Ein Orchester kann etwas von einem Pendel haben. Jemand schlägt mit ihm eine bestimmte Richtung ein – mit zeitgenössischem, progressivem Repertoire zum Beispiel – , aber irgendwann kehrt es dann doch wieder zurück zu den Publikumslieblingen. Diese Dynamik lässt sich beobachten, wann immer ein experimentierfreudiger künstlerischer Leiter von Bord geht. In Berlin zum Beispiel entwickelten die Philharmoniker unter Simon Rattles Leitung eine Expertise für Neue Musik. Kirill Petrenko kehrt nun in seiner ersten Saison zu den Kassenschlagern zurück. In New York feierte Alan Gilbert mit Stücken wie György Ligetis Oper Le Grand Macabre Erfolge. Auf ihn folgte Jaap van Zweden, dessen Reputation sich vor allem aus Repertoire wie Wagner speist (obwohl es vielversprechende Annäherungsversuche zwischen van Zweden und Neuer Musik gibt).
Von Gilberts Mut profitieren nun andere. Die Saison 2019/20 wird seine erste als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters sein. In zwei Gesprächen – in einem Hamburger Café und am Telefon – tauschen wir uns über Geschmack und seine Genese, Frauenquoten für Orchester, Selbstzweifel und das Eltern-Sein aus.
VAN: Vor kurzem wurde das Programm Ihrer ersten Saison in Hamburg bekanntgegeben: viel Neue Musik, Unsuk Chin ist Composer in Residence, außerdem spielen Sie Sofia Gubaidulina, Ligeti, Kurtág, Xenakis und andere.
Alan Gilbert: Ich bin zufrieden. Ich sehe mich selbst nicht als Experte in einem bestimmten Feld und ich will auch keine bestimmte Zielgruppe erreichen. Ich interessiere mich einfach für sehr viele unterschiedliche Sachen und versuche, die Bereiche, die mich ansprechen, zu erkunden. Dadurch wird das Feld oft sehr weit und bunt, das mag ich.
Sie haben in der Vergangenheit davon erzählt, dass es ein ganz schöner Kampf war, beim New York Philharmonic anspruchsvolle Neue Musik auf das Programme zu setzen. Ist das in Hamburg leichter?
Ehrlich gesagt, ja. Und ich glaube, dafür gibt es mehrere Gründe. Ich sage immer: Wir müssen nicht gleich ›outside the box‹ denken, sondern uns einfach eine größere Box vorstellen. In New York fühlt es sich schnell wie ›outside the box‹ an, selbst wenn man Sachen macht, die eigentlich noch locker in die Box passen sollten. Bei der Elbphilharmonie habe ich das Gefühl, dass ich viel mehr Raum für meine Ideen habe. Sorry, jetzt habe ich diese Metapher etwas überstrapaziert. [lacht]
Sie selbst dirigieren ein sehr breites Repertoire, angefangen von Haydn bis zu einem neuen Violinkonzert von Enno Poppe. Manchmal hat man hingegen das Gefühl, klassische Ensembles spezialisierten sich immer mehr, auf ein Jahrhundert, bestimmte Länder oder Komponist*innen.
Das moderne Sinfonieorchester sollte vielseitig sein. Wir spielen in einer Saison My Fair Lady und Kraft von Magnus Lindberg. Sowas sollte mit jedem Sinfonieorchester möglich sein.
Warum sollte ein modernes Sinfonieorchester so viel an Repertoire abdecken?
Mir ist vor allem die Beziehung zwischen dem Orchester und der Community, die wir ansprechen wollen, wichtig. Es geht darum, gemeinsam eine Geschichte zu schreiben, die mehr umfasst als nur dieses eine Konzert, und auch mehr als eine Woche oder ein Jahr. Es geht eher um das Leben mit Musik.
Ein Aspekt meines Jobs ist es, Geschmack zu haben und den mit dem Publikum zu teilen. Ich bin professioneller Musiker, in diesem Sinne bin ich also Spezialist. Aber ich bin gleichzeitig ein ganz normaler Mensch, der Musik mag. Wenn ich mich für ein Stück von Jonny Greenwood oder Xenakis oder Stravinsky oder Dvořák oder Josquin begeistern kann, dann können das andere vielleicht auch – nicht nur für diese Musik, sondern für diese Bandbreite an Musik.
Wenn ich dem Publikum Werke vorstelle, die es noch nicht kennt, geht es mir explizit darum, dass das keine isolierte Erfahrung bleibt. Die Planung ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen, aber ich werde auch ein Stück von Sean Sheperd aufführen, einem jungen amerikanischen Komponisten. Seine Musik ist hierzulande noch ziemlich unbekannt. Aber wenn die Leute meinen Geschmack kennen, sind sie vielleicht eher bereit, sich ihr zu öffnen. Ich sage nicht, dass sie es auf jeden Fall lieben werden – vielleicht gefällt es ihnen auch gar nicht. Aber weil ich das Stück ausgewählt habe, sagen sie vielleicht: ›Oh, ich gebe ihm eine Chance.‹ Meine Verbindung zur Musik wird hoffentlich einen Einfluss darauf haben, was die Leute im Publikum über Musik denken. Das klingt vielleicht abgehoben, aber ich glaube, darum geht es.
Wie hat sich Ihr eklektischer Geschmack, insbesondere was zeitgenössische Musik angeht, entwickelt?
Ich bin quasi omnivor. Ich interessiere mich potentiell für alles. Das bedeutet nicht, dass mir auch alles gefällt, aber wir alle sind auf eine Art Opfer der Umstände. Wir kennen, was wir kennen, womit wir biographisch in Berührung gekommen sind. Viele Komponist*innen, die in Europa allgegenwärtig sind, kenne ich gar nicht so gut, einfach, weil ich nicht hier war. Magnus Lindberg stehe ich sehr nahe, deswegen habe ich vielen seiner Empfehlungen und Vorschlägen vertraut. Wir haben zufälligerweise einen ziemlich ähnlichen Geschmack.
In New York haben wir zweimal das Biennial-Festival veranstaltet. Sie haben es jetzt eingestellt – das hat mich nicht überrascht, ich glaube, sie wollen mit der neuen musikalischen Leitung auch ein neues Kapitel beginnen. Aber schade ist es trotzdem, ich fand es großartig für New York und hätte das an ihrer Stelle weitergeführt. Andererseits können wir es dafür jetzt hier wiederaufleben lassen. Ich habe schon mit Christoph Lieben-Seutter, dem Intendanten der Elbphilharmonie, gesprochen, und er ist begeistert. Die Idee des Festivals war, eine wirklich große Auswahl an Musik unserer Zeit zu präsentieren. Aber allumfassend war es natürlich nicht. Man trifft immer eine Auswahl.
Das Saisonprogramm des NDR Elbphilharmonie Orchesters macht mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit eine bessere Figur als manch anderes, vor allem, weil Unsuk Chin Composer in Residence ist.
Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, spielte bei ihrer Auswahl überhaupt keine Rolle. Sie ist einfach eine der großen zeitgenössischen Komponist*innen. Aber ich will ehrlich sein: Natürlich machen wir uns darüber Gedanken. Wie auch nicht?
Viele Orchester scheint das nicht so zu interessieren.
Ja, ich denke, wir befinden uns da in einem gesunden Wandel. Es ist absolut richtig, sich für die Gleichstellung der Geschlechter einzusetzen, egal ob bei Dirigent*innen, Solist*innen oder Komponist*innen. Manche sagen jetzt: ›Wir wollen, dass 50 Prozent unserer Dirigent*innen oder Solist*innen weiblich sind.‹ Hoffentlich kommen wir irgendwann an den Punkt, wo das automatisch passiert. Ich glaube, wir sollten eine 50 Prozent-Quote jetzt nicht forcieren, das kann eines Tages passieren, aber zumindest kurzfristig halte ich das nicht für den richtigen Weg; es wird dauern, bis wir das schaffen. Vor kurzem hat man noch ganz andere Sachen gehört, selbst von Musikerinnen: ›Ich fühle mich nicht so wohl, wenn eine Frau dirigiert.‹ Das hört man heute nicht mehr – was ein Fortschritt ist.
Warum sollte bei der Programmierung von Musik keine gleichberechtigte Repräsentation von Komponistinnen angestrebt werden?
Bei der Entscheidung, wen man auf ein Programm setzt, wen man gerne hören würde, spielen so viele Faktoren eine Rolle, dass das Geschlecht nicht der Hauptgrund für die Entscheidung sein sollte. Es ist ein wichtiger Faktor und ich bin froh, dass das immer stärker akzeptiert wird. Man muss das nicht mehr auf die Tagesordnung drücken. Aber es ist nur ein Faktor.
Sie haben von der Repräsentation von Dirigentinnen und Solistinnen gesprochen. Das ist natürlich wichtig, aber ich glaube, dass die Präsenz von Komponistinnen in Programmen vielleicht noch entscheidender ist. Alle sprechen vom Festhalten an der Partitur und der Verpflichtung gegenüber der Intention der Person, die ein Stück geschrieben hat. Diese Person steht gewissermaßen ganz oben in der künstlerischen Hierarchie.
Ja, definitiv, sie steht ganz oben. Komponieren ist die schwierigste Aufgabe im Bereich der klassischen Musik. Ich habe viel darüber nachgedacht, weil wir ja tatsächlich bei der Musik aus dem 18. und 19. Jahrhunderts fast nur Kompositionen von Männern spielen. Ist es — und das ist eine Frage, die ich mir wirklich stelle – der Fall, dass tatsächlich nur die männlichen Komponisten gut genug waren, um die Zeiten zu überdauern? Oder sind wir einfach, heute wie schon vor Hunderten von Jahren, darauf konditioniert, weiße männliche Komponisten zu feiern? Und hat das wirklich unseren Geschmack geprägt?
Zu welcher Begründung tendieren Sie?
Ich weiß es nicht! Und wenn ich sage, ›Niemand ist besser als Beethoven‹ – ist das falsch? Ich habe Beethoven immer zu den Top 5 der besten Komponist*innen gezählt. Aber was, wenn ich einfach nur zu beschränkt bin, manch andere großartige Komponistin zu sehen? Ich habe gerade ein Stück von Lili Boulanger gemacht, Faust et Hélène. Es hat ziemlich viel vom frühen Schönberg: romantisch, irgendwie überladen, es klingt wie sein Pelleas und Melisande. Meine Reaktion war: ein sehr gutes Stück, es lohnt sich absolut, das zu machen – sie war 19, als sie es schrieb, das ist großartig – aber es erreicht eben doch nicht das Niveau von Verklärte Nacht, zum Beispiel.
Und dann habe ich diesen sehr militant geschriebenen Artikel gelesen, in dem stand: ›Es liegt nicht daran, dass Komponistinnen nicht gut wären. Es liegt daran, dass wir als Gesellschaft darauf konditioniert sind, unterschiedliche Qualitäten nicht zu würdigen.‹ Und ich denke: An welchem Punkt müssen wir sagen, dass wir unseren Instinkten oder unserem Geschmack nicht trauen können? Das ist eine ästhetische, philosophische Frage. Und ich kann sie nicht beantworten.
Ich habe mal mit Freunden ein Party-Spiel gespielt, bei dem man seine fünf Lieblingskomponist*innen nennen muss. Uns ist gar nicht aufgefallen, dass ausschließlich weiße Männer genannt wurden. Ich denke schon, dass Bach in die Top 5 gehört, aber ich fange jetzt an zu überlegen … ich weiß nicht, es ist alles sehr verwirrend, aber natürlich auch gut. Wir beginnen jetzt, Fragen zu stellen, auf die ich früher nie gekommen wäre.
2010 haben Sie eine wunderschöne Aufführung von Gérard Griseys Quatre chants pour franchir le seuil mit Barbara Hannigan geleitet. Später hatte ein Komponist, den ich kenne, eine Probe mit dem New York Philharmonic und einem anderen Dirigenten. Nach der Probe fragte ihn ein Musiker: ›Was genau meinen Sie mit Vierteltönen?‹ Um Quatre chants zu spielen, muss man dieses Intervall spielen können.
Ich kenne den konkreten Fall Ihres Freundes nicht. Aber eine solche Haltung, solcher Widerstand tritt normalerweise zutage, wenn Musiker*innen frustriert sind – ich will sie damit überhaupt nicht verteidigen, wenn Ihr Freund das so erlebt hat, ist das wirklich nicht akzeptabel. Wenn irgendwas an der Situation schwierig ist, sie nicht genug Vorbereitungszeit hatten oder den Dirigenten nicht mögen, dann beginnen Musiker*innen manchmal, auch an anderen Dingen herumzumeckern und sich schneller über Musikalisches aufzuregen. Bei Quatre chants hatte ich das Gefühl, dass sich alle absolut professionell verhalten haben und bereit waren, alles Mögliche auszuprobieren. Und das sage ich jetzt nicht nur so. Sie waren offen dafür, sich in eine andere Art des Hörens zu begeben. Und das hat wirklich funktioniert, weil sie so brillant sind. Das New York Philharmonic hat den Ruf, ein toughes Orchester zu sein, aber es hat sich für mich nie so angefühlt. Sie stellen hohe Ansprüche und sie mögen es nicht, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, das Beste rauszuholen. Wenn man als junger Dirigent noch nicht bereit ist, mit dieser Haltung konfrontiert zu werden, kann das sehr einschüchternd sein.
Waren Sie bei anderen Orchestern jemals in der Rolle des jungen Dirigenten, der mit so einer Haltung umgehen muss?
Ja. Heute ist das anders. Ich erinnere mich an Zeiten, in der sich jeder Tag wie eine Bewährungsprobe anfühlte. Am Anfang der Karriere ist das so. Man zweifelt an sich selbst. Wenn es nicht gut läuft, denkt man: ›Ich bin ein Versager, ich kann das nicht, ich bin nicht bereit hierfür.‹ Wenn heute etwas schiefläuft – was zum Glück selten passiert – denke ich nicht: ›Ich bin für sowas nicht geschaffen‹, weil ich diese Arbeit schon oft genug gemacht habe, um festzustellen, dass ich sie grundsätzlich schon beherrsche. Manchmal klappt es besser, manchmal schlechter. Aber so zu denken ist schwer, wenn man gerade erst angefangen hat.
In einem Interview sagten Sie einmal: ›Es kommt vor, dass die Chemie einfach nicht stimmt‹ zwischen Orchester und Dirigent*in. Wie merken Sie das als Dirigent?
Ein bisschen wie bei ›Wie spielt man einen Viertelton?‹ Wenn micht jemand so etwas fragte, würde ich denken: ›Das läuft nicht so gut.‹ Wissen Sie: [mit passiv-aggressiver Stimme] ›Wollen Sie das kurz oder lang?‹ klingt, als fehlte da der gute Wille. Sowas ist nicht unbedingt die Schuld des Orchesters. Aber es gibt eigentlich keine Hindernisse, wenn es gut läuft.
Auf der anderen Seite habe ich versucht zu lernen, solche Dinge nicht persönlich zu nehmen. Ich erinnere mich noch an eine Woche am Anfang meiner Karriere, in der ich das überhaupt nicht hinbekommen habe. Es war damals eine meiner ersten Wochen mit dem Orchester, ich verrate nicht mit welchem. Da war diese Bratschistin, die so genervt war, dass sie die ganze Zeit in ihren Kalender schaute – sie hatte noch kein Handy, so lang ist das schon her – und die Augen verdrehte. Und ich nahm das persönlich. Ich wurde dann auch mürrisch und ruppig dem Orchester gegenüber – eine sehr unangenehme Woche für alle Beteiligten, weil diese eine Person mit ihrem Verhalten mir so die Stimmung verdorben hatte. Als ich später mit meinen Freund*innen im Orchester sprach, sagten sie: ›Nimm es dir nicht zu Herzen, so ist sie zu allen.‹ Aber das konnte ich nicht. Ich war zu jung und dumm.
Heute kann ich sagen: Wenn man merkt, dass etwas nicht stimmt, sollte man sich davon nicht runterziehen lassen, weil man damit immer in eine Abwärtsspirale gerät. Vielleicht hat einfach nur eine Person einen schlechten Tag. Es ist besser, positiv zu bleiben, egal was kommt.
Wurden Sie von diesem Orchester wieder eingeladen?
Ja! Aber ich erinnere mich, dass sie sagten: ›Wir hoffen, die Atmosphäre ist nächstes Mal besser.‹ [lacht]
Was, denken Sie, ist eine gute länge für eine Dirigent*in-Orchester-Zusammenarbeit?
Tatsächlich nicht so lang. Ich denke, an dem Spruch, dass zu viel Vertrautheit nur schadet, ist etwas dran. Obwohl ich die Orchester und Dirigent*innen, bei denen es über einen langen Zeitraum funktioniert, bewundere. Das hängt wirklich von der Chemie ab. Ich habe so eine Art Acht-Jahres-Plan. Ich war acht Jahre lang in Stockholm und dann acht Jahre lang in New York. Und das fühlte sich für mich richtig an. Es gibt Leute, die sagen, dass ich New York etwas zu früh den Rücken gekehrt habe, aber andere – mich eingeschlossen – sagen, dass es genau der richtige Zeitpunkt war. Es gibt einen Hornisten, den ich sehr bewundere, der sagte: ›Lieber fünf Jahre zu früh gehen als fünf Minuten zu spät.‹ Das ist sehr weise.
Jetzt, wo ich das so sage, bin ich wirklich neugierig, was hier in Hamburg passiert. Ich habe einen Fünf-Jahres-Vertrag. Ich will jetzt nichts beschwören, indem ich sage, fünf Jahre seien das Limit oder es solle danach auf jeden Fall weitergehen. Ich habe das Gefühl, dass hier einiges an Arbeit ansteht und ich freue mich sehr darauf.
Wie viele Orchester kann man als Dirigent*in gleichzeitig leiten?
Ich denke, dass einige Kolleg*innen zu viel arbeiten. Ich persönlich kann das nicht. Ich meine: Ich arbeite hart, ich bin sehr beschäftigt, ich verbringe viel Zeit mit der Vorbereitung und dem Studium. Auch das ist Arbeit. Aber ich mag es auch, frei zu haben. Ich gebe den Dingen gerne Zeit, um in mir zu wachsen, und gehe nicht einfach von einer Sache zur nächsten. Es ist schwierig, die emotionale Energie aufzubringen – vergessen Sie die physische Energie, da kommen Sie normalerweise irgendwie durch – und Musik braucht diese emotionale Energie, dieses Spirituelle.
Manche Leute gehen von einer Woche zur nächsten und machen nie Pause. Aber was ist mit deren Familien? Wenn ich arbeite, vermisse ich meine Kinder. Es ist berauschend, wenn man dauernd angefragt wird, Leute einen hierhin und dorthin fliegen wollen und gut bezahlen – da ist es schwer, nein zu sagen. Ich weiß das. Aber ich denke, es ist wichtig, nein zu sagen. Aktuell versuche ich, weniger Gastdirigate anzunehmen, damit ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen kann. Meine älteste Tochter ist 15. Diese 15 Jahre sind wie im Flug vergangen. Und wahrscheinlich zieht sie in drei Jahren aus.
Ich habe das Gefühl, so denken alle Eltern, nicht nur die mit internationaler Dirigier-Karriere.
Natürlich. Aber wenn ich mehr als die Hälfte der Zeit nicht zu Hause bin, vergeht die verbleibende wirklich schnell. Diese 15 Jahre sind vorbeigezogen wie ein Blitz, was bedeutet, dass ein Fünftel dieser Zeit noch fünf Mal kürzer dauert als ein Blitz. ¶