollen das, was du ihnen vorschlägst in allerbester Qualität liefern. Vielleicht hat das auch was mit der ökonomischen Situation dort zu tun, dem Bewusstsein dafür, was für ein Wunder es ist, dass es dieses Haus überhaupt noch gibt, dass es ein Privileg ist, dem man gerecht werden muss.  

Glasskulptur aus dem Bühnenbild für Richard Wagners Lohengrin am Madrider Teatro Real (Premiere: 3. April 2014) · Foto © Maestro Arts
Glasskulptur aus dem Bühnenbild für Richard Wagners Lohengrin am Madrider Teatro Real (Premiere: 3. April 2014) · Foto © Maestro Arts

Für Lohengrin hat Mortier die Produktion quasi vom Bild her aufgezogen und dich um ein Bühnenbild gebeten, bevor ein Regisseur involviert war. Ist das der Idealfall?

Ja, es ist eine sehr luxuriöse Situation, die natürlich im Nachhinein trotzdem kompliziert werden kann: Wenn ich einen Raum entwerfe, findet das erst mal nicht in einem großartigen Dialog mit dem Regisseur statt. Ich bin dann gespannt darauf, was der draus macht. Allerdings baue ich schon eine ganze Reihe von dramaturgischen Möglichkeiten ein und lauere dann im Probenprozess darauf, ob diese auch genutzt werden.

Und wenn nicht?

Also, es gibt eigentlich drei Möglichkeiten; erstens: Ich mache einen Raum und der Regisseur bespielt ihn nicht so, wie ich mir das gedacht habe, aber so, dass ich überrascht bin und sage: ›Mensch, ich wusste gar nicht, dass das da drin steckt!‹ Idealfall, würde ich sagen. Zweite Möglichkeit: Der Regisseur nutzt es so, wie ich es mir ungefähr gedacht habe, auch gut. Oder: Der Regisseur nutzt es gar nicht oder ignoriert es. Wenn Sachen, die konstruktionell sehr klar im Raum definiert sind und zur Nutzung offen liegen, an der Seite liegen gelassen werden, dann kann das ziemlich frustrierend sein.

Kannst Du ein Beispiel nennen?

Ein sehr gutes Beispiel aus dem Parsifal in Salzburg, wo aber nicht der Regisseur sondern Sachzwänge ausschlaggebend waren: Im ersten und zweiten Akt gab es eine weiße Begrenzungslinie, die ganz wesentlich war für das Konzept eines von Außen- und eines Innenraums; das war ganz simpel, also weiß und dann gab es noch eine Holzkante in einer bestimmten Höhe. Und es gab drinnen einen Raum mit Säulen und draußen gab es halt nichts. Und wenn man dann über diese Begrenzungslinie rüber latscht, als wär es nichts, dann kann man sie auch wegnehmen, dann wird es albern.

Sollte auch zwischen Bühnenbild und musikalischer Leitung eine Zusammenarbeit stattfinden?

Absolut. Das ist etwas, was ich zum Beispiel in den Arbeiten mit Hartmut Haenchen sehr genossen habe. Der war noch vor den Regisseuren involviert und hat sich das Modell für den Lohengrin angeguckt, seine musikalischen Fragen gestellt und auch Anforderungen formuliert, die ich dann einfließen lassen konnte, wie etwa ›da brauche ich für die Trompeten für den Klang eine möglichst hohe Position im Raum.‹ Ich bin sehr dafür, dass sich die Dirigenten als Repräsentanten der Musik in eine Produktion einbringen und ihre eigenen Vorstellungen mit in die Waagschale werfen.

Das ist noch eher die Ausnahme.

Ja, die Regel ist, dass der Dirigent zu den Endproben dazu kommt, mit dem halben Auge mal auf die Bühne guckt und sich, egal, was da passiert, eigentlich nur um seine musikalischen Sachen kümmert; und wenn ihm der Regisseur die Leute zu weit nach hinten gestellt hat, sagt er eben: ›Ihr müsst weiter nach vorne kommen‹. Ist egal, was die da inszenatorisch wollen, der Dirigent hört die Sänger nicht, fertig. Ich saß neulich auch mal wieder einem Dirigenten gegenüber, der dann irgendwann meinte: ›Freunde, ihr könnt ja sagen was ihr wollt, ohne mich, beziehungsweise ohne die Musik könnt ihr alle nach Hause gehen‹. Hat er ja Recht.

Beethovens Fidelio bei den Tiroler Festspielen Erl (Premiere am 27. Dezember 2014), Regie und Bühnenbild: Alexander Polzin, Co-Regie: Sommer Ulrickson · Foto © Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice
Beethovens Fidelio bei den Tiroler Festspielen Erl (Premiere am 27. Dezember 2014), Regie und Bühnenbild: Alexander Polzin, Co-Regie: Sommer Ulrickson · Foto © Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice

Und umgekehrt, wenn der Regisseur die musikalische Interpretation kommentiert?

Wenn man denkt: ›Mensch, das Orchester ist aber ganz schön laut, wir hören die Sänger ja gar nicht. Woran liegt denn das? Hört der da unten das im Graben nicht, dass die gar nicht über den Graben rüberkommen?‹ Da wirken dann aber tatsächlich Hierarchien, und man kommt auf sehr leisen Füßen daher. So etwas einem Dirigenten zu sagen, und in welcher Form (lacht) … das überlegt man sich drei Mal.

Findest Du, dass das Bühnenbild genug mediale Aufmerksamkeit erfährt?

In der öffentlichen Wahrnehmung wäre das durchaus ausbaufähig. Wenn man mal Revue passieren lässt, an was sich die Leute an einer Inszenierung nach zehn Jahren, nach fünf Jahren, nach einem Jahr, noch erinnern: Der visuelle Aspekt spielt eine riesige Rolle dabei, wie sehr eine Produktion sich in das Gedächtnis eines Zuschauers einbrennt. Das wird, glaube ich nicht genügend gewürdigt oder wahrgenommen und dann beschrieben.  

Diese Kraft des Visuellen hat zu einem Trend geführt, Musik zu visualisieren, beziehungsweise visuelle Aspekte mit in Konzerte zu integrieren, was ja nicht ganz unheikel ist, weil Musik einen illustrierenden Aspekt bekommen kann.

Absolut, da gibt es bei mir auch einen ziemlichen inneren Widerstand, weil ich einerseits diese Mode beobachte, andererseits äußerst skeptisch bin, inwieweit diese Verbindung möglich ist und nicht das eine das andere degradiert. Im Fall von Peer Gynt (als Auftragsarbeit des Bergen Philharmonic Orchestra hat Polzin eine konzertbegleitende Bildanimation zu Griegs Peer-Gynt-Suiten entworfen) habe ich mich darauf eingelassen, weil es eine Theatermusik ist. Wenn ein Orchester gekommen wäre und gefragt hätte: ›Machst du was zur Matthäus-Passion?‹, hätte ich mit Sicherheit nein gesagt.  

https://www.youtube.com/watch?v=zNWvmNQl89w

Ausschnitt aus der Visualisierung von Edvard Griegs Peer Gynt, Auftragsarbeit für das Bergen Philharmonic Orchestra (Premiere am 23. Oktober 2014 in Bergen)

Solche Ideen gehen oft auf die Vorstellung zurück, dass das Sichtbare gebraucht wird, um das Hören wieder zu öffnen. Können Bilder das, gerade wenn es um ein Hören geht, was nicht in der Gewohnheit liegt?

Da bin ich total skeptisch. Eher nein. In ein Konzert gehen, ein gutes Bachprogramm hören, um Gottes Willen keine Bilder dazu! Augen zu. Also eigentlich könnte man Augenbinden oder Augenklappen verteilen.  

Was meinst Du, in welche Richtung wird sich die Opernkultur entwickeln?

Ich glaube es gibt zwei Möglichkeiten, die erste ist: Oper erstarrt weiter in dieser Repräsentationskultur, wird sich so noch mehr marginalisieren, aber nicht untergehen, weil diese kleine Lobby stark genug ist, dafür auch immer das Geld zu organisieren. Selbst wenn sich die öffentliche Förderung rauszieht, dann bleibt eben Glyndebourne oder so etwas in diese Richtung. Es gibt aber auch eine zweite Möglichkeit: Die Oper schafft es – davon sind wir allerdings weit entfernt – sich wirklich als das großartige Laboratorium neu zu erfinden, was sie sein könnte. Ich halte sie für eine Königsform, ich liebe Oper, im Idealfall gibt es keine andere Kunstform, wo die unterschiedlichen Genres sich auf Augenhöhe so befruchtend begegnen.  

Hast Du Vorschläge, wie man dies erreichen könnte?

Ich fand die Eröffnungsgeste von Dietmar Schwarz eine tolle (seine Intendanz an der Deutschen Oper mit Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern zu starten) und eine, die bestätigt hat, dass es einen Bedarf nach so etwas gibt. Es hat sich bloß meiner Meinung nach bisher nicht fortgesetzt. Der Lachenmann war ausverkauft, und zwar alle Vorstellungen. Das war doch der beste Beweis dafür, dass man sich ganz nach vorne bewegen, etwas Neues machen, und damit ein volles Haus haben kann. Und das war nicht ein Publikum, das aus Neue-Musik-Freaks bestanden hat, sondern einfach ein neugieriges Opernpublikum; da waren auch Leute, die sich ansonsten eher nicht in die Oper verirren. Klar, da war auch ein Hype am Werk, aber das ist ja auch in Ordnung. Das ist ja völlig richtig. Dem hätte man was folgen lassen müssen. Gleich im nächsten Jahr ein vergleichbares Ding bringen, so dass sich das im Gedächtnis der Leute einbrennt: ›Das ist der Ort, wo aufregende, neue, irritierende, verrückte Sachen passieren‹. ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com