In den 1940er und 1950er Jahren wanderten über 300.000 Italienerinnen und Italiener nach Venezuela aus, darunter wohl auch eine bestimmte Familie mit dem Namen Benedetti. Doch möglicherweise war der Aufenthalt in Venezuela für die Benedettis nicht von allzu großer Dauer…

Marcos Pérez Jiménez (1914–2001) war von 1952 bis 1958 Staatspräsident von Venezuela. Jiménez betrieb während seiner Herrschaft zahlreiche Folterzentren, galt als grausamer Diktator und schränkte die Presserechte in dem von ihm regierten Land stark ein. 1958 kam es zu Aufständen gegen ihn. Jiménez floh in die Vereinigten Staaten, wurde 1963 von den USA an Venezuela ausgeliefert und verbrachte dort fünf Jahre wegen Korruption und Diebstahl im Gefängnis. 1968 siedelte er nach Spanien  über, wo er wenige Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 starb. (Die Meldung seines Todes ging in der gewissermaßen monothematischen Berichterstattung über die Anschläge in New York fast unter, ähnlich wie die Todesmeldung anlässlich des Ablebens des berühmten Geigers Isaac Stern, der am 22. September 2001 – »ausgerechnet« in New York – gestorben war.)

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Möglicherweise waren die Repressionen der Militärregierungen Venezuelas seit 1948 der Grund für die Auswanderung der Familie Benedetti Richtung USA. Jedenfalls wurde hier – genauer: in New Haven, Connecticut – am 17. September 1953 Josefina Punceles de Benedetti geboren. Vielleicht war auch Josefina Benedettis Vater als Yale-Absolvent in New Haven geblieben (die Yale-Universität befindet sich in New Haven) oder studierte dort noch zum Zeitpunkt der Geburt seiner Tochter. Einen großen »Bruch« mit dem Heimatland Venezuela scheint es dabei wohl nicht gegeben zu haben, denn Josefina Benedetti nahm als junge Frau ein Klavierstudium in der venezolanischen Hauptstadt auf, wahrscheinlich an der Escuela Superior de Música de Caracas. Anschließend ging es nach London, höchstwahrscheinlich wegen eines Studiums im Fach Klavier an der Royal Academy of Music. Namen von möglichen Lehrer:innen, Mitstudierenden oder sonstigen Wegbegleiter:innen findet man im Zusammenhang mit der Biographie Benedettis fast gar nicht.

Am Instituto Universitario de Estudios Musicales (IUDEM) in Caracas setzte Benedetti jedenfalls anschließend ihr Musikstudium fort und belegte dort Anfang der 1990er Jahre das Fach Chorleitung sowie am Conservatorio Juan José Landaeta in Caracas Komposition (1994). Zudem studierte sie Musikwissenschaft, spezialisierte sich diesbezüglich auf die Musikgeschichte Südamerikas und erhielt für ihre Komposition Canción de Cuna den nationalen Kompositionspreis Venezuelas. Weitere Preise kamen hinzu, doch in Europa wurden ihre Werke scheinbar weniger stark rezipiert, wenn es auch auf der Internetseite der Komponistin heißt, ihre Arbeiten seien unter anderem in Spanien und Frankreich aufgeführt worden.

Benedetti betätigte sich immer wieder als Funktionärin im Bereich (Neue) Musik, war Generalsekretärin des venezolanischen Musikrates und Mitglied des Verwaltungsrates der nach Teresa Carreño benannten Theatre Foundation Venezuelas. Für die Jahre 2000 bis 2006 ist Benedetti außerdem als Direktorin für den Kulturbereich der Universidad Central de Venezuela eingetragen – und unterrichtet dort bis zum heutigen Tag Musikwissenschaft.

Josefina Benedetti (* 1953)
Sintharte: Promenade für Elektronik (2006)

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Josefina Benedetti komponierte bislang eine Hand voll Orchesterwerke, ein paar Chorwerke, Kammermusik sowie Stücke für Elektronik. Ihr elektronisches Werk Sintharte: Promenade entstand 2006 und ist, laut Komponistin, zum Teil von dem Konzept von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung inspiriert: das einzelne »Abschreiten« einer Bildergalerie, die imaginären Gespräche mit (scheinbar) »stiller« Kunst.

Wie ein französisch glitzerndes Orgelwerk beginnt das Stück, natürlich nur im Rahmen einer klanglichen Simulation. Chorstimmen schwellen – zitathaft – hinein, eine irgendetwas bruchstückhaft vermeldende Stimme, wie aus einem analogen Radio. Dazwischen die tonalen Orgelklänge. Ein Kaleidoskop von Ereignissen. Hintereinander, ineinander.

Die Orgel-Harmonien tragen das Stück gewissermaßen über die kurze Dauer hinfort, verleihen ihm einen roten Faden; Basis der ganzen Story. Völlig unerwartet schaltet sich nach knapp zwei Minuten ein groovender U-Musik-Rhythmus ins Geschehen ein. Doch nur für ganz wenige Sekunden. Wie eine pathetisch-hymnische Popmusik-Epiphanie inmitten synthetischer Orgel-Herrlichkeiten. Doch: keine affirmative Fortsetzung, keine plötzliche Anbiederung mit Rhythmusteppich. Ein schönes, kurzes Hörstück, das viel Platz lässt für mögliche eigene Erinnerungen, Assoziationen und Geschichten in Bildern (im Kopf). ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.