250 Komponistinnen. Folge 28: Trügerische Seele, undankbares Herz!
1632 formulierte der aus einer Musikerfamilie stammende Galileo Galilei das »Pendelgesetz«, welches schlichtweg besagt, dass die Dauer eines Pendelschwingens unabhängig von dem Gewicht des Pendels, sondern nur von der Länge abhängig ist. 1640 entwarf Galilei auf Grundlage seiner einstmals geschaffenen Pläne den Bau einer solchen Pendeluhr, doch erst sein Sohn Vincenzo – benannt nach dem Vater Galileos, der einst ein bedeutender Lautenist, Compositeur und Musiktheoretiker gewesen war – realisierte die Konstruktion Jahre später. Denn Galileo Galilei starb Anfang des Jahres 1642 in Florenz.
Wohl 1640, also im Jahr der Galileischen Pendeluhrbauentwürfe, wurde Antonia Bembo in Venedig geboren. Sie war Tochter eines venezianischen Arztes und – so heißt es – die »begabteste Schülerin von Francesco Cavalli«. (Auch wurde sie von der fast ebenso legendären Barbara Strozzi unterrichtet.) Cavalli war, was Prominenz, Qualität und Popularität seiner Werke anbelangt, der legitime Nachfolger von Claudio Monteverdi. Seine Oper Il Giasone (1649) war gewissermaßen die »Zauberflöte des 17. Jahrhunderts.«
Mit 19 Jahren heiratete Antonia den Edelmann Lorenzo Bembo und brachte in den darauffolgenden Jahren drei Kinder zur Welt. Die Ehe zerbrach und Bembo trieb es wohl Anfang der 1680er Jahre nach Paris. Dort gewährte ihr Ludwig XIV., der von ihren immensen sängerischen Fähigkeiten beeindruckt gewesen sein muss, Kost, Rente und Logis – und so konnte Bembo fortan in der Gemeinschaft der »Petite Union Chrétienne des Dames de Saint Chaumont« in der Pariser Gemeinde der »Notre Dame de Bonne Nouvelle« leben. Hier entstanden bedeutende Werke aus Bembos Feder.
Die Komponistin und Sängerin Bembo starb wohl mit 60 Jahren um 1720 in Paris.
Antonia Bembo (ca. 1640–ca. 1720)Anima perfida für Sopran und Basso continuo (1697–1701)
Bembo legte Werke in allen modernen Gattungen ihrer Zeit vor: Opern, Kantaten und Motetten. Ihr Stil wird als – durch ihre Herkunft sowie durch ihre spätere Wirkungsstätte unweit des französischen Königshofes naheliegende – Amalgamation von italienischen und französischen Einflüssen beschrieben.
In der Arie Anima perfida, die in der Sammlung Produzioni Armoniche (Paris 1697-1701) erschien, geht es äußerst wild zur Sache. Das Stück reiht sich nahtlos ein in die Tradition der barocken Wut- oder Rache-Arien, wie sie noch beim späten Händel – zur glutvollen Blüte gelangt – zu hören sind; letztlich wäre auch Mozarts Zauberflöten-Hit Der Hölle Rache ohne die virtuose Vorarbeit der glanzvollen Früh-, Hoch- und Spät-Barock-Kolleg*innen nie entstanden.
Der unbekannte Text-Dichter wählte die Worte »Anima perfida, ingrato cor!« (»Trügerische Seele, undankbares Herz!«) als klangvolle Knatschzone des Refrains dieser ungemein abwechslungsreichen, großartigen Rondo-Arie, die eben durch ihre Art des Wiederkehrens der – seien wir ehrlich – barocken Da-Capo-Langeweile den tödlich-amourösen Garaus macht. Ja, die ständige Da-Capo-Litanei der Barockarien verhindert möglicherweise eine noch umfangreichere heutige Rezeption der zahllos unentdeckten Preziosen aus dieser Zeit, die durch das Anbeten des ewigen A-B-A-Abendmahls möglich wäre; zumal die heutigen Interpret*innen viel zu brav trällern und der dazumaligen Singart einer Da-Capo-Arie vermutlich nicht annähernd das Wasser reichen können. Auch damals wollte man sich im Auditorium nicht langweilen! Blut, Schweiß, Tränen und noch ganz andere Flüssigkeiten wurden in das ausgezierte, ausgedärmte, ausgerissene »Wiederholen« des A-Teils (das nie ein Wiederholen war!) gelegt – während heutzutage die wenigen Verzierungskompetenzen aus dem Pflicht-Alte-Musik-Kurs angewandt werden. Meist recht langweilig.
Bei Bembo beschwert sich ein Mensch lauthals und angezickt beim Schicksal: Die Liebe ist gescheitert – und zu allem frustrierten Überdruss noch zu einem anderen gewandert! Rache sei dem, der dich jetzt liebt! Man spürt die Cavalli-Schülerin wallend-bebend komponieren, erinnert sich wohlwollend an Cavallis hypnotische Rache-Arien aus Il Giasone – und hört doch die hochbarocken Neuerungen, den rhythmischen Drive als individuelle Zutat Bembos heraus.
In der letzten Strophe der keine vier Minuten langen Arie kommt es zum vulkanösen Ausbruch – und gleichzeitig zur tektonisch eingerammten Steinestafel-Entstehung der »Moral von der Geschicht«. Im Text heißt es dort: »Tal se palla infocata incontra un marmo, quando il marmo colpisce, vien rintuzzata e ’l feritor ferisce!« (»Wenn eine Feuerkugel auf Marmor trifft, dann prallt sie vom Marmor zurück und verletzt den Verletzer!«). Die letzten – immer wieder wallend wiederholten – Worte insistieren auf das Karma-Mantra aller Herzen, die mit Liebesabwendung andere Herzen verwundeten: »Verletzt den Verletzer!« Die gezackten Melismen, die erregten Koloraturen brennen das Bild dieser Liebe-Hass-Feuerkugel aufs Vortrefflichste ins Hirn der Rezipierenden. Eine fantastische Arie voller Wut und Brennen. ¶