VAN hat in letzter Zeit öfter über und aus der Alte Musik-Szene berichtet, der Name Agostino Steffani ist dabei nie gefallen. Dabei haben zwei nicht ganz unbekannte Kulturprotagonisten vor ein paar Jahren alles daran und in Gang gesetzt, um ihn und seine mysteriöse Geschichte prominent zu machen.
1654 als Sohn aus einfachen Verhältnissen in Norditalien geboren, zieht es ihn an die deutschen Höfe, er wird katholischer Missionar, Diplomat, Spion und einer der berühmtesten Komponisten seiner Zeit. Als Steffani 1728 völlig überschuldet in Frankfurt stirbt, hat er 17 Opern komponiert, die mit seinem Namen für lange Zeit verschwinden werden.
Nach 300 Jahren wird nun seine Oper Amor vien dal destino an der Staatsoper im Schillertheater, inszeniert von Ingo Kerkhof und unter der Leitung René Jacobs, erstmals wieder auf die Bühne gebracht. Dafür wurde das Werk von Colin Timms entstaubt, bearbeitet und neu herausgegeben. VAN hat ihn im Vorfeld der Premiere angerufen und über ein spürbar wachsendes Interesse an Barockmusik und die damit verbundene Arbeit an alten, lang verstaubten Partituren gesprochen.

VAN: Obwohl er zu seiner Zeit sehr bekannt war, ist der Name Agostino Steffani heute kaum jemandem ein Begriff. Warum haben Sie sich als Wissenschaftler und Herausgeber mit ihm beschäftigt?
Colin Timms: Italienische Barockmusik hat mich schon immer fasziniert und da ich wusste, dass Steffanis handschriftlichen Manuskripte in der British Library lagerten, war der Weg vorgezeichnet. Steffani kam zwar aus Venedig, hat aber den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht, erst in München, dann in Hannover, später in Düsseldorf. Anders als seine italienischen Zeitgenossen war er im westlichen Deutschland vielen französischen Einflüssen ausgesetzt. Das hört man in seiner Musik, es erklingt erstaunlich viel französische Tanzmusik, überhaupt Tanzrhythmen, auch als Basis für einige seiner Arien. In seinen Kompositionen für Gesang liegt eine weitere Besonderheit: sie sind enorm anspruchsvoll und expressiv, vor allem mit den vielen detailreichen Verzierungen, die schon durch den Komponisten eingefordert werden. Durch sein Leben nördlich der Alpen hatte Steffani außerdem Zugriff auf eine Vielzahl von Instrumenten, die in den Opern seiner italienischen Zeitgenossen nicht zu hören waren; vor allem im Einsatz von Blasinstrumenten erkennt man seine ›deutsche Prägung‹. Neben Oboe und Fagott erklingen in Amor vien dal destino vier Chalumeaux, das sind seltene, frühe Vorläufer der Klarinette. Steffani setzt sie an einer Stelle ein, an der Latino, die Vaterfigur, ein Orakel nach der Zukunft befragt. Die Chalumeaux sollen hier eine mystische Stimmung erzeugen und in eine andere Welt führen. Hier liegt der Schlüssel für einen letzten, übergeordneten Punkt: Steffani komponiert seine Musik als Begleitung zu Schauspiel und den Charakteren; nichts hat nur dekorative Funktion, alles ist genau in Beziehung zur Geschichte gedacht.

In Zusammenarbeit mit dem Intendanten und dem Dramaturgen der Staatsoper ist es vor allem René Jacobs’ Bemühungen geschuldet, dass Steffani nun auf die Bühne gebracht wird. Sie fragte er vorher, welche Steffani-Oper er spielen solle. Bekommen Sie oft derlei Anfragen?
Ja, die kommen manchmal. Zum Beispiel hat mich vor einigen Jahren Stephen Stubbs vom Boston Early Music Festival gefragt, was sie von Steffani ins Programm nehmen sollen; 2011 haben Sie dann auf meinen Vorschlag hin seine Oper Niobe aufgeführt.
René Jacobs interessierte sich schon für Amor vien dal destino, bevor er mich um Rat bat, das war zumindest mein Eindruck. Und ich verstehe das auch, der Anfang der Oper ist schon so wahnsinnig durchdringend; zunächst erklingt etwas, das an eine französische Ouvertüre erinnert; in der Mitte der zweiten Hälfte der Ouvertüre aber beginnen die Götter im Chor zu singen, und wir sind auf einmal mitten in der Handlung. Die Ouvertüre endet im Chor. Das ist etwas spezielles, etwas musikalisch ungewöhnliches, das Jacobs angesprochen haben wird. Die erste Szene beginnt dann mit Lavinia, der weiblichen Hauptrolle, und sie wird lediglich von einer Laute begleitet, das ist sehr untypisch für den Beginn einer Oper.

Komponiert wurde die Oper während der 1690er Jahre in Hannover, 1709 wird sie in Düsseldorf uraufgeführt – nun wird die Oper seit 300 Jahren zum ersten Mal wieder auf die Bühne gebracht. Sie haben die originalen Partiturmanuskripte in der Royal Music Collection der British Library in London gefunden. In welchem Zustand waren sie?
Dort liegen sowohl die autographische Handschrift, wie auch eine Kopie, die kurz nach der Fertigstellung gemacht wurde. Beide sind in einem sehr guten Zustand, lediglich einige Seiten der autographischen Ausgabe wurden entfernt und für die Düsseldorfer Erstaufführung durch andere ersetzt. Ich habe diese Partituren nicht ›ausgegraben‹ oder so etwas, und ich bin auch nicht der erste, der hineingesehen hat – aber vermutlich der einzige, der sich alles von Steffani angesehen und erarbeitet hat.
Wie haben sie sich angefühlt? Fühlt sich Barock-Musik anders an als Musik aus der Klassik?
Alle Manuskripte aus dieser Hannoveraner Epoche sind auf sehr gutem und dickem Papier geschrieben, das sich sehr gut hält. Außerdem wurden diese Manuskripte wahnsinnig gut gebunden, Holz mit Lederumschlag und goldenen Verzierungen. Und Steffanis Handschrift ist sehr schön, sowohl in den Noten als auch der Schrift. Die professionellen Kopien, die im Laufe der Jahre gemacht wurden, sind in der Regel sehr viel gröber, und fotographische Reproduktionen verbergen vieles, was aus feinen Federstrichen drin ist, Bindebögen oder Trillerzeichen. Bei meinen Überarbeitungen habe ich daneben auch lieber mit dem Original gearbeitet, weil man dort sehen kann, wie die Seiten zusammengesetzt sind; nur so ist erkennbar, ob etwas verändert wurde, oder nicht.

Worin bestand Ihre Arbeit an der Partitur?
Bei diesen alten Barockopern ist das Bearbeiten ein ziemlich kreativer Prozess; vor allem, wenn in den letzten 300 Jahren gar nicht damit gearbeitet wurde. Zuerst aber versuche ich, so nah wie möglich an dem zu bleiben, was überliefert ist und dabei sicherzugehen, dass alles, Worte und Musik, klar und deutlich sind. Es ist wahnsinnig wichtig, dass die Sänger und Musiker problemlos arbeiten können. Mit dieser Oper hatten wir ein paar Schwierigkeiten: In der handlichen Niederschrift steht zum Beispiel, dass am Ende eines jeden Aktes Tanzmusik erklingen soll; die ist aber in der Partitur nicht völlig enthalten. Ich habe deshalb Sätze aus anderen Opern von Steffani eingefügt.
Dann mussten Entscheidungen getroffen werden, was die Orchestrierung betrifft. Steffani hat die Oboe zum Beispiel immer nur dann in seiner Handschrift genannt, wenn sie Solos spielt. Von den Listen der Orchesterspieler aus Hannover zu der Zeit weiß man, dass sie regelmäßig auch zum Orchestertutti gehörten. Manchmal ist es in der Oper unklar, will er jetzt alle, oder nur die Streicher? Solche Entscheidungen musste ich treffen. René Jacobs muss jetzt sehen, ob es ihm so passt.
Ah, und noch etwas. Ich habe ja gesagt, dass einige Seiten verändert wurden, das ist zwischen Komposition und Uraufführung passiert. Die Veränderungen betreffen vor allem den Anfang und das Ende der Oper. Am Ende gibt es diese imposante Arie, deren Skelett steht in der Partitur, aber die Füllstimmen, die zweiten Geigen, Violen, die fehlen. Die musste ich dann komponieren, sowie auch in der letzten Arie, ein tolles Menuett von Venus gesungen. (lacht). Ja, oft musste ich ziemlich flexibel sein.
Haben Sie das Stück schon gehört?
Bisher nicht, das erste Mal höre ich es bei der Premiere am Wochenende. Ich bin gespannt, was die Staatsoper daraus gemacht hat … ¶