250 Komponistinnen. Folge 37: prägnanter Humor und gute Irritation.
Eva Schorr wurde am 28. September 1927 im nordostwürttembergischen Crailsheim geboren. Ihre Mutter unterrichtete sie früh am Klavier – und ihr Vater, selbst Kunstpädagoge sowie Organist und Chorleiter, förderte ihr bildnerisches Talent. Bereits mit acht Jahren begann Schorr mit dem Verfertigen erster eigener Kompositionen. Komponieren, Malerei und Bildhauerei wurden zu künstlerisch (fast) gleichberechtigten Grundtätigkeiten ihres ganzen Lebens.
Besonderes Augenmerk legte Schorr jedoch zunächst auf den Ausbau ihrer musikalischen Fähigkeiten, indem sie 1947 – über ihr Wirken als junge Künstlerin in den Jahren bis 1945 ist leider wenig bekannt – ein Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule Stuttgart aufnahm. Dort studierte sie Orgel bei Hermann Keller (1885–1967) und dem Zemlinsky-Kompositionsschüler Anton Nowakowski (1897–1969).
Ihre Liebe zur Orgel – bei gleichzeitiger eigener kompositorischer Tätigkeit – bedingte das große Interesse für das Schaffen von Olivier Messiaen, den sie bei einem ihrer zahlreichen Besuche der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik kennenlernte und zu dem sie offenbar als Lehrer immer wieder Kontakt suchte. Hermann Keller setzte sich zusätzlich für die Aufnahme eines Kompositionsstudium Schorrs ein, das diese bei dem von Schönberg und Webern beeinflussten Johann Nepomuk David (1895–1977) – ebenfalls in Stuttgart – aufnahm.
Über ihre Naturverbundenheit, die in ausdrucksvollen Landschaftsportraits – später aber auch in abstrakten Werken – resultierte, sagte Schorr: »Ich male hauptsächlich Landschaften, die mit dem Betrachter in Korrespondenz treten sollen und ihm Räume öffnen sollen in Bereiche, die seiner latenten Fantasie entgegenkommen.« Ihre Verwurzelung in der christlichen Kirchenmusik sowie Schorrs »Liebe zur Natur« bedingen nur scheinbar kompositorische Traditionalität. Schorr bekannte sich hingegen bald zu eine der radikalsten Kompositionstechniken überhaupt – zum Serialismus, in dem, als Weiterführung der Zwölftontechnik, musikalische Phänomene wie Tonhöhe, Lautstärke, Tonlänge und so weiter mathematisch organisiert wurden; hinzu kam die Beschäftigung mit der Musikphilosophie Theodor W. Adornos.
Der jungen Komponistin Schorr begegnete man – wie berichtet wird – mit Skepsis; der typische tradierte Chauvinismus innerhalb der ach so tiefgründig »schöpferischen« Neuen Musik wurde auch für sie spürbar. Erschwerend hinzu kam, dass Schorrs Bewerbung als Tonsatz-Professorin 1951 – im Jahr des Studienabschlusses – an ihrer »eigenen« Stuttgarter Musikhochschule mit der Begründung abgelehnt wurde, eine derartige Stelle könne nur adäquat von einem Mann ausgefüllt werden. Schorrs ruhiges, humorvoll und grundpositiv gestimmtes Wesen sowie ihre Besinnung auf mehrere künstlerisch-basale Tätigkeiten nebeneinander ließ sie aber weder forsch rebellieren noch kleinlaut resignieren.
Neben – angesichts ihrer eigenen kirchenmusikalischen Tätigkeit – erstaunlich wenigen sakralen Werke finden sich in Schorrs Werkverzeichnis vor allem Arbeiten für Kammermusik-, Chor- und Orchester-Besetzungen sowie die Kinderoper Die Katze des Königs (1989). Mit ihrem Violinkonzert Septuarchie gelangte Schorr 1975 zu überregionaler Bekanntheit; das Stück wurde von der damaligen Stuttgarter Geigenprofessorin und Szeryng-Schülerin Susanne Lautenbacher (*1932) und den Stuttgarter Philharmonikern unter der Leitung des Dirigenten Hans Zanotelli (1927–1993) uraufgeführt.
Seit 1951 war die geborene Eva Weiler mit dem Journalisten Dieter Schorr verheiratet. Sie starb als Mutter von drei Kindern und Großmutter mehrerer Enkelkinder im Alter von 88 Jahren am 20. Januar 2016 in Stuttgart.
Eva Schorr (1927–2016)Retro für Klavier und Orchester, 3. Satz: Rondo (2011?)
Schorrs Klavierkonzert mit dem spannungsvollen Titel Retro wurde wohl – keines der online zugänglichen Werkverzeichnisse ist vollständig und gibt über eben jenes Werk nähere Auskunft – 2011 komponiert. Der letzte Satz (Rondo) gibt sich gleich zu Anfang schön trötig-dissonant, um dann – tonale Inseln nicht aussparend – sehr lustig zu verkrümeln. Auf einem undurchdringlichen, tiefen Streicherteppich krallen sich die ersten Töne des Klaviers in die Hörwindungen. Kürzere Töne kann es nicht geben. Das ist von prägnantem Humor und guter Irritation. Das Klavier gibt im Folgenden lakonische Motiv-Kommentare ab, die apodiktische Widerspiegelungen im Orchester nach sich ziehen. Celesta, Celli und Bässe lassen die »witzige« Atmosphäre in glitschigere Gefilde abdriften. Höhere Streicher heulen uns jetzt einen enervierenden Gesang entgegen.
Das ist höchst eigentümliche, humorvolle Musik, die irgendwas mit Krenek, Weill und Hindemith zu tun haben mag, die man so aber noch nicht gehört hat! ¶