Text Cornelia de Reese
Dunkel und verschlossen, kühl, um 18 Grad, karg. Ein idealer Platz für einen Schatz. Hinter Tresortüren, die sich nur mit Chip-Card und Code öffnen lassen – da ruhen sie: die Beethoven-Autographe. Verwahrt in handgefertigten Leinenkassetten, gelagert in langen Regalen, werden sie so selten wie möglich hervorgeholt; nur dann, wenn es die Wissenschaft unbedingt erfordert. Darüber wacht Dr. Martina Rebmann, Leiterin der Musikabteilung der Staatsbibliothek Berlin im Haus Unter den Linden.
Vier der fünf Klavierkonzerte (No. 1–3, No. 5) liegen hier handschriftlich vor, außerdem die Niederschriften zu seiner Oper Fidelio (in früheren Fassungen »Leonore«) und zu seiner Missa solemnis. Und besonders wertvoll: Beethovens Sinfonien. Die Vierte, Fünfte, Siebte, Achte und die Neunte, die seit 2001 Teil des Weltdokumentenerbes der UNESCO ist.
Beim ersten Kontakt mit seiner Musik war Martina Rebmann nicht besonders beeindruckt von Beethoven. »Seine Sonaten kamen im Unterricht erst vor, als ich meine Freundinnen schon bei Brahms und Schumann begleiten konnte – und das sagte mir viel mehr zu, als der spröde Beethoven.« Jetzt blättert sie vor meinen Augen in der Neunten, dem Lieblingsstück »ihrer« Sammlung. In einem großformatigen Nachdruck, weil vor allem Licht das Papier zerstört. Nichts da mit weißen Stoffhandschuhen und Originalpartitur. Jetzt bin ich enttäuscht.
Die erste Beethoven-Handschrift kam 1842 mit der Musiksammlung von Georg Poelchau nach Berlin. Deren Ankauf war überhaupt der Anstoß, in der Königlichen Bibliothek eine Musikabteilung zu gründen, ein Novum in der Geschichte. Schon vier Jahre später klopfte Anton Schindler an die Pforten. Er war Beethovens letzter Privatsekretär gewesen und hatte zu Lebzeiten des Komponisten viele persönliche Stücke an sich gezogen. Nun veräußerte er einen großen Teil davon gewinnbringend an die Bibliothek und schlug für sich gleichzeitig eine lebenslange Leibrente heraus. Eine guter Handel für beide Seiten: Schindler genoss das stetig fließende Geld noch 18 Jahre lang – die Bibliothek erwarb einen Schatz, der heute nicht mehr zu erlangen wäre. »Beethoven ist einer der teuersten im Geschäft«, bestätigt Martina Rebmann. »Vor knapp zwei Jahren erwarb die Bibliothek ein kleines Billett mit seiner Handschrift.« Ich frage nach dem Preis – sie zögert – und antwortet doch: so um die 14.000 Euro. »Und das für einen so kleinen Zettel!« Es ist eine Nachricht an Anton Schindler mit dem Auftrag, einen anberaumten Termin mit einem Wiener Redakteur zu verschieben. »Eine ganze Seite erkaufen sich Liebhaber heutzutage für eine Million.« Dabei ist seine Handschrift keine gepflegte Schönheit. Sie gibt sich stürmisch und viel zu oft unleserlich. »Es ist ein schwieriger Zugang. Dazu kommen die vielen Korrekturen, die es nicht leichter machen. Hier, dieser Strich: ist das ein langer Notenhals, oder ist es eine Streichung? Wo geht es dann aber weiter? Man kann richtig fühlen, wie hier gearbeitet wurde, gestrichen und gekratzt.«
Da betritt Clemens Brenneis das Büro, der sich besonders um den Beethoven-Bestand der Bibliothek kümmert. Zu dem gehört auch der sogenannte »Brief an die Unsterbliche Geliebte.« Wie ist der Brief in die Berliner Tresore gekommen – ganz aus dem Herzen Beethovens direkt in die kühle Keller-Kammer? »Der Brief befand sich offenbar in einem Geheimfach, in einem Schrank. Nach Beethovens Tod hat Anton Schindler den Besitz gesichtet. Offenbar sehr genau. Diesen Fund hat Schindler dann wiederum seiner Schwester vererbt und über einige Umwege ist das besondere Schriftstück dann ebenfalls nach Berlin gekommen. Genauso war es übrigens auch mit den Konversationsbüchern.« Ab 1816 benutzte Beethoven kleinere Hefte zur Kommunikation mit seiner Umgebung. Über 130 Bändchen kamen zum Einsatz – ungewöhnlich, dass solche Alltagsnotizen überdauerten. Die Forschung erhielt dadurch einen tiefen Einblick ins ganz Private des Komponisten. So schimpft zum Beispiel seine Haushälterin: »Das Bier ist schlecht für Sie«, ein anderer Besucher empfiehlt die Farbe »Kaffeebraun« für einen neuen Gehrock. Auch werden Neuigkeiten über Komponistenkollegen freimütig ausgetauscht, es geht um Geld, Verlagsdispute und natürlich auch um musikalische Themen. In den 1960er Jahren begann die systematische Aufarbeitung. Vier Jahrzehnte brauchte es für die komplette Veröffentlichung, auch, weil man im Zuge der Herausgabe der Bücher feststellte, dass Schindler etliche Eintragungen erst später in die Hefte eingefügt hatte. „Er hat diese Bücher manipuliert, als ob da Gespräche statt gefunden hätten, die es so aber niemals gab.“ Viele Forscher haben auf Schindlers Eintragungen in den Konversationsheften vertraut.
Mit Blick auf den Noten-Nachdruck der Neunten, der noch immer aufgeschlagen vor uns liegt, frage ich nach dem Zustand der Autographe. Wie lange hatte doch die Staatsbibliothek um Gelder geworben, um die Handschriften Bachs zu retten, die vom »Tintenfraß« betroffen waren. Aber Clemens Brenneis beruhigt: »Alles in Ordnung! Beethoven hat gutes Papier verwendet, zuerst italienisches und dann böhmisches. Tintenfraß kommt fast nicht vor. Es gibt da aber ein ganz anderes Problem: Viele Schäden sind durch die Überlieferung entstanden. Zum Teil wurden Skizzenbücher einfach auseinander gerissen.« Warum? »Um sie dann zu verschenken oder zu verkaufen. So ist es jetzt ein weltweites Puzzle, diese Skizzenbücher wieder in den originalen Zustand zu bringen – wenigsten virtuell.« Virtuell ist die große Handschrift von Beethovens Neunter inzwischen auch für jeden zugänglich. Nur die Mitarbeiter der Staatsbibliothek haben ab und zu die Echte vor der Nase. »Ich zucke da immer mal zusammen, wenn mir klar wird, was ich da auf dem Schreibtisch liegen habe«, so Clemens Brenneis. Und Martina Rebmann meint jetzt fast entschuldigend: »Ich würde diese Schriften gern allen zeigen! Es liegt mir wirklich daran, diese Handschriften bekannt zu machen! Aber gleichzeitig muss ich sie schützen.« Hinter nüchternen Tresortüren. Karg. Kühl, um 18 Grad und im Dunklen, fest verschlossen.¶