250 Komponistinnen. Folge 38: »sehr fertige Finger«.

Text · Datum 8.7.2020

1744 wurde die Sportart Baseball zum ersten Mal in Quellen erwähnt, Anfang Oktober sank das berühmte britische Segelschiff »Victory«, 1.150 Menschen starben – und Friedrich der Große eroberte im Österreichischen Erbfolgekrieg die Stadt Prag. Im selben Jahr – am 4. Mai – wurde in Wien Marianna von Martines (auch als Marianne Martines, Nannette Martinez und unter unzähligen anderen Namensvarianten bekannt) geboren. Mariannas Vater – Nicolò Martines – war der bei der Durchführung der katholischen Liturgie helfende Zeremonienmeister des vatikanischen Gesandten in Wien. Religiös wie organisatorisch-strukturell bestanden auf die Weise früh verbindliche Kontakte der Familie von Marianna zum Wiener Hof.

Die mit dem Dichter des Hofes Pietro Metastasio (1698–1782) – unter anderem Librettist von Mozarts La clemenza di Tito (Wien 1734) – geknüpften Bande waren so eng, dass dieser gar in den Räumlichkeiten der Familie residierte. Metastasio habe, wie berichtet wird, das große musikalische Talent der jungen Marianna entdeckt und eingefädelt, dass diese von den besten und berühmtesten Vermittlern ihres jeweiligen Faches unterrichtet wurde; so wurde Joseph Haydn, der ebenfalls temporär bei Familie Martines Unterschlupf fand, Mariannas Lehrer. Bereits als Heranwachsende veranstaltete man für Marianna (geistliche) Konzerte – und feierte sie als herausragendes Talent, das gleichermaßen als Sängerin, Cembalistin und Komponistin ihre immensen Begabungen unter Beweis stellen konnte.

In dem musikhistorisch bedeutenden Reisetagebuch des Engländers Charles Burney (Carl Burney’s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen, Hamburg 1772/73) beschreibt der Autor die sängerischen Fähigkeiten Marianna von Martines’ wie folgt: »Sie übertraf wirklich noch die Erwartung, die man mir von ihr beigebracht hatte. Sie sang zwo Arien von ihrer eignen Komposition über Worte von Metastasio, wozu sie sich selbst auf dem Flügel akkompagnierte, und zwar auf eine wohlverstandne, meisterhafte Manier; und aus der Art, wie sie die Ritornelle spielte, konnte ich urteilen, daß sie sehr fertige Finger hätte.«

Die netzwerkerisch motivierten Akademiekonzerte übten auf die einflussreichsten Wiener Musiker*innen der Zeit eine große Wirkung aus. So würdigte unter anderem Wolfgang Amadeus Mozart die Künste Mariannas – und als Dichter Metastasio 1782 starb, hinterließ der einstige Lehrer Marianna und ihren Geschwistern (von elf Kindern hatten nur sechs ihre frühesten Jahre überhaupt überlebt) sein gesamtes Vermögen. Marianna war zu diesem Zeitpunkt »schon« 38 Jahre alt – und fortan ohnehin nicht mehr auf eine entsprechend wirtschaftlich lukrative Eheschließung angewiesen.

Sowohl die Klaviersonaten als auch frühe geistliche Kompositionen – Marianna von Martines’ Werkkatalog besteht zu einem Großteil aus sakraler Musik – fanden publizistische Verbreitung und Anerkennung durch bedeutende Kompetenzen ihrer Zeit. Besonders bekannt wurde ihr 1782 in Wien uraufgeführtes Oratorium Isacco figura del redentore auf einen bereits 1740 entstandenen Text Metastasios.

Zwei Tage nachdem bereits ihre drei Jahre jüngere Schwester Antonia verstorben war, starb Marianna am 13. Dezember 1812 im Alter von 68 Jahren an Tuberkulose.

Marianna von Martines (1744–1812)Klaviersonate A-Dur (vor 1767)

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Die Klaviersonate A-Dur – vor 1767 entstanden – exponiert im ersten Satz (Allegro) ein rhythmisch bewegtes doch entspanntes Hauptthema à la Haydn, der ähnlich verspielt punktierte und doch lustig »intellektuelle« Themen beispielsweise für seine Divertimento-Sonate G-Dur Hob. XVI: 8 (1766) und die C-Dur-Sonate Hob. XVI: 21 (allerdings erst 1774 in Wien entstanden) erfand; Raum für allerlei dynamische Spielereien und leicht melancholische Scherereien.

Der zweite Satz – ein Adagio in a-Moll – strahlt ebenfalls eine improvisatorische Gelöstheit aus und bedient sich, dies genüsslich auskostend, lombardischer Rhythmen (statt längerer punktierter Noten, auf denen am Ende der Zählzeit kürzere Noten folgen, geschieht hier genau Umgekehrtes: kurz – lang). Hier wird geklagt wie in einer traurigen Opernarie – vorherige Gesten durch leichte Koloraturen auszierend. Ein Alberti-Bass bringt bald rhythmisch einheitlichere Linien hervor. Mozart scheint im Raum zu stehen, um Marianna für ihre anrührend inszenierten Momente zu loben.

Die bestens vernetzte und hochbegabte Komponistin, Sängerin und Cembalistin Marianna von Martines (1744–1812) in @vanmusik.

Das Thema des Finalsatzes – ein freilich nicht zum Tanzen vorgesehenes Menuett – kommt ebenfalls rhythmisch vielfältig daher. Dolce-Tändeleien wechseln mit kecken Einfällen von hohem Ideenreichtum und Anmut ab. Der eingeschobene Moll-Teil scheint fast an den zweiten Satz erinnern zu wollen, bevor den schönen Wechseln von Triolen und 16teln Aufmerksamkeit geschenkt wird. ¶

Arno Lücker

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.