Seit 1685 stand die Ausübung des protestantisch-reformierten Glaubens unter König Ludwig XIV. in Frankreich unter Strafe. 200.000 Hugenott*innen verließen daraufhin ihr Heimatland, darunter auch 178 hugenottische Familien, die sich zwischen 1688 und 1691 von Frankreich gen Südafrika aufmachten. In eine Familie der Nachfahren dieser Auswanderer*innen wurde Priaulx Rainier hineingeboren: Sie kam am 3. Februar 1903 in Howick zur Welt, unweit der Stadt Durban, an der – dem indischen Ozean zugeneigten – Südostküste Südafrikas. Ihre Eltern – englisch-hugenottischer Herkunft – förderten das musikalische Talent der Tochter früh. Mit zehn Jahren studierte Priaulx bereits, dem idyllischen, aber sehr abgelegenem Landstrich ihrer frühesten Kindheit entfliehend, Violine am South African College of Music in Kapstadt. Ein Stipendium führte sie im Alter von 17 Jahren an die Royal Academy of Music in London, wo sie Komposition bei dem Schotten Sir John Blackwood McEwen studierte; McEwen war deutlich vom Impressionismus beeinflusst – und schickte sich an, diesen mit der Volksmusik seines Heimatlandes künstlerisch zu verbinden.
Rainier blieb in England und wirkte dort als Geigerin und Musikpädagogin. 1937 führte sie ein Studium für ein paar Monate zu der großen Kompositionslehrerin Nadia Boulanger nach Paris. 1943 erhielt Rainier eine Professur an der Royal Academy in London und unterrichtete dort bis 1961 Komposition und Harmonielehre, erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeit und starb im Alter von 83 Jahren am 10. Oktober 1986 in dem wunderschönen Dorf Besse-et-Saint-Anastaise in der sanft bergigen Region Auvergne-Rhône-Alpes in der Mitte Frankreichs.
Priaulx Rainier (1903–1986)Sonate für Viola und Klavier (1946–52)
Die meisten klassisch ausgebildeten Musiker*innen beginnen erst im Studium mit dem regelmäßigen Spiel in einem Streichquartett. Rainier allerdings musizierte bereits seit ihrem elften Lebensjahr als Geigerin in dieser musikgeschichtsträchtigen Besetzung – und so wurde auch ihr 1939 komponiertes und 1944 uraufgeführtes Streichquartett Nr. 1 zu einem Werk, das sie überregional bekannt machte. 1951 wurde das Stück gar vom berühmten Amadeus-Quartett für die Schallplatte eingespielt. Ihre frühe Nähe zu dieser Gattung ging sich erfolgreich aus.
Rainier komponierte neben einigen Instrumentalwerken auch zwei Gesangszyklen für den legendären Lebensgefährten Benjamin Brittens: Peter Pears (Tenor). Andere große Auftragsarbeiten kamen von der BBC oder Jacqueline du Pré, für die Rainier 1964 eigens ein Cellokonzert komponierte.
In den Jahren 1946 bis 1952 entstand die Sonate für Viola und Klavier; ein Werk für eine eher vernachlässigte Besetzung, deren bekannteste Erzeugnisse von Johannes Brahms (seine beiden Sonaten op. 120 von 1894 waren allerdings ursprünglich für Klavier und Klarinette vorgesehen) und Paul Hindemith (drei Sonaten für Viola und Klavier: 1919, 1922 und 1939) stammen.
Wüst beginnt der erste Satz, der mit seinem Titel (Allegro, ricercare) die »Suche« nach »etwas« schon in sich trägt. Die Bratsche versucht sich an einem kaum greifbaren Trauergesang; das Klavier kontrastiert durch Vorschlagsgeschehnisse. Brummend und auf ihr Recht pochend fährt die Viola fort; immer wieder stößt sie gewissermaßen an die Argumentationsgrenzen des Klaviers, das mit dann und wann impressionistisch eingefärbten Akkorden dazwischenhaut.
Nach etwa zwei Minuten führt das Klavier – jeweils unten und folglich oben Klänge manifestierend – so etwas wie einen klobigen »Stampftanz« auf, aus dem die Bratsche als fortwährend saugend-sonorierendes Individuum hervorgeht, nein, besser: übrigbleibt.
Priaulx Rainier komponiert hier einen ersten Sonatensatz, der zwar in seiner freitonalen Akkordarbeit »zurückblickt«, aber dennoch – mittels melodiös-thematischer Undefinierbarkeit – fasziniert. Scheinbar lässt sich hier beim Hören an Tonfolgen und durchaus vertraut vorkommenden Momenten andocken, doch bleibt – kompositorisch intendiert – nichts haften. Merkwürdig. Und deshalb hörenswert. ¶