»Gutes Design ist […] wie ein exakt eingespieltes Orchester. Alle Protagonisten müssen zusammenspielen, aufeinander eingehen, sich gegenseitig wahrnehmen – sonst entstehen Misstöne.«
Wir blättern durch aktuelle Jahres- und Festivalprogramme mit Tobias Groß.

 

Protokoll und Fotos Alex Ketzer


Konzerthaus Berlin
Saisonbroschüre 2015/2016

Auf den ersten Blick ist das ein recht großes Format für ein Programmheft. Haptisch ein bisschen langweilig, aber die Headline ist ziemlich prägnant und die Fotografie wirkt durch den Anschnitt sehr spannend. Das ist ein interessanter Aufmacher. Mir persönlich sind es zu viele Elemente auf dem Titel, aber alles ist gestaltet, nichts dem Zufall überlassen.

Im Innenteil bleibt es haptisch auf Standard-Niveau. Mit Typografie geht man aber gekonnt um: Man merkt, dass da jemand Lust drauf hat, vieles ausprobiert und es auch gut kann. Die Bildsprache ist etwas durchwachsen und inkonsistent, aber insgesamt schön. 

Strukturell ist das Heft extrem »magazinig«, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob das positiv oder negativ zu bewerten ist. Für ein Programmheft ist es mir zu wenig strukturiert, als Magazin jedoch insgesamt gut gemacht. 

Hinten findet man einen Einleger, der vom Titel her sehr schön ist – eigentlich wesentlich schöner als das Programmheft selbst. Nach dem Titel ist die Gestaltung klar, deutlich, mutig, intensiv und – was ich sehr mag – auf der ersten Seite geht es direkt los. Ohne Schmutztitel oder sonstige vorgeschobene Seiten. Die Fotos dazwischen sind legitim. Schöner wäre es jedoch, wenn man das konsequent ohne durchziehen würde. Ich kann aber durchaus verstehen, dass gewisse Persönlichkeiten verkaufsfördernd wirken, wenn man sie abbildet …

Links zum Blätter-PDF: Programm und Einleger


Theater Basel
Spielplan 2015/2016

Das macht gleich im ersten Moment einen sehr modernen und progressiven Eindruck. Viel verspielter, experimenteller, freier – allein schon durch das Riesenformat und die bedruckte Plastikhülle. Was hier mit der Schrift passiert, ist einerseits katastrophal, andererseits aber bewusst und gekonnt gemacht. Obwohl es manchmal weh tut, macht es auch sofort Spaß!

Alles ist groß, rotzig und die Blätter passen nicht vernünftig ineinander. Alles quillt auseinander und hier und da entstehen Knicke – sicherlich dem zu dicken Papier geschuldet. Wahrscheinlich war das nicht gewollt, ist aber aus der Sicht der Macher nicht besonders schlimm – eben nichts für besonders feine Geister. Das ganze Produkt ist jedoch so markant, dass die genannten Schwächen verzeihbar sind.

Aus der Hülle genommen hat man eigentlich keinen richtigen Titel mehr – nächster Punkt der Eigenwillig- und Freigeistigkeit, die hier gewählt wurde. Das ist nicht völlig wahnsinnig, aber schon ziemlich. Jeder, der den Spielplan aus der Hülle geholt hat, weiß auch im Grunde, was er da in der Hand hält. Das macht die starke Identität und den ungewöhnlichen Weg schon mal deutlich. 

Jetzt erkenne ich auch das Konzept dahinter: Jedes einzelne Blatt ist ein Aufführungsplakat. Durch die Faltung geteilt, korrespondiert es mit den nächsten Seiten beziehungsweise dem nächsten Plakat. Das baut Spannung zwischen den einzelnen Motiven auf. Manchmal wirkt das ziemlich chaotisch und zufällig, gleichzeitig aber auch sehr reizvoll, weil das Ganze ohne jegliche Bindung funktioniert.

Zum Inhalt: Auf den ersten Seiten bekommt man wenige, aber wesentliche Informationen. Dann folgt das Inhaltsverzeichnis mit einer riesigen Headline, das konsequent die unangepasste Ästhetik fortsetzt – allerdings lesbarer, informativer und weniger experimentell. Die Farbenfreude und die Intensität bleiben weiterhin hoch und steigern sich vielleicht sogar noch. Die Texte sind humorvoll geschrieben, ohne dabei penetrant zu sein. Das motiviert zum Lesen.

Man spürt eine wahnsinnige Kraft in der Typografie und in deren freier Verwendung. Das enorm starke Konzept der ineinandergesteckten Seiten führt dazu, dass man eigentlich gar nicht mehr gestalten kann. Vielmehr gestaltet und bestimmt das Konzept selbst alles. Wenn’s am Ende funktioniert, ist das super. Natürlich gibt es ein paar Momente, wo Themen nicht unbedingt zusammenpassen, aber das fällt dem Leser gar nicht so auf. 

Hefte wie dieses bekommt man leider nicht allzu oft zu Gesicht, da solche konzeptionellen Ansätze meistens schon ziemlich früh vom Kunden zerredet werden. Hier waren seitens des Theaters wahrscheinlich Charakterköpfe am Werk und man kann davon ausgehen, dass genau so ein Ergebnis gefordert wurde. Da kam keine Agentur von außen und hat gesagt: »Wir müssen das jetzt so machen!« So etwas würde aufeinander krachen und am Ende mit Sicherheit nicht funktionieren.

Link zum Blätter-PDF: Hier


Philharmonie Essen
Jahresprogramm 2015/16

Was ich auf den ersten Blick gut finde: Man hat was in der Hand. Das ist ein richtiger Block, mindestens zwei Zentimeter stark – das ist schon mal überzeugend. Auch das Format ist eher ungewöhnlich, obwohl ich eigentlich kein Freund von Querformaten bin. Das Medium möchte etwas edler und feiner daherkommen und durch die zentrierte Ausrichtung des Logos und das gold-sc
himmernd bedruckte Papier gelingt das auch. Es ist jedoch nicht ganz so fein – dafür fehlt ein wenig die Spannung. Der weiße Balken mit der schwarzen Schrift oben erinnert eher an ein Register, was eigentlich nicht geht, wenn man das edel durchziehen möchte. Auch das Logo ist zu groß. Wenn edel, dann kleiner und vielleicht prägen statt drucken.

Nach dem Aufschlagen versucht das erste Bild deutlich, die Eleganz und das Feine zu verstärken. Schade nur, dass man auf Gold als Sonderfarbe verzichtet hat – mit Standard-Druckfarben kommt als Ergebnis leider eher Beige als Gold raus. 

Es geht konservativ weiter: Ein sehr umfangreiches und unübersichtliches Inhaltsverzeichnis, ein klassisches Editorial mit Unterschrift und eine unschöne Logoseite. Wenn man schon verschiedene Logos nebeneinander stellt, dann doch bitte einfarbig. 

Nun zum Programmteil: Hier versucht man die Doppelseiten so zu gestalten, dass Sinneinheiten entstehen. Typografisch funktioniert das, aber die Gesamtstruktur wird dadurch schwierig. Man blättert von einer Seite zur nächsten und sucht die thematischen Zusammenhänge, die wahrscheinlich da sind, die aber erst gefunden werden, wenn man sich gründlicher damit auseinandersetzt. 

Der Wille zu einer intensiven und dichten Gestaltung ist da und man merkt sofort, dass es nicht 08/15 ist. Da steckt Arbeit und Gestaltungswille dahinter – leider mit einem nicht ganz so ansprechenden Ergebnis. Die Inhalte werden relativ langweilig und ohne Schwerpunkte über die Seiten verteilt und die zwecks Stimmungserzeugung in Farbflächen eingewebten Fotos funktionieren aus meiner Sicht auch nicht richtig. Alles ist sehr statisch. Eigentlich mag ich statisches Design mit klarem Rhythmus. Aber es muss auch begeistern – das gelingt dem Heft leider nicht.

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Bamberger Symphoniker
Saisonbroschüre 2015/2016

Der erste Eindruck ist sehr positiv und reizvoll. Was ist das für ein Motiv? Ist das ein Musikinstrument? Sehr formschön! Es wirkt sofort musikalisch. Toller Titel: Ganz klar, ganz sauber, ein bisschen veredelt, sehr konzentriert und mit viel Weißraum. Das ist modern, aber trotzdem nicht ausgeflippt – eher selbstbewusst und progressiv. Das Papier ist leider wieder etwas langweilig. Hier hätte ich mir gut vorstellen können, den Kontrast zwischen Material und Veredelung deutlicher zu gestalten. Aber die Angst vor Verschmutzung siegt häufig über die Papierauswahl. 

Beim Aufschlagen macht die Broschüre einen konsequenten Eindruck, das Konzept der Titelseite wird fortgeführt. Der Einsatz von Serifenschriften kommt zwar etwas konservativ daher, insgesamt wirkt es aber modern. Jetzt taucht zum ersten Mal der Absender in Form der Wortmarke auf, die sehr ansprechend gestaltet ist. Blättern wir mal weiter – hoffentlich wird es nicht schlechter … 

Die Spannungskurve wird durch eine undefinierte Doppelseite etwas gebrochen, die Intensität durch ein sattes Bild noch mal kurz erhöht und dann wird es – leider langweilig. Das ist ja ein Heft! Verspricht viel, löst sich zwischenzeitlich völlig auf, um dann ganz bieder zu enden. Leider eine Enttäuschung. Die Seiten sind zwar gut strukturiert, aber nicht liebevoll und spannend gesetzt. Leider bekommen sie das, was der Titel verspricht, nicht in den Inhalt übersetzt.

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Berliner Festspiele
Magazin »Musikfest Berlin 2015«

Endlich ein Papier, das haptisch spannend ist. Graupappe kennt man mittlerweile, daher ist man nicht völlig umgehauen. Aber im Vergleich zu den anderen Publikationen hält man die Broschüre gerne in der Hand. Der Druck ist durch eine leichte Erhöhung fühlbar. Schade nur, dass der verwendete Spotlack etwas versetzt gedruckt ist. Ich gehe mal davon aus, dass es keine Absicht war – wobei man das bei diesem Look fast schon denken könnte. Was hier zum Glück funktioniert, ist der »Ich-mach-das-mal-wie-ich-will«-Ansatz: Das »Fenster«, in das man gerne reinschauen möchte oder die Mischung aus rechtsbündig, linksbündig und zentriert ist schon ein wenig schwierig, aber insgesamt gut umgesetzt.

Die Leichtigkeit der Gestaltung wirkt auf den ersten Blick wie ein ordentlich gemachtes studentisches Ding, aber die gekippte Paginierung weist darauf hin, dass mehr dahinter steckt. Typografisch gut, aber nicht spannend. Blättern wir ein wenig weiter, finden wir eine Bildstrecke, die auf einem glänzenden – und nicht wie der Rest auf einem Kopierpapier-ähnlichen – Papier gedruckt ist. Solch ein Materialmix deutet meist darauf hin, dass die Papierwahl eine bewusste und keine kostenoptimierte war. 

Auch im weiteren Verlauf merkt man, dass hier ein Gestalter am Werk war, der sich auskennt und es beherrscht mit dieser »gestaltet/ungestaltet« Optik zu spielen. Völlig nüchtern und dann doch wieder ganz überraschend. Wirklich ganz tolle Doppelseiten: Es kommt Spannung auf, ohne dass man mit Riesenschriften arbeitet, und ohne dass man die Kontraste unnötig hoch fährt. Sehr eigenwillig und eigenständig – fast schon intellektuell.

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Rheingau Musikfestival
Das Festialmagazin 2/2015

Das Rheingau Musik Festival wirkt sofort provinziell in seiner Gestaltung. Da hätten wir zuerst dieses Logo aus den Weintrauben. Ganz schrecklich auch in Kombination mit der Note. Die Idee ist eigentlich sehr schön, funktioniert hier leider gar nicht – es wirkt eher billig. Auch die etwas abgewandelte Wiederholung des Logos in Kombination mit dem Bild wirkt völlig belanglos. Die Krönung: das »Lotto Hessen« Logo unten links. 

Hier haben wir es mit ganz schrecklichem Design zu tun, das vielfältig und nett sein will, sich aber eher an der Bunten orientiert: Viele gemischte Häppchen, ohne Gefühl von Typografie gesetzt und ohne Konsistenz und Konsequenz in der Gestaltung. Die Seiten sind vollgeklatscht, die Headline-Unterschiede kau
m zu erkennen und die Bildsprache ist furchtbar. 

Ich kenne das Festival nicht, würde aber von hier sofort negative Rückschlüsse auf dessen Qualität ziehen. Die Broschüre ist ja auch ein Ausdruck des Anspruchs, der dort gelebt wird. Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man so etwas raushaut. Das hat den Vogel im Grunde negativ abgeschossen.

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Bayerische Staatsoper
Jahresvorschau 2015–2016

 

Auf den ersten Blick kommt das Programmheft wie ein Kunstbuch rüber. Erstmal erfrischend, dass es sich das rausnimmt und traut. Der Titel transportiert zwar den Inhalt nicht, funktioniert aber dennoch, da er sehr reizvoll und edel gestaltet ist. Eigentlich viel edler, als es die Essener gemacht haben, weil es subtiler funktioniert. Das ist gleichzeitig wild und eigenwillig, und durch das sehr schöne und angenehm anzufassende Papier ziemlich gelungen. Man könnte sagen, es geht nach dem Titel typografisch plump weiter, aber ich finde es sehr schön gesetzt. Der Text wirkt fast wie ein Bild und wagt sich auch an den Rand heran. Da würde sonst jeder sagen »kannste nicht machen, sind keine 5 mm frei bis zum Rand«. Da braucht man viel Erfahrung und eine gute Produktion, in der alle Hand in Hand arbeiten müssen. Das war hier der Fall und das sieht man sofort. 

Es folgen wunderschöne Illustrationen und Wahnsinns-Infografiken – wenn man sich nur mal vorstellt, dass das alles auch Sinn macht. Traumhaft! Wunderbare Bildsprache, wunderbare Impressionen. Alles ist bewusst simpel gesetzt, was die Seiten fast poetisch macht. Das zieht sich weiter so durch, funktioniert aber leider nicht immer per se. Manchmal – zum Beispiel beim schwierig zu lesenden Inhaltsverzeichnis – ist das Konzept stärker als der Wille, den Inhalt zu transportieren. Das muss man sich als Leser dann eben selbst erarbeiten …

Die Publikation hat einen schönen Rhythmus, die Seiten weisen optische Wechsel auf, und hier und da kommen neue typografische Elemente hinzu – zum Beispiel eine größere Schrift, die zwar ebenfalls sehr klassisch, gleichzeitig aber auch sehr formschön ist.

Das Programm ist ein Kunstwerk. Hier sieht man die unterschiedlichen Möglichkeiten, ganz eigenständig und frei von Konventionen zu arbeiten und dadurch erkennbare Positionen zu erzeugen. Ich bin sehr begeistert – auch wenn ich nicht so ein Riesenfan von Serifenschriften bin, aber das muss man in so einer Stilkritik auch mal hinten anstellen können. 

Link zum Blätter-PDF: Hier

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